OGH 8Ob81/15t

OGH8Ob81/15t29.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn und die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj S*****, geboren am *****, und des mj S*****, geboren am *****, (Mutter A*****, vertreten durch Dr. Paul Fuchs, Rechtsanwalt in Thalheim), über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters D*****, vertreten durch Dr. Manfred Fuchsbichler, Rechtsanwalt in Wels, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 24. Juni 2015, GZ 21 R 105/15p, 21 R 165/15m‑168, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0080OB00081.15T.1029.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Der Rekurs gegen den Beschluss des Rekursgerichts auf Zuerkennung der vorläufigen Verbindlichkeit wird zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

I.  Gegen den Beschluss auf Zuerkennung der vorläufigen Verbindlichkeit der Entscheidung ist nach § 44 Abs 2 AußStrG kein Rechtsmittel zulässig. Der Rekurs gegen diesen Beschluss ist daher zurückzuweisen. Der Rechtsmittelwerber kann eine Abänderung des Beschlusses nur anregen. Zu einer amtswegigen Aberkennung der vorläufigen Verbindlichkeit besteht schon im Hinblick auf die Zurückweisung des außerordentlichen Revisionsrekurses kein Anlass.

II.  Die Vorinstanzen haben übereinstimmend entschieden, die alleinige Obsorge für beide Kinder der Mutter zu übertragen. Zuvor waren die nunmehr zehnjährige Tochter und der nun sechsjährige Sohn beim Vater, dem das Erstgericht im Mai 2013 vorläufig die alleinige Obsorge übertragen hatte, weil damals der ‑ später jedoch nicht erwiesene ‑ Verdacht bestand, der Lebensgefährte der Mutter neige zu familiären Gewalttaten.

II.1  Die Entscheidung darüber, welchem Elternteil die Obsorge übertragen wird, ist immer von den Umständen des konkreten Einzelfalls abhängig und verwirklicht daher ‑ sofern nicht leitende Grundsätze der Rechtsprechung oder das Kindeswohl verletzt wurden ‑ nicht die in § 62 Abs 1 AußStrG normierten Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Revisionsrekurses (RIS‑Justiz RS0115719; RS0007101). Eine unvertretbare Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit korrigiert werden müsste, wird im außerordentlichen Revisionsrekurs aber nicht aufgezeigt.

II.2  Die gemeinsame Obsorge (§ 180 Abs 1 ABGB) kommt unter den hier gegebenen Umständen nicht in Frage. Beide Elternteile stehen einander in heftiger Konfrontation gegenüber und führen das Verfahren ‑ in einer für die Kinder überaus belastenden Weise ‑ mit größter Erbitterung. Sie überhäufen einander mit Vorwürfen und sprechen einander jegliche Erziehungsfähigkeit ab. Das für die sinnvolle Ausübung der gemeinsamen Obsorge vorauszusetzende Mindestmaß an Kooperations‑ und Kommunikationsfähigkeit ist hier daher nicht gegeben und derzeit auch nicht zu erwarten.

II.3  Den Grundsatz der Kontinuität der Erziehung haben die Vorinstanzen bei ihrer Entscheidung ‑ entgegen der Auffassung des Vaters ‑ durchaus beachtet und berücksichtigt; sie haben ihn allerdings hier nicht als ausschlaggebend erachtet. Sie stehen damit durchaus am Boden der ständigen Rechtsprechung, nach der dieser Grundsatz im Rahmen der bei der Obsorgeentscheidung vorzunehmenden Gesamtschau (RIS‑Justiz RS0047832 [T7 und T12]) nicht das allein entscheidende Argument für die Zuteilung der Obsorge (RIS‑Justiz RS0047928 [T13]) ist. Gleiches gilt für die materiellen Verhältnisse, in denen die Elternteile leben, und für ihre Wohnsituation.

II.4

  Richtig ist, dass ein wesentliches Kriterium für die Obsorgeentscheidung auch der Wille des Kindes ist, der entsprechend seiner Einsichts‑ und Urteilsfähigkeit (§ 146 Abs 3 ABGB) zu berücksichtigen ist. Je älter das Kind ist, umso maßgeblicher wird sein Wunsch nach einer Obsorgeänderung sein. Im Allgemeinen kommt der Meinung eines bereits mündigen Minderjährigen entscheidende Bedeutung zu, wenn nicht schwerwiegende Gründe dagegen sprechen (RIS‑Justiz RS0048818; 5 Ob 175/12i; 7 Ob 63/14m uva). Die Rechtsprechung geht dabei ‑ wenn keine solchen Gründe dagegen sprechen ‑ schon ab dem 12. Lebensjahr von der Urteilsfähigkeit eines Kindes bezüglich der Obsorgezuteilung aus (RIS‑Justiz RS0048820 [T9]). Abgesehen davon, dass hier die beiden Kinder erst 6 bzw 10 Jahre alt sind, ist im vorliegenden Verfahren aber deutlich zu erkennen, dass die (wechselnden) Standpunkte der Kinder vom schweren Loyalitätskonflikt mitbestimmt wurden, in den sie durch das Verhalten der Eltern ‑ die Kinder sind ersichtlich nach wie vor beiden in hohem Maße zugetan ‑ geraten sind. Vor diesem Hintergrund sind auch (und nach Zeitpunkt und Inhalt ganz besonders) die vom Vater im Rechtsmittel vorgelegten Kopien von Briefen der mj S***** zu sehen, denen daher kein entscheidendes Gewicht zugemessen werden kann. Dass die Vorinstanzen dennoch vom im Verfahren zutage getretenen Wunsch der mj S***** ausgingen, bei der Mutter zu leben, ist dessen ungeachtet vertretbar, weil dieser Schluss der Vorinstanzen durch das eingeholte Sachverständigengutachten ausreichend abgesichert ist.

II.5  Mit den vom Vater schon im Rekursverfahren behaupteten Mängeln des kinderpsychologischen Gutachtens hat sich bereits das Rekursgericht eingehend befasst. Die Frage, ob ein Sachverständigengutachten schlüssig und vollständig ist, gehört ‑ ebenso wie die Frage, ob ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen ist ‑ zur Frage der in dritter Instanz nicht mehr bekämpfbaren Beweiswürdigung (10 ObS 90/13b; RIS‑Justiz RS0043320 [T12]

; RS0043163; RS0043414 uva). Auf das dazu im Rechtsmittel erstattete Vorbringen ist daher nicht mehr einzugehen. Gleiches gilt für das Vorbringen, mit denen der Rechtsmittelwerber eine Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens aufzeigen will (RIS‑Justiz RS0050037 uva).

II.6  Im Übrigen haben sich die Vorinstanzen mit den für und gegen Vater und Mutter sprechenden Umständen eingehend und nachvollziehbar auseinandergesetzt. Sie haben dabei überzeugend trotz des die Kinder sehr belastenden Verhaltens der Eltern im Verfahren die Erziehungsfähigkeit beider Elternteile grundsätzlich bejaht. Dass sie vor diesem Hintergrund unter Hinweis auf das entwicklungsbedingt gegebene Bedürfnis der mj S***** nach einer weiblichen Vertrauens‑ und Identifkationsfigur, auf den Wunsch S*****s, bei der Mutter zu leben, und auf die Notwendigkeit, die Kinder nicht zu trennen, für den Fall einer Unterbringung bei der Mutter die günstigere Zukunftsprognose getroffen haben, ist vertretbar und bietet daher keinen Anlass für ein korrigierendes Eingreifen des Obersten Gerichtshofs.

II.7 § 52 Abs 1

AußStrG stellt klar, dass mangels der Voraussetzungen des Abs 2 leg cit eine

mündliche Rekursverhandlung nur durchzuführen ist, wenn das Rekursgericht eine solche für erforderlich erachtet. Dies war hier nicht der Fall.

II.8  Insgesamt zeigt der Revisionsrekurs damit keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf.

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