Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahingehend abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin nimmt die Beklagte, die sie früher regelmäßig anwaltlich beraten und vertreten hat, auf Schadenersatz aufgrund von Fehlberatung bzw fehlerhafter Führung von Verfahren in Anspruch. Im Revisionsverfahren ist nur noch ein am Bezirksgericht Linz geführtes Verfahren über die Vollstreckbarerklärung eines tschechischen Versäumungsurteils gegen die Klägerin gegenständlich. Die Beklagte sollte dieses Urteil in Tschechien bekämpfen bzw die Vollstreckung in Österreich abwehren.
Unbestritten ist, dass die Klägerin an ihrer im tschechischen Handelsregister eingetragenen Anschrift zumindest seit dem Jahr 2002 tatsächlich keine Niederlassung mehr betrieb. Die Ladung zur Verhandlung und das Versäumungsurteil des tschechischen Gerichts wurden im Jahr 2004 dennoch an dieser Adresse zugestellt; sämtliche dagegen in Tschechien erhobenen Rechtsmittel blieben erfolglos. Nach Ansicht der tschechischen Gerichte hätte sich die Klägerin um die Richtigstellung oder Löschung ihrer Anschrift im Handelsregister selbst kümmern müssen.
Die beklagte Partei hat für die Klägerin gegen die vom Bezirksgericht Linz erlassene Vollstreckbarerklärung Rekurs und anschließend Revisionsrekurs erhoben und sich dabei ausdrücklich auch auf Art 34 Nr 2 EuGVVO berufen. Sowohl das Rekursgericht als auch der Oberste Gerichtshof (3 Ob 34/08h) verneinten aber das Vorliegen dieses Versagungsgrundes. Dabei gingen sie davon aus, dass die Zweigniederlassung im tschechischen Firmenbuch im Jahr 2006 gelöscht wurde. Dass die Ladung und das Versäumungsurteil im Jahr 2004 an dieser Zweigniederlassung und nicht an der Hauptniederlassung in Linz zugestellt wurden, sei jedenfalls bloß ein geringfügiger Zustellfehler durch den der Klägerin nicht das rechtliche Gehör entzogen worden sei.
Die Klägerin wirft der Beklagten vor, die Vollstreckbarerklärung des Urteils in Österreich nicht verhindert zu haben. Die Beklagte hätte den Versagungsgrund des Art 34 Nr 2 EuGVVO näher ausführen müssen. Dann hätte das Versäumungsurteil in Österreich nicht vollstreckt werden können, sodass die Klägerin ihrem Gegner den in diesem Urteil zugesprochenen Betrag von 435.935,80 EUR nicht hätte bezahlen müssen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren in diesem Punkt wegen Verjährung ab.
Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Klägerin erhobenen Berufung Folge und sprach durch Zwischenurteil gemäß § 393a ZPO aus, dass das Klagebegehren nicht verjährt sei. Es trug dem Erstgericht die Verfahrensergänzung dahingehend auf, wie „der Prozess“ (richtig: das Verfahren über die Vollstreckbarerklärung) mutmaßlich verlaufen wäre, wenn die Beklagte näheres Vorbringen zum Entzug des rechtlichen Gehörs nach Art 34 Nr 2 EuGVVO erstattet hätte.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die rechtzeitige Revision der beklagten Partei.
Rechtliche Beurteilung
Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Die Revision ist im Sinne der Rechtssicherheit zulässig; sie ist auch berechtigt.
1. Hat das Berufungsgericht das Ersturteil in ein Zwischenurteil über den Grund des Anspruchs bzw ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ die Verjährung abgeändert, so ist das Zwischenurteil nicht etwa mit Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu bekämpfen, der nur unter der Voraussetzung des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO zulässig wäre, sondern mit Revision. Als Ergebnis der Revision kann der Oberste Gerichtshof auch das Ersturteil wiederherstellen (vgl 1 Ob 9/05p).
2.1. Die Klägerin steht auf dem Standpunkt, hätte die Beklagte in ihrem Rekurs gegen die Vollstreckbarerklärung auch vorgebracht, dass die Niederlassung in Prag nicht erst ab der formellen Löschung im Jahr 2006, sondern faktisch jedenfalls bereits ab dem Jahr 2002 nicht mehr an der im Handelsregister eingetragenen Adresse existierte, sodass die Klägerin von der Ladung zur Verhandlung und dem Versäumungsurteil keine Kenntnis erhalten konnte, wäre der Versagungsgrund des Art 34 Nr 2 EuGVVO erfüllt gewesen.
2.2. Dem ist nicht zu folgen. Im vorliegenden Fall wäre die Vollstreckbarerklärung des tschechischen Urteils nicht zu verhindern gewesen:
2.3. Der auf den Anlassfall noch anzuwendende Versagungsgrund des Art 34 Nr 2 EuGVVO setzt voraus, dass dem Beklagten das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht in einer Weise zugestellt wurde, dass er sich verteidigen konnte. Selbst im Fall der Verletzung der jeweiligen Zustellvorschriften ist noch von einem inhaltlichen Standpunkt zu prüfen, ob der Zustellfehler die Verteidigungsrechte des Schuldners beeinträchtigt hat (Rassi in Fasching/Konecny 2 Art 34 EuGVVO Rz 52 mwN). Dabei geht es um Wertungen tatsächlicher Art; ein rein formaler Zustellfehler reicht nicht aus, um die Anerkennung zu verhindern (Kodek in Czernich/Kodek/Mayr Europäisches Gerichtsstands‑ und Vollstreckungsrecht4 [2015] Art 45 EuGVVO 2012 Rz 34).
2.4. Auch eine fiktive Zustellung kann nach dieser Bestimmung grundsätzlich zulässig sein, sofern sie durch qualifizierte Umstände gerechtfertigt ist. Durch die Verletzung der Pflicht eines Unternehmers das Firmenbuch von Adressänderungen zu informieren, tritt ein solcher qualifizierter Umstand ein, der eine fiktive Zustellung rechtfertigt; ein sorgfältiger Unternehmer wäre seinen diesbezüglichen Pflichten nachgekommen (vgl Rassi in Fasching/Konecny 2 Art 34 EuGVVO Rz 59). Im Übrigen sieht auch das österreichische Recht in § 92 ZPO idF BGBl I 2010/111 eine vergleichbare Regelung vor. Vor Inkrafttreten dieser Bestimmung zu dieser Frage ergangene Entscheidungen sind daher insoweit nicht mehr einschlägig.
2.5. Diesem Ergebnis steht auch die Entscheidung 3 Ob 232/14k nicht entgegen. In dieser Entscheidung sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass fiktive Zustellungen grundsätzlich zulässig sein könnten. Im Anlassfall war jedoch von einem deutschen Gericht eine Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung in Form eines Anschlags an der Gerichtstafel vorgenommen worden, obwohl der Kläger die Unbekanntheit des Aufenthaltsorts des Beklagten nicht ausreichend bescheinigt hatte. Dadurch sei dem Beklagten das rechtliche Gehör entzogen und somit der Versagungsgrund des Art 34 Nr 2 EuGVVO verwirklicht worden. Diese Entscheidung lässt sich jedoch nicht auf den vorliegenden Fall, in dem die klagende Partei ihre Verpflichtung zur Richtigstellung der Anschrift im tschechischen Firmenbuch verletzt hat, übertragen.
2.6. Auch nach der überwiegenden Literatur in Deutschland bilden bloß formale Zustellfehler keinen Versagungsgrund. Fiktive Zustellungen müssten grundsätzlich zulässig sein, weil sich der Prozessgegner sonst durch bloßes „Untertauchen“ jeder Rechtsverfolgung entziehen könne (Gottwald in Münchner Kommentar ZPO4 Art 34 EuGVVO Rz 26 ff und 38; Stadler in Musielak/Voit, ZPO12 Art 34 EuGVVO Rz 8).
2.7. In einem zum vorliegenden Sachverhalt vergleichbaren Fall hat das Oberlandesgericht München zu 25 W 20462/07 ausgeführt, der Versagungsgrund des Art 34 Nr 2 EuGVVO liege nicht vor, wenn die beklagte Gesellschaft ihren Sitz verlege ohne dies mitzuteilen. In diesem Fall habe sie es selbst zu vertreten, wenn sie Zustellungen nicht erreichten. Der Versagungsgrund des Art 34 Nr 2 EuGVVO wäre in einem Fall, in dem eine Gesellschaft eine unrichtige Anschrift im Handelsregister belässt, nicht erfüllt, weil der Gesellschaft zugemutet werden könne, sich um eine Nachsendung zu kümmern. Mit einer ähnlichen Begründung verwarfen auch die tschechischen Gerichte im Ausgangsverfahren sämtliche Rechtsmittel gegen das Versäumungsurteil.
2.8. Damit ist aber davon auszugehen, dass die Vollstreckbarerklärung selbst bei Erstattung des von der Klägerin nun gewünschten Vorbringens erteilt worden wäre. Aus diesem Grund ist das von der Klägerin vermisste Vorbringen aber schon abstrakt nicht geeignet, einen anderen Ausgang des Vorverfahrens herbeizuführen; näherer Tatsachenfeststellungen über den hypothetischen Verfahrensausgang bedurfte es daher nicht.
3. Daher war das angefochtene Urteil in Stattgebung der Revision spruchgemäß abzuändern und die im Ergebnis zutreffende klagsabweisende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.
Eine Kostenentscheidung hatte zu entfallen, weil das Erstgericht die Kostenentscheidung bis zur rechtskräftigen Erledigung der Streitsache vorbehalten hat.
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