OGH 2Ob212/16i

OGH2Ob212/16i19.12.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr.

 Danzl als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am 9. November 2015 verstorbenen Dipl.‑Ing. O*****, Antragstellerinnen: 1.) G***** T*****, 2.) D***** T*****, beide vertreten durch Dr. Diethard Schimmer, Rechtsanwalt in Wien; Antragsgegner 1.) Verlassenschaft nach Dipl.‑Ing. O*****, vertreten durch die erbantrittserklärte Erbin B***** V*****, 2.) B***** V*****, beide vertreten durch Appiano & Kramer, Rechtsanwälte Gesellschaft mbH in Wien, über die außerordentlichen Revisionsrekurse der Erstantragstellerin und der Antragsgegnerinnen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 29. September 2016, GZ 48 R 149/16s‑38, womit die Rekurse der Erstantragstellerin und der Antragsgegnerinnen gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom 2. Juni 2016, GZ 10 A 184/15k‑22, zurückgewiesen wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0020OB00212.16I.1219.000

 

Spruch:

1. Dem Revisionsrekurs der Erstantragstellerin wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird – soweit er den Rekurs der Erstantragstellerin zurückgewiesen hat – aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

2. Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegnerinnen wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

 

Begründung:

Der Erblasser setzte mit letztwilliger Verfügung vom 2. 4. 2003 die Zweitantragsgegnerin (Witwe) zur Alleinerbin seines Vermögens ein; seine beiden Töchter aus erster Ehe, die Antragstellerinnen, setzte er – ebenso wie einen Sohn aus zweiter Ehe – hingegen auf den Pflichtteil unter Einrechnung der in seinem Testament ausgesetzten Legate. Die Zweitantragsgegnerin gab aufgrund des Testaments die unbedingte Erbantrittserklärung ab.

Die Antragstellerinnen beantragten, die in der vorläufigen Übersicht der Aktiven angeführten Konten des Erblassers für den Zeitraum von vier Jahren vor dessen Ableben zu öffnen, weil nicht klar hervorgehe, auf welches Konto die persönlichen Mieteinnahmen und die Pensionsbezüge des Erblassers geflossen seien (ON 16).

Das Erstgericht gab diesem Antrag größtenteils (vom Todestag des Erblasser rückwirkend bis zum Zeitpunkt der jeweiligen Kontoeröffnung) statt und erteilte dem Gerichtskommissär den Auftrag, die Kontoauszüge sowie die Einzahlungsbelege des Erblassers und die Auszahlungsbelege an den Erblasser in diesen Zeitraum auf Kosten der Antragstellerinnen zu beschaffen. Einen weiteren das „zu eröffnende Konto“ R*****bank betreffenden Antrag wies es ab. In seiner Begründung führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, der Gerichtskommissär sei im Verlassenschaftsverfahren verpflichtet, das Vermögen des Erblassers auszuforschen. § 8 BWG definiere zu diesem Zweck Ausnahmen vom Bankgeheimnis. Die Erkundung der Vermögenslage durch den Gerichtskommissär sei aufgrund der unterschiedlichen, zum Teil gegenläufigen Interessen der Beteiligten nicht der Disposition einer Partei anheimgestellt. Die Pflichtteilsberechtigten hätten selbständige subjektive Rechte; insbesondere könnten sie die Inventarisierung beantragen. Sie seien daher antragslegitimiert. Sie hätten in ihrem Antrag auch Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Kontoeröffnung aufgezeigt. Der Erbe sei durch die bewilligte Kontoeröffnung rechtlich nicht beschwert; die Sammlung des „Prozessstoffs“ könne die Rechtssphäre einer Partei nur berühren, wenn zu wenig Beweise aufgenommen würden.

Den abweisenden Teil seiner Entscheidung begründete das Erstgericht nicht.

Das Rekursgericht wies sowohl den Rekurs der Erstantragstellerin gegen den abweisenden Teil als auch denjenigen der Antragsgegnerinnen gegen den stattgebenden Teil des erstgerichtlichen Beschlusses zurück.

Zum Rekurs der Erstantragstellerin ging das Rekursgericht von folgendem sich aus dem Akt ergebenden Sachverhalt aus:

Die beiden Antragstellerinnen wurden zunächst im Verlassenschaftsverfahren von Rechtsanwalt Dr. Volker Riepl vertreten (ON 11). Sie erklärten in der Tagsatzung vom 20. 5. 2016, diese Bevollmächtigung sei weiter aufrecht (ON 16). Der erstgerichtliche angefochtene Beschluss vom 2. 6. 2016 wurde an diesen Rechtsvertreter der Antragstellerinnen am 7. 6. 2016 zugestellt (ON 22). Mit einem am selben Tag beim Erstgericht eingelangten Schreiben teilte der Gerichtskommissär mit, Dr. Volker Riepl habe „laut Beilage“ die Beendigung des Vollmachtsverhältnisses bekanntgegeben. Dem Schreiben war eine an die auf dem Briefkopf des Gerichtskommissärs aufscheinende E‑Mail‑Adresse gerichtete E‑Mail‑Nachricht des Rechtsvertreters der Antragstellerinnen vom 31. 5. 2016 angeschlossen, in der er dem Gerichtskommissär mitteilte, das Vollmachtsverhältnis zu den Antragstellerinnen sei aufgelöst worden. Das Erstgericht verfügte daraufhin am 8. 6. 2016 die Zustellung des erstgerichtlichen angefochtenen Beschlusses an die Erst‑ und die Zweitantragstellerin persönlich (ON 23/24). Am 13. 6. 2016 teilten diese dem Erstgericht mit, nunmehr Rechtsanwalt Dr. Marco Nademleinsky mit ihrer rechtsfreundlichen Vertretung beauftragt zu haben, an den sohin „zukünftige Gerichtsstücke“ zuzustellen seien (ON 27); mit Schriftsatz desselben vom 29. 6. 2016 wurde auch die Auflösung dieses Vollmachtsverhältnisses bekanntgegeben (ON 32).

Die Erstantragstellerin erhob am 1. 7. 2016 – nunmehr vertreten durch Rechtsanwalt Dr. DiethardSchimmer – im ERV den Rekurs gegen den angefochtenen Beschluss.

Rechtlich folgerte das Rekursgericht, der Rekurs sei verspätet: Habe eine Partei einen Bevollmächtigten bestellt, hätten Zustellungen an den Bevollmächtigten zu erfolgen. Eine daneben auch an die Partei selbst erfolgte Zustellung sei für den Lauf der Rechtsmittelfrist bedeutungslos. So lange das Vollmachtsverhältnis nach der Aktenlage aufrecht sei, sei vom Fortbestehen des Vollmachtsverhältnisses auszugehen, sodass Zustellungen noch an den Vertreter erfolgen müssten. Das Vollmachtsverhältnis zu Dr. Volker Riepl sei im Zeitpunkt der Zustellung des erstgerichtlichen Beschlusses nach der Aktenlage noch aufrecht gewesen, sodass durch diese Zustellung der Lauf der Rechtsmittelfrist ausgelöst worden sei. Die 14‑tägige Rekursfrist sei bei Einbringung des Rekurses am 1. 7. 2016 abgelaufen gewesen und der Rekurs daher verspätet. Da die Zustellung an die Erstantragstellerin für den Lauf der Rechtsmittelfrist bedeutungslos sei, erübrige sich eine Prüfung der von ihr behaupteten Ortsabwesenheit im Zeitpunkt der Zustellung.

Zum Rekurs der Antragsgegnerinnen vertrat das Rekursgericht die Ansicht, im vorliegenden Fall würden keine rechtlich anerkannten Interessen der Antragsgegnerinnen berührt. Die Sammlung des „Prozessstoffs“ könne nämlich nur dann die Rechtssphäre der Partei berühren, wenn zu wenig Beweise aufgenommen würden, nicht aber im gegenteiligen Fall eines „Zuviel“ an Beweismitteln, womit nur in die wirtschaftliche Sphäre der Partei unter dem Aspekt der Verfahrensökonomie eingegriffen werde. Eine unnötig verbreiterte Entscheidungsgrundlage begründe daher keine Beschwer der Partei. Rechtliche Interessen der Rekurswerberinnen würden durch den dem Antrag auf Kontoeröffnung stattgebenden Beschluss nicht berührt, sodass der Rekurs mangels Beschwer zurückzuweisen gewesen sei (7 Ob 1/13t). Weiters enthielt die Rekursentscheidung inhaltliche Erwägungen.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs nicht zu.

Die Rekurswerberinnen bekämpfen den jeweils sie betreffenden Teil der Rekursentscheidung mit außerordentlichem Revisionsrekurs.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Erstantragstellerin ist zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrags in die zweite Instanz berechtigt.

Der Revisionsrekurs der Antragsgegnerinnen ist unzulässig.

I. Zum Revisionsrekurs der Erstantragstellerin:

1. Das Revisionsrekursverfahren gegen die Zurückweisung eines Rekurses im Außerstreitverfahren ist einseitig (RIS‑Justiz RS0120614), sodass den Antragsgegnerinnen keine Revisionsrekursbeantwortung einzuräumen war.

2. Aus dem Akteninhalt ist weiters Folgendes festzuhalten:

Die vom Erstgericht verfügte Zustellung seines Beschlusses an die Erstantragstellerin verlief folgendermaßen: Da der Zustellversuch am 13. 6. 2016 nicht erfolgreich war, wurde die Sendung hinterlegt und war laut Verständigung von der Hinterlegung ab 14. 6. 2016 bei der „Post Geschäftsstelle“ abholbereit. Am 15. 6. 2016 übernahm dort der „Sohn T***** B*****“ die Sendung (ON 24).

Im Rekurs der Erstantragstellerin (ON 35) brachte sie vor, im Zeitpunkt der Zustellung des erstgerichtlichen Beschlusses durch Ersatzzustellung nach § 16 ZustG sei sie vom 1. 6. bis zum 27. 6. 2016 ortsabwesend gewesen. Die Ersatzzustellung sei gemäß § 16 Abs 5 ZustG erst mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag, somit mit 28. 6. 2016, wirksam geworden. Dem Rekurs waren zum Beleg der Ortsabwesenheit jeweils in Fotokopie die Bestellbestätigung der Air Berlin (Abflug aus Wien am 1. 6. 2016) sowie die Reisebestätigung der Austrian Airlines (Rückflug nach Wien am 27. 6. 2016) angeschlossen.

3. Nach § 6 Abs 4 AußStrG gelten, soweit das AußStrG nichts anderes anordnet, die Bestimmungen der ZPO über Bevollmächtigte sinngemäß. Dasselbe gilt nach § 24 Abs 1 AußStrG für die Zustellung. Nach § 93 Abs 1 ZPO haben Zustellungen an eine Partei, die Prozessvollmacht erteilt hat, bis zur Beendigung der Prozessvollmacht an den Bevollmächtigten zu erfolgen. Eine daneben auch an die Partei selbst erfolgte Zustellung ist für den Lauf der Rechtsmittelfrist bedeutungslos (RIS‑Justiz RS0006023).

Die Beendigung der Vollmacht wird gemäß § 36 Abs 1 ZPO auch dem Gericht gegenüber – soweit (wie hier) Vertretungsfreiheit herrscht – durch die Anzeige der Kündigung oder des Widerrufs der Vollmacht wirksam (RIS‑Justiz RS0035744).

Eingaben im Verlassenschaftsverfahren sind nach § 144 Abs 1 AußStrG grundsätzlich an den Gerichtskommissär zu richten. Die Ausnahmen gemäß § 144 Abs 2 AußStrG (Rechtsmittel und -beantwortungen, Eingaben, die auf eine gerichtliche Entscheidung abzielen und bei schriftlicher Abhandlungspflege) kommen hier nicht zum Tragen. Dass der Vertreter der Antragstellerinnen seine Eingabe dem Gerichtskommissär übermittelte, war daher richtig.

In der jüngeren Rechtsprechung und Lehre wird die Ansicht vertreten, dass ein an das Gericht (Richter oder Diplomrechtspfleger) gerichtetes E-Mail unzulässig und nicht fristenwahrend ist (RIS‑Justiz RS0127859; Schramm in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 65 Rz 7; Gitschthaler in Rechberger, ZPO4 § 74 Rz 15 Danzl, Geo.6 [2015] § 60 Anm 1 lit e; anders noch 10 Ob 28/11g SZ 2011/67 = RIS‑Justiz RS0126972).

Anderes gilt für Eingaben an den Gerichtskommissär (vgl insoweit identen Sachverhalt in 10 Ob 28/11g). Auch Gitschthaler, der die Entscheidung 10 Ob 28/11g für Zustellungen an das Gericht abgelehnt hat, hält die Ansicht, eine E‑Mail‑Eingabe an den Gerichtskommissär sei zulässig und fristenwahrend, im Hinblick auf das Ergebnis für gerechtfertigt (Gitschthaler, E‑Mail für den Richter – Ich erhebe Berufung! Zugleich eine Besprechung der E 10 Ob 28/11g, EF‑Z 2011/104; zust auch Schatzl/Spruzina in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 144 Rz 8). Dies muss umso mehr gelten, wenn – wie hier – auf dem Briefkopf des Gerichtskommissärs seine E‑Mail‑Adresse aufscheint, wodurch dieser zu erkennen gibt, Zustellungen auch im Weg eines E-Mails an die angegebene E-Mail-Adresse entgegenzunehmen. Insoweit kann auf die Aussagen der Entscheidung 10 Ob 28/11g zurückgegriffen werden: Auf Schriftsätze, die per E-Mail oder als PDF‑Anhang eines E‑Mails an den Gerichtskommissär übermittelt werden, sind in Analogie die für die Telefax‑Eingabe geltenden Grundsätze anzuwenden. Da das Postlaufprivileg des § 89 Abs 1 GOG mangels einer Aufgabe bei der Post für Eingaben per E‑Mail nicht gilt, kommt es für die Rechtzeitigkeit der Eingabe auf das Einlangen beim Gerichtskommissär an. Dies ist bei einer E‑Mail‑Sendung der Fall, wenn sie von einem Server, den der Gerichtskommissär für die Empfangnahme von an ihn gerichteten E‑Mail‑Sendungen gewählt hat, empfangen wurde und sich damit in seinem „elektronischen Verfügungsbereich“ befindet; so etwa, wenn die E‑Mail‑Sendung in einem Empfänger-Postfach (E‑Mailbox) zum Abruf durch den Gerichtskommissär bereit liegt, mag dies auch außerhalb der Amtsstunden sein. Die analoge Anwendung der für die Telefax‑Eingabe geltenden Grundsätze bedeutet, dass das E‑Mail durch Nachbringung der Unterschrift verbessert werden muss (RIS‑Justiz RS0112018). Liegt der Originalschriftsatz nicht vor und wurde die Unterschrift auch nicht auf der E‑Mail-Eingabe original nachgetragen, ist zur Behebung des Formmangels ein Verbesserungsverfahren nach § 10 Abs 4 AußStrG einzuleiten (10 Ob 28/11g).

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall bedeutet, dass die Vollmachtsauflösung unter der Voraussetzung der Verbesserung (Unterschrift) dem Gerichtskommissär und somit gemäß § 144 Abs 1 AußStrG auch wirksam für das Erstgericht am 31. 5. 2016, also noch vor Beschlussfassung durch das Erstgericht, angezeigt wurde.

Dass der angefochtene Beschluss offenbar dem Sohn der Revisionsrekurswerberin ausgefolgt wurde, ist– unter der Voraussetzung der von ihr behaupteten Ortsabwesenheit – nicht als wirksame Ersatzzustellung iSd § 16 Abs 1 ZustG anzusehen (RIS‑Justiz RS0083895). Vielmehr würde der Zustellmangel, da das Zustellstück entgegen § 17 Abs 3 ZustG nicht mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitgehalten wurde, gemäß § 7 ZustG erst heilen, sobald der Beschluss der Erstantragstellerin tatsächlich zugekommen ist.

Das Verfahren betreffend den Rekurs der Erstantragstellerin ist somit ergänzungsbedürftig. Das Rekursgericht wird zunächst das dargestellte Verbesserungsverfahren zum festgestellten E-Mail durchführen müssen. Wird fristgerecht verbessert, ist der Zeitpunkt der Zustellung des erstinstanzlichen Beschlusses an die Erstantragstellerin zu prüfen. Ergibt sich danach die Rechtzeitigkeit des Rekurses, wird das Rekursgericht den Rekurs inhaltlich behandeln müssen. Wird nicht verbessert oder ergibt sich, dass der Rekurs im Hinblick auf den Zustellungszeitpunkt an die Erstantragstellerin verspätet ist, wird der Rekurs neuerlich zurückzuweisen sein.

II. Zum Revisionsrekurs der Antragsgegnerinnen:

Die Ausführungen des Rekursgerichts zur mangelnden Beschwer folgen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung und sind daher nicht korrekturbedürftig; dagegen kann auch der Revisionsrekurs nichts Stichhaltiges ins Treffen führen. Gemäß § 71 Abs 3 Satz 3 AußStrG bedarf dies keiner weitergehenden Begründung.

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