OGH 10ObS154/16v

OGH10ObS154/16v25.11.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Schramm und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Brigitte Augustin (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Ing. Thomas Bauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Mag. Johannes Schmidt, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65–67, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 23. September 2016, GZ 9 Rs 94/16h‑23, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00154.16V.1125.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Die Vorinstanzen stellten fest, dass der Bruch des 12. Brustwirbelkörpers des Klägers Folge eines Arbeitsunfalls vom 11. 3. 2002 ist. Sie wiesen das Klagebegehren auf Gewährung einer Versehrtenrente samt Zusatzleistungen für die Folgen dieses Unfalls ab, weil der Kläger erst am 27. 5. 2013 einen Antrag auf Zuerkennung einer Versehrtenrente stellte und die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach dem Unfall für ein Jahr 20 vH betrug, seither – und auch am 27. 5. 2013 – jedoch nur mehr 10 vH.

2.1 Es entspricht der völlig herrschenden Rechtsprechung und Lehre, dass für die Anwendbarkeit der Ausnahmeregelung des § 86 Abs 4 Satz 2 ASVG Voraussetzung ist, dass dem Versicherten zum Zeitpunkt der späteren Antragstellung noch (im Sinn von: „noch immer“) ein Anspruch auf Versehrtenrente zusteht (RIS‑Justiz RS0118069 [T1]; 10 ObS 191/03s, SSV‑NF 17/100; Schramm in SV‑Komm [127. Lfg] § 86 ASVG Rz 18 [S 11]; Atria in Sonntag , ASVG 7 § 86 Rz 42).

2.2 Diese vom Berufungsgericht bei seiner Entscheidung beachtete Rechtsprechung wird vom Revisionswerber allein mit dem Argument in Frage gestellt, dass eine teleologische Reduktion des § 86 Abs 4 Satz 2 ASVG erforderlich sei. Grund dafür sei, dass dem Unfallversicherungsträger ein Fehlverhalten vorzuwerfen sei, weil er kein amtswegiges Verfahren zur Gewährung einer Versehrtenrente eingeleitet habe, obwohl der Versicherte aufgrund einer Unfallmeldung (hier: Bruch des 12. Brustwirbelkörpers) ganz offensichtlich anspruchsberechtigt sei.

2.3 Die Voraussetzungen für eine teleologische Reduktion liegen hier jedoch nicht vor. Die teleologische Reduktion ist vom Fehlen einer nach dem Zweck des Gesetzes notwendigen Ausnahme geprägt ( Schauer in ABGB‑ON 1.01 § 7 Rz 18): Der Wortlaut ist im Vergleich zum erkennbaren Zweck des Gesetzes überschießend (RIS‑Justiz RS0008979). Bei der teleologischen Reduktion ist besonders umsichtig vorzugehen, um sich nicht dem Vorwurf der Beliebigkeit auszusetzen ( Kodek in Rummel/Lukas 4 § 7 ABGB Rz 63). In diesem Sinn erfordert die teleologische Reduktion einer gesetzlichen Regelung den klaren Nachweis des Gesetzeszwecks, an dem sich die (letztlich den Gesetzeswortlaut korrigierende) Auslegung orientieren soll (10 ObS 158/15f; RIS‑Justiz RS0106113 [T3]).

2.4 Der vom Kläger angestrebten teleologischen Reduktion steht der eindeutige Gesetzeswortlaut des § 86 Abs 4 Satz 2 ASVG und die erklärte Absicht des Gesetzgebers entgegen. § 86 Abs 4 Satz 2 ASVG stellt nämlich selbst eine Ausnahme zu § 86 Abs 4 Satz 1 ASVG dar, wonach Leistungen aus der Unfallversicherung erst mit dem Tag der späteren Antragstellung anfallen, wenn nicht innerhalb von zwei Jahren nach dem Eintritt des Versicherungsfalls ein Antrag gestellt wurde oder eine amtswegige Feststellung erfolgt. Die Bestimmung des § 86 Abs 4 Satz 2 ASVG wurde mit der 50. ASVG‑Novelle, BGBl 1991/676, gerade auch zur Vermeidung jener vom Revisionswerber angesprochenen Härtefälle geschaffen, in denen trotz einer Unfallmeldung die Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung eines Anspruchs unterblieben ist (RV 284 BlgNR 18. GP 26; 10 ObS 191/03s, SSV‑NF 17/100; Schramm in SV‑Komm § 86 ASVG Rz 18 [S 11]).

Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision daher zurückzuweisen.

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