OGH 9ObA155/16h

OGH9ObA155/16h28.2.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Dr. Klaus Mayr in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsrat für das wissenschaftliche Personal der Medizinischen Universität *, vertreten durch Dr. Harald Burmann, Dr. Peter Wallnöfer, Dr. Roman Bacher, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Medizinische Universität *, vertreten durch Dr. Markus Orgler, Dr. Josef Pfurtscheller, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Feststellung nach § 54 Abs 1 ASGG (Streitwert 21.800 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. Juli 2016, GZ 15 Ra 39/16x‑18, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 4. Dezember 2015, GZ 43 Cga 70/15w‑13, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E117630

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.489,86 EUR (darin 248,31 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

Begründung:

Der Kläger ist der Betriebsrat für das wissenschaftliche Personal der Beklagten, einer medizinischen Universität. Von der vorliegenden Feststellungsklage nach § 54 Abs 1 ASGG sind mindestens drei Arbeitnehmer der Beklagten betroffen, konkret Ärztinnen und Ärzte in der Facharztausbildung zum Anästhesisten. Ihr Dienstverhältnis unterliegt dem Kollektivvertrag für die Arbeitnehmer/innen der Universitäten. Unstrittig ist, dass diese Ärztinnen und Ärzte jeweils vor Beginn der Facharztausbildung noch als Turnusärzt/innen die Ausbildung zum Allgemeinmediziner und zusätzlich einen 60‑stündigen Notarztlehrgang mit Diplom absolviert haben. Mit dem Abschluss der Ausbildung zum Allgemeinmediziner haben sie das ius practicandi erworben. Mit dem Notarztdiplom sind sie befugt, als selbständiger Notarzt tätig zu sein.

Bei der Beklagten werden solche bei ihr in der Facharztausbildung befindlichen Ärztinnen und Ärzte mit Notarztdiplom (ebenso wie fertige Fachärzte) zur Beschickung eines Notarzteinsatzfahrzeugs eingeteilt, das von der * Kliniken GmbH gemeinsam mit der Rettung Innsbruck für den mobilen Notarztdienst im Raum * betrieben wird. Das zeitliche Ausmaß dieser Notarztdienste betrug in der Regel für alle Notärzte monatlich zwei Mal 24 Stunden.

Die Beklagte nimmt bei den Dienstverhältnissen der betroffenen Ärzte in Facharztausbildung keine (vollständige) Anrechnung der in Ausbildung zum Allgemeinmediziner absolvierten Turnuszeiten gemäß § 49 Abs 3 lit a des KV vor. Der Kläger bringt jedoch vor, dass die Beklagte etwa bei den beispielhaft genannten Arbeitnehmern Turnuszeiten im Ausmaß von jeweils zehn Monaten (sechs Monate Innere Medizin, vier Monate Chirurgie) angerechnet hat.

Mit seiner am 27. 8. 2015 eingebrachten Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass hinsichtlich jener Mitarbeiter, die als Turnusärzte bei der Beklagten oder einer vergleichbaren medizinischen Einrichtung beschäftigt waren und diese Ausbildung erfolgreich abgeschlossen haben, sohin das ius practicandi haben sowie den notärztlichen Lehrgang erfolgreich abgeschlossen haben und im Anschluss daran einen Ausbildungsvertrag (Facharztausbildung) zum Anästhesisten mit der Beklagten abgeschlossen haben, jene Zeiten, die sie als Turnusarzt bei der Beklagten oder einem vergleichbaren Rechtsträger zurückgelegt haben, betreffend der dreijährigen Tätigkeit iSd § 49 Abs 3 lit a des Kollektivvertrags für die Arbeitnehmer/innen der Universitäten als tätigkeitsbezogene Vorerfahrungen zur Gänze angerechnet werden.

Er begründet das Klagebegehren im Wesentlichen damit, dass Voraussetzung für eine ärztliche Tätigkeit im Rahmen organisierter Notarztdienste die Berechtigung zur selbständigen Ausübung des ärztlichen Berufs sowie ein mit Prüfung abgeschlossener notärztlicher Lehrgang sei. Die betroffenen Arbeitnehmer dürften die Tätigkeit als Notfallmediziner nur deshalb ausüben, weil sie zuvor diese Ausbildungen absolviert hätten. Es sei daher davon auszugehen, dass es sich bei den 36 Monaten der Ausbildung zum Allgemeinmediziner um tätigkeitsbezogene Vorerfahrungen iSd § 49 Abs 3 lit a des KV handle, die zur Gänze für die Vorrückung nach drei Jahren zu berücksichtigen seien.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte zusammengefasst ein, für die Facharztausbildung zum Anästhesisten sei weder das im Rahmen einer Turnusarztausbildung erworbene ius practicandi noch eine Notarztausbildung erforderlich. Gemäß der seit 1. 6. 2015 geltenden neuen Ärztinnen-/Ärzteausbildungsverordnung (ÄAO) sei der Turnus überhaupt entfallen. Die mobile notärztliche Versorgung zähle auch nicht zu ihren Aufgaben, sondern sei eine art- und dienstvertragsfremde Tätigkeit ohne entsprechende Anweisungsbefugnis wessen immer, die ihr aus (näher ausgeführten) organisationsrechtlichen Erwägungen nicht zurechenbar sei.

Das Erstgericht gab der Klage so weit Folge, dass es die begehrte Feststellung nur für jene Mitarbeiter aussprach, die während ihrer Arbeitszeit nicht nur bloß geringfügig tatsächlich selbstverantwortliche ärztliche Tätigkeiten im Rahmen organisierter Notdienste erbracht hätten. Im Hinblick auf Mitarbeiter, die während ihrer Arbeitszeit keine oder bloß geringfügig tatsächlich selbstverantwortliche ärztliche Tätigkeiten im Rahmen der Notdienste erbracht hätten, wies es das Begehren ab. Die errechnete notarztdienstliche Belastung von 18,5 % (2 x 24 Stunden monatlich im Verhältnis zu einer max 60‑Stunden‑Woche) erachtete das Erstgericht dabei als nicht mehr geringfügig.

Das Berufungsgericht gab der gegen den klagsstattgebenden Teil von der Beklagten erhobenen Berufung Folge und wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Im Kern seiner umfassenden rechtlichen Beurteilung legte es den Begriff der „tätigkeitsbezogenen Vorerfahrungen“ dahin aus, dass darunter „durch praktische Umsetzung erworbenen Wissens bzw Anwendung einschlägiger Fertigkeiten erlangte, das Facharzt-Ausbildungsverhältnis betreffende 'Vorqualifikationen', die nicht zugleich zwingende Voraussetzung für den Antritt der Ausbildung zum Facharzt für Anästhesie sind, also Zeiten einschlägiger, dem zum Facharzt Auszubildenden in Bezug auf den Ausbildungsinhalt bzw die vertraglich geschuldeten Leistungen einen wissensmäßigen und arbeitspraktischen Erfahrungsvorsprung verschaffende Vordienstzeiten bzw sonstige Zeit facheinschlägiger Tätigkeit“ zu verstehen seien.

Die Interpretation des Klägers würde eine unvertretbare Ungleichbehandlung von Normadressaten bedingen, weil den über das Notarztdiplom verfügenden und (nicht nur geringfügig) zum Notarztdienst herangezogenen Fachärzten in Ausbildung der gesamte dreijährige Turnus anzurechnen wäre, den Fachärzten in Ausbildung, die ebenfalls den Turnus absolviert hätten, jedoch über kein Notarztdiplom verfügten, hingegen nicht, obwohl sich erstere nur durch das erfolgreiche Absolvieren einer lediglich 60‑stündigen Ausbildung unterschieden. Von den Betroffenen während des allgemeinmedizinischen Turnus erworbene notärztliche Vorerfahrungen würden von vornherein ausscheiden, weil die Absolvierung des Turnus und die erfolgreiche Ablegung der diesbezüglichen Abschlussprüfungen die rechtliche Voraussetzung dafür bilde, zum Notarztlehrgang zugelassen zu werden und das – den Betroffenen erst die Befugnis, notärztlich tätig zu werden, verschaffende – Notarztdiplom zu erwerben. Dass Mitarbeiter nach Erwerb des Notarztdiploms, jedoch vor Beginn der Facharztausbildung allenfalls Notarztdienste verrichtet hätten, sei nicht behauptet worden. Die Klage stelle auch nicht auf solche Zeiten ab. Die Revision sei zur Auslegung der Wendung „tätigkeitsbezogene Vorerfahrungen“ iSd § 49 Abs 3 lit a des Kollektivvertrags zulässig.

In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Kläger die Abänderung der Revision im Sinn einer Wiederherstellung des Ersturteils.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Zulassungsausspruchs des Berufungsgerichts unzulässig:

1. Die Bestimmung des § 49 des Kollektivvertrags für die Arbeitnehmer/innen der Universitäten lautet:

§ 49. Gehaltsschema für das wissenschaftliche und künstlerische Universitätspersonal …

(3) Der monatliche Bruttobezug in der Gehaltsgruppe B 1 beträgt Euro … . Dieser Betrag erhöht sich

a) nach dreijähriger Tätigkeit auf Euro … . Die Dreijahresfrist verkürzt sich um Zeiträume, für die tätigkeitsbezogene Vorerfahrungen nachgewiesen werden;

...

Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung auf die von der Klage erfassten Ärztinnen und Ärzte in Facharztausbildung wurde von den Streitteilen auch im Revisionsverfahren nicht bestritten (zur Anknüpfung von § 49 Abs 3 KV an die Gehaltsgruppe B 1, jener von § 67 KV [Ärzte/Ärztinnen in Facharztausbildung] an die Verwendungsgruppe B 1 und, soweit eine Qualifizierungsvereinbarung getroffen wurde, an die Gehaltsgruppe A 2 s auch 8 ObA 3/16y).

2. Die für die Auslegung von Kollektivverträgen maßgeblichen Rechtsgrundsätze wurden bereits vom Berufungsgericht zutreffend und umfassend dargelegt, sodass darauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO).

3. Zum hier strittigen Begriff der „tätigkeitsbezogenen Vorerfahrung“ ist zunächst darauf zu verweisen, dass das Fach Anästhesiologie und Intensivmedizin auch das Fach Notfallmedizin umfasst (s Anlage 1 der Ärztinnen‑/Ärzte-Ausbildungsordnung 2006 [ÄAO 2006], BGBl II 286/2006; Anlage 2 der Ärztinnen-/Ärzte-Ausbildungsordnung 2015 [ÄAO 2015], BGBl II 147/2015). Soll aber die Facharztausbildung gerade auch in diesem Fach besondere Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln, wäre eine selbständige Tätigkeit als Notarzt dann, wenn sie bereits vor der Aufnahme der Facharztausbildung ausgeübt wurde und im nunmehrigen Dienstverhältnis nicht bloß einen geringfügigen Ausschnitt der nunmehrigen Aufgaben umfasst (vgl Pfeil, Personalrecht der Universitäten [2010] §§ 48, 49 KollV Rz 7), nicht schon von vornherein ungeeignet, als tätigkeitsbezogene Vorerfahrung berücksichtigt zu werden.

4. Unzweifelhaft ist weiter, dass mit dem Wort Vorerfahrung schon begrifflich nur eine Erfahrung angesprochen wird, die ein Mitarbeiter vor dem maßgeblichen Dienstverhältnis gewonnen hat. Um eine Anrechnung von Zeiten der während der Facharztausbildung ausgeübten Tätigkeit als selbständiger Notarzt geht es dem Kläger auch nicht, weil das Klagebegehren auf die Anrechnung der davor liegenden Turnuszeiten abstellt, in der die Mitarbeiter noch nicht selbständig als Notärzte praktizieren konnten. Aus dem Hinweis des Klägers in der Revision, dass die betroffenen Ärzte nun tatsächlich selbstverantwortliche Tätigkeiten als Notärzte im Ausmaß von zwei Mal 24 Stunden im Monat ausüben, ist für sein Begehren daher nichts zu gewinnen, weil darin schon begrifflich keine tätigkeitsbezogene Vorerfahrung für das aktuelle Facharztausbildungsverhältnis liegt.

5. Nach dem Klagebegehren und dem Vorbringen geht es dem Kläger aber auch nicht um die Feststellung, dass Turnusausbildungszeiten ganz allgemein als gehaltsrelevante Vordienstzeiten für ein Facharztausbildungsverhältnis anerkannt werden sollen, bezieht doch das Begehren auch den Notarztlehrgang mit ein. Der Kläger argumentiert lediglich, dass mit den Turnusausbildungszeiten und dem Notarztdiplom die Voraussetzungen für die aktuelle notärztliche Tätigkeit der Betroffenen geschaffen worden seien. Er behauptet aber gar nicht, dass die Turnusausbildungszeiten den Betroffenen– über die von der Beklagten ohnehin anerkannten Zeiten hinaus – einen weiteren tätigkeitsspezifischen Erfahrungszugewinn gebracht hätten. Dass es für die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzung des § 49 Abs 3 lit a des Kollektivvertrags aber gerade darauf anzukommen hätte, ist schon vor jeder näheren Bestimmung des Begriffs der „Vorerfahrung“ offensichtlich. Auch auf die bloße Anrechnung der Zeit der Notarztausbildung (60 Stunden) zielt das Klagebegehren nicht ab.

6. Ausgehend davon ist es aber nicht erforderlich, zum Begriff der „tätigkeitsbezogenen Vorerfahrung“ iSd § 49 Abs 3 lit a des Kollektivvertrags über Selbstverständliches hinaus Stellung zu nehmen. Im Übrigen hat der Kläger die Richtigkeit der vom Berufungsgericht vorgenommenen Begriffsdefinition in der Revision auch nicht weiter in Zweifel gezogen.

7. Da die vom Kläger begehrte Feststellung im Zusammenhalt mit dem Klagsvorbringen danach von vornherein nicht aus dieser Bestimmung ableitbar ist, ist die Revision mangels einer erheblichen Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RIS‑Justiz RS0035979).

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