European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00194.15B.1119.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Nach § 119 AußStrG hat das Gericht, wenn das Verfahren aufgrund der Ereignisse der Erstanhörung fortzusetzen ist, für einen Rechtsbeistand der betroffenen Person im Verfahren zu sorgen und einen Verfahrenssachwalter zu bestellen (8 Ob 81/12p). Liegen ausreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass der Betroffene nicht im ausreichenden Maße in der Lage ist, seine dringenden Angelegenheiten selbst zu besorgen, hat das Gericht für die Dauer des Verfahrens einen einstweiligen Sachwalter zu bestellen (RIS‑Justiz RS0117005). Das Wohl des Betroffenen erfordert einen einstweiligen Sachwalter, wenn etwa die Gefahr besteht, er könnte für ihn nachteilige Rechtsgeschäfte abschließen wollen (1 Ob 252/97h).
Nach den vom Rekursgericht ergänzten Feststellungen besteht beim Betroffenen, dessen täglicher Notstandshilfe‑ allenfalls auch Krankengeldbezug 28,60 EUR beträgt, die Diagnose F31.1, bipolar affektive Störung. In den manischen Phasen seiner bipolaren Störung hat sich der Betroffene auch bereits vermögensrechtliche Nachteile zugefügt, indem er einen Time‑Sharing‑Vertrag unterfertigte, bei dem Firmen auf den niederländischen Antillen und den britischen Jungferninseln mit Vertretungsbüros in der Dominikanischen Republik als Vertragspartner angeführt und die angegebenen Zahlungen von insgesamt 6.000 US‑Dollar zugunsten einer in Miami, Florida, ansässigen Agentur zu leisten sind. Die Anzahlung von 500 US‑Dollar leistete der Betroffene bereits durch eine Abbuchung von seinem Visa‑Card‑Konto. Auch darüber hinausgehend tätigte er massive Umsätze mit seiner Kreditkarte, welche seine finanziellen Verhältnisse wesentlich überstiegen.
Die Auffassung der Vorinstanzen, vor diesem Hintergrund bestehe die begründete Besorgnis, der Betroffene könne seine (dringenden) finanziellen Angelegenheiten nicht ohne Gefährdung seiner eigenen Interessen besorgen, ist nicht zu beanstanden.
2. Nach den Gesetzesmaterialien verfolgt § 279 ABGB unter anderem das Ziel, jene Personenkreise abschließend zu regeln, die für die Bestellung als Sachwalter potenziell in Frage kommen. Dabei ist ein Stufenbau vorgesehen. Primär ist als Sachwalter eine von der betroffenen Person selbst gewählte oder von einer nahestehenden Person empfohlene Person (§ 279 Abs 1 Satz 2 ABGB) heranzuziehen. Sekundär (mangels Wahl bzw Anregung oder bei Fehlen einer Eignung der vorgeschlagenen Person) ist ein der betroffenen Person nahestehender Mensch zum Sachwalter zu bestellen (§ 279 Abs 2 ABGB). Ist eine solche geeignete Person nicht verfügbar, ist (mit dessen Zustimmung) der örtlich zuständige Sachwalterverein nach § 1 VSPAG zu bestellen (§ 279 Abs 3 Satz 1 ABGB). Ist ein Vereinssachwalter nicht verfügbar (etwa mangels freier Kapazitäten) ist ein Rechtsanwalt oder Notar (Berufsanwärter) oder ‑ mit ihrer Zustimmung ‑ eine andere geeignete Person zu bestellen (§ 279 Abs 3 Satz 2 ABGB). Rechtsanwälte und Notare (nicht aber Berufskandidaten) trifft nach Maßgabe des § 274 Abs 2 ABGB die Verpflichtung, Sachwalterschaften zu übernehmen. Nur wenn die Besorgung der Angelegenheiten der betroffenen Person besondere Fachkenntnisse erfordert, ist von vornherein ‑ je nach der notwendigen Expertise ‑ ein Rechtsanwalt oder Notar bzw der Sachwalterverein zum Sachwalter zu bestellen (§ 279 Abs 4 ABGB). Unter Berücksichtigung dieser Prioritätenreihung muss aber im Mittelpunkt der Entscheidung über die Auswahl eines Sachwalters immer das Wohl der betroffenen Person stehen (RIS‑Justiz RS0123297).
Die Frage, ob anstelle des zum Sachwalter bestellten Rechtsanwalts, eine dem Betroffenen nahestehende Person ‑ hier seine betagte 85‑jährige Mutter oder sein Bruder, der die Übernahme der Sachwalterschaft unter Hinweis auf mögliche Interessenskollisionen bereits ablehnte ‑ zu bestellen gewesen wäre, ist regelmäßig von den besonderen Umständen des Einzelfalls, insbesondere den Bedürfnissen des Betroffenen sowie der Art der zu erledigenden Angelegenheiten abhängig. Bei der Beurteilung, ob Angelegenheiten zu besorgen sind, für die vorwiegend Rechtskenntnisse erforderlich sind, kommt dem Gericht ein Ermessensspielraum zu (RIS‑Justiz RS0117452). Einzelfallbezogene Fragen sind nur dann einem Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof zugänglich, wenn die Vorinstanzen bei ihrer Beantwortung einer groben Fehlbeurteilung unterlegen sind.
Die nach den oben dargelegten Grundsätzen erfolgte Bestellung eines Rechtsanwalts ist schon im Hinblick auf den abgeschlossenen Time-Sharing-Vertrag mit überdurchschnittlichen Schwierigkeiten (Auslandsbezug) vertretbar.
3. Rechtsanwälte sind grundsätzlich verpflichtet, Sachwalterschaften zu übernehmen, Ablehnungsgründe müssen sie in erster Instanz behaupten. Unzumutbar ist ihnen die Sachwalterschaft nur dann, wenn sie eine konkrete individuelle oder extreme berufliche Belastung darlegen (RIS‑Justiz RS0123440 [T6]).
3.1 Der Oberste Gerichtshof hat die vom Rechtsmittelwerber erhobenen Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Pflicht eines Rechtsanwalts, eine Sachwalterschaft zu übernehmen, schon mehrfach verworfen (RIS‑Justiz RS0123296). So hat die Rechtsprechung bereits die Vorgängerbestimmung des § 274 ABGB idF SWRÄG 2006 für verfassungskonform erachtet. Die besonderen Vorschriften für die Bestellung eines Rechtsanwalts zum Sachwalter verstoßen weder gegen Art 4 MRK noch gegen den Grundgleichheitssatz (RIS‑Justiz RS0048950 [T3]).
3.2 Soweit der Revisionsrekurswerber weiters argumentiert, dass die Rechtsanwaltskammer ein Selbstverwaltungskörper sei, weshalb jedenfalls eine unmittelbare Übertragung von Aufgaben an einzelne Rechtsanwälte ohne deren Einbindung verfassungsrechtlich nicht zulässig sei, ist ihm entgegenzuhalten, dass nur der Selbstverwaltungskörper sich auf eine Verletzung des Selbstverwaltungsrechts berufen könnte, nicht aber der einzelne Rechtsanwalt (VfGH B 28/07, B 77/02). Der vom Revisionsrekurswerber hier überdies herangezogene § 45 RAO nimmt nur auf die Beigebung eines Rechtsanwalts als Verfahrenshelfer Bezug, nicht aber auf die Bestellung eines Sachwalters. Im Übrigen hat der Oberste Gerichtshof auch bereits ausgesprochen, dass die Auswahl des Rechtsanwalts aufgrund einer landesgerichtsweiten Liste durch das Gericht selbst keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Die Auswahl des Sachwalters ist Sache der unabhängigen Gerichte (RIS‑Justiz RS0129266, RS0123440 [T10]).
4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).
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