European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00115.16H.0124.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung
Der Kläger ist deutscher Staatsbürger, seine Ehegattin ist österreichische Staatsbürgerin. Beide sind Eltern der am 7. 4. 2014 geborenen Tochter. Der gemeinsame Wohnsitz des Klägers, seiner Gattin und der Tochter liegt in Deutschland.
Die Gattin des Klägers hat in Österreich eine Erwerbstätigkeit ausgeübt. Aus Anlass der Geburt ihrer Tochter hat sie unstrittig bis zu deren zweiten Lebensjahr die gesetzliche Karenz in Anspruch genommen und darüber hinaus mit ihrem Arbeitgeber eine Karenz bis 7. 4. 2017 vereinbart. Die Gattin des Klägers bezog für ihre Tochter bis zum 6. 4. 2015 deutsches Elterngeld und österreichisches Kinderbetreuungsgeld als Einkommensersatz in Form der Ausgleichszahlung. Seit 7. 6. 2015 wird der Gattin des Klägers bis voraussichtlich 6. 4. 2017 deutsches Betreuungsgeld gezahlt.
Der Kläger übt eine Erwerbstätigkeit in Deutschland aus. Er hat mit seinem Arbeitgeber in Deutschland Elternteilzeit von 7. 4. 2015 bis 6. 6. 2015 vereinbart. Für diesen Zeitraum bezog der Kläger deutsches Elterngeld.
Der Kläger erfüllt unstrittig die in § 2 KBGG genannten Anspruchsvoraussetzungen für das Kinderbetreuungsgeld.
Die Vorinstanzen bejahten den Anspruch des Klägers auf Kinderbetreuungsgeld für seine Tochter in der Pauschalvariante 12 + 2 als Ausgleichszahlung für den Zeitraum 7. 4. 2015 bis 6. 6. 2015 dem Grunde nach. Die Inanspruchnahme der deutschen Elternteilzeit durch den Kläger führe nicht zur Beendigung der Karenz der Mutter. Die Karenz der Gattin des Klägers stelle für den Zeitraum von 7. 4. 2015 bis 6. 6. 2015 den Tatbestand der Beschäftigung iSd Art 1 lit a und Art 68 der Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO 883/2004 ) sowie des § 24 Abs 2 KBGG dar. Aufgrund des Wohnorts der Tochter sei Deutschland gemäß Art 68 Abs 1 lit b VO 883/2004 vorrangig zur Erbringung der Familienleistungen zuständig. Österreich habe den Unterschiedsbetrag gemäß § 6 Abs 3 KBGG zu zahlen, der der Höhe nach erst nach dem Ende der prioritären Leistung – hier: des deutschen Betreuungsgeldes an die Gattin des Klägers – zu gewähren sei.
Rechtliche Beurteilung
Die beklagte Gebietskrankenkasse zeigt in ihrer Revision keine Korrekturbedürftigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts auf.
1. In ihrer Revision hält die Beklagte an der Ansicht fest, dass die Karenz der Gattin des Klägers infolge des Umstands, dass der Kläger eine ausländische Karenzzeit in Anspruch genommen habe, keine Beschäftigung iSd Art 1 lit a VO 883/2004 mehr sei, sodass im hier zu beurteilenden Zeitraum von 7. 4. 2015 bis 6. 6. 2015 ausschließlich Deutschland für die Gewährung von Familienleistungen zuständig sei.
2. Dazu hat der Oberste Gerichtshof in der vom Berufungsgericht ohnehin zitierten Entscheidung 10 ObS 148/14h, DRdA 2016/29, 259 ( Rief ), bereits ausgeführt, dass zwar § 15 Abs 1a MuttSchG (vgl auch § 2 Abs 1 VKG) eine gleichzeitige Inanspruchnahme von Karenz nach dem Mutterschutzgesetz (Väter‑Karenzgesetz) durch beide Elternteile grundsätzlich ausschließt. Dieser Bestimmung lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass auch die Inanspruchnahme der deutschen Elternzeit durch einen Elternteil die gleichzeitige Inanspruchnahme einer österreichischen Karenz durch den anderen Elternteil ausschließt.
3. Die Beklagte hat selbst vorgebracht, dass die Gattin des Klägers für den Zeitraum der ersten zwei Jahre nach der Geburt des Kindes – somit auch für den hier zu beurteilenden Zeitraum – die gesetzliche Karenz nach dem Mutterschutzgesetz in Anspruch genommen hat. Soweit die Beklagte nunmehr abweichend von den Feststellungen das Vorliegen einer „Scheinkarenz“ geltend macht, ist die Revision nicht gesetzmäßig ausgeführt. Welche gesetzlichen Grundlagen dem Anspruch der Gattin des Klägers auf eine Karenz nach dem Mutterschutzgesetz entgegenstehen sollten, legt die Beklagte in der Revision nicht dar. Aus den Ausführungen der Beklagten zu § 24 KBGG ist in diesem Zusammenhang nichts zu gewinnen, weil diese Bestimmung – worauf das Berufungsgericht hingewiesen hat – die Anspruchsvoraussetzungen für das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens regelt, nicht aber jene für die Inanspruchnahme einer gesetzlichen Karenz nach dem Mutterschutzgesetz, die sie im Gegenteil voraussetzt (§ 24 Abs 2 KBGG; vgl dazu Sonntag , Unions‑, verfassungs‑ und verfahrensrechtliche Probleme der KBGG‑Novelle 2016 und des Familienzeitbonusgesetzes, ASoK 2017, 2 [6 f]).
4. § 24 Abs 2 KBGG idF BGBl I 2016/53 tritt erst mit 1. 3. 2017 in Kraft und gilt nur für Geburten nach dem 28. 2. 2017 (§ 50 Abs 14 KBGG). Auch § 24 Abs 3 KBGG idF BGBl I 2016/53 tritt erst mit 1. 3. 2017 in Kraft (§ 50 Abs 15 KBGG). Beide Bestimmungen sind in der novellierten Fassung daher auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anzuwenden, sodass die Beklagte auch in diesem Zusammenhang keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt. Eine Aussage über eine authentische Interpretation muss – auch wenn sie schlüssig erfolgt – stets (zumindest auch) im kundgemachten Text des „erklärenden Gesetzes“ enthalten sein (RIS‑Justiz RS0008908 [T3]).
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