OGH 9ObA60/15m

OGH9ObA60/15m28.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Mag. Robert Brunner als weitere Richter und Richterinnen in der Arbeitsrechtssache der klagenden Parteien 1. Dr. G*****, 2. Dr. C*****, 3. Dr. E*****, 5. Dr. M*****, alle vertreten durch Dr. Thomas C. Mair, Rechtsanwalt in Bad Ischl, gegen die beklagte Partei Land O*****, vertreten durch Hawel ‑ Eypeltauer ‑ Gigleitner & Partner, Rechtsanwälte in Linz, wegen je 4.650,70 EUR (erst‑, zweit‑, drittklagende Partei), und 4.204,70 EUR (fünftklagende Partei), über die Revision der erst‑, zweit‑, dritt‑ und fünftklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 5. März 2015, GZ 11 Ra 20/15p‑43, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 15. Dezember 2014, GZ 19 Cga 143/13x‑38, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00060.15M.1028.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die erst‑, zweit‑, dritt‑ und fünftklagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei je ein Viertel der mit 1.342,66 EUR (darin 223,78 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Die Kläger sind Oberärzte in der Abteilung Innere Medizin des LKH ***** und Dienstnehmer der Beklagten. Das Dienstverhältnis unterliegt dem Oö. Gehaltsgesetz 2001 (Oö. GG 2001). Im Rahmen ihrer Tätigkeit sind sie auch etwa 1,5 Stunden pro Woche auf der interdisziplinären Intensivstation eingesetzt, in der zeitweise ‑ etwa 15 mal in der Woche ‑ ein mobiles Röntgengerät eingesetzt wird.

Ca einmal im Jahr werden Internisten dazu eingesetzt, Patienten auf der Intensivstation beim Röntgen zu halten. Sie sind weiters bei Operationen tätig, bei denen geröntgt wird, sowie bei der Computertomographie. Aufgrund dieses Tätigkeitsprofils empfahl der Strahlenschutzbeauftragte des Krankenhauses für die Kläger das Tragen eines Dosimeters.

Der Erst‑, der Zweit‑, der Dritt‑ und der Fünftkläger begehren eine der Höhe nach unstrittige Gefahrenzulage auf Basis der Gefahrenzulagenerlässe des Amtes der Oberösterreichischen Landesregierung PersR‑431022/147‑1992/SCH (Gefahrenzulagen‑Erlass 1992) und PersR‑431022/341‑1996/SCH (Gefahrenzulagen‑ Erlass 1996). Aufgrund ihrer Tätigkeit auf der Intensivstation, der dort durchgeführten Röntgenuntersuchungen bzw der dort gelegten Herzschrittmacher seien sie in mehr als der Hälfte der Arbeitstage in einem Gefahrenbereich zum Dienst zugeteilt.

Der vormalige Viertkläger hat seine Klage zurückgezogen.

Die Beklagte bestreitet und bringt vor, dass die Kläger nicht in der Intensivstation, sondern in der Abteilung Innere Medizin zum Dienst eingeteilt gewesen seien. Sie übten nur zu einem sehr geringen Teil auch Tätigkeiten auf der Intensivstation aus. Zum Tragen von Dosimetern bestehe bei den Klägern keine Verpflichtung.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Die Kläger könnten jederzeit zum Halten eines Patienten auf der Intensivstation herangezogen werden, weshalb die Gefahr einer potentiellen Bestrahlung bestehe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies die Klage ab. Die Gefahrenzulagen-Erlässe 1992 und 1996 könnten Ansprüche der Kläger nicht unmittelbar begründen, weil es sich dabei nur um interne Weisungen an Vollzugsorgane handle. Sie könnten jedoch als Hilfe zur Interpretation des § 38 Oö. GG 2001 herangezogen werden.

Für einen Anspruch auf Gefahrenzulage aufgrund der Beschäftigung im „Dosimeterbereich“ sei es erforderlich, dass der Bedienstete aufgrund der Diensteinteilung auch nur kurzfristig zum Tragen eines Dosimeters aufgrund der AllgStrSchuV verpflichtet sei, sich also (unvermeidbar) im Strahlenbereich aufhalten müsse, sofern dies an jedem Arbeitstag in einem Zeitraum von mindestens zwei Wochen oder in mehr als der Hälfte der dienstplanmäßig vorgesehenen Arbeitstage im Kalendermonat der Fall sei.

Die bloße Existenz eines Strahlenbereichs in der Intensivstation oder die bloße Möglichkeit, dass die Kläger zum Halten eines unruhigen Patienten bei einer externen Röntgenaufnahme herangezogen würden, reiche für einen Anspruch auf Gefahrenzulage nicht aus.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil die Regelungen über die Gefahrenzulage in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgingen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Kläger mit dem Antrag, das Urteil dahingehend abzuändern, dass der Klage stattgegeben wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, weil die im Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts umschriebene Rechtsfrage nicht die Qualifikation des § 502 Abs 1 ZPO erfüllt. Auch bei Fehlen einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn die anzuwendende Norm selbst eine klare Regelung trifft (RIS‑Justiz RS0042656) bzw ausschließlich von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Allein, dass die zu lösenden Fragen in einer größeren Zahl von Fällen auftreten können, bewirkt ebensowenig wie der Umstand, dass mehrere Dienstnehmer betroffen sind, das Vorliegen einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0042816). Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

Auch in ihrer Revision stützen sich die Kläger auf die Gefahrenzulagen-Erlässe 1992 und 1996. Die Empfehlung des Strahlenschutzbeauftragten sei nach diesen Erlässen bindend. Darüber hinaus sei die Tätigkeit in der Intensivstation mit der Gefahr verbunden, bei einem Röntgenvorgang zum Festhalten eines Patienten anwesend sein zu müssen, weswegen die Verpflichtung bestehe, einen Dosimeter zu tragen.

1. Nach § 38 Abs 1 Z 2 Oö. GG 2001 kann Landesbediensteten eine Dienstvergütung gewährt werden, wenn sie Dienste unter besonderen Gefahren für Leben, Gesundheit oder körperliche Sicherheit verrichten (Gefahrenabgeltung) und diese besonderen Gefahren nicht ohnehin mit dem Gehalt abgegolten sind, was dann anzunehmen ist, wenn diese Umstände und Gefahren mit der bestehenden Einreihung in eine bestimmte Funktionslaufbahn im Regelfall verbunden sind und bei dieser Art der Verwendung typischerweise auftreten (§ 4 Abs 3 Oö. GG 2001).

2. Zu der vergleichbaren Regelung im für Bundesbeamte geltenden Gehaltsgesetz 1956 (§ 19b) hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt dargelegt, dass der Gesetzgeber durch die Worte „besondere Gefahren“ zum Ausdruck bringt, dass es sich jeweils nicht bloß um Gefahren für Gesundheit und Leben handeln darf, die mit dem Dienst des Beamten ganz allgemein verbunden sind und daher alle Beamten treffen; es muss die betreffende Gefährdung vielmehr eine wesentliche Abweichung von der diesbezüglichen Norm darstellen (VwGH 92/12/0246 mwN). Eine besondere Gefahr liegt nicht nur dann vor, wenn aufgrund anhaltender und nicht abänderbarer Arbeitsbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit der Eintritt eines gesundheitlichen Schadens zu befürchten ist. Auch müssen besondere Gefahren im genannten Sinn nicht mit dem überwiegenden Teil der gesamten Tätigkeit des Beamten verbunden sein; sie dürfen aber andererseits nicht nur mit einem nur als geringfügig zu bezeichnenden Teil der gesamten Tätigkeit verbunden sein (VwGH 2012/12/0153; 95/12/0065).

Ob das der Fall ist oder nicht, kann nur anhand einer aufgrund eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens getroffenen Tatsachenfeststellung darüber beurteilt werden, worin die dienstlichen Verrichtungen, von denen dieser behauptet, sie seien mit den erwähnten „besonderen Gefahren“ verbunden, im Einzelfall konkret bestehen, welche konkreten Gefahrenmomente damit verbunden sind und mit welcher Intensität und welcher Häufigkeit diese Momente auftreten, weil sonst der unerlässliche Vergleich mit der „diesbezüglichen Norm“ nicht vorgenommen werden kann (VwGH 99/12/0112).

Auf diese Rechtsprechungslinie hat der oberösterreichische Landesgesetzgeber in den Erläuterungen zum Oö. GG 2001 ausdrücklich verwiesen (Erläut 885/2000 BlgOöLT 25. GP 2), weshalb sie auch bei der Beurteilung, ob im Einzelfall eine Gefahrenzulage zusteht, Relevanz hat.

3.1. Dass aufgrund der Einreihung der Kläger als „Facharzt“ (LD 10 bzw allenfalls LD 9) (§ 2 Oö. Einreihungsverordnung 2005) nicht davon ausgegangen werden kann, dass Gefahren einer Strahlenbelastung bereits mit dem Grundgehalt abgegolten sind, wird von den Parteien nicht mehr in Frage gestellt.

3.2. Die Beurteilung, wem konkret aufgrund seiner Tätigkeit eine Gefahrenzulage nach § 38 Abs 1 Z 2 Oö. GG 2001 zusteht, ist eine solche des Einzelfalls.

Dies gilt auch für die Frage, ob die Kläger bei ihrer täglich durchschnittlich 20‑minütigen Tätigkeit auf der Intensivstation verbunden mit dem Risiko etwa einmal im Jahr zum Halten eines Patienten beim Röntgen ‑ und damit zu einer Tätigkeit im Strahlenbereich ‑ herangezogen werden zu können, mit einem mehr als nur als geringfügig zu bezeichnenden Teil ihrer gesamten Tätigkeit einer besonderen Gefährdung ausgesetzt sind. Eine in diesem Punkt korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts, das die besonderen Gefahren verneinte, wird in der Revision nicht aufgezeigt.

3.3. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Erlässe, auf die sich die Kläger berufen und die wie das Berufungsgericht richtig ausführt mangels ordnungsgemäßer Kundmachung (RIS‑Justiz RS0053910) nicht als unmittelbare Anspruchsgrundlage herangezogen werden können, als Interpretationshilfe jene Tätigkeiten umschreibt, die anspruchsbegründend iSd § 38 Abs 1 Z 2 Oö. GG 2001 sein sollen, bestehen keine Bedenken gegen die Auslegung des Berufungsgerichts.

Ob die Intensivstation als Dosimeterbereich anzusehen ist, ist eine Rechtsfrage und entgegen den Ausführungen in der Revision auch nicht unstrittig, da die Beklagte ausdrücklich vorgebracht hat, dass die Kläger sich während ihrer Tätigkeit dort in keinem Strahlen‑ und Gefahrenbereich befinden.

Die Erlässe definieren den Dosimeterbereich nicht selbst, sondern verweisen auf die Dosimeterpflicht und für diese auf die Strahlenschutzverordnung BGBl 1972/47, die mit 1. 6. 2006 durch die Allgemeine Strahlenschutzverordnung BGBl II 2006/191 ersetzt wurde (§ 96 AllgStrSchuV).

Sowohl die Strahlenschutzverordnung (§ 24) als auch die AllgStrSchuV (§ 25) sehen eine Dosimeterpflicht für beruflich strahlenexponierte Personen ausschließlich während der Tätigkeit im Strahlenbereich vor. Beruflich strahlenexponierte Personen sind solche, die bei ihrer Tätigkeit einer Strahlenbelastung ausgesetzt sein können, die einen bestimmten Grenzwert übersteigt.

Die Kläger leiten ihre Dosimeterpflicht aus dem Einsatz des mobilen Röntgengeräts und die damit verbundene Strahlenbelastung sowie der Empfehlung des Strahlenschutzbeauftragten ab.

Der Bescheid, mit dem das mobile Röntgen auf der Intensivstation bewilligt wurde, führt ausdrücklich aus, dass sämtliche Personen, die sich bei Röntgenaufnahmen im Kontroll‑ und Überwachungsbereich aufhalten müssen, als beruflich strahlenexponiert gelten und entsprechend zu überwachen sind. Alle anderen Personen sind anzuweisen, während der Röntgenaufnahmen die Strahlenbereiche zu verlassen.

Nach den Feststellungen werden Internisten ca einmal im Jahr dazu eingesetzt, Patienten auf der Intensivstation beim Röntgen zu halten, und damit im Strahlenbereich tätig. Eine Dosimeterpflicht aufgrund des Einsatzes eines mobilen Röntgens besteht daher nur in dieser Zeit und nicht in dem in den Erlässen als Voraussetzung für eine Gefahrenzulage verlangten zeitlichen Umfang.

Dass nach dem Gefahrenzulagen‑Erlass aus 1996 der Strahlenschutzbeauftragte „für die Umsetzung der Strahlenschutzverordnung und für die Festlegung des Bereiches, in dem Dosimeter zu tragen sind“, zuständig ist, bedeutet nicht, dass allein durch eine Anordnung des Strahlenschutzbeauftragten die rechtlichen Voraussetzungen für die Dosimeterpflicht verändert werden können.

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass nicht schon die Tätigkeit auf der Intensivstation potenziell gefährlich ist, sondern dabei nur das Risiko besteht, zu einer potenziell gefährlichen Tätigkeit (verbunden mit einer Pflicht zum Tragen eines Dosimeters) herangezogen werden zu können, dies aber nach der Lage des Falls nicht für die Gewährung einer Gefahrenzulage nach § 38 Abs 1 Z 2 Oö. GG 2001 ausreicht, ist daher nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Die Kläger sind daher aufgrund des annähernd gleichen Anteils am Gesamtstreitwert verpflichtet, je ein Viertel dieser Kosten zu ersetzen (§ 46 Abs 1 ZPO).

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