OGH 1Ob161/16g

OGH1Ob161/16g29.3.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätinnen Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. M* S*, vertreten durch Dr. Roman Moser, Rechtsanwalt in Salzburg, und des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei Dr. C* R*, vertreten durch Dr. Michael Sallinger LL.M., Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Dr. E* S*, vertreten durch MMag. Christian Mertens, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 45.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision des Nebenintervenienten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 16. Juni 2016, GZ 1 R 72/16x‑82, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 14. März 2016, GZ 11 Cg 81/12b‑75, in der Fassung des Ergänzungsurteils vom 18. März 2016, GZ 11 Cg 81/12b‑76, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E117892

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil lautet:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 35.000 EUR samt 4 % Zinsen seit 29. 3. 2012 binnen 14 Tagen zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für sämtliche zukünftigen Schäden und Folgen, welche aus der unterlassenen rechtzeitigen Behandlung der karzinomatösen Veränderungen (Zervikalkarzinom) resultieren, haftet.

Das auf Zahlung weiterer 10.000 EUR samt 4 % Zinsen seit 29. 3. 2012 gerichtete Mehrbegehren wird abgewiesen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, binnen 14 Tagen der klagenden Partei 35.191,90 EUR (darin 3.637,60 EUR USt und 13.366,30 EUR Barauslagen) an Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen und dem Nebenintervenienten 7.999,14 EUR (darin 879,19 EUR USt und 2.724 EUR Barauslagen) an Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin suchte als Patientin in der Zeit von 2005 bis 2011 regelmäßig die beklagte Gynäkologin zur Vornahme von Kontrolluntersuchungen auf, bei denen die Beklagte insbesondere Krebsabstriche machte. Im Jahr 2008 oder 2009 berichtete die Klägerin von „Kontaktblutungen“ (gemeint offenbar: Blutungen beim Sexualverkehr); im Juni 2011 äußerte sie, dass diese Blutungen stark bzw mehr geworden wären. Daraufhin wurde eine bereits länger bestehende bzw dokumentierte Portioektopie verödet, weil die Beklagte diese als Ursache für die Blutungen vermutete. Im Rahmen der vorgenommenen Abstriche traten Blutungen nie auf. Die Beklagte übermittelte die jeweiligen Abstriche dem (dem Verfahren als Nebenintervenient beigetretenen) Pathologen, ohne dabei auf die von der Patientin erwähnten „Kontaktblutungen“ hinzuweisen. Unstrittig ist, dass die Klägerin während des gesamten Behandlungszeitraums nicht gewusst hat, von wem die von der Beklagten abgenommenen Abstriche begutachtet werden. Bei den Befunden, welche die Beklagte vom Nebenintervenienten im Zeitraum 2005 bis 2010 erhielt, fand sich lediglich der Vermerk „unauffällig“; ein Hinweis auf die überwiegend mangelhafte Qualität der Abstriche wurde der Beklagten nicht übermittelt, obwohl grundsätzlich ein Befund auch darauf Bezug nehmen soll, weil damit dem Gynäkologen eine Rückmeldung gegeben wird, ob der Abstrich korrekt abgenommen wurde. Dazu gibt es Empfehlungen der Österreichischen Gesellschaft für Zytologie. Auch die Beklagte forderte diese Qualitätsbeurteilung nicht ein, obwohl sie ein wichtiger Beitrag zur Selbstkontrolle gewesen wäre. Nachdem der Nebenintervenient über längere Zeit von unbedenklichen Ergebnissen (PAP II) berichtet und erstmals im Juni 2011 einen Abstrich mit der Qualifizierung „PAP III D“ beurteilt hatte, veranlasste die Beklagte – wenn auch mit einer Verzögerung von drei Monaten – intensivere Kontrollmaßnahmen, nach denen sich schließlich das Vorliegen einer schon weit fortgeschrittenen Krebserkrankung (Zervixkarzinom) herausstellte, die operative Eingriffe im Oktober und Dezember 2011 nach sich zog. Nachträglich stellte sich heraus, dass die vom Nebenintervenienten bekannt gegebenen Begutachtungsergebnisse objektiv weitgehend unrichtig waren. Schon die Proben aus den Jahren 2005 bis 2007 wären mit (zumindest) „PAP III“, der Abstrich aus 2008 mit „PAP III bzw PAP IV“ zu beurteilen gewesen. Darüber hinaus hatte der Nebenintervenient auch nicht auf die teilweise mangelnde Qualität der Abstriche hingewiesen; von den insgesamt acht Abstrichpräparaten war (zumindest) die Hälfte nur eingeschränkt beurteilbar, weil sie keine ausreichende Anzahl bestimmter Zellen bzw Epithelien enthielten. Die bedenklichen Zellveränderungen fanden sich aber (in sehr geringem bis geringem Umfang) in allen Abstrichen seit 2006. Wären diese Krebsvorstufen früher erkannt und entfernt worden, hätte das Karzinom mit sehr großer Wahrscheinlichkeit verhindert werden können; dann hätte die Klägerin auch die weiteren nachteiligen Gesundheitsfolgen nicht erlitten. Bei rechtzeitigem Erkennen der auf die Entstehung eines Tumors hinweisenden Zellveränderungen wäre die zweite Operation, weitere Eingriffe sowie die Radiochemotherapie entbehrlich gewesen; lediglich die (weniger belastende) Erstoperation hätte vorgenommen werden müssen. Durch die zusätzlichen Maßnahmen litt die Klägerin 3 Tage an starken, 5,25 Tage an mittelstarken und 16,75 Tage an leichten Schmerzen; ab dem 23. 3. 2012 verblieben leichte Schmerzen in der Dauer von zwei Stunden pro Tag. Inwieweit es in Hinkunft zu einer Änderung des auf Dauer bestehenden Schmerzausmaßes kommen kann, ist nicht feststellbar. Die (verspätete) Diagnose und die damit einhergehenden Behandlungen führten bei der Klägerin weiters zu erheblichen psychischen Störungen mit Verzweiflung und Angstzuständen sowie zu familiären Belastungsreaktionen. Sie nahm zwar weder eine psychiatrische Behandlung noch eine medikamentöse Therapie in Anspruch, jedoch ab 2011 zunächst alle vier Wochen, seit Frühjahr 2014 alle zwei bis drei Monate psychologische Hilfe. Sie leidet auch an Schlafstörungen und an vermehrter Müdigkeit. Aus psychiatrischer Warte entsprechen ihre bisherigen seelischen Beeinträchtigungen 93 Tagen an leichten (körperlichen) Schmerzen. Künftige (ab 2. 12. 2016) Beeinträchtigungen hängen vor allem auch von der jeweiligen Heilungsprognose ab.

Die Klägerin stellte nun das aus dem Spruch dieser Entscheidung ersichtliche Begehren und brachte dazu im Wesentlichen vor, der Beklagten, als deren Erfüllungsgehilfe der Nebenintervenient tätig geworden sei, seien Fehlbehandlungen und Fehldiagnosen vorzuwerfen. Sie habe den Nebenintervenienten nicht auf die von ihr bekannt gegebenen Kontaktblutungen hingewiesen, die ein erstes Anzeichen für ein Gebärmutterhalskarzinom sein könnten. Hätte die Beklagte die Blutungen nicht mit einer Portioektopie erklärt, hätte die Klägerin die Zweitmeinung eines anderen Gynäkologen bzw Pathologen eingeholt, wobei die Erkrankung erheblich früher diagnostiziert worden wäre; eine Metastasierung wäre dann nicht eingetreten und eine Radiochemotherapie nicht erforderlich gewesen.

Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, ihr sei kein Behandlungs‑ oder Diagnosefehler vorzuwerfen. Der Nebenintervenient sei nicht als ihr Erfüllungsgehilfe tätig geworden, weshalb sie für dessen inhaltlich unrichtige Befunde nicht hafte. Die angegebenen Kontaktblutungen seien kein Alarmsignal gewesen, zumal es bei den Abstrichen selbst nie zu Blutungen gekommen sei. Für eine allenfalls verspätete medizinische Intervention trage allein der Nebenintervenient die Verantwortung, dessen Tätigkeit ihr nicht zuzurechnen sei. Das Schmerzengeldbegehren sei überhöht.

Die Wiedergabe des Vorbringens des Nebenintervenienten erübrigt sich, weil er im erstinstanzlichen Verfahren auf Seiten der Beklagten einschritt. Das damals erstattete Vorbringen hat seine Bedeutung aber dadurch verloren, dass er ab dem Berufungsverfahren auf Seiten der Klägerin einschreitet und wegen des Neuerungsverbots kein relevantes Tatsachenvorbringen mehr erstatten kann.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass sich der ärztliche Behandlungsvertrag grundsätzlich nur auf das konkrete Fachgebiet des betreffenden Arztes beziehe. Ein überweisender Facharzt handle als offener Stellvertreter für den Patienten, wenn er etwa Abstriche direkt an den Pathologen zur Begutachtung sendet. Es bestehe somit keine Erfüllungsgehilfenhaftung, weshalb die Beklagte nicht für Fehler des von ihr beigezogenen Nebenintervenienten hafte. Die Beklagte habe darauf vertrauen dürfen, dass die von letzterem mitgeteilten Ergebnisse und Beurteilungen der Abstriche zutreffend sind. Eigene Fehler seien der Beklagten nicht unterlaufen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Der Umstand, dass die Beklagte dem Nebenintervenienten nicht über die Kontaktblutungen der Klägerin berichtet hat, könnten deren schadenersatzrechtliche Verantwortung nicht begründen, zumal es bei den Abstrichen nicht zu solchen Blutungen gekommen sei. Es sei auch nicht zu erkennen, welchen Mehrwert der Nebenintervenient aus der vermissten Information hätte ziehen können. Zutreffend habe das Erstgericht darauf Bedacht genommen, dass die Fachärzte ihre fachärztliche Berufstätigkeit auf ihr Sonderfach zu beschränken hätten. Ohne Vorliegen besonderer Umstände sei daher davon auszugehen, dass sich der Behandlungsvertrag nur auf das Fachgebiet des Arztes beziehe. Werde es notwendig, den Patienten an einen Arzt eines anderen Fachgebiets zu überweisen, komme mit diesem ein eigener Behandlungsvertrag im Rahmen dessen Fachgebiets zustande. Damit handle der überweisende Facharzt als offener Stellvertreter für den Patienten, wenn er etwa Gewebsproben direkt an den Pathologen zur Begutachtung sendet. In solchen Fällen habe die Patientin (schlüssig) den zunächst aufgesuchten Arzt mit der Auswahl des individuellen Arztes, an den überwiesen werden soll und der seinerseits die Leistung erbringt, beauftragt. Mangels Erfüllungsgehilfenstellung des Nebenintervenienten habe die Beklagte für dessen Fehlleistungen nicht zu haften. Die Beklagte habe auf die Richtigkeit der Befunde des Nebenintervenienten vertrauen dürfen und insgesamt lege artis gehandelt. Auch die Verantwortlichkeit für die Mitteilung, dass vorgenommene Abstriche nicht beurteilbar oder nicht repräsentativ seien, liege beim Nebenintervenienten als dem befundenden Pathologen. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil sich das Berufungsgericht an der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs orientiert habe.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision des Nebenintervenienten ist zulässig, weil dem Berufungsgericht in seiner Beurteilung des Inhalts des Behandlungsvertrags zwischen den Streitteilen nicht gefolgt werden kann; sie ist auch berechtigt.

Wie die Verfahrensbeteiligten ohnehin erkennen, setzt eine schadenersatzrechtliche Haftung der Beklagten eine Verletzung ihrer Pflichten aus dem mit der Klägerin abgeschlossenen Behandlungsvertrag voraus. Zum ärztlichen Behandlungsvertrag wird zutreffend immer wieder betont, dass dieser zumeist konkludent zustandekommt (Wallner, Handbuch Ärztliches Berufsrecht [2011] 90; 7 Ob 136/06k ua), was insbesondere auch auf den Vertragsinhalt zutrifft. Die Frage, wozu sich die Beklagte im Einzelnen gegenüber der Klägerin verpflichtet hat, ist somit nach den allgemeinen Regeln der zivilrechtlichen Rechtsgeschäftslehre zu lösen. Da der rechtsgeschäftliche Kontakt in aller Regel vom Patienten ausgeht, nimmt dieser durch seine Erklärungen und sein sonstiges Verhalten maßgeblichen Einfluss auf den Vertragsinhalt, der darüber hinaus noch danach bestimmt wird, was ein Patient nach allgemeinem Erfahrungswissen vom betreffenden Facharzt erwarten kann. Nach der anerkannten Vertrauenstheorie ist für die Auslegung von Willenserklärungen stets der Empfängerhorizont maßgeblich: Die Erklärung gilt so, wie sie ein redlicher Empfänger verstehen durfte; es kommt also auf den objektiven Erklärungswert und nicht auf den Willen des Erklärenden oder das tatsächliche Verständnis des Empfängers an (vgl dazu nur Bollenberger in KBB4 § 863 ABGB Rz 3 mit Judikturnachweisen).

Findet sich eine Patientin in der Praxis eines Facharztes oder einer Fachärztin für Gynäkologie ein und wünscht sie – wie hier – (regelmäßige) Krebsvorsorgeuntersuchungen, kann dies vernünftigerweise vom aufgesuchten Arzt nur so verstanden werden, dass sie – neben einem anamnestischen Gespräch und der Erörterung allfälliger zusätzlicher Risikofaktoren – eine körperliche Untersuchung, die fachgerechte Vornahme eines Abstrichs, dessen fachkundige Begutachtung und die medizinische Beurteilung der gewonnenen Erkenntnisse im Hinblick auf das Risiko der Entstehung eines Zervixkarzinoms erwartet. Darüber, ob der aufgesuchte Facharzt diese für das Erzielen des von der Patientin gewünschten Ergebnisses erforderlichen Einzelschritte selbst durchführt oder ob diese teilweise von einem weiteren Arzt (eines anderen Fachgebiets) vorgenommen werden und welche Rechtsbeziehungen zu diesem dritten Facharzt allenfalls begründet werden könnten, macht sich die durchschnittliche Patientin regelmäßig keine Gedanken. Wird ihr nichts Gegenteiliges vermittelt, geht sie typischerweise davon aus, dass das erforderliche „Gesamtpaket“ an medizinischen Leistungen in die Leistungspflicht und Verantwortlichkeit des aufgesuchten Gynäkologen fällt, insbesondere wenn sie – wie hier – weder Informationen über die Person des mit der Beurteilung des Abstrichs befassten Pathologen noch dessen (schriftliches) Untersuchungsergebnis erhält oder erhalten soll.

Selbstverständlich trifft es – was von den Vorinstanzen betont wurde – zu, dass grundsätzlich jedem Patienten das Wissen zu unterstellen ist, dass die medizinische Wissenschaft und Praxis in verschiedene Fachgebiete aufgeteilt ist und dass jeder Facharzt für die Ausübung seines Fachgebiets eine besondere mehrjährige Ausbildung benötigt, und es auch allgemein bekannt ist, dass nicht jeder Arzt alle Fachgebiete praktiziert und daher auch nicht alle Behandlungen und Untersuchungen selbst durchführen darf (weil Fachärzte ihre fachärztliche Tätigkeit gemäß § 31 Abs 3 ÄrzteG auf ihr Sonderfach zu beschränken haben). Doch kann einerseits keineswegs das Wissen um die konkreten Abgrenzungen der einzelnen Teilfächer (zu möglichen Überschneidungen s etwa RIS‑Justiz RS0125833 = 8 Ob 115/09h; RS0111594) vorausgesetzt werden – für den vorliegenden Fall weist etwa der Nebenintervenient darauf hin, dass auch bei der gynäkologischen Fachausbildung eine Ausbildung in Zytologie durchlaufen wird –, weshalb auch die Klägerin nicht vermuten musste, dass die Beklagte pathologische Untersuchungen gar nicht vornehmen darf. Andererseits bedeutet die Beschränkung der Ausübung der ärztlichen Tätigkeit im Rahmen des eigenen Fachgebiets nicht, dass sich ein Arzt nicht zivilrechtlich wirksam auch zur Erbringung fachfremder Leistungen verpflichten könnte, sofern diese nur tatsächlich durch einen einschlägigen Facharzt geleistet werden, was sich etwa in der Rechtsprechung zu den Leistungspflichten eines sogenannten Belegarztes niedergeschlagen hat (vgl nur RIS‑Justiz RS0112955; RS0112628, RS0112629, zur Gehilfenhaftung eines Arztes s auch 4 Ob 210/07x = SZ 2008/8, 10 Ob 119/07h). Zu Recht wird daher betont (Wallner, Handbuch 91 unter Berufung auf Haberl, Belegarzthaftung und Fremdverschulden, RdM 2005/66, 100 ua), dass § 1313a ABGB durchaus auch für das Zusammenwirken fachfremder Fachärzte herangezogen werden kann, wobei es aber auf die Frage des Inhalts des Behandlungsvertrags ankommt und aus dem Behandlungsvertrag zu erschließen ist, welche Leistungen der (unmittelbar beauftragte) Arzt schuldet.

Zu beachten ist schließlich auch, dass dem Patienten regelmäßig sowohl das eindeutige Wissen über die Abgrenzung einzelner Fachgebiete als auch die Kenntnis darüber fehlt, welche einzelnen Schritte, die in den Fachbereich des jeweiligen Facharztes fallen, erforderlich sind, um jenes Ziel zu erreichen, das er dem aufgesuchten Facharzt gegenüber – in ausreichender Klarheit – dargelegt hat. Aus diesem Grund hat er auch regelmäßig keine Veranlassung, diesbezüglich nachzufragen und um Aufklärung, etwa auch über die beabsichtigten weiteren Rechtsverhältnisse, zu fragen. Anders als in jenen Fällen (zB 3 Ob 237/00z), in denen der Patient selbst an einen Arzt eines anderen Faches (etwa einen Radiologen) überwiesen wird – die Revisionsgegnerin geht auch hier (zu Unrecht) von einer Überweisung „der Klägerin“ an den Nebenintervenienten aus – und mit diesem in persönlichen Kontakt tritt – wobei er sich die Person des Arztes unter Umständen sogar aussuchen kann –, ist es bei der bloßen Übersendung von Gewebeproben an einen Pathologen, die vom konsultierten Arzt intern und ohne Absprache und nähere Information gegenüber dem Patienten durchgeführt wird, keineswegs eindeutig, dass der aufgesuchte Arzt nur eine eingeschränkte Leistungspflicht übernehmen und darüber hinaus im Namen des Patienten einen weiteren Vertrag mit einem dritten Facharzt abschließen will, für dessen Wirksamkeit er darüber hinaus auch noch einer Bevollmächtigung durch den Patienten bedürfte; die Beklagte hat im Übrigen auch kein Tatsachenvorbringen erstattet, aus dem sich eine Beauftragung des Nebenintervenienten namens der Klägerin ergeben würde. Primär der Arzt, kaum aber der Patient, hat es in einer solchen Konstellation in der Hand, für ausreichende Klarheit über die von ihm beabsichtigte Begründung eines weiteren Rechtsverhältnisses zu sorgen, sofern er sich selbst überhaupt Gedanken darüber macht, ob er den dritten Arzt im eigenen Namen oder im Namen der Patientin beauftragen will. Der Arzt, der ja mangels Erörterung mit der Patientin allein darüber Bescheid weiß, welche Einzelmaßnahmen notwendig sind, um das von der Patientin gewünschte Ziel zu erreichen, könnte diese ohne weiteres ausdrücklich darauf hinweisen, dass für die Begutachtung der Abstriche ein Auftrag der Patientin an einen Pathologen erforderlich sei, für dessen Tätigkeit der Arzt nicht einzustehen habe. Damit würde er der Patientin unter anderem auch die Möglichkeit eröffnen, auf die Auswahl des weiteren Arztes Einfluss zu nehmen und etwa einen Pathologen ihres Vertrauens zu nominieren. Unterlässt der Gynäkologe hingegen jede konkrete Information der Patientin, gibt er nicht einmal den Namen des in Aussicht genommenen Pathologen bekannt und trägt er nicht dafür Sorge, dass der Patientin das Ergebnis der Tätigkeit des Pathologen übermittelt wird, kann die Patientin ohne weiteres annehmen, dass diese (unbekannten) Umstände für sie keine Bedeutung haben und der behandelnde Arzt alle erforderlichen Leistungen im Rahmen seines eigenen Pflichtenkreises erbringen wird, mag es auch naheliegen, dass dabei (intern) ein Pathologe beigezogen wird.

Im Übrigen zeigt gerade der vorliegende Fall die Notwendigkeit einer engen Kooperation zwischen den beiden Ärzten: Die Gynäkologin soll einen repräsentativen Abstrich vornehmen und bei Übersendung der Probe auf allenfalls zu berücksichtigende klinische Befunde hinweisen; der Pathologe hat hingegen über eine allenfalls unzureichende Qualität des Abstrichs zu informieren, um gegebenenfalls dessen Wiederholung zu ermöglichen. Von all dem erfährt die Patientin in der Regel wenig oder gar nichts. Insbesondere wenn die Gynäkologin auf eine aus ihrer Sicht allenfalls bestehende Notwendigkeit der Begründung eines eigenen Vertragsverhältnisses zwischen der Patientin und dem Pathologen oder zumindest darauf, dass sie für dessen Fehler nicht einstehen will, nicht hingewiesen hat, wird die Patientin umso mehr annehmen, dass all diese Schritte Sache der behandelnden Ärztin sind, die allenfalls auch Hilfspersonen für Teilleistungen heranzieht. Nach dem strengen Konkludenzmaßstab des § 863 ABGB zielte die (schlüssige) Vertragsofferte der Klägerin allein auf einen Behandlungsvertrag mit der Beklagten ab und nicht zusätzlich auf einen Geschäftsbesorgungsvertrag.

Damit gelangt man für den vorliegenden Fall zum Ergebnis, dass sich die Beklagte – mangels jeglicher einschränkender Hinweise – zur Erbringung all jener ärztlicher Leistungen verpflichtet hat, die erforderlich sind, um der Klägerin letztlich eine der Sachlage entsprechende Einschätzung des Krebsriskos bekannt zu geben. Da sie – wie dargelegt – dabei auch für Fehler des von ihr als Erfüllungsgehilfen beigezogenen Nebenintervenienten einzustehen hat, können Erörterungen darüber, welcher Fehler in welchem Ausmaß der Beklagten und/oder dem Nebenintervenienten vorzuwerfen ist, unterbleiben; dies ist erst für die Regressfrage von Bedeutung. Es steht jedenfalls fest, dass eine insgesamt sorgfältige und fachgerechte Risikobestimmung, bei der schließlich auch erheblich früher das Vorliegen einer Krebsvorstufe erkannt worden wäre, unterblieben ist, weshalb die Beklagte für jene (ideellen) Nachteile der Klägerin einzustehen hat, die bei fachgerechtem Vorgehen nicht eingetreten wären.

Soweit in der Entscheidung zu 7 Ob 136/06k zu einer ähnlichen Konstellation (Dermatologe/Pathologe) eine abweichende Auffassung zur Vertragsauslegung und damit zur Zurechnung des dritten Facharztes vertreten wurde, vermag sich der erkennende Senat dem nicht anzuschließen. In einer Folgeentscheidung, mit der eine außerordentliche Revision zurückgewiesen wurde (7 Ob 141/10a), hat der 7. Senat auf die (nicht näher dargelegten) „festgestellten konkreten Umstände des vorliegenden Einzelfalls“ abgestellt und die Entscheidung des Berufungsgerichts unter Hinweis darauf als „zumindest vertretbar“ bezeichnet. Auch dadurch wurde somit zum Ausdruck gebracht, dass der Inhalt des jeweiligen Behandlungsvertrags – und damit der Umfang der den Arzt treffenden Vertragspflichten – stets nur unter Berücksichtigung der ganz konkreten Umstände des einzelnen Vertragsabschlusses beurteilt werden kann, sich aber einer generalisierenden Einordnung entzieht.

Angesichts der vom Erstgericht (unbekämpft) festgestellten nachteiligen Gesundheitsfolgen, unter denen die lang anhaltende oder gar dauerhafte psychische Beeinträchtigung der Klägerin besonders ins Gewicht fällt, erscheint ein Schmerzengeld in Höhe von 35.000 EUR angemessen. Das Feststellungsbegehren ist berechtigt, weil der Krankheitsverlauf noch nicht abgeschlossen ist und nicht festgestellt werden konnte, inwieweit es in Hinkunft zu einer Änderung des auf Dauer bestehenden Schmerzausmaßes kommen kann. Damit ist jedenfalls das Feststellungsinteresse zu bejahen.

Die Kostenentscheidung beruht jeweils auf § 50 Abs 1 iVm § 43 Abs 2 zweiter Fall ZPO, wobei die Verfahrenskosten auf einer Bemessungsgrundlage von 40.000 EUR zu berechnen sind. Dem Nebenintervenienten steht Kostenersatz nur für jene Verfahrenshandlungen zu, die er auf Seiten der schließlich siegreichen klagenden Partei gesetzt hat. Der Schriftsatz der Klägerin ON 4 ist nur nach TP1 RATG, die Schriftsätze ON 24 und ON 53 nur nach TP2 zu honorieren. Für jene Schriftsätze, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich waren (ON 12, 14, 15, 42) gebührt ebensowenig Kostenersatz wie für Anträge (ON 21, 50), die allein wegen Umständen in der eigenen Sphäre notwendig waren. An Sachverständigengebühren sind nur 9.797 EUR angefallen; der darüber hinausgehende Kostenvorschuss wurde nicht verbraucht.

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