OGH 25Os7/15i

OGH25Os7/15i5.9.2016

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 5. September 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Niederleitner und Mag. Dorn sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Jülg als Schriftführer in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung über die Berufung des Beschuldigten wegen Schuld und Strafe gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer für Kärnten vom 14. Jänner 2015, GZ D 19/14-29, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, des Vertreters des Kammeranwalts Mag. Juri und des Verteidigers Dr. Rami zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Berufung wegen Schuld wird das angefochtene Erkenntnis im Schuldspruch b) und im Strafausspruch aufgehoben und in diesem Umfang zu Recht erkannt:

***** wird von dem wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe eine Disziplinarsache gegen Dr. ***** nicht geheim gehalten, sondern dadurch ohne sachliche Notwendigkeit dem Gericht und der Öffentlichkeit geoffenbart, dass er durch seinen bevollmächtigten Vertreter eine Kopie seiner Disziplinaranzeige vom 17. Oktober 2013 gegen den genannten Rechtsanwalt im Verfahren AZ 29 Cg ***** des Landesgerichts Klagenfurt vorlegte und die Beischaffung des Disziplinarakts der Rechtsanwaltskammer für Kärnten über diese beantragte, gemäß § 38 Abs 1 erster Fall DSt freigesprochen.

Im Übrigen wird der Berufung wegen Schuld nicht Folge gegeben.

Hinsichtlich des verbleibenden Disziplinar‑ vergehens der Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt zu a) des erstinstanzlichen Erkenntnisses wird gemäß § 39 DSt von der Verhängung einer Disziplinarstrafe abgesehen.

Mit seiner Berufung wegen Strafe wird der Beschuldigte auf diese Entscheidung verwiesen.

Ihm fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde ***** des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt schuldig erkannt.

Danach hat er in Klagenfurt

a) am 5. November 2013 in einem persönlichen Streit mit Rechtsanwalt Dr. ***** aus der Berufsausübung zu AZ 29 Cg ***** des Landesgerichts Klagenfurt eine Klage eingebracht, ohne zuvor den Ausschuss der Rechtsanwaltskammer für Kärnten um Vermittlung anzurufen, und

b) eine Disziplinarsache gegen Rechtsanwalt Dr. ***** nicht geheim gehalten, sondern dadurch ohne sachliche Notwendigkeit dem Gericht und der Öffentlichkeit geoffenbart, dass er am 22. Jänner 2014 durch seinen bevollmächtigten Vertreter eine Kopie seiner Disziplinaranzeige vom 17. Oktober 2013 gegen den genannten Rechtsanwalt im Verfahren AZ 29 Cg ***** des Landesgerichts Klagenfurt vorlegte und die Beischaffung des Disziplinarakts der Rechtsanwaltskammer für Kärnten über diese beantragte.

Über den Beschuldigten wurde hiefür gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt eine Geldbuße von 1.000 Euro verhängt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich seine Berufung wegen Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen siehe RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) und Strafe.

Der Rechtsrüge (der Sache nach § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO) zum Schuldspruch b) kommt Berechtigung zu.

Gemäß § 21 der (mit Ablauf des 31. Dezember 2015 außer Kraft getretenen, aber auf Sachverhalte bis zu diesem Tag weiterhin anzuwendenden; § 59 Abs 2 und 3 RL‑BA 2015) Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs 1977 hat der Rechtsanwalt Disziplinarangelegenheiten geheim zu halten, sofern nicht eine sachliche Notwendigkeit deren Offenbarung rechtfertigt, wobei auch bereits die Disziplinaranzeige selbst zu den Disziplinarangelegenheiten gehört (RIS‑Justiz RS0101383).

Der Kläger im Zivilverfahren handelt zur Durchsetzung einer von ihm geltend gemachten zivilrechtlichen Forderung in Ausübung des Rechts, alle für seinen Standpunkt sprechenden sachlichen und rechtlichen Argumente vollständig vorzubringen. Dies ergibt sich bereits aus dem aus Art 6 Abs 1 MRK ableitbaren Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs und ist auch aus den in § 178 ZPO für die Parteien des Zivilverfahrens normierten Pflicht, „alle ... zur Begründung ihrer Anträge erforderlichen tatsächlichen Umstände der Wahrheit gemäß vollständig und bestimmt anzugeben“, ableitbar. Ihm steht daher jedes Vorbringen zu, das – ohne Anlegen eines strengen Maßstabs aus der Sicht eines verständigen Beobachters in Rolle der Prozesspartei – der Aufklärung der Sache dienlich und zur Durchsetzung seines Rechtsstandpunkts zweckmäßig sein kann, wobei von einer ex ante‑Betrachtung auszugehen und unmaßgeblich ist, ob sich das Vorbringen ex post tatsächlich als notwendig erweist (vgl 15 Os 85/07z zum Beklagten sowie zum Angeklagten).

Die sachliche Notwendigkeit der Offenbarung einer Disziplinarangelegenheit durch die Partei eines Zivilverfahrens (oder den Angeklagten im Strafverfahren) ist daher eher anzunehmen als in anderen, nicht von Art 6 Abs 1 MRK erfassten Fällen.

Sie ist bei der gegebenen Sachlage schon deshalb zu bejahen, weil die in der Disziplinaranzeige und der Klage erhobenen Vorwürfe gegen Dr. ***** nach den Feststellungen denselben Sachverhalt betrafen und es bei dieser Konstellation jedenfalls naheliegend ist, dass allenfalls vorliegenden Erhebungsergebnissen des Disziplinarverfahrens im Zivilverfahren Beweisrelevanz zukommen kann. Dass diese Erwartung gegenwärtig nicht zutraf, vermag daran nichts zu ändern.

Solcherart war die in Rede stehende Offenbarung im Sinn des § 21 RL‑BA gerechtfertigt, sodass der Schuldspruch b) aufzuheben und diesbezüglich mit Freispruch vorzugehen war.

Im Umfang der Bekämpfung des Schuldspruchs a) verfehlt die Berufung wegen Schuld jedoch ihr Ziel.

Der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider blieben die Feststellungen zur subjektiven Tatseite nicht unbegründet, sondern wurden auf die Stellungnahme des Beschuldigten vom 14. April 2014 gestützt (ES 5).

Entgegen der Rechtsrüge (Z 9 lit a) kann der Anwalt auch in eigener Sache – nämlich soweit ihn Verpflichtungen gegenüber den Standesbehörden treffen – eine Berufspflichtenverletzung begehen (RIS‑Justiz RS0056156). Die Verpflichtung zur Anrufung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer um Vermittlung nach § 20 RL‑BA 1977 begründet eine Berufspflicht, deren Verletzung daher tatbestandsmäßig nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt ist (vgl 29 Os 1/14k).

Dem weiteren Vorbringen (der Sache nach Z 9 lit b) zuwider liegen die Voraussetzungen mangelnder Strafwürdigkeit der Tat nach § 3 DSt ungeachtet dessen, dass dem Beschuldigten lediglich fahrlässiges Verhalten zur Last liegt, nicht vor. Ein Vorgehen nach § 3 DSt setzt ein – mit Blick auf den vom Disziplinarrat festgestellten Sorgfaltsverstoß (s insb ES 5) hier nicht gegebenes – im Vergleich zu Durchschnittsfällen der Deliktsverwirklichung deutlich abfallendes Gewicht der Pflichtverletzung voraus (RIS‑Justiz RS0056585) und scheidet daher schon aus diesem Grund aus. Im Übrigen würde die Anwendung des § 3 DSt auch voraussetzen, dass das Fehlverhalten keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hätte, wovon bei einem Vergleich mit einer Verpflichtung des Gegners zu 2.000 Euro Kostenersatz nicht die Rede sein könnte.

Es war jedoch vorliegend gemäß § 39 DSt von der Verhängung einer Disziplinarstrafe abzusehen, weil dem Beschuldigten lediglich ein fahrlässiges Fehlverhalten zur Last liegt, er unbescholten und geständig ist, und daher anzunehmen ist, dass ein Schuldspruch allein genügt, um ihn von weiteren Disziplinarvergehen abzuhalten.

Mit seiner Berufung wegen Strafe war der Beschuldigte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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