OGH 1Ob186/16h

OGH1Ob186/16h23.11.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C***** S*****, Deutschland, vertreten durch die Dr. Paul Kreuzberger, Mag. Markus Stranimaier & Mag. Manuel Vogler – Rechtsanwälte & Strafverteidiger OG, Bischofshofen, gegen die beklagten Parteien 1. W***** K***** und 2. H***** W*****, vertreten durch Dr. Raimund Danner, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 18.383,81 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 11. August 2016, GZ 4 R 107/16g‑45, mit dem das Teilzwischenurteil des Landesgerichts Salzburg vom 8. Juni 2016, GZ 5 Cg 125/14z‑41, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0010OB00186.16H.1123.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 1.379,02 EUR (darin 229,84 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

B e g r ü n d u n g :

Die Klägerin, eine Anfängerin, buchte in der Schischule des Zweitbeklagten Privatunterricht, den der Erstbeklagte erteilte. Sie fuhr in Schneepflugtechnik sehr langsam auf den rechten Pistenrand zu. Der Erstbeklagte, der nur etwa eine Armlänge von ihr entfernt war, bemerkte aus dem Augenwinkel, dass im Nahbereich ein Schifahrer mit großen Tempo von oben kommend auf die beiden zufuhr. Da er annahm, dass es zu einem Zusammenstoß mit der Klägerin kommen werde, wenn sie weiter in Richtung des Pistenrandes fährt, versetzte er ihr einen Stoß, durch den sie umfiel. Aufgrund seiner rasch durchgeführten Aktion kam auch der Erstbeklagte (ungewollt) zu Sturz und fiel auf die Klägerin, die dabei Bänderverletzungen im Knie erlitt. Der andere Schifahrer fuhr schließlich nach einer nicht feststellbaren Zeitspanne in einem Abstand von 50 bis 75 cm an den beiden vorbei. Es kann weder festgestellt werden, wie weit er bei Erkennbarkeit als potentielle Gefahrenquelle von der Klägerin entfernt war, noch welche Geschwindigkeit und Fahrlinie er eingehalten hat.

Die Klägerin begehrt von den Beklagten zur ungeteilten Hand die Zahlung von noch 18.383,81 EUR samt Zinsen sowie die Feststellung ihrer Haftung für zukünftige auf den Unfall zurückzuführende Schäden. Der Erstbeklagte habe sie zu Sturz gebracht und so ihre Verletzungen verursacht. Für dessen Fehlverhalten habe auch der Zweitbeklagte einzustehen. Sie könne zur genauen Unfallursache nichts sagen, da sie sich auf ihre eigene Fahrt konzentriert habe. Der Erstbeklagte habe sich jedenfalls mehrfach für sein Missgeschick entschuldigt und habe sein Verschulden nicht abgestritten. Am Tag nach dem Unfall habe er sich damit gerechtfertigt, dass er von einem anderen Schifahrer erschreckt worden und deshalb in sie hineingefahren sei. Auch gegenüber dem Zweitbeklagten habe der Erstbeklagte seinen Fehler zugegeben und sei dafür von diesem beschimpft worden.

Die Beklagten wandten im Wesentlichen ein, der Unfall sei von einem unbekannten, zu schnell und knapp kreuzenden, Schifahrer verursacht worden, der auf Kollisionskurs gewesen sei, sodass für den Erstbeklagten eine Ausweichbewegung notwendig gewesen sei, um einen folgenschweren Zusammenstoß zu vermeiden. Dabei sei er unglücklicherweise auf die schon gestürzte Klägerin gefallen. Dem Erstbeklagten sei kein Verschulden vorzuwerfen. Später berichtigten die Beklagten ihr Vorbringen dahin, dass der Erstbeklagte zur Vermeidung einer Kollision reagieren habe müssen. Die Klägerin sei durch das „händisch notwendige Stoppen seitens des Erstbeklagten“ umgefallen und dieser in der Folge durch das ebenfalls notwendige reflexartige Ausweichen auf diese gestürzt. Die reflexartige Reaktion des Erstbeklagten habe eine Kollision gerade noch vermieden.

Das Erstgericht sprach mit Teilzwischenurteil aus, dass das Leistungsbegehren dem Grund nach zu Recht bestehe. Der Erstbeklagte behaupte den Rechtfertigungsgrund der Nothilfe und sei damit für das Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen für diesen beweispflichtig. Er habe jedoch nicht beweisen können, dass die „Notwehrhandlung“ aus einer Ex‑ante‑Betrachtung auch unter objektiven Kriterien notwendig gewesen wäre. Der Zweitbeklagte habe aufgrund seines Vertragsverhältnisses mit der Klägerin für den Erstbeklagten als seinen Erfüllungsgehilfen zu haften. Entgegen § 1298 ABGB sei er seiner Beweispflicht für das fehlende Verschulden nicht nachgekommen. Die Negativfeststellungen hinsichtlich der Vermeidbarkeit des Unfalls gingen zu seinen Lasten. Er habe nicht nachweisen können, dass der Erstbeklagte auf die subjektiv wahrgenommene Gefahr richtig reagiert hat. Insbesondere stehe nicht fest, ob es bei Untätigbleiben des Erstbeklagten überhaupt zu einer Kollision gekommen wäre.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die Revision letztlich für zulässig. Als Ausnahmetatbestände müssten Rechtfertigungsgründe vom Schädiger behauptet und bewiesen werden, was im vorliegenden Fall nicht gelungen sei. Der Erstbeklagte hätte nach dem festgestellten Sachverhalt nicht so reagieren dürfen, wie er es getan hat. Es stehe nicht einmal fest, ob es überhaupt zu einer Kollision zwischen der Klägerin und dem anderen Schifahrer gekommen wäre, wäre der Erstbeklagte untätig geblieben. Er habe daher schon deshalb rechtswidrig gehandelt, weil er durch das Versetzen eines Stoßes in die körperliche Unversehrtheit und damit in ein absolut geschütztes Rechtsgut der Klägerin eingegriffen habe. Dem Zweitbeklagten sei das rechtswidrige Verhalten seines Gehilfen zuzurechnen. Die in § 3 StGB geregelten Merkmale der Notwehr bzw Nothilfe seien auch für die zivilrechtliche Beurteilung entscheidend. Nothilfe sei schon deshalb ausgeschlossen, weil der Erstbeklagte nicht gegen den von oben kommenden Schifahrer, sondern gegen die Klägerin vorgegangen ist. Allenfalls käme der Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung in die Verletzung in Betracht, die unter den allgemeinen Voraussetzungen der Geschäftsführung ohne Auftrag zur Rechtmäßigkeit des Rechtsgutseingriffs führen könne. Abgesehen davon, dass die Beklagten eine solche mutmaßliche Einwilligung gar nicht behauptet hätten, setze auch die Rechtfertigung durch die Geschäftsführung ohne Auftrag im Notfall unter anderem einen unmittelbar drohenden Schaden voraus, welcher durch eine notwendige und zweckmäßige Handlung des Geschäftsführers abgewehrt wird. Hier habe aber nicht festgestellt werden können, ob es bei einem Untätigbleiben überhaupt zu einer Kollision gekommen wäre und ob die Handlung des Erstbeklagten zur Vermeidung eines Zusammenstoßes objektiv notwendig gewesen ist. Dies gehe zu Lasten der Beklagten, die das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes zu beweisen hätten. Ein schuldhaftes Verhalten des Erstbeklagten liege schon deshalb vor, weil er die Klägerin vorsätzlich umgestoßen habe. Dieses Umstoßen sei ihm als einleitendes Verschulden vorzuwerfen, das letztlich die Verletzungen verursachte. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Beklagten das Fehlen höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage der Zulässigkeit eines Eingriffs in Rechtsgüter des Angegriffenen im Rahmen der Nothilfe aufgezeigt hätten.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, weil darin keine für das Prozessergebnis erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO erörtert wird.

Wie die Vorinstanzen zutreffend dargelegt haben, sind die Verletzungen der Klägerin dadurch verursacht worden, dass der Erstbeklagte sie (vorsätzlich) umgestoßen hat und auf sie gefallen ist. Durch sein Verhalten hat er also in ein absolut geschütztes Recht eingegriffen, was grundsätzlich verboten ist (RIS‑Justiz RS0022946; vgl auch RS0022917 [T3, T18], RS0022939 [T2]). Entgegen der Auffassung der Revisionswerber ist ihnen der Nachweis eines Rechtfertigungsgrundes – sie sprechen weiterhin (nur) von einer Notwehr‑ bzw Nothilfelage, ohne auf die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Geschäftsführung ohne Auftrag im Notfall einzugehen – nicht gelungen. Nach den maßgeblichen Feststellungen hat der Erstbeklagte zwar befürchtet, dass ein auf die Klägerin zufahrender Schifahrer mit dieser zusammenstoßen werde, doch konnte eben nicht festgestellt werden, dass diese Befürchtung objektiv begründet war. Vielmehr konnten nicht einmal die Geschwindigkeit und Fahrlinie sowie die Entfernung jenes Schifahrers von der Klägerin zum Zeitpunkt ihres Umstoßens festgestellt werden. Besteht angesichts dieser Negativfeststellungen nun sowohl die Möglichkeit, dass die Aktion des Erstbeklagten zweckmäßig – oder gar notwendig – war, um schlimmere Verletzungen der Klägerin zu verhindern, als auch jene, dass eine konkrete Gefahr nicht bestanden hat und der Schifahrer an ihr kollisionsfrei vorbeigefahren wäre, muss dies zu Lasten der für das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes beweispflichtigen Beklagten gehen. Warum diese annehmen, dass der Erstbeklagte „völlig zu Recht“ einen drohenden Zusammenstoß angenommen habe, ist auf der Basis der vom Erstgericht getroffenen (Negativ‑)Feststellungen nicht nachzuvollziehen, zumal sie selbst zugestehen, dieser habe in der gegebenen Situation die zukünftige Fahrlinie des von oben kommenden Schifahrers nicht vorhersehen können.

Besteht nun aber mit nicht unerheblicher Wahrscheinlichkeit auch die Möglichkeit, dass der Erstbeklagte die Situation falsch eingeschätzt hat und der sich nähernde Schifahrer in der Lage gewesen wäre, noch rechtzeitig anzuhalten bzw auszuweichen, ist es dem Erstbeklagten auch subjektiv als Verschulden vorzuwerfen, die Klägerin durch das Umstoßen – und den damit einhergehenden eigenen Sturz – in eine gefährliche Situation gebracht zu haben, die schließlich zu ihrer Verletzung führte. Allein die Kürze der für eine Reaktion zur Verfügung stehenden Zeit kann den Schädiger in einer solchen Situation nicht entlasten. Dass der Zweitbeklagte an sich für das Verschulden seines Gehilfen einzustehen hat, wird in der Revision nicht in Frage gestellt. Was für ihn mit dem Hinweis auf den Rechtssatz RIS‑Justiz RS0026338 zu gewinnen sein sollte, ist nicht erkennbar.

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO), zumal die Revisionswerber auf die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Geschäftsführung ohne Auftrag im Notfall nicht eingehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die mangelnde Zulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen, womit ihr Schriftsatz als zweckentsprechende Rechtsverfolgungsmaßnahme zu qualifizieren ist.

Stichworte