OGH 12Os18/16p

OGH12Os18/16p12.5.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Mai 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fritsche als Schriftführerin in der Strafsache gegen Maqsood A***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und Z 2, Abs 4 erster Fall FPG idF vor BGBl I 2015/121 und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Maqsood A*****, Nasir A***** und Bashir M***** sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich aller Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 16. Dezember 2015, GZ 37 Hv 105/15h‑126, und über die Beschwerde des Bashir M***** gegen den unter einem gefassten Beschluss nach § 495 Abs 2 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0120OS00018.16P.0512.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und über die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Maqsood A*****, Nasir A***** und Bashir M***** des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und Z 2 sowie Abs 4 erster Fall FPG [richtig: idF vor BGBl I 2015/121; vgl US 3], Bashir M***** überdies nach § 114 Abs 2 FPG „idF BGBl I 2009/122“ (I./), Maqsood A***** darüber hinaus des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 202 Abs 1 StGB (II./) sowie des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (III./) schuldig erkannt.

Danach haben

I./ Maqsood A*****, Nasir A***** und Bashir M***** zumindest zwischen Februar 2015 und 19. September 2015 in St. M*****, L*****, Le*****, B*****, S*****, St. V***** und anderen Orten des Bundesgebiets als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung, nämlich einer mit weiteren unbekannten Tätern gebildeten, arbeitsteiligen, bei Schleppereien zusammenwirkenden internationalen Vereinigung, in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung derartiger Tathandlungen eine fortlaufende Einnahme über einen zumindest mehrmonatigen Zeitraum zu verschaffen, die rechtswidrige Ein‑ oder Durchreise von Fremden in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder Nachbarstaat Österreichs mit dem Vorsatz gefördert, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, wobei Bashir M***** innerhalb der letzten fünf Jahre schon einmal wegen Schlepperei im Sinne des Abs 1 des § 114 FPG verurteilt worden war, und alle drei Angeklagten die Tat in Bezug auf eine größere Zahl von Fremden begingen, indem sie teils im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Awais S***** Al***** und weiteren unbekannten Tätern, insbesondere afghanische und pakistanische Staatsangehörige gegen Entgelt über Ungarn nach Österreich mit dem Endziel Deutschland bzw Italien verbrachten, insbesondere am 7. September 2015 fünf afghanische Staatsangehörige von G***** nach St. M***** mit dem Endziel Deutschland und zu 66 im Urteilstenor (auf US 3) im Einzelnen angeführten Zeitpunkten zwischen 16. Februar und 19. September 2015 weitere Fremde je von Ungarn nach Österreich;

II./ Maqsood A***** am 28. August 2015 in Le***** Nikolina D***** außer den Fällen des § 201 StGB mit Gewalt zur Vornahme oder Duldung einer geschlechtlichen Handlung zu nötigen versucht, indem er sie an beiden Händen erfasste, sie stark in seine Richtung zog, in den Schwitzkasten nahm, wodurch sie sich mit dem Kopf in seiner Beckenregion befand, er sie mit den Händen gegen den festhaltenden Arm und Rippenbereich drückte, während er an seinem Hosenschlitz manipulierte, um seinen Penis herauszuholen, wobei es lediglich aufgrund der lauten Schreie und der Hilfe durch Idnan B***** beim Versuch blieb;

III./ Maqsood A***** am 27. Mai 2015 in T***** eine fremde Sache vorsätzlich beschädigt, indem er derart fest gegen eine Zimmertüre im „P*****‑Laufhaus“ trat, dass ein faustgroßes Loch entstand (Schaden zum Nachteil der P***** Laufhaus Vermietung & Verpachtung: 690 Euro).

Ihre dagegen gerichteten Nichtigkeits-beschwerden gründen die Angeklagten Maqsood A***** auf Z 2, 5 und 10, Nasir A***** auf Z 3, 4, 5 und 9 lit a sowie Bashir M***** auf Z 5, 5a und 9 lit a, je des § 281 Abs 1 StPO. Sie verfehlen ihr Ziel.

Rechtliche Beurteilung

1./ Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Maqsood A*****:

Als nichtigen Akt des Ermittlungsverfahrens (Z 2) führt der Nichtigkeitswerber (zu I./) ‑ ohne Angabe der konkreten Fundstellen des kritisierten Vorgangs (RIS‑Justiz RS0124172) ‑ ins Treffen, die Ergebnisse der Rufdatenrückerfassung seien zufolge Verwahrung der Verteidigung gegen eine „Verlesung gespeicherter Daten über einen Zeitraum von drei Monaten ab Auftragserteilung hinaus“ (vgl ON 125 S 14) zu Unrecht verlesen worden. Diese Kritik scheitert schon daran, dass die Erklärung, mit der Verlesung nicht einverstanden zu sein, die nach Ansicht des Beschwerdeführers dagegen sprechenden Umstände, die im Übrigen auch nicht ohne weiteres ersichtlich waren, nicht erkennen ließ (EvBl‑LS 2016/63). Im Übrigen übersieht er, dass Protokolle über den Inhalt von Telefonüberwachungen „Schriftstücke anderer Art“ iSd § 252 Abs 2 StPO sind, die ‑ wenn sie für die Sache von Bedeutung sind ‑ verlesen werden müssen (RIS‑Justiz RS0117025). Ein ‑ gegebenenfalls aus § 281 Abs 1 Z 3 StPO beachtlicher ‑ Verstoß gegen ein Verlesungsverbot des § 252 Abs 1 StPO oder das Umgehungsverbot des § 252 Abs 4 StPO wird nicht behauptet.

Dem Vorwurf offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) zuwider gründet sich die Annahme der rechtswidrigen Verbringung von zumindest 60 Fremden durch Mitgliedstaaten der Europäischen Union gegen ‑ den rechtmäßigen bzw ortsüblichen Fuhrlohn oder angemessenen Lohn für Hilfsdienste bei der Beschaffung von Zugkarten bei weitem übersteigende ‑ Entlohnungen (US 14) mängelfrei auf die Ergebnisse der Rufdatenrückerfassung, die Belege über Verkehrsübertretungen, die Angaben der ÖBB‑Bediensteten Brigitte K*****, Petra L*****, Manfred I***** und Simone Sc***** sowie die Bekundungen der Zeugen Zulfiqar Ali C*****, Twana Mo*****, Sajjad Mu***** und Subhan Al***** (US 16 bis 26). Dass diese Erwägungen dem Nichtigkeitswerber, der seinerseits von bloßen „Gerüchten“ und „Vermutungen“ spricht, nicht überzeugend genug erscheinen und aus seiner Sicht aus den Verfahrensergebnissen ‑ insbesondere aus der eigenen, als unglaubwürdig verworfenen (US 16 ff) Einlassung ‑ auch andere Schlüsse denkbar wären, bildet kein Begründungsdefizit.

Der Einwand, das Erstgericht sei „konkrete Ausführungen zu den jeweiligen Tatzeitpunkten“ der (im angegebenen Tatzeitraum zwischen Februar 2015 und 19. September 2015 erfolgten [US 1, 2 und 9 ff]) Schleppungen (I./) schuldig geblieben (vgl dazu RIS‑Justiz

RS0098557) und habe „jegliche Begründung und konkrete Feststellung“ zum Vorliegen einer kriminellen Vereinigung verabsäumt (vgl aber US 9 ff), lässt überhaupt nicht erkennen (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2 StPO), ob insofern ein Feststellungs‑ (Z 9 lit a) oder ein Begründungsmangel (Z 5) angesprochen werden soll.

Inwieweit es bei der gemeinsam geplanten und arbeitsteilig vorgenommenen Tatbegehung der Angeklagten (US 9 ff) von entscheidender Bedeutung (abermals: RIS‑Justiz RS0098557) sein sollte, „wo sich der Nichtigkeitswerber wann befunden“ habe und „von wo er Schleppungen nach oder durch Österreich durchgeführt“ habe, lässt die Beschwerde nicht erkennen.

Die angesprochene Motivlage des Beschwerdeführers, sich im Februar 2015 einem Schlepperring anzuschließen, bildet ebenfalls kein schuldrelevantes Element (RIS‑Justiz RS0088761).

Abermals keine der von Z 5 erfassten Anfechtungskategorien deutlich und bestimmt (§ 285 Abs 1 zweiter Satz StPO) spricht die Kritik an, das Erstgericht ziehe lediglich „Indizien und Schlussfolgerungen ohne eine Beweisgrundlage“ heran.

Die unmissverständliche Konstatierung der Tatbegehung im Rahmen einer kriminellen Vereinigung (insbesondere US 8 ff) haben die Tatrichter der Rüge zuwider sehr wohl begründet (US 22 ff).

Das Vorbringen der Subsumtionsrüge (Z 10), die getroffenen Feststellungen reichten für die Annahme einer Tatbegehung in Bezug auf eine größere Zahl von Fremden (§ 114 Abs 3 Z 2 FPG idF vor BGBl I 2015/121) nicht aus, bleibt jede Argumentation schuldig, weshalb das im Urteil konstatierte Verbringen von mindestens 60 Personen (US 14) nicht den Voraussetzungen des § 114 Abs 3 Z 2 FPG idF vor BGBl I 2015/121 genügen sollte (vgl Tipold in WK2 FPG § 114 Rz 18). Ein Schuldspruch im Sinne eines (gesetzlich gar nicht vorgesehenen) „Abs 3 Z 4 des § 114 FPG aF“ ist hingegen nicht erfolgt.

Der Einwand unklarer und „verwaschener“ Konstatierungen zur Tatbegehung im Rahmen einer kriminellen Vereinigung (§ 114 Abs 4 erster Satz FPG) verfehlt den in der Gesamtheit der Urteilsfeststellungen gelegenen Bezugspunkt (US 8 ff; vgl RIS‑Justiz RS0099810) und lässt auch nicht erkennen, welche konkreten, darüber hinausgehenden Feststellungen die Beschwerde für eine rechtsrichtige Subsumtion vermisst.

Zum Schuldspruch II./ kritisiert die Mängelrüge (Z 5) die zur subjektiven Tatseite getroffenen Feststellungen (US 15) als „nicht klar“ bzw „nicht unmissverständlich“, macht aber ihrerseits erneut nicht deutlich (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2 StPO), ob sie damit ein Feststellungs- (Z 9 lit a) oder ein Begründungsdefizit (Z 5) anspricht. Der Einwand, die vorliegenden Verfahrensergebnisse ‑ insbesondere die zum Tathergang vorliegende und als glaubhaft eingestufte (US 27 f) Aussage des Opfers Nikolina D***** (vgl ON 42 S 24 ff, ON 119 S 3 f) ‑ ließen nicht den Schluss zu, dass der Angeklagte einen Oralverkehr durchführen wollte (vgl aber RIS‑Justiz RS0098671, RS0116882), bekämpft im Wege eigenständiger Beweiswerterwägungen die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung, ohne jedoch einen Begründungsmangel (in der Bedeutung der Z 5 erster, zweiter oder vierter Fall) aufzuzeigen.

Ebenfalls nicht zielführend ist der abschließende Hinweis (zu II./), mit dem aus Z 5 erstatteten Vorbringen auch den Nichtigkeitsgrund der Z 10 geltend zu machen. Während letzterer als materieller Nichtigkeitsgrund strikt von den getroffenen Konstatierungen in den Entscheidungsgründen auszugehen hat, ist Gegenstand der Mängelrüge (Z 5) die Einhaltung

der Grenzen, die § 258 Abs 2 StPO

der sogenannten freien Beweiswürdigung des Gerichts setzt, einschließlich des Missbrauchs

der Beweiswürdigungsfreiheit im Sinne eines Willkürverbots (Fabrizy, StPO12 § 281 Rz 46 mwN).

Dass die Tatrichter den gewaltsamen Versuch des Angeklagten, das Tatopfer zur Durchführung eines Oralverkehrs (US 15), also zu einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung (RIS‑Justiz RS0115232, RS0094880; Philipp in WK2 StGB § 201 Rz 25) zu nötigen (US 15), dem Tatbestand des § 202 Abs 1 StGB subsumierten, hat sich jedenfalls nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgewirkt, sodass kein Anlass für ein Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO besteht.

2./ Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Nasir A*****:

Die Verfahrensrüge (Z 3) kritisiert die in der Hauptverhandlung vom 16. Dezember 2015 erfolgte Verlesung der Protokolle über die Einvernahme der Zeugen Nasim Vali Z*****, Dilawar Zi*****, Loqman Shah Z*****, Akbar Badsha Z*****, Shakil Khan Ma*****, Twana Mo*****, Ajaz N***** und Mohammad R***** (ON 125 S 16 f) sowie der im Polizeibericht ON 10 S 7 f enthaltenen Angaben von Sajjad Mu***** und Subhan Al***** (ON 125 S 13) mangels Vorliegens eines der in § 252 Abs 1 Z 1 bis 4 StPO normierten Ausnahmegründe als unzulässig:

Die Verlesung der Angaben von Nasim Vali Z*****, Dilawar Zi*****, Loqman Shah Z*****, Akbar Badsha Z*****, Shakil Khan Ma*****, Twana Mo***** und Ajaz N***** erfolgte aber ‑ nach ergebnislos gebliebenen Ausschreibungen (vgl ON 91 bis 99) und mangels jeglichen Hinweises, in welchem EU‑Land sich diese Personen derzeit allenfalls noch befinden könnten (vgl ON 119 S 16; ON 125 S 15; ON 10 S 63 f, 75 ff) ‑ gemäß § 252 Abs 1 Z 1 StPO zu Recht (vgl Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 61 f; RIS‑Justiz RS0108361, RS0101349). Die Verlesung des Protokolls über die Einvernahme des Zeugen Mohammad R***** (ON 10 S 75 ff) vermochte indes keinen dem Nichtigkeitswerber nachteiligen Einfluss (§ 281 Abs 3 StPO) auf die Entscheidung zu üben, weil sie keinen den Beschwerdeführer konkret belastenden Hinweis enthält und auch im Urteil keinen Niederschlag fand (vgl RIS‑Justiz RS0098183 [T1 und T2]).

Dementsprechend verletzte auch der ‑ gegen den Antrag der Verteidigung erfolgte ‑

Vorhalt von Aussagen der Zeugen Nasim Vali Z*****, Dilawar Zi*****, Loqman Shah Z*****, Akbar Badsha Z*****, Shakil Khan Ma***** und Twana Mo***** (ON 119 S 16) keine Verfahrensrechte (Z 4), weil es sich hiebei um Aussagen handelte, die in der Folge durch (zulässige) Verlesung gemäß § 252 Abs 1 Z 1 StPO Eingang in das Beweisverfahren fanden (vgl RIS‑Justiz RS0113447).

Die pauschale Kritik (Z 5), das Urteil leide an Unbestimmtheit, Widersprüchlichkeit, Unvollständigkeit der Begründung und an Aktenwidrigkeit sowie der Einwand, die zu I./ getroffenen Feststellungen stellten „weder eine zeitlich noch örtlich noch nach der konkreten Tathandlung überprüf- und damit bekämpfbare Feststellungsgrundlage“ her, machen nicht deutlich (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2 StPO), welches Feststellungs‑ (Z 9 lit a) oder Begründungsdefizit (Z 5) die Beschwerde konkret anspricht.

Einen Widerspruch (Z 5 dritter Fall) erblickt der Nichtigkeitswerber darin, dass das Schöffengericht von „72“ (richtig wohl: 67; vgl US 3) „konkreten Terminen für Schleppungen“ ausging, die Anzahl der geschleppten Personen jedoch bloß mit zumindest 60 einstufte (US 14). Da diese Annahmen keinen entscheidungswesentlichen Umstand betreffen und einander denklogisch auch nicht ausschließen, kann von einem Begründungsmangel in der Bedeutung der Z 5 dritter Fall nicht die Rede sein.

Wenn dem Nichtigkeitswerber die konstatierte Tatsachenbasis ‑ etwa zur Anzahl der unternommenen Fahrten, zur Zahl der geschleppten Personen, zu den lukrierten Fuhrlöhnen und deren Verwendung für den eigenen Lebensunterhalt ‑ nicht plausibel erscheint, so stellt dies ebenfalls keinen Begründungsmangel her (RIS‑Justiz RS0098362, RS0116732; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 449 f).

Inwieweit die Bekundung der Zeugin Petra L*****, wonach sie selbst den Angeklagten Nasir A***** nicht wiedererkenne (ON 119 S 12), der Konstatierung erörterungsbedürftig (Z 5 zweiter Fall) entgegenstehen sollte, wonach dieser mehrmals die Woche bei Brigitte K***** Zugtickets erwarb (US 10 f), wird nicht klar. Vielmehr wird nur die Spekulation erhoben, Petra L***** hätte im Falle der Richtigkeit der darauf bezogenen Schilderung ihrer Kollegin Brigitte K***** den Nichtigkeitswerber ebenfalls wahrnehmen (und in der Hauptverhandlung wiedererkennen) müssen.

Welchen konkreten Feststellungen der Umstand, dass „alle identifizierten Fremden ungehindert ihre Weiterreise innerhalb der EU fortsetzten“, erörterungsbedürftig (Z 5 zweiter Fall) entgegenstehen sollte, bleibt offen. Dass die Straflosigkeit der Geschleppten (vgl Tipold in WK2 FPG § 114 Rz 27) und deren allfälliger Schutzanspruch aufgrund ihrer Gefährdung in ihrem Heimatland die Rechtswidrigkeit ihrer Einreise (Tipold in WK2 FPG § 114 Rz 9 ff) und damit die Strafbarkeit des Beschwerdeführer ausschließen sollte (dSn Z 9 lit a), wird von der Rüge nicht methodisch vertretbar aus dem Gesetz abgeleitet (vgl RIS‑Justiz RS0116565), sondern bloß begründungslos behauptet.

Die Kritik, die Begründung der wesentlichen Feststellungen sei „unvollständig“, weil sie auf „nicht individuell und zeitlich sowie örtlich konkretisierte Telefonstandorte“, auf die „Einschätzung von Zeugen, die fremdländlisch aussehende Personen gesehen haben wollen“, sowie „der gesamte Sachverhalt auf einen Zeugen gestützt“ werde, der „selbst so gut wie keine Wahrnehmung gemacht hat“ und als „Höhepunkt der Scheinbegründung“ auf „das Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Zweit‑ und dem Drittangeklagten gestützt“ werde, bekämpft bloß ‑ nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung ‑ die tatrichterliche Beweiswürdigung, ohne ein aus Z 5 (oder 5a) beachtliches Defizit zu bezeichnen.

Da Bezugspunkt des § 281 Abs 1 Z 5 fünfter Fall StPO ausschließlich entscheidende ‑ also für die Unterstellung der Tat unter das Gesetz oder für die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes maßgebende ‑ Tatsachen sind, geht der Vorwurf der „Aktenwidrigkeit“ (Z 5 fünfter Fall) der Annahme, dass die geschleppten Personen Akbar Badsha Z*****, Loqman Shah Z*****, Nasim Vali Z*****, Dilawar Zi***** und Shakil Khan Ma***** pakistanische Staatsbürger sind (US 13), welcher aber nur auf den Umstand hinweist, dass die ‑ diese Personen betreffenden und vom Gericht vorgenommenen ‑ Suchanfragen unter dem Aspekt afghanischer Staatsbürgerschaft getätigt wurden (vgl ON 91 ff), ins Leere (RIS‑Justiz RS0099547, RS0099612, RS0099408). Doch selbst für den Fall, dass es sich um afghanische Staatsangehörige gehandelt haben sollte (vgl ON 2 S 35 ff, ON 10 S 17, 23 f, aber auch US 3), betrifft dies keine entscheidende Tatsache (zum Begriff: Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 399).

Die Kritik, die Feststellung, wonach der Zweitangeklagte am 7. September 2015 zusammen mit Awais S***** Al***** im Fahrzeug gesessen ist (US 13), sei „aktenwidrig wegen Verletzung des Überraschungsverbotes“ verfehlt ebenfalls den aus Z 5 eröffneten Anfechtungsrahmen, weil Aktenwidrigkeit begrifflich nur in der unrichtigen oder unvollständigen Wiedergabe des Inhalts einer Urkunde oder einer Aussage gelegen sein kann, nicht jedoch durch die behauptete Divergenz zwischen Tatsachenfeststellungen und den zu Grunde gelegten Beweismitteln begründet werden kann (RIS‑Justiz RS0099547 [T1, T6, T9, T18]).

Grundvoraussetzung einer prozessordnungs-konformen Darstellung materieller Nichtigkeit ‑ vorliegend nach der Z 9 lit a ‑ wäre die methodisch vertretbare Ableitung der angestrebten rechtlichen Konsequenz aus dem Gesetz (RIS‑Justiz RS0116565 und RS0116569). Die Kritik mangelnder Feststellungen zur subjektiven Tatseite lässt vorliegend nicht erkennen, welche ‑ über die getroffenen Urteilskonstatierungen hinaus ‑ aus Beschwerdesicht zur rechtsrichtigen Beurteilung noch erforderlich gewesen wären.

Auch die Argumentation, die Einreise von Menschen aus Syrien und Afghanistan sei in Deutschland seit 1. Jänner 2015 und in Österreich seit 10. Oktober 2015 „rechtmäßig“, weil Menschen aus diesen Ländern ohne ein Asylverfahren ein‑ und durchreisen, weshalb auch die Angeklagten auf die Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens vertrauten, wird nicht aus den getroffenen Urteilsfeststellungen entwickelt (RIS‑Justiz RS0099810).

3./ Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Bashir M*****:

Der pauschal erhobene Einwand (Z 5), „zwischen den Angaben der Entscheidungsgründe im Urteil und dem Inhalt der bei den Akten befindlichen Urkunden (Vernehmungsprotokollen)“ bestehe ein „erheblicher Widerspruch“, schlägt bereits mangels Anführung einer argumentativen Basis (RIS‑Justiz RS0124172) fehl.

Es bildet auch kein Begründungsgebrechen (Z 5 vierter Fall), dass dem Rechtsmittelwerber die tatrichterliche Würdigung der Verfahrensergebnisse (§ 258 StPO) nicht überzeugend genug erscheint und aus seiner Sicht auch andere (für ihn günstigere) Schlüsse möglich gewesen wären.

§

281 Abs 1 Z 5a StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld‑ oder subsumtionserhebliche Sachverhalte, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der Beweiswerterwägungen des Erstgerichts) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780).

Das Vorbringen der Tatsachenrüge (Z 5a) erschöpft sich insgesamt nur darin, die Überzeugungskraft der den Nichtigkeitswerber belastenden Verfahrensresultate in Frage zu stellen und solcherart das Vorliegen tragfähiger Beweise für seine Schuld in Abrede zu stellen, um dem eigenen Prozessstandpunkt doch noch zum Durchbruch zu verhelfen. Damit erweckt es jedoch keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen.

Grundvoraussetzung einer prozessordnungs-konformen Darstellung materieller Nichtigkeit (hier: nach Z 9 lit a) ist die methodisch vertretbare Ableitung der angestrebten rechtlichen Konsequenz aus dem Gesetz (RIS‑Justiz RS0116565 und RS0116569). Ein Rechtsfehler bei der Beurteilung eines Sachverhalts kann nur geltend gemacht werden, wenn die darauf bezogene Argumentation aus den Urteilsfeststellungen entwickelt wird (RIS‑Justiz RS0099810). Diesen Anfechtungskriterien wird die Beschwerde, die auf Entwicklungen der österreichischen und der europäischen Flüchtlingspolitik hinweist und eine Ermunterung syrischer und afghanischer Staatsbürger durch die deutsche Bundeskanzlerin ins Treffen führt, ebenso wenig gerecht wie mit der schlichten Bestreitung der Sachverhaltsannahmen des Erstgerichts.

Die Nichtigkeitsbeschwerden sämtlicher Angeklagter waren daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung des Zweitangeklagten bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen sowie der (implizierten) Beschwerde folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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