OGH 10ObS19/17t

OGH10ObS19/17t21.3.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Herbert Bauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch TELOS Law Group Winalek, Wutte‑Lang, Nikodem, Weinzinger Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15–19, wegen Rückforderung des Zuschusses zum Kinderbetreuungsgeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 22. Dezember 2012, GZ 10 Rs 95/16p‑16, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00019.17T.0321.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung

Die Klägerin bezog für ihren am 28. 2. 2008 geborenen Sohn A***** im Zeitraum vom 1. 1. 2010 bis 27. 8. 2010 den Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld in Höhe von gesamt 1.448,34 EUR.

Mit Bescheid vom 29. 1. 2016 widerrief die beklagte Partei den Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld mit der Begründung, dass im Bezugszeitraum die Einkünfte des Ehegatten der Klägerin auch die – unter Berücksichtigung zweier Sorgepflichten – von 12.200 EUR auf 20.200 EUR erhöhte Freigrenze (§ 12 KBGG idF BGBl 2007/76) überschritten hätten und verpflichtete die Klägerin zur Rückzahlung von 1.448,34 EUR.

In ihrer Klage, dass der erhobene Rückersatzanspruch nicht zu Recht bestehe, wendete die Klägerin ein, ihr Ehegatte habe im Bezugszeitraum nicht nur die von der beklagten Partei bereits berücksichtigten Unterhaltspflichten für zwei Kinder gehabt, sondern habe auch seine damals in Serbien lebenden Eltern (die mittlerweile verstorben seien) mit zumindest 100 EUR monatlich unterstützt. Die unter Berücksichtigung von vier Unterhaltspflichten von 12.200 EUR auf 28.200 EUR erhöhte Freigrenze (§ 12 KBGG idF BGBl I 2007/76) sei mit dem im Bezugszeitraum erzielten Einkommen des Ehegatten nicht überschritten worden, weshalb kein Rückforderungsanspruch bestehe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, dass der Ehegatte der Klägerin seinem erkrankten Vater zu dessen Unterstützung beispielsweise Harnkatheter übersandte und Kosten für die Anreise zum nächsten Spital übernahm. Ob und in welchem Ausmaß er seine Eltern darüber hinausgehend unterstützt hat, konnte nicht festgestellt werden.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, der Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte des Ehegatten der Klägerin für das Jahr 2010 errechne sich mit 26.489,67 EUR (§ 8 Abs 1 Z 1 KBGG). Gemäß § 12 KBGG (idF BGBl I 2007/76) erhöhe sich der gesetzlich festgelegte Grundbetrag der Freigrenze von 12.200 EUR infolge der Unterhaltspflicht für zwei Kinder um 8.000 EUR auf 20.200 EUR. Eine weitere Erhöhung der Freigrenze komme nicht in Betracht, weil im Hinblick auf die getroffene Negativfeststellung nicht beurteilt werden könne, ob ein wesentlicher Beitrag zum Unterhalt der Eltern erbracht worden sei. Die dazu getroffene Negativfeststellung gereiche der diesbezüglich beweispflichtigen Klägerin zum Nachteil.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und ließ die Revision nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

In ihrer außerordentlichen Revision vertritt die Klägerin die Ansicht, nicht sie, sondern die beklagte Partei sei dafür beweisbelastet, dass der Ehemann zum Unterhalt seiner Eltern tatsächlich nicht beigetragen habe.

Damit wird keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt:

1. Nach § 12 KBGG in der hier anzuwendenden Fassung (BGBl I 2007/76) erhalten verheiratete Mütter bzw Väter einen Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld, sofern ihr Ehegatte kein Einkommen erzielt oder der maßgebliche Gesamtbetrag der Einkünfte nicht mehr als 12.200 EUR (Freigrenze) beträgt. Die Freigrenze erhöht sich für jede weitere Person, für deren Unterhalt der Ehepartner aufgrund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht tatsächlich wesentlich beiträgt, um 4.000 EUR.

2. Wird die Freigrenze überschritten und fordert die Gebietskrankenkasse den zu Unrecht erhaltenen Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld mit Bescheid zurück, hat der/die Rückersatzpflichtige im Prozess vor dem Sozialgericht formell als Kläger aufzutreten und ein negatives Feststellungsbegehren zu stellen, dass die behauptete Rückersatzpflicht nicht zu Recht bestehe. Die Parteien treten in diesem Fall mit „vertauschten Rollen“ auf. Dennoch kommt in einem solchen Verfahren die materielle Klägerrolle der beklagten Gebietskrankenkasse zu, die bereits erbrachte Versicherungsleistungen zurückfordert (RIS‑Justiz RS0086067 [T1]).

3.1 Es entspricht einem allgemeinen Grundsatz, dass sich die objektive Beweislast für das Bestehen des materiellen Anspruchs nicht nach der Verteilung der Parteienrollen im Prozess richtet, sondern der beklagte Versicherungsträger die Beweislast für jene Tatsachen trägt, die für seinen – in der Klage geleugneten – materiellen (Rückforderungs‑)Anspruch rechtsbegründend sind.

3.2 Diesem Grundsatz hat der Gesetzgeber in § 87 Abs 4 ASGG Rechnung getragen, nach dem in Rechtsstreitigkeiten nach § 65 Abs 1 Z 2 ASGG und über die Kostenersatzpflicht des Versicherten nach § 65 Abs 1 Z 5 ASGG eine Klage wegen des Bestehens einer Rückersatz- oder Kostenpflicht des Klägers nur abgewiesen werden kann, wenn der Beklagte das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Pflicht beweist. Es trifft daher die beklagte Partei die subjektive Beweislast für den Bestand ihres gegenüber dem Versicherten behaupteten Ersatzanspruchs und nicht etwa den Kläger für den Bestand seines negativen Feststellungsanspruchs (10 ObS 68/99v, SSV‑NF 13/46; Kuderna, Behauptungs‑ und Beweislast im Verfahren in Sozialrechtssachen, in FS Walter Schwarz[1991], 599 [602 f]). Wird etwa die Ausgleichszulage mit der Begründung rückwirkend entzogen, dass der Inlandsaufenthalt nachträglich weggefallen sei und ein Rückzahlungsbegehren erhoben, trifft entsprechend § 87 Abs 4 ASGG die Beweislast für die Berechtigung dieses Rückzahlungsanspruchs den Versicherungsträger (RIS‑Justiz RS0086067 [T3]).

3.3 Demnach kann auch im vorliegenden Fall gemäß § 87 Abs 4 ASGG eine klageabweisende Entscheidung nur gefällt werden, wenn die Gebietskrankenkasse den von ihr herangezogenen Rückforderungstatbestand nach § 31 Abs 2 KBGG behauptet und beweist. Dieser Rückforderungs-tatbestand setzt voraus, dass sich aufgrund des von der Abgabenbehörde übermittelten Gesamtbetrags der Einkünfte– wenn auch ohne Verschulden des Empfängers – ergibt, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührt.

4.1 § 87 Abs 4 ASGG kann aber nicht entnommen werden, dass die beklagte Partei für alle rechtserheblichen Tatsachen in Zusammenhang mit dem Bestehen des materiellen Anspruchs beweisbelastet ist. Stützt der Kläger seine Bestreitung zum Beispiel auf rechtshemmende oder rechtsvernichtende Tatsachen, so trifft ihn die objektive Beweislast für deren Vorliegen (10 ObS 28/99m, DRdA 2000/18, 166 [Enzlberger] = SSV‑NF 13/21, Neumayr in ZellKomm2 § 87 ASGG Rz 11 mwN).

4.2 Damit stimmt die Ansicht des Berufungsgerichts überein, es stelle einen rechtsvernichtenden Einwand dar, wenn die Klägerin die Erhöhung der gesetzlich festgelegten Freigrenze aufgrund wesentlicher Unterhaltsleistungen an weitere Personen im Sinn des § 12 KBGG (idF BGBl I 2007/76) geltend macht. § 87 Abs 4 ASGG will lediglich jene Härtefälle ausschalten, die sich aus der Umkehr der Parteirollen ergeben könnten. Keinesfalls liegt seine Funktion aber darin, dem Kläger/der Klägerin die Beweislast für Tatsachen zu ersparen, für deren Vorliegen er/sie auch beweispflichtig wäre, wenn es nicht zu einer Umkehrung der Parteienrollen im sozialgerichtlichen Verfahren käme (Fink, Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen [1995], 422 f).

Die Revision war daher zurückzuweisen.

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