OGH 8Ob124/15s

OGH8Ob124/15s19.2.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, den Hofrat Dr. Brenn sowie die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj J* E*, geboren am * 2010, *, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt‑Land, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Vaters M* S*, vertreten durch Mag. Christian Sintschnig, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 9. September 2015, GZ 4 R 177/15v‑49, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 28. Juli 2015, GZ 3 Pu 123/14h‑40, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:E113951

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Die 2010 geborene Tochter des Revisionsrekurswerbers lebt im Haushalt der derzeit allein obsorgeberechtigten Mutter; die Entfernung zwischen den Wohnorten der geschiedenen Eltern beträgt 324 km. Der Vater war aufgrund eines Vergleichs zur Zahlung von monatlich 300 EUR Geldunterhalt an die Tochter verpflichtet. Er beantragte die Herabsetzung dieser Unterhaltspflicht ab 1. 9. 2014 auf monatlich 50 EUR; er habe seinen Arbeitsplatz verloren und dadurch einen erheblichen Einkommensverlust, außerdem habe er hohe Spesen für die Ausübung des vereinbarten 14‑tägigen Kontaktrechts zu tragen. Nach den Ansätzen des amtlichen Kilometergelds seien allein die Pkw‑Fahrtkosten mit 800 EUR monatlich zu beziffern.

Das Erstgericht gab dem Antrag teilweise statt und setzte die Geldunterhaltspflicht des Vaters für die Zeit vom 1. 9. 2014 bis 31. 1. 2015 auf 220 EUR, vom 1. 2. 2015 bis 31. 5. 2015 auf 265 EUR und ab 1. 6. 2015 auf 250 EUR herab.

Dieser Entscheidung liegt ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen des Vaters von 1.735 EUR bis 31. 5. 2015 und von 1.634 EUR ab dem 1. 6. 2015 zugrunde (je inklusive aliquotierter Abfertigung von 264 EUR monatlich). Von dieser Bemessungsgrundlage seien 300 EUR als angemessener Teil der monatlichen Pkw-Fahrtkosten des Vaters abzuziehen, weiters berücksichtigte das Erstgericht ein (geringfügig) über dem Durchschnitt liegendes zeitliches Betreuungsausmaß. Ab 25. 1. 2015 hätten bis auf weiteres keine regelmäßigen Besuchskontakte stattgefunden, sodass danach die ungekürzte Bemessungsgrundlage heranzuziehen sei.

Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel des Vaters teilweise Folge und änderte den Beschluss des Erstgerichts unter Bestätigung seiner übrigen Spruchpunkte dahin ab, dass es die Unterhaltsverpflichtung ab 1. 9. 2015 auf 220 EUR monatlich herabsetzte.

Das Erstgericht habe das Auslaufen des Abfertigungszeitraums mit August 2015 nicht berücksichtigt, im Übrigen stehe das Ergebnis seiner Bemessung aber mit den Grundsätzen der ständigen Rechtsprechung im Einklang. Eine noch weitergehende Herabsetzung des Unterhalts sei mit dem Kindeswohl nicht vereinbar. Dazu komme, dass der Vater durchaus in der Lage wäre, seinen Fahrtspesenaufwand einzuschränken, etwa durch Nutzung der bestehenden Bahnverbindung.

Die im Rekurs mit 8.087,36 EUR behaupteten, aber nur zum Teil nachgewiesenen Kosten der Vertretung im Kontaktrechtsverfahren, die der Vater zur Durchsetzung des ab Februar 2015 von der Mutter unterbrochenen Besuchskontakts aufgewendet habe, könnten die Unterhaltsbemessungsgrundlage nicht zu Lasten des Kindes mindern.

Das Rekursgericht erklärte den Revisionsrekurs für zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu fehle, ob bzw unter welchen Voraussetzungen Kosten der Durchsetzung der festgelegten Besuchskontakte eine maßvolle Minderung des Geldunterhalts rechtfertigen könnten, insbesondere unter dem Aspekt, dass den Vater eine Kontaktpflicht treffe.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Vaters, mit dem er die Herabsetzung seiner Geldunterhaltspflicht ab 1. 9. 2014 auf monatlich 50 EUR anstrebt, ist im Sinne der Ausführungen des Rekursgerichts zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Im Revisionsrekursverfahren herrscht Neuerungsverbot. Eine Durchbrechung desselben aus Gründen des Kindeswohls kann im Regelfall nur in Obsorge‑ und Besuchsrechtsverfahren erwogen werden; in Unterhaltsverfahren müssten schon ganz besondere Umstände vorliegen, die es rechtfertigen könnten, das Neuerungsverbot zu unterlaufen (RIS‑Justiz RS0119918 [T1; T4]).

Solche Umstände zeigt der Revisionsrekurs nicht auf. Eine Berücksichtigung von Neuerungen, auf deren Grundlage eine Herabsetzung des Kindesunterhalts angestrebt wird, läge nur im Interesse des Unterhaltspflichtigen. Ändern sich die für einen Geldunterhaltsanspruch maßgeblichen Umstände derart, dass eine Herabsetzung oder Erhöhung gerechtfertigt erscheint, kann aber ohnehin jederzeit die Neubemessung beantragt werden. Es wäre unzweckmäßig, das der rechtlichen Kontrolle dienende und für die Parteien kostenaufwändigere Rechtsmittelverfahren in Unterhaltssachen mit Neuerungen zu befrachten.

Auf die mit dem Revisionsrekurs vorgelegten Urkunden ist daher ebensowenig einzugehen wie auf neues Vorbringen des Rechtsmittelwerbers, das sich auf nach der Beschlussfassung in erster Instanz eingetretene Umstände bezieht.

2. Besuchskosten

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern die Kosten des Verkehrs des Kindes mit dem nicht sorgeberechtigten Elternteil und des Aufenthalts bei diesem Elternteil zu den Kosten des Unterhalts gehören (RIS‑Justiz RS0047869) und Aufwendungen im Rahmen des üblichen Besuchsrechts die Unterhaltsbemessung grundsätzlich nicht schmälern können (RIS‑Justiz RS0047505; 3 Ob 10/09f mwN). Zu diesen Aufwendungen gehören nicht nur übliche Fahrtkosten, sondern auch die vom Revisionsrekurswerber ins Treffen geführten Ausgaben für Zweit- und Ersatzkleidung, zusätzliche Spielsachen oder Freizeitunternehmungen.

Die Rechtsprechung anerkennt aber, dass ein unterhaltspflichtiger Elternteil seiner Besuchspflicht nachkommen können muss, ohne den eigenen Unterhalt zu gefährden (7 Ob 102/06d; 3 Ob 10/09f), weshalb in Ausnahmefällen exorbitant hoher Kosten der Besuchsrechtsausübung, die dem Unterhaltspflichtigen nur einen unter dem Existenzminimum liegenden Betrag belassen würden, unter Umständen neben dem Vermögen des Unterhaltspflichtigen auch der subsidiär unterhaltspflichtige andere Elternteil in die Tragung solcher Kosten einzubinden sein kann (3 Ob 10/09f; Gitschthaler Unterhaltsrecht², Rz 200).

Die Abzugsfähigkeit von Ausgaben steht beim Kindesunterhalt überdies unter einem „negativen Anspannungsgrundsatz“. Wenn ein ausreichender Kindesunterhalt, nämlich jener in etwa der Höhe des Regelbedarfs, gefährdet wäre, dann sind nur Ausgaben abzugsfähig, die auch ein pflichtbewusster Elternteil in der gleichen Situation aufwenden würde, weil ein sorgfaltsgerechter Unterhaltsschuldner seine Ausgaben erforderlichenfalls auf das absolut notwendige und unumgängliche Maß beschränken würde („Anspannungsschranke“; Schwimann/KolmaschUnterhalts-recht7 37).

Die Vorinstanzen sind in ihren Entscheidungen diesen Grundsätzen gefolgt.

Der Richtsatz für die Belastungsgrenze des Unterhaltspflichtigen ist das Unterhaltsexistenzminimum nach § 291b EO (das aber unter Umständen in den Grenzen des § 292b EO unterschritten werden kann), dieses betrug im Jahr 2014 750 EUR und 2015 763 EUR monatlich, 12 x jährlich (Grundbetrag).

Angesichts eines durchschnittlichen anrechenbaren Nettoeinkommens des Vaters im Jahr 2014 (bis einschließlich Mai 2015) von monatlich 1.724 EUR verblieben ihm nach Abzug des festgesetzten Kindesunterhalts von 220 EUR noch 1.504 EUR für eigene Bedürfnisse. Bei Annahme von 800 EUR an monatlichen Besuchskosten (= fiktives Kilometergeld) wäre das Unterhaltsexistenz-minimum des Vaters um 46 EUR unterschritten worden.

Ob damit tatsächlich bereits eine den eigenen Unterhalt des Vaters gefährdende Situation anzunehmen wäre, kann insofern dahingestellt bleiben, als ein Unterhaltspflichtiger zunächst auf eine möglichst schonende Ausübung des Kontaktrechts anzuspannen ist und eine Reduktion des Kindesunterhalts wegen Besuchskosten erst dann berechtigt sein kann, wenn bestehende Einsparungsmöglichkeiten, wie beispielsweise durch zumutbare Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, ausgeschöpft wurden.

Der Revisionsrekurs geht in seiner Bestreitung der Ausführungen des Rekursgerichts von weit überhöhten Ansätzen aus. Der günstigste in Betracht kommende Bahntarif (Jahresnetzkarte „Österreich Card“) beträgt fix 143,25 EUR monatlich. Wesentlich ist im Einzelfall aber, dass Vater und Kind jeweils weniger als 10 Straßenkilometer vom nächsten Hauptbahnhof mit Direktzugsverbindung entfernt wohnen und keine zwingenden Gründe ersichtlich sind, die einer Besuchsregelung mit Übergabe des Kindes an dessen Heimathauptbahnhof entgegenstehen würden. Selbst unter Hinzurechnung fallweiser Taxifahrten am Wohnort des Vaters (wo er allerdings auch über seinen Pkw verfügt) betragen die objektiv unerlässlichen Fahrtkosten daher nur einen Bruchteil des geltend gemachten Aufwands.

Indem das Erstgericht (unbekämpft) 300 EUR von der Unterhaltsbemessungsgrundlage für den Besuchsaufwand abgezogen hat, hat es seinen Ermessensspielraum jedenfalls nicht zu Lasten des Unterhaltspflichtigen überschritten.

3. Fiktive Besuchskosten

Die Vorinstanzen haben zu Recht berücksichtigt, dass die regelmäßigen Besuchskontakte des Vaters ab Februar 2015 abgerissen sind. Es besteht kein Anlass, den Unterhalt des Kindes wegen Fahrtkosten zu schmälern, die dem Vater tatsächlich nicht erwachsen sind, auch wenn der Abbruch der Besuche gegen seinen Willen und ohne gerechtfertigten Grund herbeigeführt worden sein sollte. Dem Wohl des Kindes würde doppelt zuwidergehandelt, wenn es nicht nur seelisch unter einem grundlosen Kontaktentzug, sondern auch wirtschaftlich durch Verkürzung seines regulären Unterhalts wegen bloß fiktiver Abzüge zu leiden hätte.

Auf eine etwaige Wiederaufnahme der Besuchskontakte kann hier im Revisionsrekursverfahren aufgrund des Neuerungsverbots nicht Bedacht genommen werden.

4. Abzug von Verfahrenskosten

Im Obsorge‑ und Kontaktrechtsverfahren hat jeder Elternteil nach § 107 Abs 5 AußStrG seine anfallenden Verfahrenskosten grundsätzlich selbst zu tragen.

Diese gesetzliche Kostentragungsregel, der in hochstreitigen Pflegschaftsverfahren nicht zuletzt eine wichtige Deeskalierungsfunktion zukommt, darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass der hauptbetreuende Elternteil auf dem Umweg der Verminderung des Kindesunterhalts doch zur Mitfinanzierung der gegnerischen Kosten herangezogen würde, weil er gegenüber dem Kind für dessen Ausfall aufkommen müsste (vgl 3 Ob 10/09f ‑ subsidiäre Tragung der Besuchskosten).

Der Gesetzgeber konnte beim Ausschluss des Kostenersatzes auch nicht übersehen haben, dass hauptbetreuende Elternteile notorisch bisweilen aus objektiv ungenügenden oder vorgeschobenen Gründen einen Kontakt des Kindes mit dem anderen verhindern. Keinesfalls lag es aber in seiner Intention, dass dem Kind ein (allfälliges) rechtswidriges Verhalten des anderen Elternteils als unterhaltsmindernd entgegengehalten werden könnte. Einem durch rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten mit besonderen Kosten belasteten Elternteil kommt allenfalls ein Schadenersatzanspruch zu, der im streitigen Verfahren gegen den Verursacher geltend zu machen ist (RIS‑Justiz RS0126872).

Darüber hinaus können besondere Ausgaben, die (auch) Zwecken des Unterhaltsberechtigten dienen bzw ihm zugutekommen, nur insoweit von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden, als sie ein pflichtbewusster Elternteil in der gleichen Situation aufwenden würde. Auch hier gilt der negative Anspannungsgrundsatz; ein pflichtbewusster Unterhaltsschuldner wird seine Ausgaben erforderlichenfalls auf das absolut notwendige und unumgängliche Maß beschränken (Schwimann/KolmaschaaO, 39).

Rechtsanwaltskosten zur Vertretung in einem Kontaktrechtsverfahren sind in der Regel keine unumgänglichen Ausgaben, weil in erster Instanz kein Vertretungszwang herrscht und im Rechtsmittelverfahren die Möglichkeit der Verfahrenshilfe offensteht. Der vorliegende Fall bildet keine Ausnahme; der Vater war nach dem Akteninhalt in der Lage, auch unvertreten ein geordnetes und ausführlich begründetes Antragsvorbringen zu erstatten.

Dem Revisionsrekurs musste daher ein Erfolg versagt bleiben.

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