OGH 9ObA96/16g

OGH9ObA96/16g18.8.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeilter und Mag. Johann Schneller in der Rechtssache der klagenden Partei N***** M*****, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Innsbruck, *****, vertreten durch Dr. Markus Orgler und Dr. Josef Pfurtscheller, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 1.782,42 EUR brutto abzüglich 152,53 EUR netto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. April 2016, GZ 15 Ra 140/15y‑13, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 25. September 2015, GZ 48 Cga 47/15z‑8, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00096.16G.0818.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 377,50 EUR (darin 62,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

Das Dienstverhältnis der Klägerin zur Beklagten unterliegt den Bestimmungen des Innsbrucker Vertragsbedienstetengesetzes (I‑VBG). Die Klägerin war in der Zeit vom 11. 11. 2013 bis 3. 4. 2014 im Mutterschutz und gebar am 9. 1. 2014 ihr Kind. Sie erhielt für den genannten Zeitraum von der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (BVA) Wochengeld in Höhe von 8.637,12 EUR und von der Beklagten einen Ergänzungsbetrag nach § 52 I‑VBG in Höhe von 152,53 EUR netto ausbezahlt.

Die Klägerin begehrte zuletzt den Zuspruch von 1.782,42 EUR brutto abzüglich 152,53 EUR netto sA. Ihr stehe gemäß § 52 I‑VBG ein Ergänzungsbetrag auf die Höhe der „vollen Bezüge“ zu. Der volle Bezug für den Zeitraum von 144 Tagen betrage 10.440,55 EUR brutto. Unter Abzug des Wochengeldes und der von der Beklagten geleisteten Netto-Teilzahlung ergebe sich der Klagsbetrag.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte zusammengefasst ein, die Berechnung sei vom Nettobetrag vorzunehmen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Ausgehend von der Wortinterpretation, dem Bedeutungszusammenhang, der Gesetzessystematik sowie der objektiv‑teleologischen Interpretation (die jeweils nicht näher ausgeführt werden) sei unter „voller Bezug“ der Bruttobezug zu verstehen.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Es war zusammengefasst der Ansicht, dass unter dem in § 52 I‑VBG verwendeten Begriff der „vollen Bezüge“ die Nettobezüge bzw „damit ident die um die gesetzlichen Abzüge verminderten Bruttobezüge“ zu verstehen seien. Die Revision wurde mangels Rechtsprechung zur Auslegung dieser Bestimmung zugelassen.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Klägerin die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsstattgabe.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig , jedoch nicht berechtigt .

1.1.  Nach § 162 Abs 3 S 1 ASVG gebührt Wochengeld in Höhe des auf den Kalendertag entfallenden Teiles des durchschnittlichen in den letzten 13 Wochen (bei Versicherten, deren Arbeitsverdienst nach Kalendermonaten bemessen oder abgerechnet wird, in den letzten drei Kalendermonaten) vor dem Eintritt des Versicherungsfalls der Mutterschaft gebührenden Arbeitsverdienstes, vermindert um die gesetzlichen Abzüge; die auf diesen Zeitraum entfallenden Sonderzahlungen sind nach Maßgabe des Abs 4 zu berücksichtigen.

1.2. Das Wochengeld soll einen Ersatz für den im Zusammenhang mit der Entbindung stehenden Verlust des Arbeitsverdienstes darstellen. Der Gesetzgeber entschied sich dabei aber für das Durchschnittsprinzip, das vergangene Werte berücksichtigt, und nicht für das Ausfallsprinzip, das die in Zukunft voraussichtlich zu erwartende Entwicklung in Rechnung stellt. Er nimmt daher in Kauf, dass die Versicherte trotz des Wochengeldes einen Verdienstausfall erleiden kann (RIS‑Justiz RS0117195).

1.3. Hinsichtlich der Höhe des Wochengeldes ist für den vorliegenden Fall hervorzuheben, dass § 162 Abs 3 ASVG auf den „Arbeitsverdienst, vermindert um die gesetzlichen Abzüge“ abstellt. Daraus geht die gesetzgeberische Absicht hervor, das Wochengeld grundsätzlich mit der Höhe des Nettobetrags des Arbeitsverdienstes festzulegen. Festzuhalten ist weiter, dass das Wochengeld selbst als Barleistung des Sozialversicherungsträgers keiner weiteren Abgabenpflicht unterliegt (§ 49 Abs 1, 2, 57 Abs 1 ASVG; § 3 Abs 1 Z 4 lit a EStG).

2.1.  § 52 I‑VBG nimmt auf die Möglichkeit eines allfälligen mutterschutzbedingten Verdienstausfalls Bezug. Die Bestimmung lautet:

§ 52 Ansprüche bei Beschäftigungsverboten

Weiblichen Vertragsbediensteten gebühren für die Zeit, während der sie nach § 4 Abs 1 und 2 und § 7 Abs 1 des Tiroler Mutterschutzgesetzes 2005 oder nach § 3 Abs 1 bis 3 und § 5 Abs 1 des Mutterschutzgesetzes 1979 nicht beschäftigt werden dürfen, keine Bezüge, wenn die laufenden Barleistungen des Sozialversicherungsträgers für diese Zeit die Höhe der vollen Bezüge erreichen. Ist dies nicht der Fall, so gebührt ihnen eine Ergänzung auf die vollen Bezüge. Die Zeit, für die nach den genannten Vorschriften ein Beschäftigungsverbot besteht, gilt nicht als Dienstverhinderung nach § 51.

2.2  Die Bestimmung entspricht jener des § 24 Abs 8 VBG für vor dem 1. 1. 2011 begründete Vertragsbedienstetenverhältnisse (für seither begründete Dienstverhältnisse § 24b Abs 2 VBG). Nach dieser gebühren während des mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots ebenfalls keine Bezüge, „wenn die laufenden Barleistungen des Sozialversicherungsträgers für diese Zeit die Höhe der vollen Bezüge erreichen; ist dies nicht der Fall, so gebührt ihnen eine Ergänzung auf die vollen Bezüge“. Die Literatur geht dazu von einem Ergänzungsbetrag in Höhe der Differenz zwischen der laufenden Leistung des Krankenversicherungsträgers und dem fiktiven Bruttobezug aus dem Dienstverhältnis, vermindert um die gesetzlichen Abzüge, aus ( Drs in Mosler/Müller/Pfeil , Der SV‑Komm § 166 ASVG Rz 2 mwN).

2.3.  Eine ähnliche Bestimmung bestand bis 2002 in § 28 Abs 4 GehaltskassenG 1959, wonach Dienstnehmerinnen während des Beschäftigungsverbots für diese Zeit keine Bezüge erhielten, „wenn die laufenden Leistungen des Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung für diese Zeit, mit Ausnahme des Stillgeldes, die Höhe der vollen Bezüge, vermindert um die gesetzlichen Abzüge, erreichen; ist dies nicht der Fall, so erhalten sie eine Ergänzung auf die vollen Bezüge.“ Dazu wurde ausgesprochen, dass sich aus dem Wortlaut und Zweck der Bestimmung klar ergebe, dass eine Ergänzung auf die vollen Bezüge erst in Betracht kommt, wenn die laufenden Leistungen des Krankenversicherungsträgers die Höhe der vollen Nettobezüge nicht erreichen (RIS‑Justiz RS0111043 = 10 ObS 179/98s).

3.1.  Zur Auslegung des § 52 I‑VBG hat bereits das Berufungsgericht die für die Auslegung von Gesetzen maßgeblichen Interpretationsmethoden und die dazu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze umfänglich dargelegt, sodass zunächst darauf verwiesen wird.

3.2.  Daran anknüpfend ist für das Verständnis der „Höhe der vollen Bezüge“ aus dem bloßen Wortlaut der Bestimmung insofern nichts zu gewinnen, als damit der abgabenrechtliche Aspekt nicht angesprochen wird.

3.3.  Der objektive Zweck der Bestimmung liegt jedoch zweifellos darin, dass weibliche Vertragsbedienstete während des Beschäftigungsverbots keine Einbuße in der Höhe ihres Einkommens erleiden sollen (s RIS‑Justiz RS0082075 = 9 ObA 132/87 zu § 24 Abs 8 VBG). Der Betrag, der der Vertragsbediensteten insgesamt (also von der Sozialversicherung und vom Dienstgeber) zufließt, soll daher die „volle Bezugshöhe“ erreichen (idS auch Ziehensack , VBG § 24 Rz 40). Dieser Zweck wird dann erfüllt, wenn das Wochengeld, das – wie dargelegt – selbst keiner weiteren Abgabenpflicht unterliegt und daher einen Nettobetrag darstellt, die Höhe der bisherigen Nettobezüge erreicht. Insofern verlangt die Vergleichbarkeit der Beträge im Ergebnis eine Nettobetrachtung. Erreicht das Wochengeld diese Höhe nicht, bedarf es daher des Ergänzungsbetrags in Höhe der Differenz zum Wochengeld auf eben jene Summe, um Einkommenseinbußen der Arbeitnehmerin zu vermeiden. Die Sichtweise der Klägerin könnte demgegenüber zur Folge haben, dass sie im Ergebnis besser als ohne den durch das Beschäftigungsverbot bedingten Entfall des Entgelts gestellt wäre, weil der Ergänzungsbetrag etwa von der Sozialversicherungspflicht ausgenommen sein kann (§ 49 Abs 3 Z 9 ASVG) und die Klägerin insoweit – anders als bei Bezug des regulären Bruttomonatslohns – dann abgabenfrei bliebe.

4.  Auch eine subjektiv-historische Sicht steht dem nicht entgegen: Nach der Absicht des Gesetzgebers soll das Dienstrecht der Vertragsbediensteten der Stadt Innsbruck im Wesentlichen mit jenem der Vertragsbediensteten des Landes Tirol ident sein (s Erläuternde Bemerkungen zum I‑VBG A.2.). § 52 Tiroler LandesbedienstetenG enthält eine der streitgegenständlichen Bestimmung wortgleiche Bestimmung („ Weiblichen Vertragsbediensteten gebühren …. keine Bezüge, wenn die laufenden Barleistungen des Sozialversicherungsträgers für diese Zeit die Höhe der vollen Bezüge erreichen. Ist dies nicht der Fall, so gebührt ihnen eine Ergänzung auf die vollen Bezüge. “). Die erläuternden Bemerkungen zu dieser Bestimmung halten fest, dass den Bediensteten für die Zeit des Beschäftigungsverbots grundsätzlich der volle Bezug unter Abrechnung der Barleistungen des Sozialversicherungsträgers gebührt. Wenn weiter ausgeführt wird, dass der Berechnung „der Bruttobezug zu Grunde zu legen“ ist, so widerspricht dies der am dargestellten objektiven Zweck vorgenommenen Auslegung von § 52 I‑VBG nicht, weil der Bruttobezug auch dann „der Berechnung zu Grunde“ gelegt wird, wenn daraus der Nettoauszahlungsbetrag errechnet wird, um ihn mit den Barleistungsansprüchen zu vergleichen.

5.  Einen Verstoß gegen Art 8, Art 11 Z 2 der Mutterschutz‑RL 92/85/EWG , wonach im Zeitraum des ununterbrochenen 14‑wöchigen Mutterschaftsurlaubs entweder die Fortzahlung des Arbeitsentgelts und/oder ein Anspruch auf angemessene Sozialleistung gewährleistet sein muss, behauptet die Klägerin nicht. Ein solcher ist auch nicht ersichtlich.

6. Hier ist unstrittig, dass die Beklagte mit der Leistung des Nettobetrags von 152,53 EUR die Differenz zwischen dem Wochengeld zum Nettoeinkommen der Klägerin geleistet hat. Der Klägerin steht daher kein weiterer Auszahlungsanspruch gegen die Beklagte mehr zu, ohne dass noch auf die Frage nach der Abgabenpflicht der Beklagten einzugehen wäre. Da sich der Klagsanspruch danach nicht als berechtigt erweist, ist der Revision der Klägerin ein Erfolg zu versagen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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