European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0120OS00082.16Z.0818.000
Spruch:
Im Verfahren AZ 2 U 16/15k des Bezirksgerichts Oberndorf verletzen
1./ die Unterlassung der Bekanntmachung des Strafantrags an die gesetzlichen Vertreter der Angeklagten Sandra S***** § 38 Abs 2 JGG;
2./ das Unterbleiben der Benachrichtigung der gesetzlichen Vertreter der Angeklagten Sandra S***** von der Hauptverhandlung am 18. Mai 2015 und am 23. Juni 2015 § 38 Abs 1 und 2 JGG;
3./ das Urteil des Bezirksgerichts Oberndorf vom 23. Juni 2015, GZ 2 U 16/15k‑19,
a./ im Sandra S***** betreffenden Strafausspruch § 5 Z 5 JGG,
b./ im ohne Anhörung der gesetzlichen Vertreter der Sandra S***** ergangenen Zuspruch an die Privatbeteiligte Sabine F***** §§ 245 Abs 1a, 369 Abs 1 StPO und § 38 Abs 1 JGG;
4./ die Unterlassung der Zustellung der Kostenbestimmungsanträge der Privatbeteiligten Andre F***** und Sabine F***** zur Äußerung
a. an Michael S***** und Sandra S***** in § 395 Abs 1 zweiter Satz StPO sowie
b./ an die gesetzlichen Vertreter der Sandra S***** in § 395 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 38 Abs 1 JGG.
Gemäß § 292 letzter Satz StPO werden
1./ das Urteil des Bezirksgerichts Oberndorf vom 23. Juni 2015, GZ 2 U 16/15k‑19, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch der Sandra S***** und demgemäß auch im Strafausspruch und im diese Angeklagte betreffenden Ausspruch über die Ansprüche der Privatbeteiligten Sabine F***** sowie
2./ der (Kostenbestimmungs-)Beschluss des Bezirksgerichts Oberndorf vom 16. Februar 2016, GZ 2 U 16/15k‑24, aufgehoben und dem Bezirksgericht Oberndorf in diesem Umfang
zu 1./ die neuerliche Verhandlung und Entscheidung und
zu 2./ die neuerliche Entscheidung nach Einräumung einer Äußerungsmöglichkeit für Michael S***** über den Antrag der Privatbeteiligten Sabine F***** aufgetragen.
Gründe:
Im Verfahren AZ 2 U 16/15k des Bezirksgerichts Oberndorf legte die Staatsanwaltschaft Salzburg der am 17. September 1999 geborenen – daher im Sinn des § 1 Z 2 JGG Jugendlichen – Sandra S***** und (dem Erwachsenen) Michael S***** je als das Vergehen des Betrugs nach § 146 StGB qualifiziertes Verhalten zur Last (ON 9).
Zu der für 18. Mai 2015 angeordneten Hauptverhandlung lud das Bezirksgericht Oberndorf zwar die Angeklagten, unterließ es jedoch, den Eltern als gesetzlichen Vertretern der Sandra S***** den Strafantrag bekanntzumachen und sie vom Hauptverhandlungstermin zu verständigen (ON 1 AS 3a).
Da Sandra S***** zu dieser Hauptverhandlung nicht erschien, vertagte das Bezirksgericht Oberndorf diese auf den 23. Juni 2015 (ON 11), wobei es wiederum den gesetzlichen Vertretern der Sandra S***** weder den Strafantrag bekanntmachte noch sie von der Hauptverhandlung benachrichtigte (ON 1 AS 3b).
Zur Hauptverhandlung am 23. Juni 2015 erschien die anwaltlich nicht vertretene Sandra S***** ohne ihre (nicht verständigten) gesetzlichen Vertreter und brachte vor, dass ihre „Mutter in der Arbeit unabkömmlich“ sei (ON 15 AS 3). Im Zuge der (dennoch entgegen § 39 Z 2 JGG ohne Beigebung eines Verteidigers) durchgeführten Hauptverhandlung anerkannten Sandra S*****, einen Teilbetrag in der Höhe von 270 Euro und Michael S***** einen Teilbetrag in der Höhe von 350 Euro (ON 15 AS 17).
Mit gekürzt ausgefertigtem, auch einen Freispruch der Sandra S***** enthaltenden Urteil des Bezirksgerichts Oberndorf vom (richtig:) 23. Juni 2015, GZ 2 U 16/15k‑19, wurden Sandra S***** und Michael S***** je des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB schuldig erkannt und nach der genannten Gesetzesstelle – Sandra S***** ohne Anwendung von § 5 Z 5 JGG – zu Geldstrafen sowie zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt.
Danach haben Sandra S***** und Michael S***** in S***** Ende August 2014 im einverständlichen Zusammenwirken (§ 12 StGB) jeweils mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Andre F***** durch Vortäuschung einer Erkrankung und dafür notwendiger kostenintensiver Behandlungen zur Ausfolgung von 800 Euro und Sandra S***** am 2. September 2014 alleine zur Ausfolgung von 445 Euro verleitet, wodurch Sabine F***** um diese Beträge am Vermögen geschädigt wurde.
Gemäß § 369 Abs 1 StPO wurden (jeweils ohne Setzung einer Leistungsfrist [vgl RIS-Justiz RS0126774]) Michael S***** zur Zahlung von 800 Euro und Sandra S***** zur Zahlung von 1.245 Euro je an die Privatbeteiligte Sabine F***** verurteilt. Gemäß § 366 Abs 1 StPO wurden Andre F***** mit seinen gesamten Ansprüchen und Sabine F***** mit ihren weiteren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen.
Am 10. Juli 2015 brachten die Privatbeteiligten inhaltlich idente Kostenbestimmungsanträge (ON 17 und ON 18) ein. Diese wurden weder den Verurteilten noch den gesetzlichen Vertretern der Sandra S***** zur Äußerung zugestellt. Das Bezirksgericht Oberndorf bestimmte mit Beschluss vom 16. Februar 2016 (ON 24) die Kosten der Privatbeteiligten Sabine F***** mit 1.269,07 Euro und jene für den Kostenbestimmungsantrag mit 153,85 Euro. Mit Beschluss vom selben Tag (ON 25) wies dieses Gericht den Kostenbestimmungsantrag des Privatbeteiligten Andre F***** ab.
Über die gegen den Beschluss ON 24 von der Privatbeteiligten Sabine F***** erhobene Beschwerde (ON 26) hat das Landesgericht Salzburg bislang nicht entschieden.
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur
Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, wurde im Verfahren AZ 2 U 16/15k des Bezirksgerichts Oberndorf das Gesetz in mehrfacher Hinsicht verletzt:
1./ Gemäß § 38 Abs 1 und Abs 2 JGG hat der gesetzliche Vertreter eines jugendlichen Angeklagten (unter anderem) das Recht, gehört und von der Anordnung einer mündlichen Verhandlung (mit dem Beifügen, dass seine Teilnahme empfohlen werde) benachrichtigt zu werden, soweit sein Aufenthalt bekannt und im Inland gelegen ist. In einem solchen Fall ist ihm auch der Strafantrag bekanntzumachen (Schroll in WK2 JGG § 38 Rz 30).
Trotz vorliegender Voraussetzungen hat das Bezirksgericht Oberndorf diesen Vorschriften nicht entsprochen (zur Aktenkundigkeit des inländischen Aufenthalts der Eltern der Angeklagten Sandra S***** siehe ON 2 AS 9, 13, 37 ).
2./ Soweit der jugendliche Beschuldigte oder Angeklagte das Recht hat, gehört zu werden (hier: gemäß § 31 JGG iVm § 447 StPO iVm § 245 Abs 1a StPO), steht diese Befugnis gemäß § 38 Abs 1 JGG in gleicher Weise auch dem gesetzlichen Vertreter zu (Schroll in WK2 JGG § 38 Rz 24).
Vorliegend wurde die (auch anwaltlich nicht vertretene) Sandra S***** gemäß § 369 Abs 1 StPO zur Zahlung von 1.245 Euro an die Privatbeteiligte Sabine F***** verpflichtet, ohne dass den Eltern der Angeklagten das ihnen (auch) in Hinsicht auf privatrechtliche Ansprüche zukommende Mitwirkungsrecht gemäß § 38 JGG eingeräumt worden wäre (vgl RIS‑Justiz RS0122004).
3./ Im angefochtenen (gemäß §§ 458 zweiter Satz, 271a Abs 3 StPO in gekürzter Form ausgefertigten) Urteil gelangten Jugendstraftaten der Sandra S***** im Sinn des § 1 Z 3 JGG zur Aburteilung, sodass bei der Strafbemessung § 5 JGG zum Tragen gekommen wäre. Zwar wurde bei der Strafbemessung das jugendliche Alter von Sandra S***** mildernd berücksichtigt, jedoch ergibt sich aus dem Urteil nicht, dass auch § 5 Z 5 JGG angewendet worden wäre. Durch die fehlende Berücksichtigung dieser Strafrahmenvorschrift hat das Gericht die Grenzen der gesetzlichen Strafbefugnis überschritten (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO). Dass die tatsächlich verhängte Geldstrafe auch bei Zugrundelegung der richtigen Strafdrohung zulässig gewesen wäre, ändert daran nichts (RIS‑Justiz RS0086949).
4./ Gemäß § 395 Abs 1 zweiter Satz StPO ist dem Gegner des Antragstellers vor Bemessung der Gebühren eines mit seinen Ansprüchen (zumindest zum Teil) durchgedrungenen Privatbeteiligten (Lendl, WK‑StPO § 393 Rz 22) Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Dieses Recht steht gemäß § 38 Abs 1 JGG auch dem gesetzlichen Vertreter eines Jugendlichen zu (siehe die Nachweise zu 2./).
Da die Kostenbestimmungsanträge der Privatbeteiligten Andre F***** und Sabine F***** (ON 17 und ON 18) weder den beiden Verurteilten noch den gesetzlichen Vertretern der Sandra S***** zugestellt wurden, wurde dadurch das Gesetz in § 395 Abs 1 zweiter Satz StPO, hinsichtlich der gesetzlichen Vertreter der Sandra S***** in Verbindung mit § 38 Abs 1 JGG, verletzt.
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die (zu 1./ bis 3./ und 4./ im Umfang des Kostenbestimmungsantrags der Sabine F*****) aufgezeigten Gesetzesverletzungen Sandra S***** und Michael S***** zum Nachteil gereichen, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, (insoweit) ihre Feststellung mit der im Spruch ersichtlichen konkreten Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO).
Die von der Kassation rechtslogisch abhängigen Anordnungen, Verfügungen und Beschlüsse gelten damit gleichermaßen als
beseitigt (RIS‑Justiz RS0100444).
Trotz fehlender Gelegenheit zur Äußerung der Sandra S***** und ihrer gesetzlichen Vertreter sowie des Michael S***** zum Kostenbestimmungsantrag des weiteren Privatbeteiligten Andre F***** (ON 17) sind aber den Verurteilten keine Nachteile erwachsen, weil der Kostenbestimmungsantrag des (mit seinen gesamten Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesenen) Andre F***** abgewiesen wurde (ON 25).
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