OGH 11Os48/16t

OGH11Os48/16t14.6.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Juni 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Dr. Nordmeyer, Mag. Michel und Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Rechtspraktikanten Mag. Jülg, BSc, als Schriftführer in der Strafsache gegen A***** N***** wegen der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 9. Dezember 2015, GZ 39 Hv 109/15v‑82, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0110OS00048.16T.0614.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch einen unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Freispruch von gleichartigen Vorwürfen enthaltenden Urteil wurde A***** N***** der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (A./I./ und II./) und nach §§ 15, 207 Abs 1 StGB (A./III./), des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB idF BGBl I Nr 2001/130 (B./), der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (richtig: idF BGBl I 2004/15; C./I./) und nach § 201 Abs 2 StGB idF vor BGBl I 2004/15 (C./II./) sowie der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB (G./) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach §§ 212 Abs 1 Z 1, 15 StGB (D./I./ und II./), der Blutschande nach § 211 Abs 1 StGB (E./) sowie der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (H./) schuldig erkannt.

Danach hat er in H***** und andernorts

A./ außer dem Fall des § 206 StGB [zu I./ und II./] eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vorgenommen [und zu III./ versucht, eine solche von einer unmündigen Person an sich vornehmen zu lassen {US 6}], nämlich

I./ seit dem Jahr 2000 bis zum 14. August 2009 in wiederholten Angriffen an seiner am 15. August 1995 geborenen Tochter U***** durch Reiben seines Geschlechtsteils an deren Anus;

II./ im Jahr 2005 an seinem am 2. März 1998 geborenen Sohn Y***** durch Ziehen und Setzen auf sein Geschlechtsteil;

III./ im Jahr 2005 durch seinen am 2. März 1998 geborenen Sohn Y***** durch die sinngemäße Aufforderung, ihn im Genitalbereich zu küssen, wobei die Tat beim Versuch geblieben ist;

B./ mit einer unmündigen Person eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen und zwar im Jahr 2001 oder 2002 mit seiner am 11. März 1994 geborenen unmündigen Tochter A***** durch Durchführung des Analverkehrs;

C./I./ vom Frühling 2010 bis zum Sommer 2013 in wiederholten Angriffen eine Person mit Gewalt, durch Entziehung der persönlichen Freiheit oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB), nämlich U***** N***** durch Festhalten, Niederdrücken mit Körperkraft, Verriegeln der Kellertüre, Zuhalten des Mundes und die mehrfache Äußerung: „Mach das oder du stirbst“ zur Duldung des Vaginalverkehrs (richtig [US 8]:) und des Einführens eines Gummipenis in ihre Scheide (US 8), sohin zur Duldung des Beischlafs (richtig:) und einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt;

C./II./ im Jahr 2001 oder 2002 [außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB] eine Person durch Entziehung der persönlichen Freiheit und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB), nämlich A***** N*****, indem er die Schlafzimmertüre zusperrte und äußerte, er werde sie umbringen, wenn sie dies nicht mache, zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nämlich des Analverkehrs (s. B./) genötigt;

D./ mit einer mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen, nämlich

I./ vom Jahr 2000 bis zum Frühling 2010 durch die zu A./I./ angeführten Handlungen mit seiner am 15. August 1995 geborenen Tochter U*****;

II./ im Jahr 2005 durch die zu A./II./ und III./ angeführten Handlungen mit seinem am 2. März 1998 geborenen Sohn Y*****, wobei es zu A./III./ beim Versuch geblieben ist;

E./ in der Zeit von 2010 bis zum Sommer 2013 mit einer Person, die mit ihm in gerader Linie verwandt ist, nämlich mit seiner Tochter U***** den Beischlaf vollzogen;

G./ zwischen 2010 und 2011 A***** N***** mit Gewalt, indem er sie würgte, ihr Schläge versetzte und durch die Drohung, sie umzubringen, sohin mit Drohung mit dem Tod zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme von der beabsichtigten Information der Kindesmutter D***** genötigt;

H./ zwischen 2010 und 2011 durch die zu G./ angeführten Handlungen A***** N***** in Form von Nasenbluten und einer Verletzung an der Nase am Körper verletzt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet der Angeklagte seine auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch Abweisung (ON 81 S 14 f) der in der Hauptverhandlung zum Beweis dafür, dass die Angaben der Zeugen Y*****, A*****und U***** N***** jeweils nicht auf einem erlebnisbasierten Hintergrund beruhen, begehrten Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens (ON 81 S 14) Verteidigungsrechte nicht verletzt.

Nur in Ausnahmefällen, etwa bei Entwicklungsstörungen oder geistigen Defekten unmündiger oder jugendlicher Zeugen, kommt zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit die Hilfestellung durch einen Sachverständigen in Betracht (RIS‑Justiz RS0120634; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 350). Ein solcher Ausnahmefall wurde im Antrag nicht einmal behauptet. Zudem vermochte der Antragsteller die insofern erforderliche Bereitschaft der Opfer zur Mitwirkung an einer Begutachtung nicht darzustellen (RIS‑Justiz RS0118956, RS0108614, RS0097584).

Die in der Nichtigkeitsbeschwerde nachgetragenen Argumente als Versuch einer Antragsfundierung sind aufgrund des Neuerungsverbots unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099618).

Entgegen der zu den Schuldspruchpunkten A./I./ und D./I./ erhobenen Mängelrüge (Z 5 erster Fall) sind die in Ansehung der (lebensaltersmäßig allein entscheidenden) Unmündigkeit bzw Minderjährigkeit des am 15. August 1995 geborenen Opfers getroffenen Feststellungen, wonach der Angeklagte seine Tathandlungen „zu nicht feststellbaren Zeitpunkten im Zeitraum ab dem Jahr 2000 bis Frühling 2010“ (US 5), somit in dieser Zeitspanne gegenüber dem bis zum 15. August 2009 unmündigen (§ 74 Abs 1 Z 1 StGB) und danach minderjährigen (Z 3 leg cit) Tatopfer setzte, nicht undeutlich.

Auch aus den Konstatierungen zur subjektiven Tatseite, wonach es der Angeklagte hinsichtlich U***** N***** jeweils ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, dass sie bis einschließlich 14. August 2009 unter vierzehn Jahre alt, somit unmündig und ab dem 15. August 2009 bis einschließlich seiner Handlungen im Frühling 2010 unter achtzehn Jahre, also minderjährig war (US 6), sind sowohl während der Unmündigkeit als auch während der Minderjährigkeit des Opfers gesetzte Übergriffe – mögen auch deren Zeitpunkte nicht festgestellt sein – klar ersichtlich.

Eine darüber hinausgehende Konkretisierung des Alters der Genannten ist im Übrigen ebenso wenig entscheidend wie die exakte Zahl der (im Rahmen einer gleichartigen Verbrechensmenge; RIS‑Justiz RS0119552) gesetzten Übergriffe.

Dem die Gesamtheit der Entscheidungsgründe ignorierenden (RIS‑Justiz RS0116504; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 419) Beschwerdevorbringen (Z 5 erster Fall zu A./III./ und D./2./) zuwider ist auch die auf den Angaben des zur Tatzeit unmündigen Y***** gründende (US 16) Feststellung, wonach dieser „sinngemäß“ durch den Angeklagten aufgefordert wurde, ihn im Genitalbereich zu küssen (US 5), hinreichend deutlich.

Gleiches gilt hinsichtlich der zu C./II./ getroffenen, auf die Angaben der A***** N***** gestützten Konstatierung, wonach der Angeklagte die Genannte unter anderem unter „sinngemäßer“ Androhung des Umbringens („mach das oder ich werd dich umbringen“, „sonst bringt er mich um, wenn ich das nicht mache“) zum Analverkehr nötigte (US 6 f iVm US 18).

Das zu C./I./ und E./ konkrete Tatzeiträume vermissende Vorbringen (Z 5 erster Fall) ignoriert den diesbezüglich festgestellten – selbst im Rechtsmittel mehrfach zitierten – „Zeitraum von Frühling 2010 bis Sommer 2013“ (US 7 f). Die einzelnen Tatzeitpunkte während dieser Zeitspanne sind wie das Alter des Opfers nicht entscheidend (RIS‑Justiz RS0098557; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 419).

„Dass es sich beim Ziehen und Setzen auf das Geschlechtsteil des Angeklagten um keine zufällige, sondern eine gezielte, sexualbezogene und nicht bloß flüchtige, sondern über einen längeren Zeitraum andauernde Berührung seines Penis mit der Haut seines Sohnes gehandelt hat“, stützten die Tatrichter der zu A./II./ und D./II./ ausgeführten Kritik (Z 5 vierter Fall) zuwider logisch und empirisch einwandfrei auf die Angaben des Opfers und die weiteren sexuellen Übergriffe zum Nachteil der anderen Kinder (US 16).

Die aus dem Gesamtzusammenhang gelöste, als „typische Scheinbegründung“ kritisierte Urteilspassage „es ist daher davon auszugehen, ...“ bezieht sich bloß auf die vom Schöffensenat – dem Beschwerdeführer vorteilhaft – verneinte Gewaltanwendung (US 16).

Von einem gezeigten Verhalten auf ein zugrunde liegendes Wollen oder Wissen zu schließen, ist entgegen dem zu den Schuldsprüchen A./II./, C./II./ und D./II./ erstatteten Vorbringen (Z 5 vierter Fall) ohne weiteres rechtsstaatlich vertretbar und bei einem – wie hier – leugnenden bzw bloß Tatsächliches zugestehenden Angeklagten in aller Regel methodisch gar nicht anders möglich (RIS‑Justiz RS0098671, RS0116882; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 452).

Entgegen der weiteren – erneut die Gesamtheit der Entscheidungsgründe prozessordnungswidrig übergehenden – Mängelrüge zu den Schuldsprüchen A./I./ bis III./, B./ sowie D./I./ und II./ (Z 5 vierter Fall), haben die Tatrichter Feststellungen zum Alter der Opfer zu den jeweiligen Tatzeiten und ihre Geburtsdaten jeweils mängelfrei auf deren Angaben (hinsichtlich der Geburtsdaten auch auf jene des Angeklagten) gestützt (US 13; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 394).

Weshalb die exakten Zeitpunkte der einzelnen, während der Unmündigkeit bzw Minderjährigkeit gegenüber den Opfern gesetzten sexuellen Übergriffe bzw das genaue Alter der U***** zu C./I./ und E./ bzw der A***** N***** zu C./II./ entscheidend wären, legt die Rüge nicht dar.

Im Übrigen ist die unter Verweis auf das „entsprechende kindliche Erscheinungsbild“ der zur Tathandlung zu B./ sieben‑ bzw achtjährigen A***** erfolgte Begründung der Unmündigkeit des Tatopfers (US 19) nicht zu beanstanden.

Die zu A./II./ und D./II./ ausgeführte, eine geschlechtliche Handlung bestreitende Rechtsrüge (Z 9 lit a) übergeht mit der Behauptung einer unerheblichen und ungewollten, bloß flüchtigen sexualbezogenen Berührung geringer Intensität und Dauer prozessordnungswidrig den festgestellten Sachverhalt in seiner Gesamtheit (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 581, 584), wonach der Angeklagte seinen unter vierzehn Jahre alten, gleichfalls unbekleideten Sohn gezielt, nicht bloß flüchtig und über einen längeren Zeitraum auf sein teilweise erigiertes Geschlechtsteil setzte (US 5 iVm US 15 f; RIS‑Justiz RS0095733, RS0095739; Philipp in WK2 StGB § 202 Rz 9 ff, § 207 Rz 7 ff).

Weshalb ein Reiben des Penis des Angeklagten am Geschlechtsteil seines Sohnes bzw ein Gelangen des Penis des Rechtsmittelwerbers in den Bereich des Anus des Opfers zur Verwirklichung des Tatbestands nach § 207 Abs 1 StGB erforderlich und die zur subjektiven Tatseite getroffenen Feststellungen (US 6) unzureichend wären, wird nicht methodengerecht aus dem Gesetz abgeleitet (RIS‑Justiz RS0116565; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 588).

Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO bleibt anzumerken, dass die dem § 201 Abs 2 StGB idF BGBl I 2001/130 erfolgte Subsumtion der Vergewaltigung „zu einem unbekannten Zeitpunkt zwischen 2001 und 2002“ (C./II./) trotz des nicht bestimmten Tatzeitpunkts dahin stehen kann, weil die Fassung nach BGBl 1989/242 unter dem Gesichtspunkt der Günstigkeit gleichwertig ist. Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass das Erstgericht wegen Unzulässigkeit einer Kombination unterschiedlicher Rechtsschichten (Höpfel/U. Kathrein in WK² § 61 Rz 6; RIS‑Justiz RS0112939) die idealkonkurrierend verwirklichte Missbrauchshandlung (B./) zu Recht der – bis zum Urteilszeitpunkt unverändert gebliebenen – Bestimmung des § 206 Abs 1 StGB idF BGBl I 2001/130 unterstellte.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung der Verteidigung – bereits bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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