OGH 3Ob138/16i

OGH3Ob138/16i22.9.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Mag. Alfred Hütteneder und Mag. Michaela Hütteneder-Estermann, Rechtsanwälte in Bad Hofgastein, wider die beklagten Parteien 1. Z***** AG, *****, und 2. Dr. J*****, beide vertreten durch Mag. Siegfried Berger und Mag. Harald Brandstätter, Rechtsanwälte in St. Johann im Pongau, wegen 5.650 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 6. April 2016, GZ 22 R 73/16p‑27, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau vom 7. Jänner 2016, GZ 1 C 94/15z-23, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0030OB00138.16I.0922.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 688,92 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 114,82 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Klägerin zeigt in ihrer Revision keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO auf, weshalb sie – ungeachtet des nicht bindenden nachträglichen Zulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) – als nicht zulässig zurückzuweisen ist. Das ist wie folgt kurz zu begründen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

1.  Der Frage, wie ein bestimmtes Vorbringen zu verstehen ist, kommt grundsätzlich keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (RIS-Justiz RS0042828 [T3]). Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe dem Zweitbeklagten in erster Instanz eine Verletzung der Aufklärungspflicht weder zur Wurzelbehandlung an sich noch zur verabreichten Lokalanästhesie zur Last gelegt, ist jedenfalls vertretbar. In Kenntnis der erstatteten Gutachten der beiden Sachverständigen machte sie nämlich nur geltend, der Zweitbeklagte habe sie „über das vermeidbare Risiko der Augenverletzung nicht aufgeklärt“.

2.1.  Bei Vorliegen sogenannter typischer Gefahren, welche geeignet sind, die Entscheidung der Patienten zu beeinflussen, ist die ärztliche Aufklärungspflicht verschärft (RIS-Justiz RS0026340 [T1, T10]; RS0026581 [T2]; vgl RS0026230). Die typischen Risiken müssen also in diesem Sinn erhebliche Risiken sein, ohne dass dabei nur auf die Häufigkeit der Verwirklichung des Risikos abzustellen wäre (RIS-Justiz RS0026581 [T6]). Ist nicht zu erwarten, dass die zusätzliche Information für die Entscheidungsfindung des Patienten von Relevanz sein kann, ist eine gesonderte Aufklärung darüber nicht zu fordern (so bereits 10 Ob 40/15b [zur Zahnbehandlung]).

2.2.  Die selbständige Rechtsfrage nach der Erheblichkeit des Risikos im soeben dargestellten Sinn hat das Erstgericht verneint, indem es ausführte, es sei nicht davon auszugehen, dass ein verständiger Patient von einer notwendigen Wurzelkanalbehandlung Abstand nehmen oder in diese nur unter Anwendung außergewöhnlicher Schutzmaßnahmen wie dem Auftragen einer Augensalbe einwilligen würde, wenn er über die abstrakte Möglichkeit eines „solchen“ [Anm: hier festgestellten] Kausalverlaufs aufgeklärt worden wäre. Dagegen trug die Berufung der Klägerin nichts vor, weil sie nur gegen die vom Erstgericht verneinte Typizität des verwirklichten Behandlungsrisikos argumentierte.

2.3.  Demgemäß ist die (auch) in der Revision in den Vordergrund gestellte Typizität des Augenverletzungsrisikos nicht (mehr) präjudiziell, weil die selbständige Rechtsfrage nach der Erheblichkeit eines solchen (sei es typischen oder atypischen) Behandlungsrisikos schon im Ersturteil – von der Berufung unbekämpft – verneint wurde; damit ist diese Rechtsfrage nämlich aus der ansonsten umfassenden Beurteilungspflicht des Obersten Gerichtshofs ausgeschieden und nicht mehr zu überprüfen (RIS-Justiz RS0043338 [T13, T17, T18]; jüngst 4 Ob 139/16v mwN). Abgesehen davon enthält auch die Revision gar keine Ausführungen dazu, weshalb die Erheblichkeit des Risikos einer Augenverletzung zu bejahen gewesen wäre.

3.1.  Das Erstgericht hat einen Behandlungsfehler durch Unterlassen einer Schutzmaßnahme verneint, weil im deutschsprachigen Raum weder eine verbindliche Norm noch eine anerkannte Richtlinie das Anbringen von speziellen Augenschutzvorrichtungen bei einer (Zahn‑)Wurzelkanalbehandlung nahelege. Der Zweitbeklagte habe daher bei der Behandlung der Klägerin die von ihm geschuldete Sorgfalt walten lassen; ein höherer Sorgfaltsmaßstab könne auch von einem Sachverständigen gemäß § 1299 ABGB nicht erwartet werden.

3.2.  Die Rechtsrüge der Berufung gegen diese Verneinung eines Behandlungsfehlers ist nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sie – entgegen dem festgestellten Sachverhalt – unterstellte, dem Zweitbeklagten sei die Gefahr der austretenden Partikel bewusst gewesen (weshalb er der Klägerin ihre optische Brille abgenommen habe), und weil darin jede Auseinandersetzung mit der Argumentation des Erstgerichts fehlte. Vielmehr wurde im Wesentlichen nur auf die – ebenso an § 1299 ABGB zu messenden – Nebenpflichten aus dem Behandlungsvertrag verwiesen.

3.3.  Da eine in der Berufung nicht gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge in der Revision nicht mehr nachgeholt werden kann (RIS-Justiz RS0043573 [T49]), ist dem Obersten Gerichtshof eine Stellungnahme auch zu dieser Rechtsfrage verwehrt (jüngst 8 ObS 2/16a mwN).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO (RIS-Justiz RS0035979 [T16]).

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