OGH 1Ob7/17m

OGH1Ob7/17m31.1.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Karl Grigkar, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei E***** GmbH Nfg. KG, *****, vertreten durch die Sunder‑Plaßmann Loibner & Partner Rechtsanwälte OG, Wien, wegen 31.573.524,88 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 24. Oktober 2016, GZ 6 R 162/16k‑44, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 15. Juni 2016, GZ 36 Cg 137/14w‑40, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0010OB00007.17M.0131.000

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 37.679,04 EUR (darin enthalten 6.279,84 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten wegen Nichterfüllung von Herstellaufträgen für ein bestimmtes Arzneimittel Schadenersatz.

Nach drei vorangegangenen Tagsatzungen, in denen auch das Klagebegehren erörtert wurde, die Klägerin ergänzendes Vorbringen erstattete und Parteien‑ sowie Zeugeneinvernahmen erfolgten, beauftragte der frühere Erstrichter einen Sachverständigen mit Erhebungen zur Höhe der von der Klägerin geltend gemachten Schadenspositionen. Nach Einlangen des Gutachtens fand eine weitere Tagsatzung statt, in der infolge Richterwechsels die Neudurchführung der Verhandlung gemäß § 412 Abs 2 ZPO beschlossen und daran anschließend neuerlich – ohne dass dies in der Ladung angekündigt worden war – die Schlüssigkeit des Klagebegehrens erörtert wurde.

In weiterer Folge wies das Erstgericht das Klagebegehren mit der wesentlichen Begründung ab, dass dieses unschlüssig sei. Die Klägerin habe es unterlassen konkret darzulegen bzw aufzugliedern, welche einzelnen Absatzmengen in der Bedarfsprognose angeführt seien, welche davon von der Beklagten erfüllt worden seien und welche nicht. Die unterschiedlichen Absatzmengen in den unterschiedlichen Tabellen seien nicht nachvollziehbar und die (ursprüngliche) Klagsforderung betreffend den Gewinnentgang unschlüssig. Hinsichtlich der Mehrkosten für die Produktionsverlagerung nach H***** und J***** sowie der Rechts‑ und Registrierungskosten lasse sich nicht ableiten, wie sich diese Beträge im einzelnen konkret herleiteten und zusammensetzten. Durch die Einschränkung des Klagebegehrens sei das gesamte Klagebegehren noch weniger nachvollziehbar geworden, weil nicht nachvollzogen werden könne, welcher Teil des ursprünglichen Klagebegehrens nunmehr aus dem Prozess ausgeschieden sei und welche Teile noch klagsgegenständlich seien. Auch sei der von der Klägerin gewählte Zeitraum 1. 6. 2011 bis 30. 9. 2012 willkürlich, bleibe sie doch eine Begründung für den von der Bedarfsprognose festgelegten und davon abweichenden Berechnungszeitraum schuldig.

Das Berufungsgericht hob das erstinstanzliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Rechtlich führte es aus, entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts und den Einwendungen der Beklagten sei im von der Klägerin zugrunde gelegten Zeitraum für entgangenen Gewinn sowie dessen Berechnungsmethode keine Unschlüssigkeit zu erblicken. Den von der Bedarfsprognose abweichenden Zeitraum für die Berechnung des entgangenen Gewinns habe die Klägerin ausreichend damit erklärt, dass ihr ab Ende Juni 2011 immer weniger Arzneimittel geliefert worden seien, sie aber den Lieferausfall der Beklagten bis einschließlich 30. 9. 2012 durch eigene Produktion vollständig habe ersetzen können. Auch die Wahl der Methode zur Berechnung des entgangenen Gewinns müsse der Klägerin überlassen bleiben. Diese habe in einem in der Klage abgebildeten Diagramm hinreichend nachvollziehbar erklärt, auf welche Weise und infolge welcher Grundlagen sie ihren Schadenersatzanspruch berechnet wissen wolle. Für die Klägerin sei es angesichts des bisherigen Prozessverlaufs überraschend gewesen, dass nach dem Richterwechsel die Unschlüssigkeit neuerlich thematisiert worden sei, habe doch der frühere Richter trotz des Unschlüssigkeitseinwands der Beklagten und eigener Beanstandungen zahlreiche Zeugen- und Parteieinvernahmen durchgeführt, einen Sachverständigen mit der Erstellung eines schriftlichen Gutachtens betraut und sogar noch darauf hingewiesen, dass sich der Sachverständige im Privatgutachten Beilage ./O fehlende Beilagen selbst beischaffen könne. Die in § 412 [Abs 2] ZPO normierte Neudurchführung der Verhandlung ändere nichts daran, dass die bis zum Richterwechsel gehandhabte Prozessleitung mitzuberücksichtigen sei. Da das Erstgericht in der letzten Tagsatzung nicht dargelegt habe, aufgrund welcher Umstände es die Klage als unschlüssig beurteile, liege, soweit die Klage tatsächlich Unschlüssigkeiten aufweise, eine § 182a ZPO zuwiderlaufende Überraschungsentscheidung vor, die zur Aufhebung des Ersturteils führen müsse. Soweit erstmals im Berufungsverfahren Umstände aufgegriffen würden, die zur Unschlüssigkeit der Klage führten, gebiete es diese Bestimmung, diese mit den Parteien in erster Instanz nochmals zu erörtern und der Klägerin Gelegenheit zu geben, ihr Begehren schlüssig zu stellen. Dass von der Klägerin die Kosten für Produktionsverlegung, Rechtskosten und Registrierungskosten, die eine Vielzahl von Einzelpositionen beinhalteten, nicht im Detail offengelegt worden seien, sei nicht zu beanstanden, würde doch das Gebot nach einer Präzisierung des Vorbringens überspannt werden, würde man für jeden einzelnen von unter Umständen hunderten Fällen ein gesondertes detailliertes Vorbringen fordern. Eine Unschlüssigkeit des Klagebegehrens liege – teilweise in Konkretisierung der erstgerichtlichen Argumente – darin, dass der ursprünglich geltend gemachte entgangene Gewinn (im Detail dargelegte) Rechenfehler aufweise und nicht nachvollzogen werden könne, auf welche der vier verschiedenen Produktgrößen (des Arzneimittels) ein geringerer Betrag als der richtig zu errechnende zu entfallen habe. Die Darstellung der Mehrkosten betreffend die Produktionsstätten H***** und J***** enthalte eine Anrechnung einer Ersparnis von J***** oder H*****, wodurch ein Widerspruch zu der zu diesen Positionen vorgenommenen Aufgliederung in der Klage erzeugt und diese Klagsposition insgesamt nicht mehr nachvollziehbar sei. Die Schlüssigkeit der Positionen Transfer‑ und Transportkosten sowie weitere Kompensationskosten sei durch die Klagseinschränkung beseitigt worden, habe doch die Klägerin um einen Schadenersatzbetrag, der auf den Monat Mai 2011 entfalle, eingeschränkt, den sie gar nicht geltend gemacht habe, sodass nicht klar sei, auf welche Klagsposition die Einschränkung entfalle. Zudem sei nicht klar, welche Schadensposition „um die erhöhten Mehrkosten im Betrag von 156.460 EUR“ eingeschränkt worden sei. Nicht nachvollziehbar seien weiters die Angaben für entgangenen Gewinn im Jahr 2012.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO zulässig sei, weil keine Rechtsprechung vorliege, inwieweit der zu den Grundsätzen eines fairen Verfahrens formulierte Rechtssatz RIS‑Justiz RS0037300 [T33] auch im Fall einer Neudurchführung der Verhandlung nach Richterwechsel gemäß § 412 ZPO Bestand habe.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Aufhebungsbeschluss erhobene Rekurs der Beklagten, den die Klägerin beantwortete, ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig.

1. Ein Klagebegehren ist rechtlich schlüssig, wenn das Sachbegehren der Klägerin materiell‑rechtlich aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann (RIS‑Justiz RS0037516; Fasching in Fasching/Konecny 2 § 226 ZPO Rz 94). Für die Schlüssigkeit des Klagebegehrens verlangt das Gesetz nicht, dass der gesamte Tatbestand vorgetragen wird. Es genügt, wenn die rechtserzeugenden Tatsachen vollständig und knapp angeführt sind (§ 226 Abs 1 ZPO; RIS‑Justiz RS0036973 [T2]). Die Frage, ob eine Klage schlüssig ist, hängt vom konkreten Vorbringen ab. Ihr kommt im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (RIS‑Justiz RS0037780; RS0116144 [T2]). Ebenso ist stets nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen, ob ein Verfahren dem Gebot der Fairness (Art 6 Abs 1 EMRK) entsprochen hat (1 Ob 106/01x = RIS‑Justiz RS0115475).

2. Wenn die Beklagte die Nichterledigung weiterer von der Klägerin (!) geltend gemachter Berufungsgründe durch das Berufungsgericht als Mangelhaftigkeit im Sinn des § 503 Z 2 ZPO rügt, zeigt sie schon ihre (formelle und materielle) Beschwer nicht auf. Im Übrigen ist die Frage, ob ein Begehren ausreichend bestimmt und zur Sachentscheidung überhaupt geeignet ist, noch vor der Frage zu prüfen, ob es sachlich begründet erscheint. Eine abschließende Prüfung des materiellen Anspruchs mit den daraus resultierenden Kostenfolgen kann erst dann erfolgen, wenn das Begehren präzisiert ist. Nur wenn das Klagebegehren trotz Erörterung nicht schlüssig gemacht würde, müsste es abgewiesen werden. Es muss daher zunächst die Unbestimmtheit des Begehrens mit der Klägerin erörtert und abgeklärt werden, welche Ansprüche Gegenstand des Verfahrens sein sollen. Erst dann kann eine rechtliche Beurteilung der geltend gemachten Ansprüche erfolgen (7 Ob 139/08d mwN).

3. In der Entscheidung 1 Ob 106/01x(= RIS‑Justiz RS0037300 [T33]) sah es der Oberste Gerichtshof als mit dem Grundsatz eines fairen Verfahrens (Art 6 Abs 1 EMRK) unvereinbar an, die Unterlassung, eine Klage trotz schon einmal erteilter Aufforderung nicht schlüssig zu stellen, zunächst zu dulden, die Partei gleichsam in Sicherheit zu wiegen und schließlich den Auftrag zur Schlüssigstellung nach mehreren Verfahrensschritten mit der Konsequenz zu erneuern, dass das Klagebegehren bei nicht sofortiger Schlüssigstellung abgewiesen werden würde, obwohl diese wohl nur unter Zuziehung eines Privatsachverständigen möglich gewesen wäre. Dass dieser Grundsatz auch für den Fall einer Neudurchführung der Verhandlung infolge Richterwechsels gemäß § 412 Abs 2 ZPO gilt, ergibt sich schon aus dem Gesetzeswortlaut, ist doch die mündliche Verhandlung vor dem neuen Richter unter anderem mit Benützung der Klage von neuem durchzuführen. Das Parteivorbringen vor dem Richterwechsel ist der neuen Verhandlung zugrunde zu legen, so insbesondere die Klage, die Klagebeantwortung, die vorbereitenden Schriftsätze und protokollierten Parteierklärungen ( M. Bydlinski in Fasching/Konecny 2 § 412 ZPO Rz 11).

Dass das Berufungsgericht den hier zu beurteilenden Fall entsprechend der zitierten Rechtsprechung dahin beurteilte, dass sich für die Klägerin der Hinweis auf die Nichtnachvollziehbarkeit des Klagebegehrens – anlässlich des Richterwechsels in der vierten und letzten Tagsatzung – angesichts des bisherigen Prozessverlaufs und des Umstands, dass von der nunmehrigen Erstrichterin die Unschlüssigkeit auch nicht näher konkretisiert worden sei, als völlig überraschend dargestellt habe, ist im konkreten Einzelfall nicht zu beanstanden.

4. Das Berufungsgericht gelangte, wovon auch die Beklagte ausgeht, aus anderen Gründen als das Erstgericht zum Ergebnis, dass das Klagebegehren unschlüssig ist. Nach der Rechtsprechung darf aber ein Gericht die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat, was speziell dann gilt, wenn das Berufungsgericht (in erstmaliger Konkretisierung der Unschlüssigkeit) ohne weitere Aufforderung das Klagebegehren unter Hinweis auf die fehlende Substantiierung abweist (vgl RIS‑Justiz RS0037300 [T3, T35, T38]). Die Vorgangsweise des Berufungsgerichts, das erstinstanzliche Urteil zur Präzisierung des Klagebegehrens aufzuheben, entspricht dem Gebot eines fairen Verfahrens.

5. Zwar hat § 182a ZPO nichts daran geändert, dass es keiner richterlichen Anleitung zu einem Vorbringen bedarf, gegen das der Prozessgegner bereits Einwendungen erhoben hat. Angesichts solcher Einwendungen hat die andere Partei ihren Prozessstandpunkt selbst zu überprüfen und die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. Auch die Pflicht nach § 182a ZPO kann nicht bezwecken, das Gericht zur Erörterung eines Vorbringens zu zwingen, dessen Schwächen bereits der Prozessgegner aufzeigte (RIS‑Justiz RS0037300 [T41]; RS0120056 [T4]; RS0122365).

Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Die Beklagte bemängelte im erstinstanzlichen Verfahren die Schlüssigkeit der Höhe des Klagebegehrens im Hinblick auf den von der Klägerin dem begehrten Gewinnentgang zugrunde gelegten Zeitraum und die Berechnungsmethode für den entgangenen Gewinn. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass darin keine Unschlüssigkeit liege, ist nicht zu beanstanden. Wenn die Beklagte von einer anderen Einschätzung ausgeht, ohne konkret die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts anzugreifen, zeigt sie keine Fehlbeurteilung auf.

6. Der Rekurs ist daher zurückzuweisen, ohne dass es noch einer weiteren Begründung bedürfte (§ 510 Abs 3 ZPO).

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit des Rechtsmittels gegen einen Aufhebungsbeschluss im Sinn des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO des Berufungsgerichts findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RIS‑Justiz RS0123222 [T2, T4, T5]; vgl RS0035976 [T2]). Die Klägerin hat in ihrer Rekursbeantwortung auf die mangelnde Zulässigkeit des Rekurses hingewiesen und daher Anspruch auf Kostenersatz (RIS‑Justiz RS0123222 [T8]).

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