European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00038.16P.0316.000
Spruch:
Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.
Begründung
Der Kläger macht neben einem Zahlungsbegehren von 88.090 EUR sA und einem Feststellungsbegehren eine abstrakte Rente von monatlich 800 EUR infolge einer bei einem Verkehrsunfall erlittenen Körperverletzung aus einer Lenkerschutzversicherung geltend.
Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren mit 57.500 EUR sA und dem Feststellungsbegehren statt und wies das Zahlungsmehrbegehren und das Rentenbegehren ab.
Das Berufungsgericht gab in seinem Urteil vom 30. 9. 2015 der allein gegen die Abweisung des Rentenbegehrens gerichteten Berufung des Klägers nicht Folge und ließ die ordentliche Revision nicht zu. Mit Schriftsatz vom 19. 10. 2015 beantragte der Kläger die Abänderung des Zulassungsausspruchs nach § 508 Abs 1 ZPO und verband diesen Antrag mit einer ordentlichen Revision.
Nachdem mit Beschluss des Erstgerichts vom 20. 10. 2015 der Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten vom 2. 10. 2015 gegen die Versäumung der Berufungsfrist bewilligt worden war, gab das Berufungsgericht der gegen den stattgebenden Teil des Ersturteils erhobenen Berufung der Beklagten mit Urteil vom 9. 12. 2015 im Umfang einer weiteren Abweisung von 10.000 EUR sA teilweise statt und ließ die ordentliche Revision zu. Dagegen erhob allein die Beklagte eine vom Kläger beantwortete ordentliche Revision.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers wurde unmittelbar dem Obersten Gerichtshof vorgelegt. Diese Vorgangsweise entspricht nicht dem Gesetz.
1. Gemäß § 502 Abs 3 ZPO ist die Revision ‑ außer im Fall des § 508 Abs 3 ZPO ‑ jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert zwar 5.000 EUR, nicht aber insgesamt 30.000 EUR übersteigt und das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO ‑ wie hier in der Entscheidung über die Berufung des Klägers betreffend das Rentenbegehren mit einem Streitwert von 28.800 EUR (36 x 800 EUR; vgl § 58 Abs 1 JN) ‑ für nicht zulässig erklärt hat. Unter diesen Voraussetzungen kann jedoch eine Partei gemäß § 508 Abs 1 und 2 ZPO binnen vier Wochen nach der Zustellung des Berufungsurteils den beim Erstgericht (§ 508 Abs 2 Satz 1 ZPO) einzubringenden Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahingehend abzuändern, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde; ein solcher Antrag, der mit der ordentlichen Revision zu verbinden ist, muss die Gründe dafür anführen, warum entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 502 Abs 1 ZPO die ordentliche Revision für zulässig erachtet wird.
Der Kläger hat entsprechend der dargelegten Rechtslage innerhalb der vierwöchigen Frist des § 508 Abs 2 ZPO einen Antrag nach § 508 Abs 1 ZPO an das Berufungsgericht gestellt und damit die ordentliche Revision verbunden. Diesen Antrag legte das Erstgericht allerdings nicht dem Berufungsgericht zur Entscheidung vor, weil es offenbar ‑ entsprechend der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts in seiner Rücksendungsnote zum Berufungsurteil vom 9. 12. 2015 ‑ die gesonderten Berufungsurteile als Einheit ansah mit der Folge, dass der berufungsgerichtliche Entscheidungsgegenstand insgesamt 30.000 EUR übersteigt.
2.1. Grundsätzlich sind sämtliche Ansprüche aus einem Unfall gemäß § 55 Abs 1 JN ‑ diese Bestimmung ist nach § 55 Abs 4 JN auch für die Zulässigkeit von Rechtsmitteln maßgebend - zusammenzurechnen ( Gitschthaler in Fasching/Konecny³ § 55 JN Rz 20). Der Wert des Berufungsgegenstands ist der Wert desjenigen Teils des Streitgegenstands, dessen Ausspruch bekämpft wird und der abgeändert oder aufgehoben werden soll (RIS‑Justiz RS0042416). Nur der gesamte Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts ist für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision maßgebend (RIS‑Justiz RS0042408).
Die Ansprüche des Klägers stehen in einem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang, weshalb grundsätzlich eine Zusammenrechnung vorzunehmen ist.
2.2. In der Entscheidung 6 Ob 508/91 wurde die sinngemäße Anwendung des § 55 Abs 3 JN auf Fälle der berufungsgerichtlichen Teilentscheidungen beschränkt, in denen nach der Verfahrenslage im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung noch mit einer weiteren zweitinstanzlichen Entscheidung gerechnet werden muss. Nach Petrasch (ÖJZ 1985, 295 f) dürfe die Zerlegung des Streitgegenstands in Teilurteile nicht willkürlich erfolgen.
Davon ausgehend gilt hier, dass trotz zusammenzurechnender Teilansprüche allein der Entscheidungsgegenstand des ersten Berufungsurteils für die Frage der Zulässigkeit der Revision maßgeblich ist, weil im Zeitpunkt der Fällung dieser Entscheidung noch nicht absehbar war, dass infolge Bewilligung eines Wiedereinsetzungsantrags eine weitere Berufungs-entscheidung erforderlich sein würde.
2.3. Für das Berufungsurteil vom 30. 9. 2015 folgt daraus, dass lediglich von einem Entscheidungsgegenstand von 28.800 EUR auszugehen ist. Der mit einer ordentlichen Revision verbundene Antrag des Klägers ist nach § 508 Abs 1 ZPO gemäß § 507b Abs 2 ZPO dem Berufungsgericht zur Entscheidung vorzulegen. Die Akten sind anschließend (allenfalls nach Ablauf einer Revisionsbeantwortungsfrist) dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über die Revision der Beklagten wieder vorzulegen.
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