OGH 10Ob49/16b

OGH10Ob49/16b19.7.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, Dr. Schramm, die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj N*, geboren am *, vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung Bezirke 1, 4–9, 1060 Wien, Amerlingstraße 11), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 4. April 2016, GZ 45 R 127/16h‑27, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom 8. Jänner 2016, GZ 5 Pu 14/15b‑20, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:E115490

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die 2008 geborene mj N* lebt im Haushalt ihrer Mutter A*.

Mit dem am 3. 3. 2014 beim Bezirksgericht Josefstadt zur AZ 2 Fam 13/14a eingelangten Antrag begehrte die Minderjährige, vertreten durch den Kinder‑ und Jugendhilfeträger, die Feststellung der Vaterschaft des T* gemäß § 148 Abs 1 ABGB, in eventu gemäß § 148 Abs 2 ABGB. Dieser bestritt in einem beim Bezirksgericht Josefstadt am 4. 6. 2014 eingelangten Schreiben (ON 16) die Vaterschaft. Das im gerichtlichen Verfahren eingeholte Vaterschaftsgutachten ergab aber, dass T* mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,99999991 % der Vater der mj N* sei.

Am 7. 12. 2015 beantragte die Minderjährige, vertreten durch den Kinder‑ und Jugendhilfeträger, die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 4 Z 2 UVG mit dem Vorbringen, in dem seit 2014 abhängigen Abstammungsverfahren sei bis dato noch keine Entscheidung gefällt worden. Da bisher die Zustellung des Gutachtens an den in Schweden wohnhaften T* nicht gelungen sei, stehe das Verfahren seit geraumer Zeit still. Da auch in nächster Zeit nicht mit der Beendigung des Verfahrens gerechnet werden könne und die Gründe hiefür auf Seiten des Unterhaltsschuldners lägen, seien die Voraussetzungen für eine Vorschussgewährung nach § 4 Z 2 UVG erfüllt.

Das Erstgericht wies mit Beschluss vom 8. 1. 2016 den Antrag der Minderjährigen ab.

Es traf die Feststellung, dass zum Zeitpunkt der Beschlussfassung (dem 8. 1. 2016) im Abstammungsverfahren noch keine erstinstanzliche Entscheidung ergangen war. Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, die Voraussetzungen des § 4 Z 2 UVG lägen nicht vor, weil die Vaterschaft des von der Minderjährigen als Vater bezeichneten T* nicht feststehe. Allein der Umstand, dass im Abstammungsverfahren ein (positives) Gutachten vorliege, reiche für die Feststellung der Vaterschaft nicht aus.

Das Rekursgericht gab dem gegen diese Entscheidung gerichteten Rekurs der Minderjährigen nicht Folge. Es vertrat die Rechtsansicht, infolge expliziter Bestreitung der Vaterschaft mit Schreiben vom 4. 6. 2014 sei eine rechtswirksame Feststellung der Vaterschaft (etwa durch Entscheidung des Außerstreitgerichts im Abstammungs-verfahren oder auch durch Erklärung bei Gericht, dem Jugendwohlfahrtsträger, dem Standesbeamten, österreichischen Vertretungsbehörden im Ausland oder einem öffentlichen Notar) erforderlich. Ein bloßer Nachweis der Vaterschaft im Sinne des § 11 Abs 2 UVG genüge im Falle der Bestreitung der Vaterschaft nicht. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung habe noch keine rechtskräftige Vaterschaftsfeststellung vorgelegen, sodass die Voraussetzungen des § 4 Z 2 UVG nicht gegeben seien.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Als Begründung für diesen Ausspruch wird (lediglich) ausgeführt, dass die vom Rekursgericht gelöste Rechtsfrage nicht irrevisibel sei.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch – ist der Revisionsrekurs unzulässig.

1. Der Zweck des § 4 Z 2 UVG ist darin gelegen, dass der Staat mit seinen Leistungen nicht nur dann einspringen soll, wenn sich ein Unterhaltsschuldner im Zwangsvollstreckungsverfahren dem Zugriff auf sein Vermögen oder seine Einkünfte entzieht, sondern auch dann, wenn er durch sein Verhalten die Schaffung eines seinen Kräften entsprechenden Unterhaltstitels vereitelt (hat), obwohl er dem Grunde nach als Unterhaltsschuldner feststeht (RIS‑Justiz RS0122152).

2.1 Dass jemand als Unterhaltsschuldner dem Grunde nach feststeht, erfordert nach Rechtsprechung und Lehre nicht die rechtswirksame Feststellung der Vaterschaft, vielmehr wird der Tatbestand der Abstammung vorausgesetzt. Dieser Tatbestand kann gemäß § 11 Abs 2 UVG aus Pflegschaftsakten oder durch Urkunden etc bescheinigt werden. Eine rechtswirksame Feststellung der Vaterschaft (durch Erklärung vor Gericht, dem Kinder‑ und Jugendhilfeträger, dem Standesbeamten, einer österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland oder einem öffentlichen Notar) ist vom Unterhaltsvorschussgesetz als Voraussetzung für eine Bevorschussung somit grundsätzlich nicht gefordert (RIS‑Justiz RS0120318; 2 Ob 94/07y).

2.2 Nach ständiger Rechtsprechung ist die rechtswirksame Feststellung der Vaterschaft für eine Bevorschussung nach § 4 Z 2 UVG aber immer dann Voraussetzung, wenn die Vaterschaft bestritten oder sonst (völlig) ungewiss ist (RIS‑Justiz RS0120318 [T1]; vgl auch Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 4 UVG Rz 18).

3. Mit diesen Grundsätzen der Rechtsprechung steht die Entscheidung des Rekursgerichts in Einklang:

3.1 Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vorschussgewährung ist das Datum der Entscheidung erster Instanz (RIS‑Justiz RS0076052 [T5, T7]). Zu diesem Zeitpunkt war T* als potentieller Vater bekannt. Zu beurteilen war, ob zu diesem Zeitpunkt aufgrund der objektiven Aktenlage davon auszugehen war, dass er die Vaterschaft bestritten hat oder diese anerkannt hat und lediglich die Schaffung eines Unterhaltstitels verzögern oder vereiteln wollte. Diese Frage lässt sich jeweils nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilen und stellt keine über den besonderen Einzelfall hinausgehende Frage von grundsätzlicher Bedeutung dar (RIS‑Justiz RS0120318 [T2]).

3.2 Davon, dass T* im Abstammungsverfahren die Vaterschaft mit Schreiben vom 4. 6. 2014 bestritten hat, geht die Revisionsrekurswerberin in ihrem Rechtsmittel selbst aus. Die Ansicht des Rekursgerichts, diese Bestreitung lasse einen bloßen Nachweis der Vaterschaft im Sinne des § 11 Abs 2 UVG nicht mehr genügen, sondern erfordere deren rechtswirksame Feststellung, ist jedenfalls vertretbar. Ausgehend davon sind die Voraussetzungen für die Vorschussgewährung nach § 4 Z 2 UVG nicht erfüllt, weil zum maßgebenden Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz noch keine gerichtliche Entscheidung über die Feststellung der Vaterschaft ergangen war. Das Revisionsrekursvorbringen, nach Vorliegen des positiven Gutachtensergebnisses im Abstammungsverfahren sei die Bestreitung der Vaterschaft „unbeachtlich“ geworden, liefe auf eine selbständige Beurteilung der Vaterschaft (oder Nichtvaterschaft) als Vorfrage im Unterhaltsvorschuss-verfahren hinaus, die aber ausgeschlossen ist (RIS‑Justiz RS0130561).

4. Nach der Entscheidung erster Instanz vom 8. 1. 2016 im gegenständlichen Verfahren wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom 11. 2. 2016 T* als Vater der Minderjährigen festgestellt. Der Minderjährigen wurde daraufhin mit Beschluss des Erstgerichts vom 3. 6. 2016 Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 4 UVG für die Zeit vom 1. 5. 2016 bis 30. 4. 2021 gewährt.

Der Revisionsrekurs war daher mangels einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte