OGH 9ObA76/16s

OGH9ObA76/16s24.6.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn und Dr. Weixelbraun‑Mohr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz und Dr. Gerda Höhrhan‑Weiguni als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei D***** B*****, vertreten durch Gerlach Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen 3.984,24 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 1.341,77 EUR brutto sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. März 2016, GZ 10 Ra 111/15i‑22, mit dem das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 16. Juli 2015, GZ 13 Cga 118/13m‑18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00076.16S.0624.000

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 377,50 EUR (darin 62,92 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war bei der Beklagten seit Mai 1996 als Flugbegleiterin beschäftigt. Ihr Dienstverhältnis endete durch Arbeitnehmerkündigung zum 15. April 2012. Auf das Dienstverhältnis waren der „Kollektivvertrag für das Bordpersonal der Austrian Airlines und Lauda‑Air“ (OS KV‑Bord) samt Anhängen oder Zusätzen und (aufgrund des Beginns des Dienstverhältnisses der Klägerin im Mai 1996) auch der Zusatzkollektivvertrag II (OS KV Bord alt) anzuwenden.

Anfang des Jahres 2012 wusste die Klägerin, die damals bereits Familie hatte, dass für sie die weitere Berufsausübung als Flugbegleiterin unter Umständen schwer werden würde. Außerdem war ihr bekannt, dass sie aufgrund einer Bestimmung des Kollektivvertrags bei Eigenkündigung zwischen Vollendung des 33. und des 36. Lebensjahres Anspruch auf eine erhöhte Abfertigung hatte. Die Klägerin hatte auch Kenntnis davon, dass es bei der Beklagten Überlegungen für einen Betriebsübergang gab und dass sie dann eine solche Abfertigung nicht erhalten würde. Da die Klägerin im September 2012 ohnehin ihr 36. Lebensjahr vollenden würde und ihr die weitere Entwicklung noch nicht ausreichend klar war, entschied sie sich zur Kündigung. Nach Erhalt des Kündigungsschreibens hielt die Beklagte schriftlich fest, dass das Dienstverhältnis der Klägerin deren Wunsch entsprechend beendet werde und sie nach dem Kollektivvertrag eine Abfertigung „im Ausmaß des 14‑fachen monatlichen Bruttoentgeltes“ erhalten werde. Nach Erhalt ihrer Abrechnung nahm die Klägerin keine Überprüfung vor, sondern ging davon aus, dass der erhaltene Betrag dem 14‑fachen monatlichen Bruttoentgelt entsprochen habe.

Am 15. Februar 2012 erhielt die Gewerkschaft vida (Kollektivertragspartner des KV‑Bord auf Arbeitnehmerseite) ein Schreiben der Wirtschaftskammer Österreich, Fachverband der Autobus‑, Luftfahrt‑ und Schifffahrtsunternehmungen (WKÖ; Kollektivertragspartner des KV‑Bord auf Arbeitgeberseite) mit folgendem Inhalt: „Die WKÖ kündigt hiermit den Kollektivvertrag für das Bordpersonal der Austrian Airlines und Lauda Air sowie alle Zusatzkollektivverträge, Anhänge und Zusatzprotokolle zum nächstmöglichen Termin.“ Am 20. März 2012 sandte die Gewerkschaft vida an die WKÖ folgendes Schreiben: „Die WKÖ hat am 15. Februar 2012 den Kollektivvertrag für das Bordpersonal der Austrian Airlines sowie alle damit zusammenhängenden Zusatzkollektivverträge gekündigt. Ein Teil dieser Verträge betrifft auch die Regelungen über das im Jahr 2010 abgeschlossene Barwertpaket, mit dem Ziel, im Konzern 150,00 Mio EUR einzusparen (Zusatzkollektivvertrag „Einsparpaket“). Die Laufzeit für dieses Einsparungspaket wurde mit 1. 4. 2010 bis 31. 3. 2015 festgelegt, es handelt sich also um einen befristeten Kollektivvertrag. Die Kündigung eines befristeten Kollektivvertrags ist nach herrschender Rechtsansicht als Angebot an den Kollektivvertragspartner zu verstehen, den Kollektivvertrag vor Ablauf der Befristung zu beenden. Die Gewerkschaft vida nimmt dieses Angebot an und geht von einer sofortigen Beendigung des oa Kollektivvertrags aus. Wir ersuchen die WKÖ, die Geschäftsführung der Austrian Airlines davon in Kenntnis zu setzen und die in diesem Kollektivvertrag vereinbarten Maßnahmen, wie insbesondere die teilweise Reduktion der Pensionskassenbeiträge und die Krisenbeiträge, umgehend auszusetzen.“

Die Klägerin begehrte von der Beklagten, die ihr nur 13 Monatsentgelte überwiesen hatte, ein 14. Monatsentgelt sowie den Betrag, der sich bei Berechnung ihrer Abfertigung ohne den im Zusatzkollektivvertrag „Einsparungspaket“ (Zusatz‑KV EP) vorgesehenen Abzug ergibt. Nach dem Zusatz‑KV EP seien Abfertigungszahlungen aufgrund objektiv betriebsbedingter Dienstgeberkündigungen von jener Bemessungsgrundlage zu errechnen, die ohne das vereinbarte Einsparungspaket gegolten hätte; die von der Klägerin erklärte Eigenkündigung sei einer solchen Dienstgeberkündigung gleichzuhalten. Der Zusatz‑KV EP sei außerdem am 20. März 2012 einvernehmlich beendet worden und daher bei Beendigung des Dienstverhältnisses nicht mehr anzuwenden gewesen.

Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, die Klägerin habe noch vor dem Betriebsübergang und aus persönlichen Gründen ihre Kündigung erklärt, weshalb es sich nicht um eine privilegierte Dienstgeberkündigung nach § 3 Abs 5 AVRAG handle. Eine einvernehmliche Beendigung des Zusatz‑KV EP sei nicht erfolgt; die Erklärungen der Kollektivertragsparteien würden nicht übereinstimmen.

Das Erstgericht gab der Klage im Umfang des eingeforderten 14. Monatsentgelts (unbekämpft) statt, wies aber das Mehrbegehren ab. Zum klagsabweisenden Ausspruch führte es aus, die Klägerin habe ihre Kündigung hauptsächlich aus persönlichen Gründen erklärt; der damals von der Beklagten angedachte Betriebsübergang habe für sie nur eine untergeordnete Rolle gespielt, weshalb keine Kündigung iSd § 3 Abs 5 AVRAG vorliege. Eine einvernehmliche Beendigung des Zusatz‑KV EP sei nach dem Sachverhalt nicht erfolgt, denn die Kollektivvertragsparteien hätten dazu keine entsprechenden inhaltlich übereinstimmenden Willenserklärungen abgegeben. Die Beklagte habe daher die der Klägerin ausgezahlte Abfertigung insoweit richtig berechnet.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin gegen den klagsabweisenden Teil des Urteils keine Folge. Wie bereits in der Entscheidung zu 7 Ra 45/15m ausgeführt, sei aufgrund der Formulierung der Erklärung der WKÖ klar, dass diese eine „Kündigung“ der unbefristeten Kollektivverträge („zum nächstmöglichen Termin“) beabsichtigt habe, in deren Folge dann auch der – im Schreiben nicht eigens genannte – Zusatz‑KV EP mit der Beendigung des KV‑Bord ebenfalls beendet worden wäre. Für eine Erklärung der WKÖ hingegen, den Zusatz‑KV EP mit sofortiger Wirkung beenden zu wollen, seien im Sachverhalt gerade keine hinreichenden Anhaltspunkte zu finden. Das Antwortschreiben der Gewerkschaft, das „von einer sofortigen Beendigung“ ausgehe, könne zwar allenfalls als Anbot auf Abschluss eines – gemäß § 2 ArbVG schriftformgebundenen – Aufhebungsvertrags gewertet werden; eine Annahmeerklärung dazu (seitens der WKÖ) sei jedoch nicht einmal behauptet worden. Damit liege hinsichtlich des Beendigungszeitpunkts der Kollektivverträge ein klarer Dissens vor und der Zusatz‑KV EP sei daher weiterhin anwendbar gewesen.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil die hier vorzunehmende Auslegung der Erklärungen von Kollektivvertragsparteien eine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO darstelle.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revision die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im klagestattgebenden Sinn, hilfsweise wird deren Aufhebung begehrt.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Der Zusatz‑KV EP ist zwar seit April 2015 nicht mehr in Kraft, die hier zu klärende Auslegung der Erklärungen der Kollektivvertragsparteien ist aber nach der Aktenlage noch für Ansprüche anderer ehemaliger Dienstnehmer der Beklagten von Bedeutung.

Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in seiner Entscheidung zu 8 ObA 77/15d die – dort allerdings im Revisionsverfahren nicht in Frage gestellte – Begründung des Oberlandesgerichts Wien zur weiteren Geltung des Zusatz‑KV EP (mit Hinweis auf § 510 Abs 3 ZPO) als zutreffend angesehen.

Die Revisionswerberin meint nun – wie bereits in ihrer Berufung – neuerlich, die Formulierung im Schreiben der WKÖ, nach der die für das Bordpersonal geltenden Kollektivverträge „zum nächstmöglichen Termin“ gekündigt werden sollten, könne in Anbetracht der Befristung des Zusatz‑KV (und der daher nicht möglichen Kündigung) nur so verstanden werden, dass damit ein Anbot zur sofortigen einvernehmlichen Beendigung des Zusatz‑KV EP ausgesprochen wurde. Dabei übersieht sie jedoch, dass aus dem Schreiben der WKÖ nur die – für den Erklärungsempfänger (vida) – deutlich erkennbare Absicht hervorgeht, die Kollektivverträge für das Bordpersonal zum nächstmöglichen Termin zu kündigen , während ihr daraus eine Absicht, die sofortige Beendigung (nur) des in dem Schreiben nicht erwähnten, befristeten Zusatz‑KV EP zu vereinbaren, nicht unterstellt werden kann.

Ein Aufhebungsvertrag lässt sich den Erklärungen der Kollektivvertragsparteien nicht entnehmen, denn das Anwortschreiben der Gewerkschaft, das als Anbot zur sofortigen Beendigung des Zusatz‑KV EP gedeutet werden könnte, wurde von der WKÖ nicht angenommen.

Darüber hinaus wäre selbst im Fall einer einvernehmlichen Beendigung, von der hier mangels übereinstimmender Willenserklärungen der Kollektivvertragspartner nicht ausgegangen werden kann, zu beachten gewesen, dass gemäß § 13 ArbVG die Rechtswirkungen eines Kollektivvertrags nach seinem Erlöschen für Arbeitsverhältnisse, die unmittelbar vor seinem Erlöschen durch ihn erfasst waren, so lange aufrecht bleiben, als für diese Arbeitsverhältnisse nicht ein neuer Kollektivvertrag oder eine neue Einzelvereinbarung abgeschlossen wird (vgl dazu RIS‑Justiz RS0050925).

2. Die Klägerin hat die Beurteilung des Erstgerichts, nach der die von ihr erklärte Kündigung wegen der dafür festgestellten Beweggründe nicht als privilegierte Dienstnehmerkündigung gemäß § 3 Abs 5 AVRAG qualifiziert werden könne, in ihrer Berufung nicht beanstandet. Das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen und es konnte diese – von der Frage der Geltung des Zusatz‑KV EP unabhängige – Rechtsfrage nicht überprüfen (RIS‑Justiz RS0043352 [T26, T30, T34]; RS0043338 [T17, T20, T32]). Damit kann diese Frage auch nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens sein (RIS‑Justiz RS0043338 [T10, T11, T13, T27]; RS0043352 [T27, T33]).

3. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Berechnung erfolgte auf Basis des Revisionsinteresses.

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