European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0010OB00216.16W.1123.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
Der Kläger wurde im Jahr 2009 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten verurteilt. Sein Strafregisterauszug vom 28. 1. 2014 wies insgesamt acht strafgerichtliche Verurteilungen auf. Noch vor Antritt der Strafhaft stellte er am 23. 12. 2011 einen Antrag auf Vollzug der Strafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests. Dieser Antrag wurde – im Instanzenzug bestätigt (VwGH 2012/01/0155) – abgewiesen, weil aufgrund der einschlägigen Vorstrafen des Klägers von einer besonders hohen Missbrauchsgefahr ausgegangen werden müsse.
Am 19. 12. 2013 stellte der Kläger – immer noch vor Strafantritt – einen neuerlichen Antrag auf elektronisch überwachten Hausarrest an den Leiter einer bestimmten Justizanstalt. Dieser teilte dem Landesgericht für Strafsachen Wien mit Schreiben vom 24. 12. 2013 mit, dass der Antrag infolge Ablehnung des vorangegangenen Antrags als offenbar aussichtslos zu betrachten sei, weshalb die Anordnung des Strafvollzugs nicht zu hemmen sei. Der Kläger wurde daraufhin zum Strafantritt aufgefordert und trat seine Strafhaft am 27. 1. 2014 in der Justizanstalt an. Dort wurde ihm die Ablehnung seines Antrags vom 19. 12. 2013 mündlich zur Kenntnis gebracht. Er unterfertigte ein Protokoll, nach dessen Wortlaut ihm auch die Ablehnungsgründe („zahlreiche, teils einschlägige Vorstrafen; Risikoprognose“) zur Kenntnis gebracht wurden. Unterhalb seiner Unterschrift findet sich ein handschriftlicher Vermerk, wonach er angegeben habe, kein Rechtsmittel in Anspruch zu nehmen.
Da er eine schriftliche Erledigung seines Antrags erwartete, erhob der Kläger am 9. 2. 2014 eine Beschwerde im Rahmen des Strafvollzugs, in der er seinen Antrag vom 19. 12. 2013 in Erinnerung rief und darauf hinwies, dass die Voraussetzungen für den elektronisch überwachten Hausarrest seines Erachtens nunmehr vorliegen würden, es jedoch bisher keine Erhebungen dazu gegeben habe.
Mit Beschluss vom 27. 5. 2014 trug das Landesgericht für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht in Stattgebung der Beschwerde des Klägers dem zuständigen Anstaltsleiter auf, über den Antrag auf elektronisch überwachten Hausarrest neuerlich zu entscheiden, weil eine eingehende Begründung der Ablehnung fehle.
Nachdem dem Kläger in der Justizanstalt nachweislich die Ablehnung seines Antrags auf elektronisch überwachten Hausarrest mit den Ablehnungsgründen („zahlreiche, teils einschlägige, Vorstrafen; Risikoprognose“) zur Kenntnis gebracht worden war, erhob er neuerlich eine Beschwerde. Das Landesgericht für Strafsachen Wien wies als Vollzugsgericht mit Beschluss vom 27. 11. 2014 die neuerliche Beschwerde des Klägers mangels Beschwer ab, weil er in der Zwischenzeit bedingt entlassen worden sei.
Der Kläger begehrt aus dem Titel der Amtshaftung die Zahlung von 91.348,70 EUR sA an Verdienstentgang sowie die Feststellung, dass ihm die Beklagte für sämtliche künftigen und/oder derzeit nicht bekannten und/oder nicht bezifferbaren Schäden aus Verdienstentgang infolge Nichtbewilligung von elektronisch überwachtem Hausarrest im Zeitraum seiner Inhaftierung hafte.
Das Berufungsgericht wies – anders als das Erstgericht, das mit Zwischenurteil dem Klagebegehren dem Grunde nach stattgegeben hatte – das Klagebegehren zur Gänze ab und ließ die ordentliche Revision nicht zu. Der vom Kläger begehrte Verdienstentgang sei nicht primär durch die Verletzung von Verfahrensvorschriften (Durchführung eines sorgfältigen Ermittlungsverfahrens und Entscheidung mittels schriftlich begründetem Bescheid) verursacht worden. Hauptursache für den behaupteten Verdienstentgang sei seine Inhaftierung gewesen, die darauf zurückzuführen sei, dass der zuständige Anstaltsleiter seinen Antrag auf elektronisch überwachten Hausarrest für offenkundig aussichtslos gehalten und daher eine vorläufige Hemmung des Strafvollzugs bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag gemäß § 156d Abs 4 StVG abgelehnt habe. Für diese Entscheidung, die nach dem Wortlaut des Gesetzes keine förmliche Bescheiderlassung erfordere, seien keine besonderen Begründungserfordernisse aufgestellt. Die Vorgangsweise des Anstaltsleiters, das Vollzugsgericht mit Schreiben vom 24. 12. 2013 über die Antragstellung des Klägers zu informieren und gleichzeitig mitzuteilen, dass der Antrag im Hinblick auf die Ablehnung des vorhergegangenen Antrags als offenbar aussichtslos betrachtet werde, weshalb die Anordnung des Strafvollzugs nicht zu hemmen sei, erscheine jedenfalls vertretbar. Vertretbar sei aber auch die inhaltliche Beurteilung des Antrags als offenbar aussichtslos, sei doch kurz zuvor ein gleichlautender Antrag des Klägers aufgrund einer dort eingehend begründeten negativen Missbrauchsprognose in allen drei Instanzen abgelehnt worden. Dass sich seitdem die Verhältnisse geändert hätten, habe der Kläger nicht konkret behauptet. Er habe auch keine konkreten Gründe genannt, warum seinem Antrag vom 19. 12. 2013 von vornherein hätte stattgegeben werden müssen; er argumentiere lediglich damit, dass ihm ein halbes Jahr später die bedingte Entlassung bewilligt worden sei. Aus dem Umstand, dass er mangels ordnungsgemäßer Entscheidung über seinen Antrag zunächst gehindert gewesen sei, ein Rechtsmittel gegen dessen Ablehnung zu erheben, lasse sich der Amtshaftungsanspruch nicht ableiten. Weder sei behauptet noch bewiesen worden, dass ein solches Rechtsmittel Erfolg gehabt hätte, noch dass der Kläger diesfalls schon vor dem 7. 7. 2014 aus der Strafhaft entlassen worden wäre; demnach fehle es an dem von ihm zu erbringenden Kausalitätsnachweis.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, die keine Rechtsfragen von der Erheblichkeit des § 502 Abs 1 ZPO geltend macht.
1. Die behaupteten Revisionsgründe der Aktenwidrigkeit des Berufungsurteils sowie der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
2. Gemäß § 1 Abs 1 AHG haftet unter anderem der Bund nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts für den Schaden am Vermögen oder an der Person, den die als seine Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben. Amtshaftung für ein rechtswidriges Verhalten eines Organs tritt daher grundsätzlich nur ein, wenn es auch schuldhaft ist.
3. Eine bei pflichtgemäßer Überlegung aller Umstände vertretbare Rechtsanwendung mag zwar rechtswidrig sein, begründet aber kein Verschulden (RIS‑Justiz RS0050216). Dementsprechend kann in der Regel nur ein Abweichen von einer klaren Gesetzeslage oder ständigen Rechtsprechung, das unvertretbar ist und keine sorgfältige Überlegung erkennen lässt, einen Amtshaftungsanspruch zur Folge haben (RIS‑Justiz RS0049912; RS0049955 [T8]). Die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung als Verschuldenselement ist ganz von den Umständen des Einzelfalls abhängig und entzieht sich deshalb regelmäßig einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0049955 [T10]; RS0110837).
4.1. Nach § 156c Abs 1 Z 4 StVG ist der Vollzug einer Freiheitsstrafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests (kurz: eüH; auch „Fußfessel“) auf Antrag zu bewilligen, wenn unter anderem nach Prüfung der Wohnverhältnisse, des sozialen Umfelds und allfälliger Risikofaktoren sowie bei Einhaltung der Bedingungen (§ 156b Abs 2) anzunehmen ist, dass der Rechtsbrecher diese Vollzugsform nicht missbrauchen wird. Bereits begangene strafbare Handlungen stellen Risikofaktoren dar, die in die Beurteilung der Missbrauchsgefahr einzufließen haben. Darüber hinaus nennen die Gesetzesmaterialien (ErläutRV 772 BlgNR XXIV. GP 8) die Gefährlichkeit des Betroffenen, Art und Beweggrund der Anlasstat oder frühere Verurteilungen, den nunmehrigen Lebenswandel und die Chancen auf ein redliches Fortkommen nach der Haft als weitere Aspekte, die bei Beurteilung der Missbrauchsgefahr zu berücksichtigen sind. Auch die Wahrscheinlichkeit der Einhaltung der nach § 156b Abs 2 StVG auferlegten Bedingungen stellt einen Risikofaktor dar. Die Einschätzung, ob die Gefahr besteht, der Verurteilte werde die Vollzugsform des eüH missbrauchen, stellt eine Prognosebeurteilung dar, bei der vor dem Hintergrund der in den Gesetzesmaterialien genannten Aspekte auf die Wohnverhältnisse, das soziale Umfeld und allfällige Risikofaktoren abzustellen ist. Bei der Erstellung dieser Prognose besteht für die Strafvollzugsbehörden ein Beurteilungsspielraum, wobei die Entscheidung anhand der dargestellten Kriterien zu begründen ist (VwGH 2011/01/0243; Drexler, StVG3 156c Rz 8; Zagler, Strafvollzugsrecht2, 125 f jeweils mwN; vgl OLG Wien 33 Bs 39/14y = RIS‑Justiz RW0000766; VfGH G 93/2013 = VfSlg 19.862 [Pkt 2.3.3.]).
4.2. Nach § 156d Abs 4 Satz 1 StVG ist, wenn über den Antrag nicht innerhalb der Frist des § 3 Abs 2 StVG (einen Monat nach Zustellung der Aufforderung zum Strafantritt) entschieden werden kann, die Anordnung des Strafvollzugs bis zur rechtskräftigen Entscheidung vorläufig zu hemmen, wenn der Antrag nicht offenbar aussichtslos ist.
Die Beurteilung, ob ein Antrag offenbar aussichtslos ist oder nicht, liegt im Ermessen des Anstaltsleiters. Bei der Ermessensausübung fällt dem zur Ausübung berufenen Organ nur dann ein einen Amtshaftungsanspruch rechtfertigendes Verschulden zur Last, wenn es entweder das Ermessen missbrauchte, also zwar formell im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens verblieb, aber tragende Grundsätze der Rechtsordnung außer Acht ließ, oder aber den Ermessensspielraum überschritt (RIS‑Justiz RS0049974).
5. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Vorgangsweise des Anstaltsleiters, der nach Einlangen des neuerlichen Antrags auf eüH das Vollzugsgericht darüber verständigte, dass dieser Antrag im Hinblick auf die Ablehnung des vorangegangenen Antrags als offenbar aussichtslos (im Sinn des § 156d Abs 4 StVG) anzusehen sei, weshalb er die Anordnung des Strafvollzugs nicht hemme, vertretbar sei, ist nicht zu beanstanden. Der Leiter der Justizanstalt stützte sich darauf, dass kurz zuvor der gleichlautende Antrag des Klägers aufgrund einer dort begründeten negativen Missbrauchsprognose in allen Instanzen abgelehnt worden war, und der Kläger stellte bei der neuerlichen Antragstellung keine konkrete Behauptung auf, dass sich die Verhältnisse seither geändert hätten. Da für die Beurteilung eines Antrags als offenbar aussichtslos keine letztinstanzliche Rechtsprechung (vormals des VwGH, nunmehr gemäß § 16a Abs 1 StVG des Oberlandesgerichts Wien) veröffentlicht ist, ist die Einschätzung des Anstaltsleiters zumindest vertretbar.
6. Der Amtshaftungskläger hat nicht bloß die Rechtsverletzung durch das Organ zu behaupten und zu beweisen, sondern auch, dass ihm der geltend gemachte Schaden ohne diese Rechtsverletzung nicht erwachsen wäre (RIS‑Justiz RS0022469). Den Geschädigten trifft auch im Amtshaftungsverfahren grundsätzlich die Beweislast für den Kausalzusammenhang zwischen dem haftungsbegründenden Ereignis und dem eingetretenen Schaden (RIS‑Justiz RS0022469 [T2]).
Der Kläger hat keine konkreten Gründe genannt, warum seinem Antrag vom 19. 12. 2013 im Gegensatz zu jenem vom 23. 12. 2011 stattgegeben hätte werden müssen. Seiner Darlegung, dass er im zweiten Antrag „Wohlverhalten/Löschung von Strafregistereintragung“ angeführt habe, ist entgegenzuhalten, dass im Strafregisterauszug von Ende Jänner 2014 acht strafgerichtliche Verurteilungen aufschienen und – selbst im Fall einer allfälligen Tilgung – die Berücksichtigung getilgter Strafen nach dem Willen des Gesetzgebers bei Entscheidungen über den elektronisch überwachten Hausarrest zulässig ist (ErläutRV 2357 BlgNR XXIV. GP 22 [zum VAJu]). Der Umstand, dass der Kläger am 7. 7. 2014 bedingt entlassen wurde (vgl §§ 46 ff StGB), rechtfertigt infolge anderer Kriterien nicht den Schluss, dass auch sein neuerlicher Antrag auf eüH erfolgreich gewesen wäre (vgl nur die Kriterien des § 156c Abs 1 StVG). Dass eine allfällige raschere Beschwerdemöglichkeit des Klägers, die durch die mangelhafte Bescheiderlassung des Anstaltsleiters nicht möglich war, zu seiner früheren Entlassung aus der Strafhaft geführt hätte, steht – entgegen seinen Darlegungen – nicht fest.
7. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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