OGH 14Os67/15g

OGH14Os67/15g17.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. November 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wüstner als Schriftführer in der Strafsache gegen Stefan A***** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 10. April 2015, GZ 16 Hv 29/15k-50, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen

Unterstellung der dem Schuldspruch (III) zugrunde liegenden Taten auch nach § 130 erster Fall StGB, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Stefan A***** ‑ soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant ‑ der Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (I), der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (II), des gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1, 130 erster Fall StGB (III) und der vorsätzlichen Gemeingefährdung nach § 176 Abs 1 StGB (IV) sowie zweier Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 StGB (V) schuldig erkannt.

Danach hat er in G*****

(I) am 27. Dezember 2014 Kerstin S***** mit Gewalt gegen ihre Person und durch gefährliche Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) unter Verwendung einer Waffe fremde bewegliche Sachen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen, indem er der Genannten drohend ein Messer vorhielt, ihr Faustschläge gegen das Gesicht und einen Schlag mit der Kassenlade gegen den Kopf versetzte und 350 Euro Bargeld sowie neun Autobahnvignetten im Wert von 759,60 Euro an sich nahm;

(II) am 27. Dezember 2014 nachgenannte Personen mit Gewalt und gefährlicher Drohung mit dem Tod zu Handlungen genötigt, und zwar:

1) Kerstin S***** und Annemarie L***** zum Betreten der Trafik, indem er beide dorthin zerrte und äußerte: „Ganz nach hinten, weil ich hab ein Messer!“;

2) Heribert R***** zum Öffnen der von ihm (von außen) zugehaltenen Trafiktüre, indem er ein Messer in seine Richtung hielt „und etwas in deutscher Sprache zu ihm sagte“;

(III) in der Nacht zum 28. Dezember 2014 und am 28. Dezember 2014 in zwei Angriffen zwei im Urteil namentlich genannten Personen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von Diebstählen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, eine Flasche Champagner, eine Flasche Weißwein, eine Jacke, Schuhe und Schokolade (1) sowie Schuhe, einen Mantel, einen Bildwandkalender und eine Fußmatte (2) durch Einbruch in deren Kraftfahrzeuge weggenommen, indem er jeweils eine Seitenscheibe der Fahrzeuge einschlug und die Wertgegenstände an sich nahm;

(IV) am 26. Jänner 2015 anders als durch eine der in den §§ 169, 171 und 173 StGB mit Strafe bedrohten Handlungen dadurch eine Gefahr für Leib oder Leben einer größeren Zahl von Menschen herbeigeführt, dass er als Lenker eines Personenkraftwagens mit massiv überhöhter Geschwindigkeit im G***** Ortsgebiet Einbahnstraßen entgegen der Fahrtrichtung, Grünflächen und Parkwege im Stadtpark sowie Fußgängerzonen im Bereich der Innenstadt befuhr und Fahrverbote missachtete, sodass „sich unzählige Passanten lediglich durch Beiseitespringen bzw die Durchführung von Ausweichmanövern in Sicherheit bringen konnten“;

(V) am 26. Jänner 2015 Beamte mit Gewalt an seiner Festnahme gehindert, indem er zunächst unter Missachtung deren Anhaltezeichen ungebremst auf zwei Polizeibeamte, die den von ihm gelenkten PKW zu Fuß zu stoppen versuchten, und sodann auf das von zwei weiteren Polizeibeamten gelenkte Dienstfahrzeug zufuhr, sodass sich die beiden Erstgenannten nur durch einen Sprung auf die Seite retten und die beiden Zweitgenannten nur durch ein Ausweichmanöver einen frontalen Verkehrsunfall verhindern konnten.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus den Gründen der Z 5a, „Z 9“ und Z 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt teilweise Berechtigung zu.

Die

Tatsachenrüge (Z 5a) kritisiert nach Art einer Aufklärungsrüge die unterbliebene amtswegige Vorführung einer angeblich existierenden Videoaufnahme des dem Schuldspruch (I) zugrunde liegenden Raubüberfalls, legt aber nicht dar, wodurch der Beschwerdeführer an entsprechender Antragstellung in der Hauptverhandlung gehindert war

(Ratz, WK-StPO § 281 Rz 477 ff; RIS-Justiz RS0115823).

Dass die Nötigung der Kerstin S***** (Schuldspruch II/1) „als Begleithandlung hinsichtlich des schweren Raubes anzusehen“ und demzufolge nicht gesondert „als Verbrechen der (schweren) Nötigung zu sanktionieren“ sind, wird von der Rechtsrüge (Z 9 lit a; vgl dazu 14 Os 76/08w) ohne methodisch vertretbare Ableitung aus dem Gesetz bloß behauptet (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 588; RIS-Justiz RS0116565).

Im Übrigen trifft es zwar zu, dass beim Verbrechen des Raubes alle Handlungen des Täters vom Beginn der Ausführung des räuberischen Vorsatzes bis zur materiellen Vollendung der Tat grundsätzlich als einer gesonderten strafrechtlichen Zuordnung in der Regel nicht zugängliche Einheit anzusehen sind (vgl RIS-Justiz RS0093085). Dies trifft auch auf eine gegen das Raubopfer gerichtete und mit der Sachwegnahme noch im Zusammenhang stehende Nötigung zur Einleitung oder Sicherung der Flucht zu, welche demgemäß unter der Voraussetzung eines solchen unmittelbaren sachlichen Konnexes als typische Begleittat keiner gesonderten strafrechtlichen Beurteilung unterliegt (vgl Ratz in WK² StGB Vorbem §§ 28 bis 31 Rz 67; Kienapfel/Schroll StudB BT I³ § 105 Rz 93; Eder‑Rieder in WK² StGB § 142 Rz 69; Schwaighofer in WK² StGB § 105 Rz 96; RIS-Justiz RS0113271, RS0093085, RS0093485).

Vorliegend ist den Urteilsannahmen jedoch zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer nach Vollendung des Raubes (vgl dazu Eder-Rieder in WK² StGB § 142 Rz 7 ff) seine (bereits bis zu seinem Auto gelungene) Flucht selbständig unterbrach, sodann zu Kerstin S***** und Annemarie L*****, welche ihn nicht verfolgten, sondern bloß versuchten, aus der Ferne das Kennzeichen des von ihm benützten Fahrzeugs abzulesen, zurückkehrte und die Genannten sodann ‑ demnach gerade nicht zur Einleitung oder Sicherung seiner Flucht, sondern allenfalls zur Verhinderung seiner späteren Ausforschung anhand des Autokennzeichens ‑ mit Gewalt und durch gefährliche Drohung mit dem Tod zum Betreten des hinteren Bereichs der Trafik nötigte (US 5), womit ein unmittelbarer sachlicher Konnex zur Sachwegnahme in der eben dargestellten Art nicht vorliegt.

Gleichfalls in bloßer Rechtsbehauptung ohne methodengerechte Ableitung aus dem Gesetz erschöpft sich das Vorbringen der Rechtsrüge (Z 9 lit a) zum Schuldspruch (IV), die festgestellte Herbeiführung der Gefahr einer massiven Gesundheitsgefährdung einer größeren Anzahl von Personen entspräche nicht der für eine Subsumtion des Täterverhaltens nach § 176 StGB erforderlichen Gefahr für Leib oder Leben.

Bleibt mit Blick auf § 290 StPO anzumerken, dass die angesprochene Wortfolge „Gefahr für Leib oder Leben“ durch den in § 176 StGB enthaltenen Verweis auf § 89 StGB dahin präzisiert wird, dass bezüglich der „Leibesgefahr“ nicht der Umfang des § 83 StGB, sondern der engere des § 89 StGB maßgebend ist, womit auch (bloße) Gesundheitsgefährdungen davon umfasst sind ( Flora SbgK § 176 Rz 4; Eder-Rieder in WK² StGB § 142 Rz 32; Burgstaller/Schütz in WK² StGB § 89 Rz 5; RIS-Justiz RS0119773).

Aus welchem Grund die ‑ von der Beschwerde ohnehin großteils wörtlich zitierten ‑ Urteilsannahmen, nach denen der Angeklagten als Lenker eines Personenkraftwagens mit massiv überhöhter Geschwindigkeit im G***** Ortsgebiet Einbahnstraßen gegen die Fahrtrichtung sowie Grünflächen und Parkwege im Stadtpark befuhr, Fahrverbote missachtete und durch Fußgängerzonen im Bereich der G***** Innenstadt (so auch durch die S*****) raste, sodass sich eine Vielzahl von Personen (vgl auch US 2: „unzählige Passanten“) nur durch Beiseitespringen bzw Einleitung („die Durchführung“) von Ausweichmanövern mit ihren PKWs in Sicherheit bringen konnten und massiv an ihrer Gesundheit gefährdet wurden, wobei in der S***** eine Reisegruppe von rund 20 Personen unterwegs war, die sich ebenfalls vor dem Angeklagten in Sicherheit bringen musste und eine Passantin sich nur durch Zurückreißen ihres Kinderwagens auf den Gehsteig retten konnte (US 6), bei gebotener Gesamtbetrachtung die Annahme einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben einer größeren Anzahl von Personen (im Sinn einer außerordentlich hohen Unfallwahrscheinlichkeit; Murschetz in WK² StGB § 176 Rz 2 mwN; Flora SbgK § 176 Rz 11 f) nicht ‑ hinreichend deutlich (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 19) ‑ zum Ausdruck bringen sollten, erklärt die solches substratlos behauptende Rüge (erneut Z 9 lit a) nicht.

Die ‑ gegen die Annahme der Qualifikation des § 106 Abs 1 Z 1 StGB gerichtete ‑ Subsumtionsrüge (Z 10) zum Schuldspruch (II) nimmt nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe Maß und verfehlt solcherart den auf der Sachverhaltsebene gerade darin gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 581, 584).

Indem sie nämlich Feststellungen zu einem auf Drohungen mit dem Tod gerichteten Vorsatz des Beschwerdeführers vermisst, übergeht sie die gerade dazu (zum Schuldspruch II/1 explizit und zum Schuldspruch II/2 durch ausdrücklichen Verweis darauf) getroffenen Konstatierungen (US 7).

Durch die eben angesprochene Bezugnahme auf die Urteilsannahmen zu den (gleichartigen) Drohungen gegen Kerstin S***** und Annemarie L*****

im Verein mit dem ‑ zur

Verdeutlichung der Entscheidungsgründe heranziehbaren ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 271; RIS-Justiz RS0116587) ‑

Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) haben die Tatrichter auch ihren Willen, Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der gegen Heribert R***** gerichteten Drohung (II/2) als solche mit dem Tod zu treffen, hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht (vgl erneut Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 19), was die Rüge gleichermaßen ignoriert.

Mit ihrer zu II/1 aufgestellten These, „aus dem Vorhalten eines Messers ohne weitere Begleithandlungen“ lasse sich die Annahme einer Todesdrohung auch objektiv nicht ableiten,

verkennt sie, dass die Beurteilung des Bedeutungsinhalts einer ‑ auch nonverbalen ‑ Äußerung (ebenso wie die Beurteilung der Ernstlichkeit einer Drohung) als Tatfrage nicht mit Rechtsrüge bekämpft werden kann (Jerabek in WK² StGB § 74 Rz 34) und erschöpft sich in einem unzulässigen Angriff auf die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung. Diese leiteten die entsprechenden Feststellungen (US 5, 7) im Übrigen aus dem objektiven Gesamtverhalten des Beschwerdeführers, hinsichtlich Kerstin S***** zudem aus seiner brutalen Vorgangsweise beim vorangegangenen Raub, die sich auch den beiden weiteren Genötigten durch den Anblick des blutüberströmten Raubopfers offenbarte, ab (US 7, 8), was unter dem Gesichtspunkt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) keinen Bedenken begegnet (vgl dazu

auch RIS‑Justiz RS0116882).

In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Mit Recht macht demgegenüber die Subsumtionsrüge (Z 10) zum Schuldspruch (III) geltend, dass die Urteilsannahmen die rechtliche Unterstellung des Täterverhaltens (auch) nach § 130 erster Fall StGB nicht zu tragen vermögen.

Gewerbsmäßigkeit (§ 70 StGB) verlangt die Absicht des Täters, sich durch die wiederkehrende Begehung einer strafbaren Handlung für einen Zeitraum von zumindest einigen Wochen eine wirksame Einkommensquelle zu erschließen (Jerabek in WK² StGB § 70 Rz 7). Mit Blick auf den bloß einen Tag umfassenden Tatzeitraum stellen die unter Verwendung der verba legalia getroffenen diesbezüglichen Feststellungen (US 4, 7) den unter dem Aspekt rechtsrichtiger Subsumtion erforderlichen Sachverhaltsbezug (RIS-Justiz RS0119090) selbst unter Berücksichtigung der ‑ im Rahmen der beweiswürdigenden Erwägungen nachgetragenen ‑ Konstatierung, wonach der Beschwerdeführer „die Begehung von Diebstählen“ zwecks Erzielung einer fortlaufenden Einnahme „eine längere Zeit fortsetzen wollte“ (US 8), nicht her (vgl auch die ‑ zudem widersprüchlichen ‑ Urteilsannahmen, nach denen Stefan A***** einerseits den Entschluss zur Begehung fortgesetzter [Einbruchs-]Diebstähle „im November bzw Dezember“ 2014 aufgrund seiner Einkommens- und Vermögenslosigkeit zu diesem Zeitpunkt fasste, andererseits aber bis November 2014 ein monatliches Nettoeinkommen von 1.400 Euro bezog und im Dezember 2014 ‑ wenn auch unangemeldet ‑ für ein Unternehmen in Kroatien tätig war [US 4]; zum Ganzen 13 Os 68/13v, zu den zeitlichen Voraussetzungen auch: RIS-Justiz RS0092527, RS0107402).

Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen

macht die Aufhebung des Urteils im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO) samt Anordnung einer neuen Hauptverhandlung und Verweisung der Sache an das Erstgericht erforderlich.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Auf dessen ‑ direkt beim Obersten Gerichtshof eingebrachten ‑ eigenhändig verfassten Eingaben war keine Rücksicht zu nehmen, weil das Gesetz nur

eine Ausführung der Beschwerdegründe zulässt (Ratz, WK‑StPO § 285 Rz 6 f).

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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