OGH 8Ob89/16w

OGH8Ob89/16w22.2.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, den Hofrat Dr. Brenn sowie die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Weixelbraun-Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K* GmbH, *, vertreten durch Kerres Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei T* GmbH, *, vertreten durch Mag. Michael Rebasso, Rechtsanwalt in Wien, wegen 468.709,22 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 29. Juni 2016, GZ 38 R 330/15h‑73, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E117449

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

Die Klägerin schloss als Vermieterin mit der Beklagten als Mieterin einen ab 1. 10. 2011 auf die Dauer von neun Jahren und drei Monaten befristeten Mietvertrag über teilweise möblierte, mit einer „Grundausrüstung an Verkabelung für Telefon und EDV“ versehene Büroräume. Der Beklagten wurden bei Mietbeginn acht Schlüsselkarten zu dem Objekt ausgehändigt.

Die Beklagte beanstandete in der Folge diverse Mängel, insbesondere am Zustand der Wanddekoration und der Fenster- und Türanstriche, weiters eine unzulänglich funktionierende EDV-Verkabelung. Die Klägerin veranlasste aufgrund dessen nach Mietbeginn eine Ausbesserung der angezeigten Mängel durch einen Malerbetrieb, einige kleine Beschädigungen (zB ein Haarriss an der Wand) verblieben auch danach. Im Dezember 2011 erklärte die Beklagte, dass hinsichtlich der Reparaturen „erhebliche Fortschritte erzielt wurden“ und der Zustand von ihr „entgegenkommenderweise akzeptiert“ werden könne. Eine in diesem Schreiben verlangte Reinigung ließ die Klägerin noch im Dezember 2011 durchführen.

Von den unter dem Fußboden verlegten EDV‑Kabeln waren rund ein Drittel nur eingeschränkt verwendbar oder funktionslos, wegen ihrer großen Anzahl war aber dennoch in jedem Büroraum zumindest eine fehlerfrei funktionierende Kabelverbindung vorhanden.

Die Beklagte hat das Bestandobjekt nie bezogen, Nach Mietvertragsbeginn ließ sie aber Vorarbeiten für geplante Ein- und Umbauten vornehmen sowie eine Glaswand demontieren.

Mit Schreiben vom 9. 1. 2012 erklärte die Beklagte, den Mietvertrag gemäß § 1117 ABGB vorzeitig aufzulösen, weil die Klägerin ihren vertraglichen Verpflichtungen teils gar nicht, teils erst nach beträchtlichem Verhandlungs- und Korrespondenzaufwand nachgekommen sei.

Der Rechtsvertreter der Klägerin widersprach der Auflösungserklärung. Am 18. 1. 2012 ließ die Beklagte die Zutrittskarten zum Mietobjekt zurückstellen und teilte mit, dass sie es definitiv nicht beziehen werde. Die Klägerin vermietete das Objekt schließlich beginnend mit 1. Dezember 2013 neu.

Die Klägerin begehrt die Zahlung der vereinbarten Mietzinse für die Zeit von Oktober 2011 bis November 2013. Die Beklagte wandte ein, der Bestandgegenstand sei ihr nie ordnungsgemäß übergeben worden. In eventu brachte sie vor, den Vertrag berechtigt vorzeitig aufgelöst zu haben.

Das Erstgericht sprach der Klägerin unter Abweisung des Mehrbegehrens 464.834,78 EUR sA zu und gab dem Klagebegehren der hier beklagten Partei auf Rückzahlung der Kaution im ursprünglich verbundenen Verfahren 95 C 61/12s statt. Die Kostenentscheidung behielt es gemäß § 52 ZPO vor.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten teilweise Folge, änderte den Zuspruch auf 445.141,77 EUR unter Abweisung des Mehrbegehrens ab und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig.

Der Berufung der hier klagenden Partei im verbundenen Verfahren gab das Berufungsgericht nicht Folge. Mangels Erhebung einer Revision gegen diese Entscheidung ist das verbundene Verfahren mit Endurteil gemäß § 390 Abs 2 ZPO in der Hauptsache rechtskräftig erledigt (RIS‑Justiz RS0037234).

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei ist unzulässig, weil sie keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt. Die Begründung kann sich auf die kurze Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

1. Die Übergabe von Bestandobjekten nach § 1096 ABGB ist bewirkt, wenn der Mieter in die Lage versetzt wurde, die Räumlichkeiten in Gebrauch zu nehmen. Bei versperrten Objekten gehört dazu die Ausfolgung der Schlüssel (Nademleinsky in Schwimann ABGB‑TaKom² § 1096 Rz 3). Will der Bestandnehmer das Objekt in dem Zustand, in dem er es vorfindet, nicht übernehmen, muss er dies unverzüglich erklären und den Bestandgegenstand zurückweisen (RIS-Justiz RS0045803; ua Würth in Rummel, ABGB³ § 1096 Rz 3; Riss in Kletečka/Schauer ABGB-ON1.01 § 1096 mwN). Nur bis zur Übergabe hat der Bestandnehmer die Möglichkeit, ein nicht gehöriges Übernahmeangebot des Bestandgebers abzulehnen und – nach Setzung einer Nachfrist – den Rücktritt vom Vertrag mit der Wirkung ex tunc zu erklären (Nademleinsky aaO; 6 Ob 301/02m ua).

Im vorliegenden Fall verfügte die Beklagte bei Vertragsbeginn über die Schlüsselkarten zu dem gemieteten Büro. Es war zu diesem Zeitpunkt noch mit einigen Mängeln (Abnützungsspuren) behaftet und enthielt neben den übernommenen Mobiliarstücken auch solche, über deren Verbleib die Parteien noch keine endgültige Einigung erzielt hatten. Die grundsätzliche Gebrauchsfähigkeit als Büro war nicht beeinträchtigt. Die Beklagte ließ nach dem 1. 10. 2011 Professionisten in den Büroräumen Vermessungs- und Planungsarbeiten durchführen und eine Glaswand demontieren.

Den Standpunkt, dass das Mietobjekt noch gar nicht übergeben worden sei, äußerte die Beklagte erstmals im November 2011. Unter den festgestellten Umständen ist aber die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die eine Übergabe bejaht haben, nicht korrekturbedürftig.

2. Gemäß § 1117 ABGB ist der Bestandnehmer berechtigt, auch vor Ablauf der bedungenen Zeit den Vertrag vorzeitig aufzulösen, wenn das Bestandstück zum bedungenen Gebrauch untauglich ist oder ein beträchtlicher Teil davon durch Zufall auf längere Zeit entzogen oder unbrauchbar wird. Die vorzeitige Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses ist nur das „äußerste Notventil“, sodass ein strenger Maßstab an die Qualität der dafür notwendigen wichtigen Gründe anzulegen ist (ua Nademleinsky aaO ABGB TaKom § 1117 Rz 5; 10 Ob 68/08k).

Welche schwerwiegenden Gründe im Einzelfall die Unzumutbarkeit der Fortsetzung eines Dauerschuldverhältnisses bewirken und zu dessen Auflösung berechtigen, ist in aller Regel eine Frage der Abwägung im Anlassfall, der zur Wahrung der Rechtseinheit und Rechtsentwicklung keine erhebliche Bedeutung zukommt und die zur Wahrung der Rechtssicherheit im Rahmen einer Grundsatzrevision nur dann aufgegriffen werden könnte, wenn eine auffallende Fehlbeurteilung des Gewichts der Auflösungsgründe erkennbar wäre (RIS-Justiz RS0042834).

Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass sich die Beklagte auf keinen schwerwiegenden Auflösungsgrund stützen konnte, ist zumindest nicht unvertretbar. Auch wenn dem Mietobjekt noch kleinere, die Gebrauchsfähigkeit aber nicht beeinträchtigende Mängel iSv „Schönheitsfehlern“ anhafteten, hat die Beklagte doch in ihrem Schreiben vom 13. 12. 2011 erklärt, dass der zu diesem Zeitpunkt nach teilweiser Sanierung noch bestehende Zustand „entgegenkommenderweise akzeptiert“ werden könne, wenn das Objekt sauber wäre. Dass die Beklagte eine restlose Erfüllung der Ausbesserungspflicht zur Bedingung für den Fortbestand des Mietverhältnisses erhebe, lässt sich dieser Erklärung nicht entnehmen. Die im Gegenzug geforderte Objektreinigung wurde von der Klägerin kurzfristig veranlasst.

3. Die Revision bekämpft auch die Ansicht der Vorinstanzen, dass die EDV-Verkabelung den im Mietvertrag bedungenen Standard erfüllt habe.

Welche Qualität der Verkabelung zwischen den Parteien vereinbart war, ist ein Problem der Vertragsauslegung im Einzelfall. Diese wirft – außer im Fall einer krassen Fehlbeurteilung – keine erheblichen Rechtsfragen auf (RIS-Justiz RS0042776 ua).

Im Lichte der maßgeblichen Tatsachenfeststellungen ist die Ansicht der Vorinstanzen, dass die funktionierenden EDV-Anschlüsse im Mietobjekt dem vereinbarten Kriterium einer „Grundausrüstung“ entsprochen haben, jedenfalls nicht unvertretbar.

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