European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0140OS00023.16P.0412.000
Spruch:
Der Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 23. Juni 2015, GZ 501 Hv 52/15k‑24, verletzt § 201 Abs 1 und Abs 4 StPO iVm § 199 StPO.
Dieser Beschluss wird aufgehoben und dem Landesgericht Korneuburg eine neue, dem Gesetz entsprechende Entscheidung aufgetragen.
Gründe:
Mit Strafantrag vom 23. März 2015, AZ 11 St 61/15b (ON 6) legte die Staatsanwaltschaft Rozalia R***** neben weiteren strafbaren Handlungen ‑ soweit hier wesentlich ‑ ein als Vergehen der Unterschlagung nach § 134 Abs 1 StGB beurteiltes Verhalten (ON 6 Punkt II) zur Last.
In der hierüber am 18. Juni 2015 durchgeführten Hauptverhandlung vor dem Landesgericht Korneuburg wurde mit Bezug auf diesen Vorwurf die Möglichkeit einer diversionellen Erledigung „durch Erbringung gemeinnütziger Leistungen im Ausmaß von 100 Stunden innerhalb sechs Monaten“ erörtert, wogegen weder die Angeklagte noch die Staatsanwaltschaft Einwände erhoben (ON 33 S 28 f).
Daraufhin schied die Einzelrichterin das Verfahren wegen dieses Anklagefaktums „zur Durchführung diversioneller Maßnahmen im Ausmaß von 100 Stunden gemeinnütziger Leistungen innerhalb von sechs Monaten“ aus und sprach Rozalia R***** mit (unangefochten in Rechtskraft erwachsenem) Urteil von der weiteren wider sie erhobenen Anklage gemäß § 259 Z 3 StPO frei (ON 33 S 29 f).
Mit gleichfalls unangefochten in Rechtskraft erwachsenem Beschluss vom 23. Juni 2015 stellte das Landesgericht Korneuburg das Verfahren gegen die Genannte wegen § 134 Abs 1 StGB gemäß § 201 Abs 1 StPO iVm § 199 StPO „zur Erbringung gemeinnütziger Leistungen von 100 Stunden innerhalb von sechs Monaten“ vorläufig ein. Zur Begründung führte es aus, die Angeklagte „stehe zur Tat“, ihre Schuld sei „nicht als schwer zu erachten“ und sie habe „einer diversionellen Verfahrensbeendigung gemäß § 201 StPO zugestimmt“ (ON 24).
Mit Schreiben vom 20. Juli 2015 teilte der Verein Neustart mit, dass Rozalia R***** die gemeinnützigen Leistungen von 20. Juli 2015 bis zum 20. Jänner 2016 in der Einrichtung Landespflegeheim L***** erbringen werde und übermittelte unter einem eine Erklärung der Genannten vom 20. Juli 2015, wonach sie „rechtlich zur diversionellen Maßnahme belehrt worden“ und „mit der vom Landesgericht Korneuburg vorgesehenen Maßnahme einverstanden“ sei (ON 27).
Mit Zwischenbericht vom 14. Oktober 2015 (ON 29) und Abschlussbericht vom 29. Oktober 2015 (ON 30) setzte der Verein Neustart das Gericht davon in Kenntnis, dass Rozalia R***** nur sechs Stunden an gemeinnützigen Arbeiten erbracht, sich danach eigenen Angaben zufolge in ärztlicher Behandlung befunden und einen für 29. Oktober 2015 vereinbarten neuerlichen Vermittlungstermin nicht wahrgenommen habe, womit ihre Motivation für die Erbringung einer gemeinnützigen Leistung offenbar nicht ausreichend und eine Fortsetzung von Gesprächs- und Vermittlungsangeboten aus sozialarbeiterischer Sicht nicht zweckmäßig sei.
Mit Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 4. November 2015 wurde das Strafverfahren gegen die Genannte gemäß §§ 199, 205 Abs 2 Z 1 StPO fortgesetzt (ON 31).
Über die dagegen erhobene Beschwerde der Rozalia R***** (ON 32) hat das Oberlandesgericht Wien noch nicht entschieden.
Rechtliche Beurteilung
Der Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 23. Juni 2015, GZ 501 Hv 52/15k‑24, steht, wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, mit dem Gesetz nicht in Einklang.
Gemäß § 201 Abs 1 und Abs 4 StPO hat das erkennende Gericht (§ 199 StPO) das Verfahren mit Beschluss vorläufig einzustellen, wenn die Voraussetzungen des § 198 StPO vorliegen und der Angeklagte sich ausdrücklich bereit erklärt hat, binnen bestimmter Frist unentgeltlich gemeinnützige Leistungen in nach Art und Ausmaß bestimmter Weise zu erbringen und gegebenenfalls Tatfolgenausgleich zu leisten.
Die vom Angeklagten übernommene Pflicht zur Leistung gemeinnütziger Arbeiten beinhaltet eine bindende Verhaltensanordnung, aus welchem Grund deren hinreichend konkrete Ausgestaltung geboten ist. Zur Klarstellung für den solcherart Verpflichteten und zur effektiven Kontrolle ihrer Erbringung ist es ‑ ebenso wie bei der Erteilung von Weisungen im Sinn des § 51 StGB ‑ demnach notwendig, die gemeinnützige Leistung schon in der Entscheidung über die vorläufige Verfahrensbeendigung klar zu umschreiben, wobei es genügt, dass die Anzahl der Stunden präzise, die Art der Leistung und eine mögliche gemeinnützige Stelle, bei der die Leistung zu erbringen ist, hingegen nur dem Grunde nach festgelegt wird. Nur die Zuweisung zu einer konkreten gemeinnützigen Institution und der Ort der Leistung können auch erst nach Abklärung mit einer in der Sozialarbeit erfahrenen Person bestimmt werden (zum Ganzen: Schroll , WK‑StPO § 201 Rz 5/1; 14 Os 24/05v, 12 Os 65/12v [ua], SSt 2012/34).
Der angefochtene Beschluss, der die grundsätzliche Bezeichnung der Art der gemeinnützigen Leistung und der Art der Einrichtung, bei der sie erbracht werden kann, vermissen lässt, womit offen blieb, auf welche Art die Angeklagte der Auflage nachkommen soll und wie sodann der Nachweis ihrer Erfüllung zu erbringen wäre, verletzt demnach § 201 Abs 1 und Abs 4 StPO iVm § 199 StPO.
Da diese Gesetzesverletzung zum Nachteil der Angeklagten wirkt, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).
Davon rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen, wie insbesondere auch der Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 4. November 2015 (ON 31), mit welchem das Strafverfahren gegen Rozalia R***** wegen § 134 Abs 1 StGB gemäß §§ 199, 205 Abs 2 Z 1 StPO fortgesetzt wurde, gelten gleichfalls als beseitigt (RIS‑Justiz RS0100444; Ratz , WK‑StPO § 292 Rz 28).
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