OGH 13Ns17/17d

OGH13Ns17/17d5.4.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. April 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Melounek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Gjergji M***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 15 Hv 15/17z des Landesgerichts Wels, in dem zwischen diesem Gericht und dem Landesgericht Wiener Neustadt (zu AZ 36 Hv 10/17w) geführten Zuständigkeitsstreit nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0130NS00017.17D.0405.000

 

Spruch:

Die zur Entscheidung über einen Zuständigkeitsstreit vorgelegten Akten werden den Landesgerichten Wels und Wiener Neustadt unter Hinweis auf § 213 StPO zurückgestellt.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Im Verfahren AZ 15 Hv 15/17z des Landesgerichts Wels legte die Staatsanwaltschaft Wels (zu AZ 11 St 157/16y) mit am 1. Februar 2017 eingebrachter Anklageschrift Gjergji M***** als „das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28 a Abs. 1 2., 3. und 5. Fall und Abs 2 Z 2 sowie Abs. 4 Z 3 SMG“ und „das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 2. und 3. Fall, Abs. 2 Z 2 und Abs. 4 Z 3 SMG“ beurteiltes Verhalten zur Last (ON 1 S 45, ON 8 im Akt 15 Hv 15/17z des Landesgerichts Wels).

Dem seit 10. November 2016 im Verfahren AZ 11 St 152/16p der Staatsanwaltschaft Wels in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten (ON 19 f im Akt AZ 36 Hv 10/17w des Landesgerichts Wiener Neustadt) wurde die Anklageschrift am 10. Februar 2017, seinem Verteidiger am 13. Februar 2017 zugestellt (unjournalisierte Zustellnachweise im Akt 15 Hv 15/17z des Landesgerichts Wels). Die am 28. Februar 2017 veranlasste Übersetzung der Anklage (ON 1 S 48 im Akt 15 Hv 15/17z des Landesgerichts Wels) liegt – soweit aus dem Akt ersichtlich – noch nicht vor. Anklageeinspruch wurde nicht erhoben.

 

Mit beim Landesgericht Wiener Neustadt am 7. Februar 2017 zu AZ 36 Hv 10/17w eingebrachter Anklageschrift legte die Staatsanwaltschaft Wels (zu AZ 11 St 152/16p) Sergjo P*****, Erind H*****, Gjergji M***** und Elsi Mi***** als Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB, Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB und Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG qualifizierte Verhaltensweisen zur Last (ON 81; ON 1 S 27 im Akt AZ 36 Hv 10/17w des Landesgerichts Wiener Neustadt).

Diese Anklageschrift wurde dem Verteidiger des Gjergji M***** am 13. Februar 2017 zugestellt (ON 1 S 29 im Akt AZ 36 Hv 10/17w des Landesgerichts Wiener Neustadt). Deren vom Gericht ebenfalls verfügte Zustellung an den Angeklagten Gjergji M***** unterblieb zunächst aufgrund eines Versehens der befassten Justizanstalten und erfolgte erst am 7. März 2017 (vgl ON 1 S 29, ON 101 f im Akt AZ 36 Hv 10/17w des Landesgerichts Wiener Neustadt). Bereits am 22. Februar 2017 war dem Genannten allerdings die vom Gericht veranlasste Übersetzung der Anklageschrift zugestellt worden (ON 1 S 29, ON 1 S 31 im Akt AZ 36 Hv 10/17w des Landesgerichts Wiener Neustadt). Auch in diesem Verfahren erhob der Angeklagte Gjergji M***** keinen Anklageeinspruch.

 

Am 6. März 2017 übermittelte das Landesgericht Wels seinen Akt AZ 15 Hv 15/17z dem Landesgericht Wiener Neustadt zu AZ 36 Hv 10/17w „zuständigkeitshalber zur Einbeziehung und gemeinsamen Führung (Anklage zuerst im Verfahren 36 Hv 10/17w LG Wr. Neustadt rechtskräftig)“ (ON 1 S 49 im Akt 15 Hv 15/17z des Landesgerichts Wels).

Das letztgenannte Gericht verneinte seine Zuständigkeit und legte die Akten gemäß § 38 StPO dem Obersten Gerichtshof vor (ON 1 S 33, ON 104 im Akt AZ 36 Hv 10/17w des Landesgerichts Wiener Neustadt).

Beide Landesgerichte fassten bislang keinen Beschluss nach § 213 Abs 4 StPO, gingen aber auch nicht nach § 213 Abs 6 StPO vor.

Da eine Entscheidung nach § 38 StPO über den Kompetenzkonflikt von Landesgerichten als Schöffen- oder Geschworenengerichten die Feststellung der Rechtswirksamkeit der Anklageschrift nach § 213 Abs 4 StPO oder § 215 Abs 6 StPO voraussetzt (mit eingehender Begründung 13 Ns 61/09p; RIS-Justiz RS0125453), scheidet eine Beschlussfassung nach § 38 StPO aus.

 

Im Übrigen:

Nach § 37 Abs 3 StPO sind, sofern zu dem Zeitpunkt, zu dem die Anklage rechtswirksam wird, ein Hauptverfahren gegen den Angeklagten anhängig ist, die Verfahren zu verbinden. Unter Gerichten gleicher Ordnung kommt das Verfahren bei Fehlen einer Sonderzuständigkeit jenem Gericht zu, bei dem die Anklage zuerst rechtswirksam geworden ist (§ 37 Abs 3 zweiter Halbsatz StPO).

Rechtswirksam ist die Anklageschrift nach ihrer ordnungsgemäßen Zustellung und anschließendem Einspruchsverzicht, fruchtlosem Verstreichen der Einspruchsfrist oder negativer Einspruchsentscheidung durch das Oberlandesgericht (14 Os 20/10p; Birklbauer/Mayrhofer , WK-StPO Vor §§ 210–215 Rz 51).

Einem Beschuldigten, der die Verfahrenssprache nicht spricht oder versteht, ist die Anklage grundsätzlich (zu den möglichen Ausnahmen siehe § 56 Abs 5 StPO) schriftlich zu übersetzen, soweit dies zur Wahrung der Verteidigungsrechte und eines fairen Verfahrens erforderlich ist (§ 56 Abs 1, Abs 3 StPO). Damit sollen fremdsprachigen Beschuldigten annähernd gleiche Bedingungen für die Vorbereitung der Verteidigung gewährt werden (ErläutRV 2402 BlgNR 24. GP 9).

Der Beginn der Frist zur Erhebung des Einspruchs richtet sich für den zum Zeitpunkt der Einbringung der Anklageschrift in Haft befindlichen oder zugleich verhafteten Angeklagten, dem die Anklageschrift sogleich selbst auszufolgen und (zusätzlich) seinem Verteidiger zuzustellen ist, nach der zuletzt bewirkten Zustellung (§ 213 Abs 3 StPO).

In Ansehung der gebotenen sofortigen Zustellung der von der Staatsanwaltschaft in der Staatssprache Deutsch einzubringenden (Art 8 B-VG; § 53 Abs 1 Geo; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer , Bundesverfassungsrecht 10 207 mwN) Anklageschrift an den verhafteten Angeklagten differenziert § 213 Abs 3 StPO nicht danach, ob dieser der Gerichtssprache hinreichend mächtig ist oder nicht (vgl im Gegensatz dazu § 171 Abs 4 StPO). Da die Verteidigungsrechte des verhafteten Angeklagten durch die zwingend vorgesehene Zustellung der Anklageschrift auch an seinen Verteidiger geschützt werden, ist in diesem Fall die Zustellung der Anklage in deutscher Sprache (fristauslösend) rechtswirksam.

Wird einem in Haft befindlichen fremdsprachigen Angeklagten dennoch die Anklage nicht sofort in deutscher Sprache, sondern erst nach Vorliegen der Übersetzung ausgefolgt, so ist diese Zustellung bei der Berechnung der Frist für die Erhebung eines Anklageeinspruchs zu berücksichtigen. Dies auch für den Fall, dass nachträglich (zusätzlich) eine Zustellung der Anklage in deutscher Sprache erfolgt.

Da die in Rede stehenden Gerichte solche gleicher Ordnung sind und Sonderzuständigkeiten nicht vorliegen, gäbe im Fall der – vom Obersten Gerichtshof hier nicht zu prüfenden – Rechtswirksamkeit beider Anklagen der Staatsanwaltschaft Wels nach § 213 Abs 4 StPO der im Sinne der obigen Ausführungen frühere Eintritt der Rechtswirksamkeit im Verfahren AZ 15 Hv 15/17z des Landesgerichts Wels den Ausschlag. Dieses Gericht hätte daher die Verfahren zu verbinden und das Hauptverfahren durchzuführen.

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