European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00114.16M.1011.000
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der Beschluss des Berufungsgerichts wird aufgehoben und in der Sache selbst erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens selbst zu tragen.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin begehrte mit Antrag vom 16. 6. 2014 bei der beklagten Partei die Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld anlässlich der Geburt ihres Sohnes J***** in der Bezugsvariante nach § 5c KBGG („Pauschalvariante 12+2“).
Tatsächlich beabsichtigte die Klägerin nicht, das Kinderbetreuungsgeld in der Leistungsart nach § 5c KBGG zu beantragen, sondern wollte das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens iSd § 24a KBGG („einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld“) beantragen. Sie kreuzte jedoch im Antragsformular irrtümlich die Variante „pauschales Kinderbetreuungsgeld, Variante 12+2“ an. Eine Mitteilung nach § 27 Abs 1 KBGG erhielt sie von der beklagten Partei nicht. Diese überwies an die Klägerin aber am 15. 9. 2014 das Kinderbetreuungsgeld in der Pauschalvariante 12+2 in Höhe von 300 EUR. Es folgten weitere Überweisungen am 9. 10. 2014 in Höhe von 990 EUR und am 7. 11. 2014 in Höhe von 1.023 EUR. Weitere Zahlungen wurden nicht geleistet. Auf ihren Irrtum wurde die Klägerin erst am 15. 10. 2014 aufmerksam, als ihr die von der beklagten Partei geleistete Auszahlung zu niedrig erschien. Nachdem sie mit einem Vertreter der beklagten Partei Rücksprache gehalten hatte, stellte sie noch am 15. 10. 2014 einen Antrag auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld in der Variante „12+2“.
Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 17. 10. 2014 mit der Begründung abgewiesen, dass gemäß § 26a KBGG die Wahl der Leistungsart bei der erstmaligen Antragstellung zu treffen sei und die 14‑tägige, ab erstmaliger Antragstellung (hier ab dem 16. 6. 2014) laufende Frist für eine einmal mögliche Änderung zum Zeitpunkt der Stellung des erneut (zwecks Änderung) gestellten Antrags vom 15. 10. 2014 bereits abgelaufen sei.
Mit der gegen diesen Bescheid gerichteten Klage begehrt die Klägerin die Gewährung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes. Sie brachte vor, sie habe keine Mitteilung gemäß § 27 Abs 1 KBGG erhalten, aus welcher der Beginn, das voraussichtliche Ende und die Höhe des Leistungsanspruchs aufgeschlüsselt hervorgehe. Daher sei das Verfahren hinsichtlich der ersten Antragstellung vom 16. 6. 2014 noch nicht abgeschlossen; dies auch aus dem weiteren Grund, dass es bisher nicht zu einer Gesamtauszahlung des Kinderbetreuungsgeldes in der Pauschalvariante 12+2 gekommen sei. Bei Erhalt einer Mitteilung nach § 27 Abs 1 KBGG wäre ihr der Irrtum sofort aufgefallen, sodass sie die Änderung auf das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld unverzüglich beantragen hätte können.
Die beklagte Partei bestritt und beantragte unter Hinweis auf die bereits im Bescheid vertretene Rechtsansicht die Klageabweisung.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Klägerin habe die Änderung ihres Antrags vom pauschalen Kinderbetreuungsgeld auf das einkommensbezogene Kinderbetreuungsgeld nicht innerhalb von 14 Tagen ab der Antragstellung eingebracht, weshalb ihr Änderungsantrag vom 15. 10. 2014 nicht zulässig sei. Antragsrückziehungen bzw -änderungen setzen die Anhängigkeit des Verwaltungsverfahrens über den Antrag voraus. Nach ständiger Rechtsprechung werde das Verwaltungsverfahren durch die Setzung jener behördlichen Handlung abgeschlossen, auf die der Antrag abziele, sofern es sich um einen Antrag handle, über den nicht bescheidmäßig abzusprechen sei. Die Handlung, auf die der Antrag auf Kinderbetreuungsgeld abziele, sei die Auszahlung der beantragten Leistung. Da die beklagte Partei das Kinderbetreuungsgeld am 19. 5. 2014, 9. 10. 2014 und 7. 11. 2014 ausgezahlt habe, sei das diesbezügliche Verwaltungsverfahren zum Zeitpunkt der Stellung des Änderungsantrags bereits abgeschlossen gewesen.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und sprach aus, dass der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss zulässig sei, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage bestehe, ob im Fall der Unterlassung der gemäß § 27 Abs 1 KBGG auszustellenden Mitteilung bis zur gänzlichen Leistungsabwicklung die 14-tägige Änderungsfrist (§ 26a letzter Halbsatz KBGG) als noch nicht abgelaufen anzusehen und daher ein Änderungsantrag zulässig sei.
Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsansicht, § 26a KBGG sei in teleologischer Reduktion seines Wortlauts dahin zu verstehen, dass damit nur eine einmalige Antragstellung, die auch zu einer entsprechenden Erledigung nach § 27 KBGG und der damit verbundenen Festlegung einer bestimmten Leistungsart geführt habe, gemeint sei. Liege noch keine Erledigung im Sinn einer Mitteilung nach § 27 Abs 1 KBGG oder ein Bescheid nach § 27 Abs 3 KBGG vor, so könne der Antrag gemäß § 13 Abs 7 AVG iVm § 360b ASVG iVm § 25a KBGG wirksam zurückgezogen und gleichzeitig ein neuer, geänderter Antrag eingebracht werden. Da die Klägerin keine Mitteilung nach § 27 KBGG erhalten habe und es bisher nicht zu einer Gesamtauszahlung des Kinderbetreuungsgeldes in der Pauschalvariante 12+2 gekommen sei, sei ihr Antrag noch unerledigt. Die in § 26a KBGG letzter Halbsatz normierte 14‑tägige Änderungsfrist sei noch nicht abgelaufen, sodass eine Änderung des ursprünglichen Antrags in dem von der Klägerin nunmehr gewünschten Sinn (Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld in der Variante „einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld Variante 12+2“) am 15. 10. 2014 noch möglich gewesen sei. Da das Erstgericht keine Feststellungen zu den maßgeblichen Grundlagen für die Berechnung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes getroffen habe, sei zwecks abschließender Beurteilung der Rechtssache eine Verfahrensergänzung durch das Erstgericht nötig.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der beklagten Partei ist zulässig und im Sinn der Wiederherstellung des Ersturteils auch berechtigt.
Die Rekurswerberin macht zusammengefasst geltend, nach § 26a KBGG idF der Novelle BGBl I 2013/117 sei als Ausnahme von der grundsätzlichen Unzulässigkeit einer Änderung der verbindlich gewählten Leistungsart eine Korrektur der gewählten Variante nur innerhalb von 14 Tagen ab erstmaliger Antragstellung möglich. Für eine vom Berufungsgericht vorgenommene teleologische Reduktion des Begriffs „erstmalige Antragstellung“ bestehe nach der Novelle BGBl I 2013/117 kein Raum. Die in den Begutachtungs-Stellungnahmen zu den letzten Gesetzesentwürfen geforderte Anknüpfung der Änderungsfrist an die Mitteilung nach § 27 KBGG sei vom Gesetzgeber bewusst nicht in das Gesetz übernommen worden. Im Übrigen sei eine Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes ohne Ausstellung einer Mitteilung nach § 27 Abs 1 KBGG technisch aufgrund der EDV‑Programme nicht möglich.
Dazu ist auszuführen:
1. Für Verfahren vor den Versicherungsträgern in Leistungssachen (§ 354 ASVG) gilt nach § 360b Abs 1 ASVG unter anderem die im 3. Abschnitt des AVG („Verkehr zwischen Behörden und Beteiligten“) enthaltene Bestimmung des § 13 AVG über „Anbringen“. Die prozessuale Zulässigkeit der Änderung verfahrenseinleitender Anbringen ist in § 13 Abs 7 und Abs 8 AVG geregelt. Nach § 13 Abs 7 AVG können Anbringen in jeder Lage des Verfahrens zurückgezogen werden; verfahrenseinleitende Anträge können nach § 13 Abs 8 AVG in jeder Lage des Verfahrens geändert werden, sofern durch die Antragsänderung die Sache ihrem Wesen nach nicht geändert und die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Behörde nicht berührt wird. Antragsrückziehungen bzw ‑änderungen setzen demnach die Anhängigkeit eines Verwaltungsverfahrens über den Antrag voraus. Eine Änderung gilt als Zurückziehung des ursprünglich gestellten Antrags unter gleichzeitiger Stellung eines neuen Antrags (VwGH 96/10/0186).
2. Für den Bereich des Kinderbetreuungsgeldes hat der Gesetzgeber mit § 26a KBGG (idF BGBl I 2009/116) eine Spezialbestimmung geschaffen, nach der die Wahl der Leistungsart bereits bei der erstmaligen Antragstellung zu treffen ist. Diese Entscheidung bindet neben dem antragstellenden Elternteil auch den anderen Elternteil; eine spätere Änderung dieser Entscheidung ist nicht möglich. Der Zweck dieser Bestimmung liegt darin, aus administrativen Gründen ein Hin- und Herwechseln zwischen verschiedenen Varianten, je nachdem wie es momentan für den Betroffenen günstig sei, hintanzuhalten (10 ObS 13/13d, SSV‑NF 27/13 mwN).
3. Da die Spezialregelung des § 26a KBGG in der Vergangenheit zu Härtefällen geführt hatte, wurde mit der KBGG‑Novelle BGBl I 2013/117 ab 1. 1. 2014 eine einmalige Änderungsmöglichkeit bei der Wahl der Kinderbetreuungsgeld-Varianten geschaffen, wenn der antragstellende Elternteil dem zuständigen Krankenversicherungsträger die Änderung binnen 14 Tagen ab der erstmaligen Antragstellung bekannt gibt. Nach den Gesetzesmaterialien haben die Eltern in Hinkunft ab dem Tag der erstmaligen Antragstellung, dh ab dem Tag, an dem das erste Antragsformular beim Krankenversicherungsträger eingelangt ist, 14 Kalendertage Zeit, die Wahl der Variante zu korrigieren. Die einmal mögliche Änderung der Wahl der Variante muss vom antragstellenden Elternteil schriftlich dem Krankenversicherungsträger bekannt gegeben werden. Durch die Einführung dieser Frist zur Variantenänderung kann die Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes frühestens nach Ablauf der 14 Tage ab dem Datum des Einlangens der schriftlichen Änderungsmeldung beim Krankenversicherungs-träger in die Wege geleitet werden (ErläutRV 2236 BlgNR 24. GP 2).
4.1 Die Entscheidung 10 ObS 13/13d, SSV‑NF 27/13 erging zu § 26a KBGG idF BGBl I 2009/116 (somit noch zur Rechtslage vor der KBGG‑Novelle BGBl I 2013/117) und befasst sich mit dem Verhältnis von § 13 Abs 7 bzw Abs 8 AVG zu § 26a KBGG. Die damalige Klägerin hatte ihren Irrtum in der Wahl der Leistungsart noch vor der Entscheidung des Krankenversicherungsträgers und vor Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes erkannt, ihren Antrag rechtzeitig vor der Entscheidung des Krankenversicherungsträgers zurückgezogen und anschließend den geänderten Antrag gestellt. Diesen Fall sah der erkennende Senat als nicht vom Sinn und Zweck des § 26a KBGG erfasst an, weshalb er im Wege einer teleologischen Reduktion dieser Bestimmung zum Ergebnis gelangte, dass in § 26a KBGG nur eine erstmalige Antragstellung, die auch zu einer entsprechenden Bescheiderlassung und der damit verbundenen Festlegung einer bestimmten Leistungsart führe, gemeint sei. In den Entscheidungen 10 ObS 79/14m und 10 ObS 149/14f wurde diese Rechtsprechung fortgeschrieben und festgehalten, dass bei Antragsrückziehung und Neuantragstellung nach Ausstellung der in § 27 Abs 1 KBGG vorgesehenen Mitteilung über den Leistungsanspruch die geänderte Antragstellung nicht mehr als „erstmalige Antragstellung“ iSd § 26a KBGG anzusehen sei, sondern als unzulässiges Umschwenken auf ein vorteilhafteres Modell.
4.2 Diese – jeweils zur Rechtslage vor der KBGG-Novelle BGBl I 2013/117 ergangenen – Entscheidungen sind aber für den vorliegenden Fall nicht einschlägig, weil der Gesetzgeber im Zuge der Novellierung des § 26a KBGG durch das BGBl I 2013/117 seinen Regelungswillen dahingehend zu erkennen gegeben hat, dass für Antragstellungen ab 1. 1. 2014 als Ausnahme von der Spezialregelung des § 26a KBGG eine Variantenänderung ausschließlich innerhalb von 14 Tagen ab der erstmaligen Antragstellung möglich sein soll. Zudem hat die Klägerin ihren Antrag vom 16. 6. 2014 (aufgrund dessen es bereits zur Auszahlung von Kinderbetreuungsgeld in der Pauschalvariante gekommen war) nicht nach § 13 Abs 7 AVG zurückgezogen, sondern diesen ausdrücklich aufrecht erhalten und am 15. 10. 2014 einen „zweiten“ (geänderten) Antrag auf Zuerkennung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungs-geldes gestellt.
5.1 Entgegen der in der Rekursbeantwortung vertretenen Ansicht beginnt die 14‑tägige Frist für die einmalige Änderungsmöglichkeit nach dem eindeutigen Wortlaut des § 26a KBGG ab der erstmaligen Antragstellung und nicht ab Erhalt der Mitteilung nach § 27 Abs 1 KBGG über den voraussichtlichen Beginn, das Ende und die Höhe des Leistungsanspruchs zu laufen. Die Kritik, diese Ausnahmeregelung sei infolge Anknüpfung an die Antragstellung und nicht an den Erhalt der Mitteilung nach § 27 Abs 1 KBGG oder eines Bescheids unpraktikabel und verfehle in vielen Fällen ihr Ziel, wurde als eine rechtspolitische Forderung nach einer Erweiterung der Änderungsmöglichkeiten bezüglich der Wahl der Leistungsart iSd § 26a KBGG gesehen, die nur vom Gesetzgeber erfüllt werden könne (10 ObS 76/15x).
5.2 Demnach ist im vorliegenden Fall der Umstand, ob eine Mitteilung nach § 27 Abs 1 KBGG ausgestellt wurde und ob diese der Klägerin zugekommen ist, für die Zulässigkeit der Änderungsmöglichkeit nach § 26a KBGG und auch für den Beginn der Änderungsfrist nach § 26a KBGG nicht maßgeblich, ebenso wenig die Frage, ob nach dem AVG verfahrensrechtlich eine Antragsrückziehung bzw Antragsänderung (§ 13 Abs 7 und 8 AVG) bei zeitraumbezogenen Ansprüchen nach Beginn der Auszahlung überhaupt unzulässig ist oder dies nur auf den durch die tatsächliche Liquidierung bereits erledigten Teilzeitraum zutrifft (siehe VwGH 2006/12/0127).
6.1 Parteienerklärungen im Verfahren sind ausschließlich nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen. Bei einem eindeutigen Inhalt eines Anbringens ist eine davon abweichende, aber nicht andeutungsweise zum Ausdruck kommende Absicht des Einschreiters nicht maßgeblich (VwGH 92/13/0127). Die bloße Behauptung, man habe sich im Zuge der Antragstellung geirrt und in Wahrheit eine andere Leistungsart beantragen wollen, reicht demnach für eine Änderung der Bezugsvariante nicht aus, weil dies dem Regelungszweck des § 26a KBGG zuwiderlaufen und dieser Spezialbestimmung im Ergebnis weitgehend ihren Anwendungsbereich entziehen würde (10 ObS 76/15x).
6.2 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich die Klägerin mit ihrer Antragstellung für eine der Leistungsvarianten des Kinderbetreuungsgeldgesetzes entschieden hat und die nach Ablauf der 14-tägigen Änderungsfrist (§ 26a KBGG) erfolgte Antragsänderung unbeachtlich bleiben muss.
7. Ein Zuspruch von Verfahrenskosten nach § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG kommt nicht in Betracht, weil ein solcher ausnahmsweiser Kostenersatzanspruch nach Billigkeit zur Voraussetzung hat, dass sowohl tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens vorliegen als auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten einen Kostenersatz nahelegen. Umstände, die einen Kostenersatzanspruch rechtfertigen können, wurden aber weder geltend gemacht noch ergeben sie sich aus der Aktenlage (RIS‑Justiz RS0085829 [T1]).
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