OGH 12Os113/15g

OGH12Os113/15g22.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Oktober 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Ortner als Schriftführer in der Strafsache gegen Adem K***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 und Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Kadir B***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom 23. Juni 2015, GZ 152 Hv 57/15i‑21, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0120OS00113.15G.1022.000

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch des Kadir B***** sowie in dem diesen Angeklagten betreffenden Strafausspruch aufgehoben und dem Landesgericht für Strafsachen Wien aufgetragen, in Betreff des Genannten nach dem 11. Hauptstück der StPO iVm § 7 JGG vorzugehen.

Der Angeklagte wird mit seiner Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Gründe:

Mit dem angefochtenen ‑ einen zu Unrecht nicht gesondert ausgefertigten (vgl Schroll in WK 2 StGB § 50 Rz 16; Danek , WK‑StPO § 270 Rz 50) Beschluss auf Anordnung von Bewährungshilfe und Erteilung von Weisungen enthaltenden ‑ Urteil wurde der Angeklagte Kadir B***** ‑ ebenso wie zwei weitere Angeklagte, deren Schuldsprüche in Rechtskraft erwuchsen ‑ des Verbrechens (richtig: der Verbrechen; vgl 12 Os 63/15d) des Raubes nach § 142 Abs 1 und 2 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 19. April 2015 in W***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) mit zwei Mitangeklagten mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben Lorenz E***** und Johannes H***** fremde bewegliche Sachen (zu ergänzen: geringen Werts; US 6) nämlich 12 Euro Bargeld, mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz (zu ergänzen: ohne Anwendung erheblicher Gewalt; US 6) weggenommen, indem sie die Opfer umzingelten, sie von einander abdrängten, festhielten und mit den Worten „Gib mir dein Geld, du hast 5 Sekunden“ zur Übergabe aufforderten (zu ergänzen: ,wobei die Tat nur unbedeutende Folgen nach sich zog; US 6).

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 (iVm Z 10n) und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Kadir B*****, mit der er diversionelle Erledigung begehrt. Sie erweist sich als berechtigt.

Zutreffend fordert der Beschwerdeführer ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO ‑ unter Anwendung des § 7 JGG ‑ ein (Z 10a). Neben einem hinreichend geklärten Sachverhalt setzt dies das Fehlen spezialpräventiver Notwendigkeit der Bestrafung (§ 7 Abs 1 JGG) und eine als nicht schwer (§ 32 StGB) anzusehende Schuld des Angeklagten voraus (§ 7 Abs 2 Z 1 JGG).

Bei der Prüfung der Frage, ob eine schwere Schuld vorliegt, ist nach Lage des konkreten Falls eine ganzheitliche Abwägung aller schuld‑ und unrechtsrelevanten Tatumstände geboten. Um die Schuld als schwer einzustufen, muss das Handlungs‑ und Gesinnungsunrecht insgesamt ein Ausmaß erreichen, das als auffallend und ungewöhnlich zu beurteilen ist. Bedacht zu nehmen ist auch auf die in der Strafdrohung zum Ausdruck gebrachte Bewertung des deliktstypischen Unrechts‑ und Schuldgehalts durch den Gesetzgeber, insbesondere auch der Entfall einer Strafuntergrenze nach § 5 Z 4 JGG ( Schroll , WK‑StPO § 198 Rz 28; RIS‑Justiz RS0116021).

Die Tatrichter stellten betreffend den Beschwerdeführer (einen zur Tatzeit 14‑jährigen Schüler) fest, dass dieser „in keiner Form handgreiflich gegen eines der Opfer“ wurde, „noch verlangte er Bargeld von diesen, sondern trug zum Aufbau der ... dem Tatplan der Angeklagten entsprechenden Drohkulisse bei“ (US 5). Demnach ist untergeordnete Beteiligung des Rechtsmittelwerbers anzunehmen (§ 34 Abs 1 Z 6 StGB). Ausgehend von dem nach § 142 Abs 2 StGB iVm § 5 Z 4 JGG eröffneten Strafrahmen wäre vorliegend unter weiterer Berücksichtigung des bisher ordentlichen Lebenswandels, der geständigen Verantwortung und der Schadensgutmachung keineswegs von schwerer Schuld auszugehen.

Indem das Erstgericht ausführt, das Geständnis des Beschwerdeführers wäre nicht reumütig gewesen, weshalb spezialpräventive Gründe gegen eine Diversion sprächen (US 8), verkennt es, dass ein Geständnis des Beschuldigten gar nicht Voraussetzung für ein diversionelles Vorgehen ist ( Schroll , WK‑StPO § 198 Rz 36). In Übereinstimmung mit dem Beschwerdeführer erscheint nach den erstgerichtlichen Feststellungen eine Bestrafung des Jugendlichen nicht von vornherein geboten, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. Vielmehr könnte sich eine diversionelle Beendigung des Verfahrens in spezialpräventiver Hinsicht als wirkungsvoller erweisen.

Soweit das Schöffengericht weiters ausführt, auch generalpräventive Hindernisse stünden einer diversionellen Erledigung entgegen, verkennt es, dass Gründe der Generalprävention eine solche bei einer Jugendstraftat nicht ausschließen ( Schroll , WK‑StPO § 198 Rz 7/5, 42).

Die Ausführungen zur Mängelrüge (Z 5) betreffen lediglich das fehlende Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO; auf diese Beschwerdepunkte war daher nicht mehr weiter einzugehen.

Daher war ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, schon bei nichtöffentlicher Beratung (§ 285e StPO) im Schuldspruch sowie im Strafausspruch betreffend Kadir B***** aufzuheben und dem Landesgericht für Strafsachen Wien ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO iVm § 7 JGG aufzutragen.

Der Angeklagte war mit seiner Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte