OGH 8Ob81/16v

OGH8Ob81/16v16.12.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner, den Hofrat Dr. Brenn sowie die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj K***** P*****, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Graziani‑Weiss, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei G***** AG, *****, vertreten durch Rechtsanwälte Pitzl & Huber Anwaltspartnerschaft in Linz, wegen 293.589,34 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 19. Mai 2016, GZ 3 R 51/16i‑38, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 25. Februar 2016, GZ 38 Cg 111/14g‑34, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0080OB00081.16V.1216.000

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.892,42 EUR bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung (darin 482,07 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Klägerin erlitt bei ihrer Geburt in einem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus im Jahr 2011 durch einen Behandlungsfehler eine dyskinetische Cerebralparese und wird dadurch lebenslang schwer behindert bleiben. Die Beklagte hat ihre Haftung für die Folgen des unterlaufenen Behandlungsfehlers dem Grunde nach anerkannt. Gegenstand des Rechtsstreits ist der Schadenersatz für den behinderungsbedingten Pflegemehraufwand der Klägerin für ihre ersten drei Lebensjahre.

Die Beklagte bestreitet die Klagsforderung vor allem mit der Begründung, im Kleinkindalter sei auch bei gesunden Kindern eine rund um die Uhr dauernde Pflege und Betreuung erforderlich, sodass für die Klägerin im strittigen Zeitraum nur ein qualitativer, aber kein zeitlicher Mehraufwand entstanden sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Es traf detaillierte Feststellungen zum Aufwand für Ernährung, Körperpflege, Tragen, Therapien und Eingliederungshilfen für die Klägerin sowie zum hauswirtschaftlichen Mehrbedarf (unter Ausklammerung von Zeiten bloßer Zuwendung und bloßen Spiels) und stellte diesen Aufwand dem Bedarf gesunder Gleichaltriger gegenüber. Für den solcherart ermittelten Mehraufwand stehe der Klägerin Ersatz nach dem Mindestlohntarif für Pflegekräfte einschließlich Lohnnebenkosten zu. Es seien alle fiktiven Kosten einer „Fremdhilfe“ zu ersetzen, auch wenn Eltern oder Verwandte die Leistungen erbracht haben.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten Folge und hob die Entscheidung zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es übernahm die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen und teilte auch dessen rechtliche Beurteilung, erachtete das Verfahren aber insoweit für ergänzungsbedürftig, als noch weitere Feststellungen zur Höhe des Ersatzbetrags, insbesondere zur Höhe der fiktiven Bruttokosten professioneller Pflegepersonen sowie zum Ausmaß der den pflegenden Eltern entgangenen Freizeitgestaltung, erforderlich seien.

Gegen diesen Aufhebungsbeschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mit dem sie eine klagsabweisende Entscheidung in der Hauptsache, in eventu die neuerliche Entscheidung durch das Berufungsgericht oder die „Ergänzung der Begründung des Aufhebungsbeschlusses“ dahin beantragt, dass dem Erstgericht die „Ermittlung des Pflege-, Betreuungs- Beaufsichtigungs- und Zuwendungsbedarfs von gesunden Kleinkindern im Alter von 0 bis 3 Jahren aufgetragen“ werden möge. Die Klägerin hat eine Rekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (RIS‑Justiz RS0043685) mangels Vorliegens einer Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Das Erstgericht hat den behinderungsbedingten Pflegemehrbedarf der Klägerin gegenüber gleichaltrigen gesunden Kleinkindern bereits detailliert festgestellt. Die Feststellungen berücksichtigen ausdrücklich, dass auch gesunde Kleinkinder ununterbrochen einer Aufsicht bedürfen, und beinhalten nur jenen pflegerischen Mehraufwand, der für die Klägerin im Vergleich zu nicht behinderten Gleichaltrigen entsteht, etwa weil bestimmte Pflegemaßnahmen bei ihr wesentlich aufwändiger sind und länger dauern, oder weil zwei Pflegepersonen dafür gleichzeitig benötigt werden. Zeiten bloßer Zuwendung und Beaufsichtigung, wie sie auch gesunde Kleinkinder benötigen, sind im festgestellten Pflegemehraufwand ausdrücklich nicht enthalten.

Diese Feststellungen, die vom Berufungsgericht übernommen wurden, können vom Obersten Gerichtshof, der keine Tatsacheninstanz ist, nicht mehr überprüft werden. Soweit sich die Rechtsausführungen der Rekurswerberin inhaltlich gegen diese Feststellungen wenden, wird der Rechtsmittelgrund nicht gesetzmäßig ausgeführt.

Die Unanfechtbarkeit der Beweiswürdigung kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass – wie im vorliegenden Rekurs – die Methode der Berechnung durch die in erster Instanz beigezogene Sachverständige bekämpft oder sekundäre Feststellungsmängel behauptet werden, wenn die Vorinstanzen zum betroffenen Thema ohnedies Feststellungen (wenngleich nicht die vom Rechtsmittelwerber gewünschten) getroffen haben.

Ob ein von der Beklagten beantragtes weiteres Sachverständigengutachten einzuholen gewesen wäre, betrifft die Stoffsammlung, also einen allfälligen Verfahrensmangel. Auch ein solcher behaupteter Mangel kann, da vom Berufungsgericht verneint, in dritter Instanz nicht mehr aufgegriffen werden. Der festgestellte Pflegeaufwand mag hoch anmuten (vgl aber zB 5 Ob 50/99k), jedoch zeigt der Rekurs damit noch keinen Verstoß des eingeholten Gutachtens gegen zwingende Denkgesetze oder gegen die objektiv überprüfbaren zwingenden Gesetze des sprachlichen Ausdrucks auf (RIS‑Justiz RS0043168).

Die Rechtsausführungen der Rekurswerberin gehen nicht vom bindend festgestellten Sachverhalt aus. Sogenannte „nichtkommerzialisierbare“ Zeiten bloßer elterlicher Zuwendung, deren Ausklammerung die Beklagte fordert, sind im festgestellten Pflegemehraufwand ohnedies nicht enthalten. Die im Rekurs zitierte Rechtsprechung (ua des BGH) ist aus diesem Grund nicht einschlägig. Das von der Rekurswerberin zitierte „Konsensuspapier“ zur einheitlichen ärztlichen Begutachtung nach dem Pflegegeldgesetz ist für die Gerichte nicht verbindlich (RIS‑Justiz RS0106385) und kann eine individuelle Feststellung im Einzelfall weder ersetzen noch deren Ergebnis widerlegen.

Ist die dem Aufhebungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsansicht nicht zu beanstanden, dann hat der Oberste Gerichtshof die Notwendigkeit der vom Berufungsgericht angeordneten Ergänzung des Verfahrens oder der Feststellungen nicht weiter zu überprüfen (RIS‑Justiz RS0042179; E. Kodek in Rechberger 4 § 519 ZPO Rz 26).

Mangels Darstellung einer über den Einzelfall hinaus relevanten Rechtsfrage war der Rekurs zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die klagende Partei hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen (RIS‑Justiz RS0123222; RS0035976 [T2]).

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