OGH 13Os128/15w

OGH13Os128/15w18.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Dezember 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Jukic als Schriftführerin in der Finanzstrafsache gegen Alois Z***** und eine Angeklagte wegen Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 lit a FinStrG aF sowie weiterer strafbarer Handlungen, AZ 11 Hv 15/12p des Landesgerichts Wels, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 22. Mai 2015 (ON 79 der Hv‑Akten) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Ulrich, und der Verteidigerin Mag. Kahrer zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0130OS00128.15W.1218.000

 

Spruch:

In der Strafsache AZ 11 Hv 15/12p des Landesgerichts Wels verletzt der Beschluss dieses Gerichts vom 22. Mai 2015 (ON 79 der Hv‑Akten) § 495 Abs 3 StPO.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und dem Landesgericht Wels die neuerliche Entscheidung über den Antrag auf Widerruf der bedingten Strafnachsicht der Staatsanwaltschaft Wels vom 18. März 2015 aufgetragen.

Gründe:

Mit seit 6. Dezember 2013 rechtskräftigem (ON 41 S 55 sowie ON 43 iVm ON 51) Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 12. Juni 2013 (ON 42) wurde (soweit hier von Bedeutung) Christine A***** mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach §§ 11 dritter Fall, 33 Abs 2 lit b FinStrG schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 21 Abs 1 und 2 FinStrG sowie des § 22 Abs 1 FinStrG gemäß § 33 Abs 5 FinStrG zu einer ‑ nach § 26 Abs 1 FinStrG aF unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen ‑ Geldstrafe von 15.214,47 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe (§ 20 FinStrG) von zwei Monaten verurteilt. Zugleich erteilte das Gericht ‑ verfehlt in Urteilsform (RIS‑Justiz RS0086112; Lässig in WK 2 FinStrG § 26 Rz 9) ‑ im Sinn des § 26 Abs 2 FinStrG die Weisung, den geschuldeten Abgabenbetrag innerhalb eines Jahres zu entrichten.

Da die Verurteilte dieser Weisung laut einer Mitteilung des Finanzamts Grieskirchen Wels vom 23. Februar 2015 (ON 72) nicht entsprochen hatte, beantragte die Staatsanwaltschaft Wels am 18. März 2015 den Widerruf der bedingten Strafnachsicht (ON 72 S 1).

Hierauf erteilte das Landesgericht Wels der Verurteilten am 16. April 2015 eine Mahnung, wonach sie die Abgabenschuld binnen 14 Tagen zu begleichen habe, widrigenfalls die bedingte Strafnachsicht widerrufen werde (ON 74).

Mit seit 22. Juli 2015 rechtskräftigem (ON 92) Beschluss vom 22. Mai 2015 (ON 79) widerrief das Landesgericht Wels nach Einholung einer Strafregisterauskunft (ON 77 iVm ON 76 S 3) die bedingte Strafnachsicht mit der wesentlichen Begründung, die Verurteilte habe die ihr erteilte Weisung trotz förmlicher Mahnung nicht befolgt (§ 26 Abs 1 FinStrG iVm § 53 Abs 2 StGB).

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, verletzt dieser Beschluss das Gesetz:

Gemäß § 495 Abs 3 erster Satz StPO hat das Gericht vor der Entscheidung über den Widerruf einer bedingten Strafnachsicht den Ankläger, den Verurteilten und den Bewährungshelfer zu hören und eine Strafregisterauskunft einzuholen.

Diese Verpflichtung ist eine Minimalbedingung, deren Beachtung ein dem Gebot der Fairness entsprechendes Verfahren sicherstellen soll. Da der Entscheidung nach § 495 StPO (anders als bei § 494a StPO) keine Hauptverhandlung vorausgeht, kann sich insbesondere aufgrund von Angaben der Anhörungsberechtigten die Notwendigkeit weiterer Erhebungen ergeben. Ziel des Verfahrens ist somit die Schaffung einer zur verlässlichen Beurteilung der Widerrufsfrage hinreichenden Tatsachengrundlage ( Jerabek , WK‑StPO § 495 Rz 4).

Die im zweiten Satz des § 495 Abs 3 StPO normierte Einschränkung, wonach von der Anhörung des Verurteilten abgesehen werden kann, wenn die Durchführung unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde, ist als Ausnahmebestimmung restriktiv auszulegen ( Jerabek , WK‑StPO § 495 Rz 6 mwN).

Da das Erstgericht die bedingte Strafnachsicht widerrief, ohne die Verurteilte ‑ trotz aktenkundiger inländischer Wohnadresse ‑ diesbezüglich anzuhören, verletzte es somit § 495 Abs 3 StPO (RIS‑Justiz RS0101849).

Zumal ein der Verurteilten nachteiliger Einfluss der Gesetzesverletzung nicht auszuschließen ist, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

Im Hinblick darauf erübrigen sich ergänzende Erhebungen darüber, ob das Landesgericht Wels hinsichtlich der Zustellung der förmlichen Mahnung (ON 74) an die Verurteilte von einem nicht der wahren Sachlage entsprechenden Sachverhalt (§ 362 Abs 2 Z 2 StPO) ausgegangen ist.

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