OGH 14Os107/16s

OGH14Os107/16s24.1.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Jänner 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Oeljeschläger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Manuel P***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 Z 3 SMG, § 12 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 4. April 2016, GZ 220 Hv 4/16k‑36, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Oberstaatsanwalt Dr. Denk, MBA LL.M. (WU), des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Roland Kier zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0140OS00107.16S.0124.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch B und im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung), demgemäß auch im Verfalls‑ und im Einziehungserkenntnis aufgehoben

und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Manuel P***** „der“ Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 Z 3 SMG, § 12 zweiter Fall StGB (A/I) sowie jeweils mehrerer „Vergehen“ des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (A/II), des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG (A/III) und nach § 4 Abs 1 zweiter und vierter Fall NPSG (B) schuldig erkannt.

Danach hat er von Mai 2014 bis Mai 2015 in F***** und an anderen Orten Österreichs

(A) vorschriftswidrig Suchtgift

I) in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge eingeführt, indem er insgesamt 1.600 Gramm 3‑MMC mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von ca 88 % (1.168,64 Gramm 3‑MMC‑Base in Reinsubstanz) per Internet bestellte und so den Import des Suchtgifts im Postweg vom Ausland nach Österreich veranlasste;

II) in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er in zahlreichen Angriffen 1.210 Gramm 3‑MMC mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von ca 88 % (883,68 Gramm 3‑MMC‑Base in Reinsubstanz) sowie geringe Mengen an MDMA‑hältigen Ecstasy‑Tabletten, Speed (Amphetamin), MDMA und Cannabiskraut teils an im Urteil namentlich genannte, teils an nicht ausgeforschte Abnehmer gewinnbringend veräußerte,

wobei er die zu I und II beschriebenen Straftaten vorwiegend deshalb beging, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen;

III) etwa 390 Gramm 3‑MMC sowie geringe Mengen an MDMA‑hältigen Ecstasy-Tabletten, Amphetamin, MDMA und Cannabiskraut zum Eigenkonsum besessen, wobei er die Tathandlungen ausschließlich zum persönlichen Gebrauch beging;

(B) mit dem Vorsatz, daraus einen Vorteil zu ziehen, eine mit Verordnung gemäß § 3 NPSG bezeichnete oder von einer gemäß § 3 NPSG definierten chemischen Substanzklasse umfasste Neue Psychoaktive Substanz mit dem Vorsatz, dass sie von dem anderen zur Erreichung einer psychoaktiven Wirkung im Körper angewendet wird,

I) eingeführt, indem er unbekannte Mengen, jedenfalls mehr als 170 Gramm „4‑MEC“ per Internet bestellte und so den Import im Postweg vom Ausland nach Österreich veranlasste;

II) anderen überlassen, indem er ca. 170 Gramm „4‑MEC“ an drei im Urteil namentlich genannte sowie weitere unbekannte Abnehmer gewinnbringend weiterveräußerte.

Rechtliche Beurteilung

Ausschließlich gegen die Annahme des § 28a Abs 3 SMG zu den Schuldsprüchen A/I und A/II richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, der Berechtigung zukommt.

Sie zeigt zutreffend unvollständige Begründung (Z 5 zweiter Fall, der Sache nach iVm Z 11 [vgl RIS‑Justiz RS0123175 [T6]) der Feststellung einer vorwiegend (vgl dazu RIS‑Justiz RS0125836; Schwaighofer in WK2 SMG § 27 Rz 92) auf die Beschaffung von Suchtmittel für den eigenen Gebrauch gerichteten Täterintention (US 3, 8, 10) auf.

Diese Urteilsannahme stützten die Tatrichter ausschließlich auf die „nicht widerlegbaren“ Angaben des Angeklagten zu seinem – durch berufliche Probleme und eine Erkrankung an Neurodermitis ausgelösten – Eigenbedarf von etwa einem Gramm 3‑MMC sowie weiteren „geringen Mengen an MDMA, Amphetamin und Cannabiskraut“ pro Tag und „auch größeren Mengen“ an Wochenenden (US 9).

Nach seiner (an anderer Stelle für glaubwürdig erachteten und den Schuldsprüchen zugrunde gelegten) weiteren Verantwortung in der Hauptverhandlung veranlasste der Angeklagte allerdings im Tatzeitraum von Mai 2014 bis Mai 2015 die Einfuhr von 1.600 Gramm 3‑MMC (sohin etwa dem Fünffachen seines Eigenbedarfs an dieser Substanz) nach Österreich, wovon er 1.210 Gramm mit einem Aufschlag von 15 bis 20 Euro pro Gramm an Dritte weiterverkaufte (ON 35 S 3). Darüber hinaus räumte er anlässlich seiner in der Hauptverhandlung vorgekommenen (§ 258 Abs 1 StPO; ON 35 S 4) Befragung im Ermittlungsverfahren nach Vorhalt der entsprechenden Kontoübersicht (ON 13 S 77 ff) ein, dass er bereits im September 2014 ein Online‑Konto bei „Lopoca“ eingerichtet hatte, um den Gewinn aus den Drogengeschäften „anonym zu veranlagen bzw. zu waschen“, auf welchem sich– nach Behebung von 9.000 Euro für den Ankauf eines PKW im Mai 2015 – per 16. Juni 2015 ein Guthaben von 19.240,35 Euro befand (ON 13 S 37 f).

Diese Angaben weisen – wie die Beschwerdeführerin mit Recht ausführt – in Richtung einer für ihren Prozessstandpunkt günstigeren als der bekämpften Feststellung (vgl neuerlich RIS‑Justiz RS0125836) und stellen damit ein im Hinblick auf die Konstatierungen zu den Voraussetzungen des § 28a Abs 3 SMG erhebliches Beweisergebnis dar, welches die Tatrichter unter dem Aspekt der Unvollständigkeit auch in diesem Zusammenhang erörtern hätten müssen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 424).

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof zudem, dass

dem Urteil im Schuldspruch B nicht

geltend gemachte

Nichtigkeit (Z 9 lit a) anhaftet, die sich zum Nachteil des Angeklagten, der keine Nichtigkeitsbeschwerde erhoben hat, auswirkt und demnach von Amts wegen wahrzunehmen war (§

 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

Strafrechtlich relevantes Verhalten nach § 4 Neue‑Psychoaktive‑Substanzen‑Gesetz (NPSG) bezieht sich nur auf konkrete, mit Verordnung gemäß § 3 NPSG bezeichnete oder von einer gemäß dieser Gesetzesstelle definierten chemischen Substanzklasse umfasste Neue Psychoaktive Substanzen.

Die vom Erstgericht nur mit der Abkürzung „4‑MEC“ bezeichnete Substanz (US 3, 7, 11) ist in der Anlage I zur (gemäß § 3 Abs 1 NPSG erlassenen) Neue‑Psychoaktive-Substanzen‑Verordnung (NPSV; BGBl II 2011/468) nicht genannt. Ob diese von den chemischen Definitionen in der Anlage II umfasst ist oder eine chemische Struktur im Sinn der Anlage II darstellt (§ 1 NPSV), ist dem Urteil nicht zu entnehmen, bedürfte aber– selbst wenn man Gerichtsnotorietät unterstellt – Feststellungen zum konkreten Wirkstoff und zur Beschaffenheit der tatverfangenen Substanz, die eine entsprechende Zuordnung ermöglichen (vgl RIS‑Justiz RS0114428, RS0124169; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 348, 463, 606).

Die Verwendung von den Tatbeständen des § 4 NPSG entnommenen Rechtsbegriffen („verba legalia“) zum objektiven Sachverhalt (Einfuhr und Überlassung von „einer mit Verordnung gemäß § 3 NPSG definierten chemischen Substanzklasse umfassten Neuen Psychoaktiven Substanz“) bleibt daher ohne Sachverhaltsbezug und trägt den Schuldspruch nach dieser Gesetzesstelle nicht (RIS‑Justiz RS0119090).

Der geltend gemachte Begründungsmangel sowie der eben dargestellte Rechtsfehler mangels Feststellungen erfordern die Aufhebung des Urteils im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang. Weil sich die Aussprüche über den Verfall und die Einziehung undifferenziert auf sämtliche Schuldsprüche (somit auch den von der Aufhebung umfassten Schuldspruch B) beziehen (US 8, 12), konnten auch diese nicht bestehen bleiben.

Mit ihrer (gegen den Strafausspruch und das Verfallserkenntnis gerichteten) Berufung war die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.

Bleibt anzumerken, dass das Erstgericht den Angeklagten unter Vernachlässigung der durch § 28a Abs 2 Z 3 SMG – vergleichbar dem für wert‑ und schadensqualifizierte Delikte geltenden § 29 StGB – begründeten Subsumtionseinheit (sui generis) rechtlich verfehlt mehrerer Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 Z 3, Abs 3 zweiter Fall SMG, § 12 zweiter Fall StGB (A/I) schuldig erkannte. Mangels eines über die solcherart verfehlte Subsumtion (Z 10) hinausgehenden konkreten Nachteils (im Sinn des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO) bestand kein Anlass zu einem amtswegigen Vorgehen des Obersten Gerichtshofs. Im zweiten Rechtsgang besteht nach dieser Klarstellung insoweit keine Bindung des Erstgerichts an seinen eigenen Ausspruch über das anzuwendende Strafgesetz (vgl RIS‑Justiz RS0129614).

Die Kostenentscheidung, die sich nicht auf die amtswegige Maßnahme bezieht (Lendl, WK‑StPO § 390 Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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