OGH 13Os42/16z

OGH13Os42/16z18.5.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Mai 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fritsche als Schriftführerin in der Finanzstrafsache gegen K***** und einen belangten Verband wegen Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 und 13 FinStrG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des belangten Verbandes J***** GmbH sowie die Berufung der Finanzstrafbehörde gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 9. Dezember 2015, GZ 40 Hv 20/15t‑43, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0130OS00042.16Z.0518.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das Urteil gegen die J***** GmbH aufgehoben, insoweit eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Verbandsverantwortlichkeitssache an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.

Mit ihren die Verbandsgeldbuße betreffenden Berufungen werden die Finanzstrafbehörde und der belangte Verband auf diese Entscheidung verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung der Finanzstrafbehörde gegen den Strafausspruch des ‑ hier nicht gegenständlichen ‑ Urteils gegen K***** werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde (soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung) „über die J***** GmbH gemäß § 3 Abs 1 Z 1 Abs 2 iVm § 4 Abs 1 VbVG iVm § 28a FinStrG eine Verbandsgeldbuße von 90.000 Euro verhängt“ (US 3).

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 1a, 3, 4 und 8 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des belangten Verbandes ist im Recht.

Die Verfahrensrüge (Z 3) zeigt zutreffend auf, dass die Ladung zur Hauptverhandlung ‑ entgegen § 221 Abs 2 erster Satz StPO iVm § 14 Abs 1 VbVG ‑ weder dem belangten Verband noch seinem Verteidiger zugestellt worden ist (ON 1 S 17).

Demzufolge ist auch der weitere Einwand berechtigt, dass die Hauptverhandlung rechtsfehlerhaft, konkret unter Verletzung (richtig) des § 23 VbVG, in Abwesenheit des belangten Verbandes durchgeführt worden ist (ON 42). Entsprechendes gilt für die Urteilsfällung (§ 23 erster Satz VbVG [ON 42 S 14]).

Das Urteil gegen den belangten Verband war daher gemäß § 285e StPO in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort aufzuheben.

Somit sind die Berufungen gegen den Ausspruch der Verbandsgeldbuße gegenstandslos.

 

Hinzugefügt sei, dass im ersten Rechtsgang die Bestimmungen des VbVG mehrfach verletzt worden sind:

(1) Wird ‑ wie hier ‑ die Hauptverhandlung gegen den belangten Verband und eine natürliche Person gemeinsam geführt (§ 15 Abs 1 VbVG), so hat das Gericht gemäß § 22 Abs 1 VbVG im Anschluss an das Beweisverfahren, das für beide Verfahren gemeinsam durchgeführt wird, zunächst nur die Schlussvorträge betreffend die natürliche Person zuzulassen und dann das Urteil über die natürliche Person zu verkünden. Im Fall eines Schuldspruchs sind sodann nach § 22 Abs 2 VbVG in fortgesetzter Hauptverhandlung Schlussvorträge zu den Voraussetzungen einer Verantwortlichkeit des Verbandes sowie den für die Bemessung einer Geldbuße und die Festsetzung anderer Sanktionen maßgeblichen Umständen zu halten. Danach verkündet das Gericht das Urteil über den Verband (siehe demgegenüber ON 42 S 12 bis 15).

(2) Da die Urteilsausfertigung die Urschrift des mündlich verkündeten Urteils darstellt (vgl Danek , WK‑StPO § 270 Rz 1), folgt aus § 22 Abs 1 und 2 VbVG, dass in Verbandsverantwortlichkeitssachen die Urteile gegen die natürliche Person und den belangten Verband auch bei gemeinsamer Verfahrensführung (§ 15 Abs 1 VbVG) voneinander getrennt auszufertigen sind (13 Os 139/15p, 13 Os 140/15k).

(3) Gemäß § 22 Abs 5 VbVG muss auch in Verbandsverantwortlichkeitssachen die Urteilsausfertigung (soweit hier von Interesse) die in § 270 Abs 2 StPO angeführten Inhalte haben. Dem zuwider fehlen der gegenständlichen Urteilsschrift (hinsichtlich des belangten Verbandes) die von § 270 Abs 2 Z 4 StPO iVm § 260 Abs 1 Z 1 und 2 StPO verlangten Inhalte (US 3).

 

Die Entscheidung über die Berufung der Finanzstrafbehörde gegen den Strafausspruch des ‑ hier nicht gegenständlichen ‑ Urteils gegen K***** kommt dem Oberlandesgericht zu.

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