OGH 17Os32/15g

OGH17Os32/15g7.3.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. März 2016 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oberressl in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Schönmann als Schriftführer in der Strafsache gegen Herbert P***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Schöffengericht vom 27. April 2015, GZ 38 Hv 91/13t‑28, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0170OS00032.15G.0307.000

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Krems an der Donau verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Herbert P***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in Z***** als Bürgermeister der gleichnamigen Gemeinde, somit als Beamter, mit dem Vorsatz, dadurch das Land Niederösterreich an dessen Recht „auf Einhaltung der Bauordnung unter Beachtung der darauf bezogenen Verfahrensvorschriften, insbesondere auf Bestrafung von Verwaltungsübertretungen nach der Bauordnung und Beseitigung von rechtswidrig errichteten Bauwerken“ zu schädigen, seine Befugnis, im Namen der Gemeinde als deren Organ, nämlich als Baubehörde erster Instanz, in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, dadurch wissentlich missbraucht, dass er in Kenntnis der Existenz von ohne Bewilligung errichteten „Schwarzbauten“ auf einem als Grünland Land- und Forstwirtschaft gewidmeten, im angefochtenen Urteil näher bezeichneten, Grundstück von Juni 2009 bis Oktober 2009 „die Einleitung eines Verwaltungsstrafverfahrens bei der Bezirkshauptmannschaft Z*****“ und im Zeitraum von Juni 2009 bis Juni 2012 die Einleitung eines Abbruchverfahrens unterließ und stattdessen ein Verfahren zur Änderung des Flächenwidmungsplans einleitete.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und b, 10a und 11 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist im Recht.

Dem Schuldspruch liegt zusammengefasst folgender Urteilssachverhalt zugrunde (US 3 ff):

Heinrich M***** habe 2008 auf unter anderem in seinem Eigentum stehenden Grundstücken in der zur Gemeinde Z***** gehörenden Katastral-gemeinde A***** vier kleine befestigte Gebäude ohne baurechtliche Bewilligung errichtet, um die Infrastruktur für die alljährliche Sonnwendfeier der Dorfgemeinschaft zu verbessern. Eines der Gebäude habe er auch als Garage für ein von ihm erworbenes, nicht mehr fahrtüchtiges Feuerwehrauto verwendet. Hievon habe Josef R***** den Angeklagten mit Schreiben vom 12. Juni 2009 informiert. Nach Verifizierung des Sachverhalts durch den Amtssachverständigen in einem Lokalaugenschein am 3. August 2009 habe der Angeklagte Heinrich (und Maria) M***** mit Schreiben vom 6. August 2009 die Möglichkeit zur Stellungnahme zum ins Auge gefassten Abbruchauftrag eingeräumt. Heinrich M***** habe Herbert P***** daraufhin mitgeteilt, er habe die Gebäude zum Wohl der Ortsgemeinschaft errichtet, weshalb dieser nach einer Möglichkeit gesucht habe, die Gebäude „nachträglich rechtlich zu sanieren“. Die Gemeinde Z***** habe Ende 2009 das Verfahren zur Widmung der betroffenen Grundstücke als „Grünland-Sportstätte“ in Gang gesetzt. Nach Einholung mehrerer Gutachten und Genehmigung durch die Niederösterreichische Landesregierung sei die Umwidmung per Verordnung am 21. Februar 2012 in Kraft getreten. Am 23. Juli 2012 habe Herbert P***** nachträglich die baubehördliche Bewilligung für die Gebäude erteilt. Anzeige an die Bezirkshauptmannschaft habe er nicht erstattet; diese habe vom Sachverhalt am 20. Oktober 2009 durch ein anonymes Schreiben Kenntnis erlangt.

Zur subjektiven Tatseite konstatierten die Tatrichter (US 4 f), Herbert P***** habe gewusst, dass er als Bürgermeister und zuständige Baubehörde verpflichtet gewesen wäre, einen Abbruchauftrag hinsichtlich der „Schwarzbauten“ zu erlassen und den Sachverhalt der Bezirkshauptmannschaft Z***** als Verwaltungsstrafbehörde anzuzeigen. Um „Heinrich M***** vor negativen Folgen aus der Errichtung der Schwarzbauten zu bewahren“, habe er die ihn treffenden Handlungspflichten bewusst nicht erfüllt. Dabei habe er es in seinen Vorsatz aufgenommen, das Land Niederösterreich an seinem Recht „auf Einhaltung der Bauordnung unter Beachtung der darauf bezogenen Verfahrensvorschriften, insbesondere in seinem Recht auf Bestrafung von Verwaltungsübertretungen nach der Bauordnung und der Beseitigung von rechtswidrig errichteten Bauwerken“ zu schädigen.

Zutreffend zeigt der Beschwerdeführer mangelhafte Begründung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite auf.

Die Annahme wissentlicher Unterlassung eines Abbruchauftrags begründete das Erstgericht mit dem äußeren Geschehensablauf und der „jahrzehntelangen Tätigkeit“ des Beschwerdeführers „in der Gemeinde“ (US 7 f). Dabei blieb jedoch die Aussage des Zeugen Mag. Hermann N***** im Urteil gänzlich unerörtert. Dieser gab im Wesentlichen an, als einziger Jurist im Stadtamt der genannten Gemeinde mit der Anzeige betreffend die hier gegenständlichen „Schwarzbauten“ befasst gewesen zu sein. Er habe zunächst „diesen Sachverhalt vor Ort von einem Bautechniker“ überprüfen lassen und danach den Grundstückseigentümern Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Mit dem Beschwerdeführer habe er mehrfach die weitere Vorgangsweise (Einleitung des Umwidmungsverfahrens statt Erlassung eines Abbruchauftrags) besprochen. Er habe dies ‑ im Hinblick auf die vom in Raumordnungsangelegenheiten beigezogenen Ziviltechniker und von der Aufsichtsbehörde signalisierten Erfolgsaussichten eines Umwidmungsverfahrens sowie das Interesse der Ortsgemeinde an den Gebäuden ‑ „rechtlich für vertretbar“ gehalten, andernfalls er dies „nicht zugelassen“ hätte (ON 27a S 26 ff). Bei dieser Zeugenaussage handelt es sich um ein erhebliches Beweisergebnis, welches der festgestellten Wissentlichkeit des Befugnismissbrauchs entgegensteht und daher ‑ bei sonstiger Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) ‑ nicht unerörtert bleiben durfte ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 421, 424 und 435/1). Sie steht im Übrigen im Einklang mit der insoweit leugnenden Verantwortung des Beschwerdeführers, der angab, er sei „nicht so ein Rechtskundiger“ und habe sich „darauf“ (gemeint ersichtlich: den Rat des Juristen Mag. Hermann N*****) „verlassen“ (ON 27a S 3 ff).

Im Recht ist auch die weitere Mängelrüge, soweit sie (hinreichend deutlich) im Zusammenhang mit dem Vorwurf unterlassener Anzeigeerstattung offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) der Konstatierung eines auf Schädigung des Landes Niederösterreich an dessen „Recht auf Bestrafung von Verwaltungsübertretungen“ (US 4) einwendet. Dies begründeten die Tatrichter nämlich (ausschließlich) mit einer ‑ ihrer Ansicht nach vom Beschwerdeführer erkannten und gebilligten ‑ Erhöhung der „Gefahr einer Verjährung der Strafbarkeit“ (US 8 und 11).

Dazu ist vorweg festzuhalten, dass der Beschwerdeführer nach dem eingangs wiedergegebenen Urteilssachverhalt in Reaktion auf die (am 12. Juni 2009 schriftlich erfolgte) Mitteilung bewilligungsloser Errichtung von Gebäuden zunächst die Überprüfung mittels Lokalaugenscheins durch den Amtssachverständigen angeordnet habe. Strafrechtlich relevante Untätigkeit ist darin nicht zu erblicken. Eine im Sinn des § 302 Abs 1 StGB tatbildliche Verletzung der Anzeigepflicht durch den Beschwerdeführer kommt daher nur im Zeitraum zwischen 3. August 2009 (also nach amtlicher Verifizierung der Mitteilung) und ‑ wie das Erstgericht zutreffend erkannte (US 10) ‑ 20. Oktober 2009 in Betracht (als der Sachverhalt der Bezirkshauptmannschaft als zuständiger Verwaltungs-strafbehörde mittels anonymer Anzeige mitgeteilt wurde [14 Os 27/96; vgl auch 17 Os 8/12y; 17 Os 1/13w]).

Für den verbleibenden Zeitraum von etwa zwei Monaten ist zu beachten: Gemäß § 31 Abs 1 und 2 VStG in der im Tatzeitraum geltenden Fassung (BGBl I 2009/20) war die Verfolgung von Verwaltungsübertretungen unzulässig, wenn binnen sechs Monaten keine Verfolgungshandlung vorgenommen worden ist. Der Lauf der Verjährungsfrist begann ‑ soweit hier von Bedeutung ‑ mit dem Abschluss der strafbaren Tätigkeit oder der Beendigung des strafbaren Verhaltens.

Vorliegend wird dem Beschwerdeführer angelastet, Verwaltungsübertretungen nach § 37 Abs 1 Z 1 Niederösterreichische Bauordnung 1996 (kurz: BauO) nicht der Bezirksverwaltungsbehörde angezeigt zu haben (US 4 und 9). Diese Bestimmung normiert einerseits die Ausführung eines bewilligungspflichtigen Bauvorhabens ohne Bewilligung (Begehungsdelikt), andererseits die Benützung eines so errichteten Bauwerks (Dauerdelikt). In der Variante des Begehungsdelikts war die sechsmonatige Verjährungsfrist am 3. August 2009 bereits abgelaufen, weil die gegenständlichen Gebäude nach dem Urteilssachverhalt spätestens 2008 ohne Bewilligung errichtet worden seien (US 3; vgl zum Beginn der Verjährungsfrist bei bewilligungsloser Bauführung VwGH 2003/05/0183; 96/06/0151). Soweit den Entscheidungsgründen eine (teilweise) Benützung dieser Bauwerke durch Heinrich M***** (Dauerdelikt) zu entnehmen ist (vgl US 3), begann die Verjährungsfrist während des hier angelasteten Zeitraums unterlassener Anzeigeerstattung (mangels Beendigung des strafbaren Verhaltens) noch nicht zu laufen ( K. Stöger in N. Raschauer/Wessely [Hrsg] Kommentar zum Verwaltungsstrafgesetz § 31 Rz 2 und 5; Weilguni in Lewisch/Fister/Weilguni , VStG § 31 Rz 5 und 10 f).

Das Verhalten des Beschwerdeführers konnte daher nach den im Urteil geschilderten konkreten Umständen zu keiner Verfolgungsverjährung führen (RIS‑Justiz RS0095844 [T10]; RS0094386). Die gerade auf eine solche Gefahr gestützte Begründung der Feststellung eines auf Beeinträchtigung des Rechts auf Bestrafung von Verwaltungsübertretungen gerichteten Schädigungsvorsatzes ist daher mit den Denkgesetzen und grundlegenden Erfahrungssätzen nicht in Einklang zu bringen und somit offenbar unzureichend ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 444).

Die aufgezeigten Begründungsmängel erfordern die Aufhebung des gesamten Urteils schon bei der nichtöffentlichen Beratung samt Rückverweisung der Sache an das Erstgericht (§ 285e StPO).

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

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