OGH 15Os121/15f

OGH15Os121/15f11.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. November 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Weißnar als Schriftführerin in der Maßnahmenvollzugssache des Werner K*****, AZ 2 BE 136/14m des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über den Antrag der Generalprokuratur auf außerordentliche Wiederaufnahme des Beschwerdeverfahrens in Bezug auf den Beschluss dieses Gerichts vom 17. November 2014 (ON 18), in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0150OS00121.15F.1111.000

 

Spruch:

In Stattgebung des Antrags der Generalprokuratur wird im außerordentlichen Weg die Wiederaufnahme des Beschwerdeverfahrens in Bezug auf den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht vom 17. November 2014, GZ 2 BE 136/14m-18, verfügt, der Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 18. Dezember 2014, AZ 10 Bs 432/14a, aufgehoben und die Sache an dieses Gericht zur neuen Entscheidung über die Beschwerde des Untergebrachten verwiesen.

Gründe:

An Werner K*****, der mit Urteil des Geschworenengerichts beim Landesgericht St. Pölten vom 4. Juli 1980, AZ 24 Vr 91/80, Hv 5/80, wegen Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und nach § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen wurde, wird die erwähnte Maßnahme derzeit in der Justizanstalt Graz‑Karlau vollzogen.

Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht vom 17. November 2014, GZ 2 BE 136/14m-18, wurde der neuerliche Antrag des Untergebrachten, ihm im Rahmen der Verfahrenshilfe einen Verteidiger 1./ zur Verfassung der Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 7. Oktober 2014 (ON 15), mit dem ein Antrag auf Beigebung eines Verteidigers im Rahmen der Verfahrenshilfe abgewiesen worden war, sowie 2./ für die Wiederaufnahme der früheren Verfahren des Vollzugsgerichts AZ 2 BE 343/09w, 2 BE 91/11i, 2 BE 70/12b und 2 BE 189/13d beizugeben, abgewiesen. Dieser Beschluss wurde dem Untergebrachten am 24. November 2014 eigenhändig zugestellt (Übernahmebestätigung ON 18 S 4).

Dagegen richtete sich die Beschwerde des Untergebrachten vom 7. Dezember 2014 (ON 20), die am 10. Dezember 2014 zur Post gegeben wurde (Kuvert ON 20 S 4).

Mit Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 18. Dezember 2014, AZ 10 Bs 432/14a (ON 22), wurde die Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen, weil sie nach der am 9. Dezember 2014 abgelaufenen 14‑tägigen Beschwerdefrist, somit verspätet, erhoben worden sei.

In Bezug auf dieses ‑ vom Beschwerdegericht angenommene ‑ Fristversäumnis beantragte der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (ON 23) und legte Kopien aus dem Fristenbuch der Justizanstalt Graz‑Karlau vor, denen zufolge er die Beschwerde am 9. Dezember 2014, somit fristgerecht, einem Beamten dieser Justizanstalt übergeben habe.

Dieser Antrag wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 6. August 2015, AZ 10 Ns 28/15w, zurückgewiesen. Es billigte dem Untergebrachten zu, die ‑ fristgerechte ‑ Übergabe der Beschwerde ON 20 an die Justizanstalt durch eine Ablichtung aus deren Fristenbuch bescheinigt zu haben, doch würde der Antrag auf Wiedereinsetzung daran scheitern, dass eben keine Frist versäumt worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Bei der auf Antrag der Generalprokuratur vorgenommenen Prüfung der Akten ergeben sich erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 18. Dezember 2014 zugrunde gelegten Tatsachen (§ 362 Abs 1 Z 2 StPO).

Der letzte Tag der gemäß § 88 Abs 1 StPO iVm § 17 Abs 1 Z 3 und § 163 StVG 14‑tägigen Beschwerdefrist fiel ‑ wie das Beschwerdegericht zutreffend ausführte ‑ auf den 9. Dezember 2014.

Nach den ‑ erst nach der Beschlussfassung durch das Oberlandesgericht Graz ‑ vom Verurteilten vorgelegten Ablichtungen aus dem Fristenbuch der Justizanstalt und den vom Obersten Gerichtshof hiezu angeordneten Erhebungen (§ 362 Abs 1 Z 2 letzter Halbsatz StPO) ergibt sich, dass der Untergebrachte das Rechtsmittel schon am 9. Dezember 2014, also fristgerecht, einem Beamten der Justizanstalt übergeben hat (vgl den Bericht des Leiters der Justizanstalt Graz‑Karlau vom 21. September 2015).

Eine der Strafanstalt zuzurechnende Verzögerung in der Weiterleitung des von einem in Haft (hier: im Maßnahmenvollzug) befindlichen Verurteilten fristgerecht der Anstaltsleitung übergebenen Rechtsmittels kann aber dem Verurteilten nicht zum Nachteil gereichen (RIS‑Justiz RS0106085; Fabrizy, StPO12 § 84 Rz 3).

Somit ist der ‑ letztinstanzliche ‑ Beschluss des Oberlandesgerichts Graz auf Zurückweisung der Beschwerde des Untergebrachten infolge Verspätung auf einer in tatsächlicher Hinsicht objektiv bedenklichen Verfahrensgrundlage ergangen, ohne dass dem Gericht ein Rechtsfehler anzulasten wäre.

Demnach kommt die analoge Anwendung der Bestimmungen über die außerordentliche Wiederaufnahme gemäß § 362 StPO in Betracht, kann doch die Benachteiligung des Verurteilten auf anderem Wege nicht behoben werden (RIS‑Justiz RS0117312 [T4 und T8]; Ratz,WK‑StPO § 362 Rz 4; Lewisch,WK‑StPO Vor §§ 352‑363 Rz 76).

Es war daher die außerordentliche Wiederaufnahme des Beschwerdeverfahrens zu verfügen, der Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 18. Dezember 2014, AZ 10 Bs 432/14a, aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung über die Beschwerde an das Oberlandesgericht Graz zu verweisen.

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