OGH 5Ob242/15x

OGH5Ob242/15x23.2.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Höllwerth, die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj K***** P*****, geboren am *****, wegen persönlicher Kontakte, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters Dr. K***** P*****, vertreten durch Mag. Michaela Krankl, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 16. September 2015, GZ 1 R 227/15g‑158, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-West vom 18. Juni 2015, GZ 513 Ps 18/10a‑147, bestätigt wurde,den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0050OB00242.15X.0223.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

 

Begründung:

Die 15‑jährige K***** entstammt der im Jahr 2007 geschiedenen Ehe des Dr. K***** P***** und der Dr. A***** P*****. Die Mutter ist aufgrund einer im August 2009 getroffenen Vereinbarung der Eltern allein obsorgeberechtigt.

Das Erstgericht hat mit Beschluss vom 15. 5. 2012 das Kontaktrecht des Vaters ausgesetzt. Ein vom Vater im Jahr 2013 erhobener Antrag auf Kontaktrechtsregelung blieb erfolglos.

Das Erstgericht wies nunmehr den neuerlichen Antrag des Vaters vom 18. 2. 2015 auf gerichtliche Anbahnung persönlicher Kontakte gestützt auf § 108 AußStrG mit der wesentlichen Begründung ab, dass die Tochter eindeutig und glaubwürdig Kontakte zum Vater abgelehnt habe.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge. Die mittlerweile mündige Minderjährige habe bei mehreren gerichtlichen Befragungen klar zum Ausdruck gebracht, Besuchskontakte zu ihrem Vater abzulehnen. Die Entscheidung des Erstgerichts entspreche daher der Sach- und Rechtslage.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Antragsstattgebung. Hilfsweise stellt der Vater auch einen Aufhebungsantrag.

Die Mutter und das Kind erstatteten keine ‑ ihnen freigestelle ‑ Revisionsrekursbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und in seinem Aufhebungsantrag berechtigt, weil die Vorinstanzen, wie im Revisionsrekurs mit Recht geltend gemacht, die in § 108 AußStrG vorgesehene Pflicht des Erstgerichts zur Belehrung der Minderjährigen und zum Versuch einer gütlichen Einigung nicht beachtet haben:

1. Lehnt eine Minderjährige, die ‑ wie hier ‑ das 14. Lebensjahr bereits vollendet hat, ausdrücklich die Ausübung der persönlichen Kontakte ab und bleiben eine Belehrung über die Rechtslage und darüber, dass die Anbahnung oder Aufrechterhaltung des Kontakts mit beiden Elternteilen grundsätzlich seinem Wohl entspricht (vgl auch ErläutRV 224 BlgNR 22. GP  76), sowie der Versuch einer gütlichen Einigung erfolglos, so ist gemäß § 108 AußStrG der Antrag auf Regelung der persönlichen Kontakte ohne weitere inhaltliche Prüfung abzuweisen.

2. Die Belehrung nach § 108 AußStrG muss die besondere Bedeutung des Kontaktrechts, die Voraussetzungen einer Kontaktregelung und die möglichen (nachteiligen) Folgen der Weigerung der Minderjährigen umfassen (vgl Beck in Gitschthaler/Höllwerth, § 108 AußStrG Rz 10). § 108 AußStrG trägt dem Gericht auch den Versuch einer gütlichen Einigung auf. Wie dabei zielführend vorzugehen ist, muss sich zwangsläufig an den Umständen des konkreten Einzelfalls orientieren. Nach den bisherigen Erfahrungen mit den Beteiligten hat das Gericht sorgfältig abzuwägen, ob zur Förderung einer solchen gütlichen Einigung etwa ein gemeinsamer Termin mit der Minderjährigen und dem eine Kontaktregelung anstrebenden Elternteil in Frage kommt oder ob nachdrücklich auf die Möglichkeit einer Mediation hingewiesen werden soll.

3. Die in § 108 AußStrG vorgesehene Belehrung der Minderjährigen und der Versuch einer gütlichen Einigung stellen zwar inhaltlich Verfahrensvorschriften dar, die allerdings gezielt der Wahrung des Kindeswohls dienen, und deren Einhaltung zugleich ausdrückliche gesetzliche Voraussetzung dafür ist, den Antrag auf Kontaktrechtsregelung „ohne weitere inhaltliche Prüfung abzuweisen und von der Fortsetzung der Durchsetzung abzusehen“. Die unterlassene Belehrung der Minderjährigen nach § 108 AußStrG und der unterbliebene Versuch einer gütlichen Einigung können daher aus Gründen des Kindeswohls selbst dann noch im Revisionsrekursverfahren geltend gemacht werden, wenn dies ‑ wie hier ‑ im vom Vater selbst verfassten Rekurs nicht (ausdrücklich) erfolgt ist (vgl dazu RIS‑Justiz RS0050037 [T4]; RS0119918 [T6]).

4. Das Erstgericht hat vor seiner Entscheidung mit der Minderjährigen zwar ein Gespräch geführt, diese aber nach dem darüber aufgenommenen Aktenvermerk nicht im Sinn des § 108 AußStrG belehrt und auch keinen nachvollziehbaren Versuch einer gütlichen Einigung unternommen. Dieser vom Vater mit Recht aufgezeigte Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens schließt eine auf § 108 AußStrG gestützte Abweisung des Antrags auf Kontaktrechtsregelung ohne weitere inhaltliche Prüfung aus und ist zur Wahrung des Wohls der Minderjährigen aufzugreifen, was zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen führen muss. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren eine dem Sinn des § 108 AußStrG entsprechende Belehrung der Minderjährigen sowie den Versuch einer gütlichen Einigung vorzunehmen (vgl dazu Punkt 2.) und sodann neuerlich über den Antrag des Vaters auf Kontaktrechtsregelung zu entscheiden haben.

5. Bei dieser Sachlage ist auf die vom Vater gegen § 108 AußStrG geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken mangels Entscheidungsrelevanz nicht einzugehen.

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