OGH 9Ob51/15p

OGH9Ob51/15p28.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der außerstreitigen Rechtssache der Beschwerdeführerin Mag.a C***** Ö*****, gegen den Beschwerdegegner Bund (Republik Österreich), vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17‑19, über die Anträge der Beschwerdeführerin auf Feststellung gemäß § 85 GOG und Löschung gemäß Art 1 § 1 Abs 3 Z 2 DSG 2000, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0090OB00051.15P.1028.000

 

Spruch:

Die Anträge auf Feststellung gemäß § 85 GOG und auf Löschung gemäß Art 1 § 1 Abs 3 Z 2 DSG 2000 werden abgewiesen.

 

Begründung:

Mit Beschluss vom 29. Jänner 2015, 6 Ob 228/14v, wies der Oberste Gerichtshof einen Revisionsrekurs der dort als Beklagte in Anspruch genommenen Beschwerdeführerin als absolut unzulässig zurück. Dem Beschluss lag eine vom Erstgericht beschlossene und vom Rekursgericht bestätigte Unterbrechung des streitigen Verfahrens gemäß § 6a ZPO zugrunde.

Mit Beschluss vom 16. Juni 2015, 4 Ob 105/15t, wies der Oberste Gerichtshof den von der Beschwerdeführerin dagegen gerichteten Wiederaufnahmsantrag, in eventu die Wiederaufnahmsklage, und den Nichtigkeitsantrag, in eventu die Nichtigkeitsklage zurück.

In den gemäß § 15 OGHG erfolgten Veröffentlichungen der beiden Entscheidungen im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) wurde die Beklagte bzw Beschwerdeführerin zwecks Anonymisierung jeweils mit „Mag. C***** Ö*****“ bezeichnet.

Der nun beim Obersten Gerichtshof eingebrachte Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 21. Juli 2015 enthält auch Anträge auf Feststellung gemäß § 85 GOG und Löschung gemäß Art 1 § 1 Abs 3 Z 2 DSG 2000. Darin richtet sich die Beschwerdeführerin gegen die Veröffentlichung der beiden vorgenannten Entscheidungen, weil durch die Nennung des Titels und der Anfangsbuchstaben ihres Vor‑ und Nachnamens in datenschutzwidriger Weise ihre Identität bestimmbar sei. Auch sei mit der Veröffentlichung der Verfahrensunterbrechung gemäß § 6a ZPO die Behauptung ihrer „Nicht‑Gesundheit“ publik gemacht worden. Die Veröffentlichungen seien somit unions‑ und verfassungswidrig.

Die zur Stellungnahme aufgeforderte Beschwerdegegnerin beantragt, die Anträge teilweise zurück- und im Übrigen abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

1. Wer durch ein Organ der Gerichtsbarkeit in Ausübung dessen Tätigkeit in seinen im DSG 2000 geregelten Rechten verletzt wurde, kann dem Bund gegenüber die Feststellung dieser Verletzung begehren (§ 85 Abs 1 GOG iVm § 83 GOG). Betrifft die Beschwerde eine Verletzung durch ein Organ des Obersten Gerichtshofs, so ist dieser zur Entscheidung zuständig. Das Gericht entscheidet in bürgerlichen Rechtssachen im Verfahren außer Streitsachen (§ 85 Abs 2 zweiter und dritter Satz GOG). Sofern nicht im Rechtsmittelverfahren vor dem Obersten Gerichtshof entschieden wird, besteht nur relative Anwaltspflicht (§ 85 Abs 4 GOG).

2. Gemäß § 1 Abs 1 DSG 2000 hat jedermann, insbesondere auch im Hinblick auf die Achtung seines Privat- und Familienlebens, Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran besteht. Das Bestehen eines solchen Interesses ist ausgeschlossen, wenn Daten infolge ihrer allgemeinen Verfügbarkeit oder wegen ihrer mangelnden Rückführbarkeit auf den Betroffenen einem Geheimhaltungsanspruch nicht zugänglich sind.

Gemäß § 4 Z 1 DSG 2000 sind Daten („personenbezogene Daten“) Angaben über Betroffene, deren Identität bestimmt oder bestimmbar ist; „nur indirekt personenbezogen“ sind Daten für einen Auftraggeber, Dienstleister oder Empfänger einer Übermittlung dann, wenn der Personenbezug der Daten derart ist, dass dieser Auftraggeber, Dienstleister oder Übermittlungsempfänger die Identität des Betroffenen mit rechtlich zulässigen Mitteln nicht bestimmen kann.

Das Vorliegen eines „schutzwürdigen Interesses“ iSd § 1 Abs 1 erster Satz DSG 2000 ist damit Anknüpfungspunkt, ob ein Grundrechtsanspruch der Beschwerdeführerin besteht (vgl 6 Ob 165/13b unter Verweis auf 9 ObA 50/03y und 10 Ob 46/08z). Da die Anführung des Titels und der Anfangsbuchstaben ihres Namens in Verbindung mit der Aktenzahl grundsätzlich die Bestimmung ihrer Identität erlaubt, ist auch weder das Bestehen eines schutzwürdigen Interesses der Beschwerdeführerin schon als solches iSd § 1 Abs 1 zweiter Satz DSG 2000 ausgeschlossen noch liegen nur indirekt personenbezogene Daten iSd § 4 Z 1 zweiter Halbsatz DSG 2000 vor.

Gemäß § 8 Abs 1 Z 1 DSG 2000 sind schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen bei Verwendung nicht-sensibler Daten ‑ wozu auch der Name zählt ‑ jedoch dann nicht verletzt, wenn eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung oder Verpflichtung zur Verwendung der Daten besteht. Bei der Verwendung von zulässigerweise veröffentlichten Daten oder von nur indirekt personenbezogenen Daten gelten schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen als nicht verletzt.

3. Die Veröffentlichung höchstgerichtlicher Entscheidungen liegt im öffentlichen Interesse: Einerseits erschließt sie dem Rechtssuchenden eine neben dem Gesetz bestehende Rechtsquelle, indem sie die Auslegung von Gesetzen durch die Rechtsprechung und damit das angewandte praktizierte Recht bekannt macht (Präjudizienfunktion). Andererseits ermöglicht die Publikation gerichtlicher Entscheidungen die Kenntnisnahme durch die Öffentlichkeit (Öffentlichkeitsprinzip) und wird so in Verbindung mit der Eröffnung von Diskussions- und Kritikmöglichkeit zu einem wesentlichen Faktor der Rechtsstaatlichkeit (s Felzmann/Danzl/Hopf, Oberster Gerichtshof², § 15 OGHG Anm 4; Hopf, Zugänglichkeit der Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs, in FS Schneider 497 [499 ff]).

Die Veröffentlichung erfolgt auf gesetzlicher Grundlage:

Gemäß § 15 Abs 1 OGHG hat der Bundesminister für Justiz eine allgemein zugängliche Datenbank (Entscheidungsdokumentation Justiz) einzurichten, in die

1. Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs (Volltexte), die sich nicht in einer begründungslosen Zurückweisung eines Rechtsmittels erschöpfen, sowie

2. nach § 14 Abs 1 OGHG aufbereitete Entscheidungen (Rechtssätze) und andere Texte aufzunehmen sind.

Gemäß § 15 Abs 2 OGHG kann der erkennende Senat bei der Beschlussfassung in Rechtssachen, in denen das Verfahren in allen Instanzen ohne Durchführung einer öffentlichen Verhandlung zu führen war, anordnen, dass die Entscheidung (Volltext) in der Datenbank nicht zu veröffentlichen ist, wenn ansonst die Anonymität der Betroffenen nicht sichergestellt ist. Diese Bestimmung kommt hier nicht zum Tragen, weil der von der Beschwerdeführerin bekämpfte Unterbrechungsbeschluss in einem Zivilrechtsstreit, sohin in einem Verfahren erging, das nicht ohne Durchführung einer öffentlichen Verhandlung zu führen war.

Gemäß § 15 Abs 4 OGHG sind in der Entscheidungsdokumentation Justiz Namen, Anschriften und erforderlichenfalls auch sonstige Orts‑ und Gebietsbezeichnungen, die Rückschlüsse auf die betreffende Rechtssache zulassen, durch Buchstaben, Ziffern oder Abkürzungen so zu anonymisieren, dass die Nachvollziehbarkeit der Entscheidung nicht verloren geht. Mit der Bestimmung soll einerseits sichergestellt werden, dass im Interesse des Personenschutzes der Parteien, Zeugen und „sonstigen Beteiligten“ eine entsprechende Anonymisierung der Entscheidungen zu erfolgen hat (RV 525 BlgNR 21. GP  S 11), andererseits aber auch verhindert werden, dass das Textdokument wegen der Anonymisierung nicht mehr verständlich ist (Felzmann/Danzl/Hopf, Oberster Gerichtshof², § 15 OGHG Anm 7).

Die genannten Autoren vertreten, dass die Bestimmung, durch die eine ausreichende Unkenntlichmachung sichergestellt werden soll, im Standardfall eine Anonymisierung durch Reduktion des Familiennamens auf den Anfangsbuchstaben sowie Entfall der Berufsbezeichnung und der gesamten Anschrift der betroffenen Person erlaubt. Unter Umständen kann es notwendig sein, auch den Vornamen einer Person zu anonymisieren, insbesondere dann, wenn dieser eher selten oder im gegebenen Zusammenhang sonst auffällig ist. Im Einzelfall können aber auch noch weitergehende Schritte zur Anonymisierung erforderlich sein, wenn die Identität der Person sonst aus der Entscheidung hervorginge.

4. Im vorliegenden Fall ist danach zu prüfen, ob die Identität der Beschwerdeführerin durch die Reduktion ihres vollständigen Namens und ihrer Anschrift auf den im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) ausgewiesenen Titel und die jeweils ersten Buchstaben des Vor- und des Nachnamens iSd § 15 Abs 4 OGHG ausreichend anonymisiert wurde.

Für die Frage, ob bei Veröffentlichung einer Entscheidung im RIS unter Bezeichnung einer Partei mit dem Titel und den Anfangsbuchstaben ihres Namens der Personenbezug der Daten derart ist, dass ein Dritter auf die Identität der Partei schließen kann, kann es nicht auf die subjektive Sicht der Partei ankommen, die sich in ihren Rechten verletzt fühlt, weil sie in der Regel Kenntnis von der Entscheidung hat und aufgrund des Gesamtbildes der Entscheidung, der Wiedergabe eines Sachverhalts und des bisherigen Verfahrens und der bezughabenden Aktenzahl zwangsläufig auf sich schließen kann. Aus denselben Gründen scheiden auch der Verfahrensgegner und sonstige Verfahrensbeteiligte als Maßstab aus, weil ihnen personenbezogene Daten wie Name und Anschrift einer Verfahrenspartei in der Regel schon aus der Verfahrensführung bekannt sind (Schriftsätze, Ladungen, öffentliche mündliche Verhandlung ua). Maßgeblich kann daher nur sein, ob veröffentlichte Daten auch nicht verfahrensbeteiligten Dritten die Bestimmung der Identität einer Person erlauben. Aus der Verwendung eines Titels wie „Mag.“ („Mag.a“) und des jeweils ersten Buchstabens des Vor- und des Nachnamens einer Verfahrenspartei kann in der Regel jedoch nicht annähernd auf eine konkrete Person geschlossen werden. Das gilt umso mehr, wenn ‑ wie es auch § 15 Abs 4 DSG 2000 entspricht ‑ auch keine Adresse veröffentlicht wird.

Nichts anderes gilt im vorliegenden Fall, gibt es doch zahlreiche Namensträgerinnen mit den Initialen „C“ und „Ö“ und Trägerinnen des Titels „Mag.“ oder „Mag.a“. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass auch der im RIS ausgewiesene Name des anwaltlichen Vertreters der Beschwerdeführerin zu den sie betreffenden Entscheidungen führt. Denn dem Verfahrensgegner ist ein Unterbrechungsbeschluss ohnehin zur Kenntnis zu bringen. Nicht am Verfahren Beteiligte Dritte können aber alleine vom Einschreiten eines Rechtsanwalts nicht auf die Person eines Mandanten/einer Mandantin schließen, zumal auch der im RIS angeführte Kanzleisitz eines Rechtsanwalts häufig nicht mit dem Wohnort einer Streitpartei ident ist. Ein Sachverhalt, der nicht verfahrensbeteiligten Dritten Rückschlüsse auf die Person der Beschwerdeführerin ermöglichen könnte, ist den Entscheidungen 6 Ob 228/14v und 4 Ob 105/15t ohnehin nicht zu entnehmen. Da aber alleine mit der Anführung des Titels und der Initialen der Beschwerdeführerin ihre Identität noch nicht bestimmbar ist, wurde diese iSd § 15 Abs 4 OGHG ausreichend anonymisiert. Die Veröffentlichung der Rechtssache erfolgte damit in Entsprechung der in § 15 Abs 1 OGHG vorgesehenen Verpflichtung. Schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen der Beschwerdeführerin an ihrem Titel und den Anfangsbuchstaben ihres Namens iSd § 1 Abs 1 DSG 2000 sind folglich zu verneinen.

5.  Die Beschwerdeführerin weist darauf hin, dass Angaben über die „(Nicht‑)Gesundheit“ besonders schutzwürdige/sensible Daten iSd § 4 Z 2 DSG 2000 und Art 8 RL 95/46/EG seien, die absoluten Schutz genießen würden und deren Übermittlung absolut untersagt sei.

Richtig ist, dass Daten natürlicher Personen über ihre Gesundheit „sensible Daten“ („besonders schutzwürdige Daten“) iSd § 4 Z 2 DSG 2000 sind. Auch bei diesen werden schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen unter anderem dann nicht verletzt, wenn sich die Ermächtigung oder Verpflichtung zur Verwendung aus gesetzlichen Vorschriften ergibt, soweit diese der Wahrung eines wichtigen öffentlichen Interesses dienen (§ 9 Z 3 DSG 2000). Da der Begriff der (personenbezogenen) Daten im Allgemeinen und der sensiblen Daten im Besonderen aber die Bestimmbarkeit der Identität des Betroffenen voraussetzt, dies jedoch, wie dargelegt, hier nicht der Fall ist, erlaubt die Veröffentlichung der Tatsache, dass das die Beschwerdeführerin betreffende Verfahren nach § 6a ZPO unterbrochen wurde, keine Rückschlüsse auf einen gerade ihre Person betreffenden höchstpersönlichen Lebensbereich. Auch insoweit wurde nicht in schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen der Beschwerdeführerin eingegriffen.

6. Aus der Zulässigkeit der Verwendung der Daten ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin die Löschung der Daten (§ 27 DSG 2000) nicht verlangen kann.

7. Da ihren Anträgen danach keine Berechtigung zukommt, sind sie abzuweisen.

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