OGH 9ObA138/15g

OGH9ObA138/15g26.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Dehn und die fachkundigen Laienrichter ADir Sabine Duminger und Johann Sommer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Dr. Thomas Stampfer, Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei I***** GmbH, vertreten durch Dr. Guido Bach, Rechtsanwalt in Wien, wegen 7.528,80 EUR brutto abzüglich 1.633,52 EUR netto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. August 2015, GZ 6 Ra 47/15a‑21, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00138.15G.1126.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1.1 Im konkreten Fall ist nicht strittig, dass für die vor dem 31. 12. 2012 fällig gewordenen und hier von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche zunächst die in § 14 Abs 1 des Kollektivvertrags für Arbeiterinnen/Arbeiter in der Denkmal‑, Fassaden‑ und Gebäudereinigung in der bis 31. 12. 2012 geltenden Fassung (KV‑DFG aF) normierte Verfallsfrist von drei Jahren anzuwenden war. Diese Verfallsfrist wurde aber gemäß § 18 dieses Kollektivvertrags in der seit 1. 1. 2013 geltenden Fassung (KV‑DFG nF) für alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis auf 12 Monate verkürzt. Gemäß § 19 Satz 1 KV‑DFG nF treten mit Wirksamkeit des KV‑DFG nF alle bisher geltenden Kollektivverträge zur Gänze außer Kraft.

1.2 Die Sonderbestimmung des Absatz 6 Satz 2 des Kundmachungspatents zum ABGB (JGS 1811/946, abgedruckt in Rummel³ I, 1 f), ordnet an, dass im Fall der Verkürzung einer bereits laufenden Verjährungsfrist durch ein neues Gesetz mangels abweichender gesetzlicher Regelung sich zwar die Länge der Verjährungsfrist nach dem neuen Gesetz bestimmt, diese (kürzere) Frist aber erst mit dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes zu laufen beginnt (§ 5 ABGB). Die Vorinstanzen sind unter sinngemäßer Anwendung dieser Sonderbestimmung davon ausgegangen, dass die verkürzte Frist des § 18 KV‑DFG nF mit der Maßgabe, dass sie erst ab Wirksamkeitsbeginn des neuen Kollektivvertrags mit 1. 1. 2013 zu laufen beginnt, auch für die schon davor fällig gewordenen Ansprüche der Klägerin zur Anwendung gelangt. Eine Korrekturbedürftigkeit dieser Rechtsansicht zeigt die Revisionswerberin nicht auf.

2.1 Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, eindeutige Regelung trifft (RIS‑Justiz RS0042656 ua). Dies gilt auch für die Auslegung von Kollektivverträgen (RIS‑Justiz RS0042656 [T15]). Bei der Frage, ob das Inkrafttreten einer verkürzten Kollektivvertragsfrist dazu führt, dass auch die vor Inkrafttreten dieser Verkürzung entstandenen kollektivvertraglichen Ansprüche von der Verkürzung der Verfallsfrist erfasst sind, kann sich der Oberste Gerichtshof auf die unter Pkt 1.2 dargelegte Rechtslage und die im nachfolgenden ausgewiesene Rechtsprechung stützen, sodass entgegen der Annahme der Revisionswerberin keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO vorliegt.

2.2 Richtig ist, dass Absatz 6 Satz 1 des KPABGB zunächst das allgemeine Prinzip zugrunde liegt, dass eine schon vor der Wirksamkeit des Gesetzes begonnene Ersitzung oder Verjährung nach den älteren Gesetzen zu beurteilen ist. Eine vor dem Inkrafttreten eines neuen Gesetzes begonnene Verjährung ist demzufolge bei Fehlen einer anderslautenden gesetzlichen Vorschrift, etwa einer Übergangsbestimmung stets nach der alten Rechtslage zu beurteilen (10 Ob 88/11f mwH; RIS‑Justiz RS0008685; Schauer in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON 1.01 , § 5 Rz 11). Dabei ist aber nach Absatz 6 Satz 2 KPABGB nicht zu verharren. Dem Argument der Revisionswerberin, dass die von diesem Grundprinzip abweichende Regelung des Absatz 6 Satz 2 KPABGB nur auf Gesetze, nicht aber auch auf Kollektivverträge anwendbar sei, ist entgegenzuhalten, dass diese Sonderbestimmung nach Rechtsprechung und Lehre verallgemeinerungsfähig ist (8 Ob 508/87; RIS‑Justiz RS0008705 mwN; Posch in Schwimann/Kodek I 4 § 5 Rz 7; Schauer in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON 1.01 § 5 Rz 11; Vonkilch/Kehrer in Klang ³ § 5 Rz 17; VfGH G 141/10 ua = VfSlg 19426; ausführlich Vonkilch , Das intertemporale Privatrecht 167 ff; F. Bydlinski in Rummel 3 § 5 Rz 1; M. Bydlinski in Rummel ³ § 1451 Rz 7). Daher wurde in der Rechtsprechung auch bereits die analoge Anwendung dieser Bestimmung auf Präklusivfristen bejaht (2 Ob 90/08m; 10 Ob 88/11f).

2.3 Die Bestimmungen des normativen Teils eines Kollektivvertrags sind wie ein formelles Gesetz auf den einzelnen Arbeitsvertrag und seine Parteien anzuwenden und daher als Gesetz im materiellen Sinn anzusehen (RIS‑Justiz RS0050830; Reissner in ZellKomm² § 11 ArbVG Rz 5; Pfeil in Gahleitner/Mosler , Arbeitsverfassungsrecht 5 § 11 Rz 5 mwH) und auch nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln der §§ 6 f ABGB auszulegen (RIS‑Justiz RS0008807). Vor diesem Hintergrund sind die Vorinstanzen zutreffend von der sinngemäßen Anwendung des Abs 6 Satz 2 KPABGB auch bei Kollektivverträgen ausgegangen.

3. Auch mit dem Argument, die Beurteilung der Vorinstanzen verletze gerade bei Vorliegen eines Dauerschuldverhältnisses den Vertrauensschutz, zeigt die Revisionswerberin keine Unvertretbarkeit der Rechtsansicht der Vorinstanzen auf. Es wird nicht verkannt, dass im intertemporalen Recht ein spezifischer Widerstreit zwischen der Notwendigkeit der Umsetzung neuer Verjährungs‑ bzw Präklusivregelungen und dem Vertrauensschutz derjenigen besteht, denen der Verlust von Rechten durch Verjährung oder Präklusion droht ( Vonkilch , Das intertemporale Privatrecht 167). Dieser Vertrauensschutz wird aber gerade dadurch gewahrt, dass zwar die neue, kürzere Präklusionsfrist auch für „alte“ Ansprüche zur Anwendung gelangt, dass sie aber nicht vor Inkrafttreten der neuen Regelung zu laufen beginnen kann. Davon sind hier die Vorinstanzen ausgegangen. Wesentlich ist, dass es denjenigen, denen die Verjährung oder Präklusion ihrer Rechte droht, möglich bleiben muss, ihre Rechte in zumutbarer Weise zu wahren ( Vonkilch aaO 168). Kollektivvertragliche Ausschlussfristen, die eine Verkürzung der Verjährungsfrist auch für nach dem Gesetz unabdingbare Ansprüche vorsehen, sind nach ständiger Rechtsprechung zulässig, sofern dadurch die Rechtsverfolgung nicht übermäßig erschwert wird (RIS‑Justiz RS0034517, RS0016688). Dass die in § 18 KV‑DFG nF normierte Frist von 12 Monaten unter diesem Aspekt unzumutbar kurz wäre, behauptet die Revisionswerberin nicht.

Mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision der Klägerin daher zurückzuweisen.

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