OGH 10Ob5/16g

OGH10Ob5/16g21.3.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Schramm, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*****, Republik Südafrika, vertreten durch Dr. Meinrad Küenburg, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei R***** reg.Gen.m.b.H., *****, vertreten durch Czernich Haidlen Guggenberger & Partner, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 47.129,50 EUR sA über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 18. November 2015, GZ 10 R 79/15s‑77, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 17. Juli 2015, GZ 11 Cg 59/12t‑72 mit einer Maßgabe bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0100OB00005.16G.0321.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der Kläger – ein in Südafrika lebender deutscher Staatsangehöriger – eröffnete am 6. 7. 2010 bei der beklagten Bank ein Girokonto. Als Verfügungsmöglichkeit wurde im Kontoeröffnungsvertrag unter vier angebotenen Varianten „schriftlich mit Unterschrift“ angekreuzt. Die Alternativen wie ein unterschriebenes Telefax oder E‑Mail erforderten die gleichzeitige buchstabengetreue Wiedergabe des Losungsworts. Nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten sind Aufträge des Kunden schriftlich zu erteilen, das Kreditinstitut ist jedoch auch berechtigt, die mittels Telekommunikation (insbesondere telefonisch, telegraphisch, fernschriftlich, mittels Telefax oder Datenfernübertragung) erteilten Aufträge durchzuführen.

Aufgrund eines Telefax vom 8. 11. 2010, das augenscheinlich die Unterschrift des Klägers trägt, überwies die Beklagte vom Konto des Klägers 42.000 EUR auf ein Konto der Bank of China mit dem „Accountnamen“ des Klägers. Eine neuerliche Überweisung (in Höhe von 5.000 EUR) erfolgte aufgrund eines Telefax vom 11. 11. 2010. Auf beiden Telefaxmitteilungen scheint eine Telefonnummer auf, die nicht mit der auf dem Kontoeröffnungsvertrag angegebenen Telefonnummer des Klägers übereinstimmt. Ob tatsächlich der Kläger die beiden Telefaxaufträge unterfertigte und an die Beklagte übermittelte, steht nicht fest. Nicht feststellen konnten die Vorinstanzen, wie es zur Eröffnung des Kontos in China gekommen war und ob die Überweisungen auf dieses Konto in irgendeiner Form in die Sphäre des Klägers gelangt sind.

Gestützt auf § 44 Abs 1 ZaDiG begehrt der Kläger von der Beklagten die Erstattung der Beträge der beiden nicht autorisierten Zahlungsvorgänge in Höhe von insgesamt 47.129,50 EUR. Der Zahlungsvorgang habe nicht in der zwischen den Parteien vereinbarten Form und im vereinbarten Verfahren (schriftlich mit Unterschrift) stattgefunden, sodass keine autorisierte Verfügung im Sinn des § 34 Abs 1 ZaDiG vorgelegen sei. Den Kläger treffe keinerlei Verschulden an der Fälschung seiner Unterschrift, er habe zur Geheimhaltung seiner Kontozugangsdaten alles Erforderliche getan.

Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, der Kläger habe seine Überweisungsaufträge telefonisch angekündigt, sie habe sie eingehend überprüft, beide Telefaxaufträge hätten die Unterschrift des Klägers getragen, die mit seiner Unterschriftenprobe übereingestimmt habe. Zur Durchführung mittels Telefax übermittelter Aufträge sei die Beklagte nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen berechtigt. Ihr stehe überdies eine Gegenforderung in Höhe der Klagsforderung zu, die sie auf § 44 Abs 2 ZaDiG stützte. Offensichtlich habe der Kläger detaillierte Informationen über sein Konto und die Gutschriften verbreitet oder Dritten den Zugang zu Kontodaten ermöglicht und sei der Beklagten daher schadenersatzpflichtig.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Es vertrat die Rechtsauffassung, die Verfügungsvariante „schriftlich mit Unterschrift“ sei so zu verstehen, dass die Unterschrift im Original vorliegen müsse, was sich insbesondere aus der nicht gewählten Alternativvariante „unterschriebenes Telefax mit Losungswort“ ergebe. Die Beklagte habe nicht nachgewiesen, dass der Kläger in irgendeiner Form für den nicht autorisierten Zahlungsvorgang mitverantwortlich zeichne, sodass ein Schadenersatzanspruch nach § 44 Abs 2 ZaDiG ausscheide.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten mit der Maßgabe nicht Folge, dass es den Spruch um die vom Erstgericht unterlassene Feststellung des Nichtzurechtbestehens der Gegenforderung ergänzte. Es verneinte eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens, übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und teilte im Wesentlichen die Rechtsauffassung des Erstgerichts. Die Anwendbarkeit des ZaDiG ziehe niemand in Zweifel. Das Erstgericht habe zu Recht davon abgesehen, der Beklagten die Beweiserleichterung des Anscheinsbeweises zur Frage der schuldhaften Ermöglichung eines Missbrauchs zuzubilligen. Der Passus „schriftlich mit Unterschrift“ sei dahingehend auszulegen, dass nur ein Schriftstück mit Originalunterschrift die Beklagte zur Durchführung des Auftrags berechtigt hätte. Die abweichende Einzelvereinbarung gehe der Bestimmung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen vor. Die Beklagte hafte daher verschuldensunabhängig nach § 44 Abs 1 ZaDiG aufgrund des nicht autorisierten Zahlungsvorgangs. Für den Schadenersatzanspruch der Beklagten nach § 44 Abs 2 ZaDiG bestehe keine Grundlage, weil der Beklagten der Nachweis nicht gelungen sei, dass der Kläger in irgendeiner Weise schuldhaft am nicht autorisierten Zahlungsvorgang mitgewirkt habe.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten. Als erhebliche Rechtsfrage thematisiert sie die Auslegung der Bedeutung des Begriffs „Schriftlichkeit“ im Kontoeröffnungsvertrag und vertritt die Auffassung, die Entscheidung des Berufungsgerichts sei mit der Entscheidung 9 Ob 41/12p zur Erfüllung des gesetzlichen Schriftformerfordernisses durch Übermittlung eines unterschriebenen Telefax nicht vereinbar. Außerdem liege eine erhebliche Rechtsfrage betreffend die Zulässigkeit des Anscheinsbeweises im Hinblick auf die in § 34 Abs 3 ZaDiG geregelte Frage der Beweislast bei nicht autorisierten Zahlungsvorgängen vor.

Damit gelingt es der Beklagten nicht, erhebliche Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

1.   Zur Auslegung des Begriffs „Schriftlichkeit“:

1.1.  Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, stellt nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RIS‑Justiz RS0042936 ua). Die Frage der Vertretbarkeit einer anderen Vertragsauslegung hat hingegen keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung und ist daher keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0042936 [T3, T17]). Die Vertragsauslegung der Vorinstanzen lässt hier aber keine Fehlbeurteilung erkennen.

1.2.  Vorauszuschicken ist, dass die Beklagte die – zutreffende (vgl 8 Ob 15/05x mwN; Riedler in Schwimann/Kodek 4 § 864a Rz 41; Bollenberger in KBB 5 § 864a Rz 2 mwN) – Auffassung der Vorinstanzen, die hier festgestellte Individualvereinbarung gehe einer hievon abweichenden Regelung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen jedenfalls vor, in der Revision nicht mehr in Zweifel zieht. Nach dieser individuellen Vereinbarung im Kontoeröffnungsvertrag sollten Verfügungen ausschließlich schriftlich mit Unterschrift erfolgen. Die anderen dort vorgegebenen drei Varianten nämlich „mittels von mir oder dem/der/den Zeichnungsberechtigten unterschriebenen Telefax und gleichzeitiger buchstabengetreuer Wiedergabe des vereinbarten Losungsworts“ bzw „telefonisch unter Nennung des vereinbarten Losungsworts“ und „mittels E‑Mail unter gleichzeitiger buchstabengetreuer Eingabe des Losungsworts im Text“ wurden ausdrücklich nicht angekreuzt. Wenn die Vorinstanzen dies nach dem Wortsinn dahingehend auslegten, dass Grundlage einer Verfügung über das Konto tatsächlich nur ein Schriftstück mit Originalunterschrift sein sollte, ist dies jedenfalls vertretbar. Insbesondere die zweite Alternative, die ausdrücklich auf ein unterschriebenes Telefax mit Losungswort Bezug nimmt, wäre andernfalls schwer erklärbar. Die Beklagte selbst unterscheidet im Übrigen in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch zwischen „schriftlich“ und „mittels Telekommunikation etwa Telefax“ erteilten Aufträgen.

1.3.  Der in der Revision behauptete Widerspruch zur Entscheidung 9 Ob 41/12p ist nicht zu erkennen. Dort nahm der Oberste Gerichtshof ausführlich zur Frage Stellung, ob eine per Telefax abgegebene Bürgschaftserklärung dem Schriftformgebot des § 1346 Abs 2 ABGB genügt. Er kam insbesondere deshalb, weil das Argument der Fälschungsanfälligkeit eines Telefax in keinem inneren Zusammenhang mit dem Zweck des Formgebots stehe, den Bürgen vor einer übereilten Haftungserklärung zu warnen, zur Auffassung, dass die vom Bürgen eigenhändig unterschriebene Bürgschaftserklärung, die er dem Gläubiger per Telefax übermittelt, die Voraussetzungen des Formgebots des § 1346 Abs 2 ABGB erfüllt. Im Gegensatz dazu steht im hier zu beurteilenden Fall aber gar nicht fest, dass der Kläger die beiden Telefaxaufträge überhaupt unterfertigt und an die Beklagte übermittelt hätte; schon deshalb ist die Entscheidung 9 Ob 41/12p nicht einschlägig und die diesbezügliche Beurteilung des Berufungsgerichts vertretbar.

2. Zur Zulässigkeit des Anscheinsbeweises:

2.1.  Ob nach den festgestellten Umständen ein Tatbestand vorliegt, der eine Verschiebung des Beweisthemas und der Beweislast im Sinn des sogenannten Anscheinsbeweises zulässt, ist zwar nach herrschender Ansicht (auch) eine (revisible) Rechtsfrage (RIS‑Justiz RS0022549; RS0022624; Rechberger in Rechberger ZPO 4 Vor § 266 Rz 22). Allerdings kommt der Lösung dieser Frage im Hinblick auf die Vielzahl denkbarer Fälle keine erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zu, zumal es nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs sein kann, in jedem Fall, in dem behauptet wird, dass ein bestimmter allgemeiner bekannter Erfahrungssatz bestehe, dazu in der Sache Stellung zu nehmen (RIS‑Justiz RS0022624 [T4, T8]). Eine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung der Vorinstanzen ist hier nicht zu erkennen.

2.2.  In der Entscheidung 2 Ob 133/99v (RIS‑Justiz RS0104837) hielt der Oberste Gerichtshof zwar fest, dass der Umstand, dass bei einer Bankomatabhebung die richtige PIN verwendet wurde, einen Prima‑facie‑Beweis dafür schaffe, dass eine vom Karteninhaber autorisierte Nutzung vorliegt; es liege dann am Karteninhaber, diesen Beweis durch die gleich hohe Wahrscheinlichkeit eines atypischen Geschehensablaufs zu erschüttern.

Hier lag den beiden Telefaxaufträgen überhaupt kein personalisiertes banktechnisches Sicherheitsmerkmal wie ein PIN‑Code zugrunde. Offenbar bekannt waren der Name und die Kontonummer des Kontoinhabers, das Bankinstitut und die Unterschrift. Soweit die Beklagte in ihrer Revision damit argumentiert, auch der exakte Kontostand sei bekannt gewesen, fehlt es hiezu einer entsprechenden Feststellungsgrundlage. Dass der Name des Kontoinhabers, die Kontonummer und das kontoführende Bankinstitut bei jedem Überweisungsvorgang offengelegt werden, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte, liegt auf der Hand. Bei schriftlichen Überweisungsaufträgen, die nicht im Weg von Telebanking erfolgen, gilt dies auch für die Unterschrift des Kontoinhabers. Wenn das Berufungsgericht aufgrund dessen die Rechtsauffassung vertritt, aus dem Umstand, dass jemand Kontoinhaber, Kontonummer, bankführendes Institut und die Art und Weise der Unterschrift des Klägers kennt, sei nicht typischerweise darauf zu schließen, der Kläger habe Missbrauch schuldhaft ermöglicht, ist dies im Einzelfall nicht zu beanstanden. Ein Abweichen von der Entscheidung 2 Ob 133/99v ist darin nicht zu erkennen.

2.3.  Auch aus der Bestimmung des § 34 Abs 3 ZaDiG ist für die Beklagte nichts zu gewinnen. Danach hat im Fall der Bestreitung der Autorisierung durch den Zahlungsdienstnutzer oder der Geltendmachung der nicht ordnungsgemäßen Ausführung dessen Zahlungsdienstleister nachzuweisen, dass 1. der Zahlungsvorgang authentifiziert war, 2. ordnungsgemäß aufgezeichnet und verbucht wurde und 3. nicht durch einen technischen Zusammenbruch oder eine andere Störung beeinträchtigt wurde. Der Nachweis der Nutzung eines Zahlungsinstruments reicht für sich genommen für den Nachweis der Autorisierung des Zahlungsvorgangs durch den Zahler, einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verletzung der Sorgfaltspflichten gemäß § 36 oder eines Handelns des Zahlers in betrügerischer Absicht nicht notwendigerweise aus.

Die Bestimmung ist dahingehend zu verstehen, dass im Fall der Verwendung kundenspezifischer Legitimationsmerkmale – wie etwa des richtigen PIN‑Codes – dies zwar regelmäßig einen Anscheinsbeweis für die Verwendung oder eine schuldhafte Verletzung der Sorgfaltspflichten durch den Berechtigten darstellt ( Ferner/Muri in Weilinger , ZaDiG § 34 Rz 13 mwN). Selbst in diesem Fall könnte der Anscheinsbeweis aber entkräftet werden, wenn die Umstände für einen anderen Geschehensablauf sprechen, etwa für einen möglichen oder unverschuldeten Missbrauch durch einen Dritten, wobei der Kunde nur die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Ablaufs zu beweisen hat. Bei Wegfall des Anscheins muss die Bank als ursprünglich Beweispflichtige die Autorisierung bzw die Verletzung von Sorgfaltspflichten durch den Zahler nachweisen ( Ferner/Muri in Weilinger , ZaDiG § 34 Rz 13).

Da die Beklagte hier nicht einmal die Nutzung eines Zahlungsinstruments (wie etwa des PIN‑Codes) durch den Kläger nachweisen konnte, bleibt nach zutreffender Auffassung des Berufungsgerichts für die Beweiserleichterung des Anscheinsbeweises zugunsten der Beklagten auch nach der genannten Bestimmung kein Raum. Dass der Kläger in irgendeiner Art und Weise am nicht autorisierten Zahlungsvorgang mitgewirkt hätte, konnte die Beklagte nicht beweisen.

3.  Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, ungeachtet des Auslandbezugs sei auf den Sachverhalt § 44 ZaDiG anzuwenden und ein rechtsverbindliches Anerkenntnis des Kontosaldos sei zu verneinen, zieht die Beklagte in der Revision nicht in Zweifel.

4.  Mangels erheblicher Rechtsfrage ist die außerordentliche Revision somit zurückzuweisen.

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