OGH 8Ob121/15z

OGH8Ob121/15z25.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn und die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** GesmbH, *****, vertreten durch Binder Broinger Miedl, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei H***** D*****, vertreten durch die Holter Wildfellner Rechtsanwälte OG in Grieskirchen, wegen Herausgabe, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 10. Juni 2015, GZ 22 R 158/15i‑20, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Grieskirchen vom 25. März 2015, GZ 2 C 434/14d‑14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung

Der Beklagte führte im Auftrag der Klägerin Arbeiten zur Programmierung und Inbetriebnahme einer elektronischen Steuerungsanlage (KNX-Bus-Anlage) beim Bauvorhaben „A***** Technologiezentrum“ durch. Der Beklagte hatte nur die beauftragten Programmierarbeiten zu erbringen; mit Wartungs- oder Betreuungsleistungen wurde er nicht beauftragt. Die Steuerungsanlage wurde von der Klägerin an die Betreiberin des Technologiezentrums übergeben. Der Beklagte weigert sich, das Administratorenpasswort für die KNX‑Anlage an die Klägerin herauszugeben. Bei auch nur geringfügigen Änderungen an der Steuerungsanlage (zB Änderung der Beleuchtung, Defekt eines Schaltgeräts oder Anbringung einer neuen Lampe) wird das Administratorenpasswort benötigt. Anlässlich der Auftragserteilung wurde nicht ausdrücklich vereinbart, dass der Beklagte zur Herausgabe des Administratorenpassworts verpflichtet sei. Er wäre dazu bereit, wenn ihm gegenüber ein Haftungs‑ und Gewährleistungsverzicht abgegeben wird.

Die Klägerin begehrte, den Beklagten schuldig zu erkennen, das Administratorenpasswort für die KNX‑Anlage „A*****“ mitzuteilen. Zudem erhob er ein Feststellungsbegehren zum Haftrücklass, das rechtskräftig abgewiesen wurde und nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens ist. Die Klägerin brachte vor, der Beklagte müsse die Steuerungsanlage mit allen Bestandteilen herausgeben, wozu auch das Administratorenpasswort gehöre. Dieses Passwort sei für die Betriebsbereitschaft der Anlage erforderlich.

Der Beklagte entgegnete, dass er die Anlage in betriebsbereitem und daher vereinbarungsgemäßem Zustand übergeben habe. Eine Verpflichtung zur Herausgabe des Administratorenpassworts bestehe nicht. Darüber sei keine schriftliche Vereinbarung getroffen worden.

Das Erstgericht wies das Herausgabebegehren ab. Ein allgemeiner Standard, im Fall von Programmierleistungen das Administratorenpasswort herauszugeben, bestehe nicht. Eine ausdrückliche Regelung zu einer Herausgabepflicht sei nicht getroffen worden. Der vom Beklagten verlangte Gewährleistungsverzicht für die Herausgabe des Administratorenpassworts sei nicht unüblich.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin zum Herausgabebegehren Folge und erkannte den Beklagten schuldig, der Klägerin das Administratorenpasswort für die KNX‑Anlage „A*****“ binnen 14 Tagen mitzuteilen. Weiters sprach es aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Da die Vertragsparteien keine ausdrückliche Vereinbarung über die Herausgabe des Administratorenpassworts getroffen hätten, sei eine ergänzende Vertragsauslegung vorzunehmen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass dieses Passwort selbst bei geringfügigen Änderungen an der Steuerungsanlage oder im Fall eines Defekts benötigt werde. Den vom Beklagten ins Treffen geführten allfälligen Manipulationen am Programm könne durch eine Sicherung des Datenbestands bei Inbetriebnahme der Anlage vorgebeugt werden. Das Interesse der Klägerin an der Kenntnis des Administratorenpassworts sei daher als wesentlich schützenswerter zu qualifizieren. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob bei Fehlen einer ausdrücklichen Vereinbarung und Nichtbestehen eines Wartungsvertrags der Programmierer verpflichtet sei, dem Übernehmer einer Steuerungsanlage das Administratorenpasswort bekanntzugeben, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Beklagten, die auf eine gänzliche Klagsabweisung abzielt.

Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin, der Revision den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Vorliegens einer entscheidungsrelevanten erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

1. Trotz Zulässigerklärung der Revision durch das Berufungsgericht muss der Rechtsmittelwerber eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufzeigen. Macht er hingegen nur solche Gründe geltend, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt, so ist das Rechtsmittel zurückzuweisen (8 Ob 95/15a).

Weder der Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts noch die Revision lassen eine erhebliche Rechtsfrage erkennen.

2.1 Nach den (dislozierten) Feststellungen des Erstgerichts ist es nicht Stand der Technik, dass das Administratorenpasswort bei einem Vertrag über die Erbringung von Programmierleistungen (im Sinn einer Individualsoftware) in jedem Fall herauszugeben ist. Der Anspruch auf Herausgabe des Administratorenpassworts kann demnach nicht als zwingender Bestandteil eines Vertrags über Programmierleistungen angesehen werden. Damit stellt sich die Frage nach dem konkreten Vertragsinhalt.

2.2 Im Anlassfall wurde eine ausdrückliche vertragliche Regelung über die Herausgabe des Administratorenpassworts nicht getroffen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass aus dem Vertrag über die Erbringung von Programmierleistungen keine Pflicht des Beklagten auf Herausgabe des Passworts abgeleitet werden kann. Das Berufungsgericht hat dazu zutreffend erkannt, dass sich in einem solchen Fall die Frage nach der ergänzenden Vertragsauslegung stellt. Treten nach Abschluss eines Rechtsgeschäfts Konfliktfälle zu dessen Inhalt auf, die von den Parteien nicht bedacht und daher auch nicht ausdrücklich geregelt wurden, so ist unter Berücksichtigung der übrigen Vertragsbestimmungen und des von den Parteien verfolgten Vertragszwecks zu fragen, welche Lösung redliche und vernünftige Parteien vereinbart hätten (RIS‑Justiz RS0017758). Als Mittel einer solchen ergänzenden Vertragsauslegung kommen der hypothetische Parteiwille, die Übung des redlichen Verkehrs, der Grundsatz von Treu und Glauben sowie die Verkehrsauffassung in Betracht (RIS‑Justiz RS0017832), wobei in erster Linie auf den Vertragszweck Bedacht zu nehmen ist (4 Ob 47/08b; 7 Ob 75/09v). Die Vertragsauslegung ist nach ständiger Rechtsprechung eine Frage des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0042936; RS0044358). Dies gilt ebenso für die ergänzende Vertragsauslegung (7 Ob 75/09v).

2.3 In der Entscheidung 9 Ob 81/04h wurde ‑ unter Bezugnahme auf die deutsche Rechtsprechung ‑ zur Frage der Verpflichtung auf Herausgabe des Quellcodes bei einer Individualsoftware davon ausgegangen, dass die Herausgabepflicht von der Auslegung des Vertrags und dem dadurch ermittelten Vertragszweck abhängig sei. Auf dieser Grundlage werde beurteilt, ob ein das Geheimhaltungsbedürfnis des Herstellers übersteigendes schützenswertes Interesse des Benützers an der Herausgabe des Quellcodes bestehe, was etwa dann bejaht werde, wenn das Programm mit anderen Programmen des Benützers kommunizieren solle oder wenn Individualsoftware für den weiteren Absatz an Kunden des Auftraggebers bestimmt sei. Mitunter werde auch darauf abgestellt, ob der Hersteller zur Wartung des Programms verpflichtet sei, wobei aus dem Fehlen einer Wartungsverpflichtung auf die Herausgabeverpflichtung geschlossen werde, was von der Lehre allerdings kritisiert werde.

2.4 Diese Grundsätze sind im gegebenen Zusammenhang als Konkretisierung des Instruments der ergänzenden Vertragsauslegung anzusehen. Quellcode einerseits und Administratorenpasswort andererseits haben allerdings nicht dieselbe Bedeutung. Der Quellcode bzw Quelltext eines Programms ist der Text, den der Programmautor entsprechend den Regeln der jeweiligen Programmiersprache anfertigt. Ist er bekannt, so kann das Programm an sich bearbeitet und weiterentwickelt werden. Der Schwerpunkt liegt somit auf der Programmierebene. Demgegenüber bezieht sich das Administratorenpasswort in erster Linie auf Zugriffsrechte. Mit diesem Passwort ist es möglich, auf alle Dateien eines Computers zuzugreifen sowie die Register- und Systemverzeichnisse zu ändern, also Programmeinstellungen vorzunehmen. Der Schwerpunkt liegt somit auf der Anwenderebene. Aus diesem Grund lassen sich die Wertungen aus der Entscheidung 9 Ob 81/04h, wonach der Hersteller die Software in der Regel nur in Form des Objektcodes übermittle, um sich vor Bearbeitungen und Verwertungen zu schützen, und bei Fehlen einer ausdrücklichen Vereinbarung aufgrund des legitimen Interesses des Herstellers am Schutz des im Programm verkörperten Werts bei Bejahung der Herausgabepflicht Zurückhaltung angebracht sei, auf den Anlassfall nicht unreflektiert übertragen.

2.5 Für die ergänzende Vertragsauslegung sind demnach folgende Überlegungen maßgebend: Bei auch nur geringfügigen Änderungen an der elektronischen Steuerungsanlage, zB bei einer Änderung der Lichtsteuerung oder im Fall des Defekts eines Schaltgeräts, wird das Administratorenpasswort benötigt. Bei jeder dieser Änderungen wäre der Betreiber des Technologiezentrums an die Mitwirkung und damit an weitere Dienstleistungen des Beklagten gebunden. Dies würde trotz des Umstands gelten, dass ein Wartungsvertrag nicht abgeschlossen wurde. Für den Betreiber des Technologiezentrums würde somit ein Knebelungseffekt eintreten. Die selbständige Vornahme von Änderungen etwa an der Lichtsteuerung ist für die Erreichung des Vertragszwecks wesentlich, was auch für den Beklagten klar sein musste. Demgegenüber beruft er sich nur darauf, dass die Klägerin nach einer Manipulation am Programm unberechtigte Forderungen erheben könnte, und verlangt aus diesem Grund einen Haftungs‑ und Gewährleistungsverzicht, also die Aufgabe von Rechten, die der Klägerin nach dispositivem Recht zustehen würden.

Davon ausgehend erweist sich die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Beklagte könne den befürchteten allfälligen Manipulationen am Programm und daraus abgeleiteten Haftungsansprüchen durch Sicherung des Datenbestands bei Inbetriebnahme der Anlage vorbeugen, weshalb das Interesse der Klägerin an der Kenntnis des Administratorenpassworts für die vertragsgemäße Nutzung der Anlage wesentlich schützenswerter als jenes des Beklagten sei, nicht als korrekturbedürftig. Mit den Ausführungen in der Revision, die seinen bisherigen Standpunkt wiederholen, zeigt der Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Die Klägerin hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen, weil sie auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen und nicht deren Zurückweisung beantragt hat.

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