OGH 9ObA156/16f

OGH9ObA156/16f26.1.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und KR Karl Frint als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. A***** B*****, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Ö*****, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl, Kommandit-Partnerschaft in Wien, wegen 55.471,85 EUR brutto abzüglich 4.981,41 EUR netto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsstreitwert: 14.368,59 EUR brutto sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. Oktober 2016, GZ 10 Ra 61/16p‑29, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00156.16F.0126.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 1502 ABGB kann zwar auf die Verjährung im Voraus nicht verzichtet werden. Einem solchen Verzicht auf die Verjährungseinrede nach Eintritt der Verjährung steht die Bestimmung des § 1502 ABGB hingegen nicht entgegen. Er verschafft dem Gläubiger das Recht der Klagbarkeit seiner verjährten Forderung und kann einseitig – ohne Zustimmung des Berechtigten – nicht mehr zurückgenommen werden (1 Ob 642/77 = SZ 50/110; 5 Ob 269/97p = wobl 1998/129 [ Mader ]; RIS-Justiz RS0032401; R. Madl in Kletečka/Schauer , ABGB-ON 1.03 § 1502 Rz 4, 5; M. Bydlinski in Rummel , ABGB 3 § 1502 ABGB Rz 1; Perner in Schwimann , ABGB-TaKom³ § 1502 Rz 2; Mader/Janisch in Schwimann , ABGB 3 § 1502 Rz 2; Vollmaier in Fenyves/Kerschner/Vonkilch , Klang 3 § 1502 Rz 10, 13).

Ein Verzichtsvertrag muss nicht mit dem Begünstigten abgeschlossen werden, sondern der Verzicht kann ebenso durch einen Vertrag zugunsten Dritter vereinbart werden (2 Ob 55/07t; 2 Ob 89/13x; RIS‑Justiz RS0014090; Kolmasch in Schwimann , ABGB‑TaKom³ § 881 Rz 1; Kalss in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON 1.03 § 882 Rz 2).

Der Verzicht muss nicht ausdrücklich, sondern kann auch konkludent erfolgen (2 Ob 11/97z; RIS‑Justiz RS0014090; R. Madl in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON 1.03 § 1502 Rz 4). Die Beantwortung der Frage, ob ein schlüssiger Verzicht anzunehmen ist, hängt aber ganz von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab und entbehrt daher regelmäßig einer über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung (RIS‑Justiz RS0014420 [T16]). Bei der Beurteilung, ob auf ein Recht stillschweigend verzichtet wurde, ist besondere Zurückhaltung und Vorsicht geboten und ein strenger Maßstab anzulegen (RIS‑Justiz RS0014420 [T1; T6]; Vollmaier in Fenyves/Kerschner/Vonkilch , Klang 3 § 1502 Rz 11). Das Verhalten des Verzichtenden muss bei Überlegung aller Umstände des Falls den eindeutigen, zweifelsfreien, zwingenden Schluss zulassen, er habe ernstlich verzichten wollen (RIS‑Justiz RS0014420; RS0014090 [T2]).

Dass das Berufungsgericht nach den Umständen des Falls einen schlüssigen Verzicht auf die Verjährungseinrede durch die Beklagte verneinte, ist im Hinblick auf den erforderlichen strengen Beurteilungsmaßstab an das konkludente Verhalten des den Verzicht Erklärenden jedenfalls vertretbar und daher nicht korrekturbedürftig.

Die nach den Feststellungen zwischen der Beklagten und Vertretern der Gewerkschaft am 6. 4. 2010 getroffene Vereinbarung, bis zur Klärung der Rechtslage in den von vier Arbeitnehmern gegen die beklagte Arbeitgeberin anhängig gemachten Arbeitsrechtsverfahren davon Abstand zu nehmen, weitere Klagen einzubringen, die anhängigen Verfahren als Musterverfahren durchzuführen und ausgehend von den Ergebnissen dieser Verfahren eine allfällige Nachverrechnung für alle Mitarbeiter, auch die bereits ausgeschiedenen, durchzuführen, wurde vor dem Hintergrund getroffen, dass die Gewerkschaft – wie die Vertreter der Beklagten auch wussten – ohne diese Zusage für ihre Mitglieder (80 bis 90) Klagen eingebracht hätten, um eine Verjährung von Ansprüchen zu verhindern. Damit konnten aber mangels anderer Anhaltspunkte nur Ansprüche gemeint sein, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt waren und nicht bereits verjährte Ansprüche für den Zeitraum von 1. 3. 2005 bis 31. 3. 2007, die nunmehr (ausschließlich) noch revisionsgegenständlich sind. Auch wenn der im Gespräch nicht ausdrücklich genannte 1. 3. 2005 als Stichtag für die von der Beklagten zugesagte – allenfalls nach den Ergebnissen der Musterverfahren notwendige – Nachverrechnung als (mit‑)vereinbart angesehen werden würde, könnte daher daraus nicht unzweifelhaft geschlossen werden, dass damit die Beklagte – so die Revision – unwiderruflich auf die Einrede der Verjährung der zum Zeitpunkt 6. 4. 2010 bereits verjährten Ansprüche verzichtet hätte. Selbst wenn die Gewerkschaft den Erklärungen der Beklagten einen Verjährungsverzicht entnehmen durfte, dann hätte sie diesen redlicherweise nur so verstehen dürfen, dass die Beklagte damit (nur) bis zur rechtskräftigen Entscheidung in den Musterprozessen auf die Einrede der Verjährung gegenüber den betroffenen Mitarbeitern verzichtete. Die erste Entscheidung in einem „Musterverfahren“ fällte der Oberste Gerichtshof aber bereits am 25. 6. 2014. Gerichtlich geltend gemacht hat die Klägerin die revisionsgegenständlichen Ansprüche aber erstmals ein Jahr später mit Schriftsatz vom 12. 6. 2015 bzw 12. 8. 2015.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen.

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