OGH 6Ob11/15h

OGH6Ob11/15h25.9.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden und die Hofräte und Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Hargassner und Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei e***** GmbH, *****, vertreten durch Zöchbauer Frauenberger Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei K***** Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Ruggenthaler, Rest & Borsky Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung sowie 1.962.440,23 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. November 2014, GZ 5 R 78/14y‑40, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0060OB00011.15H.0925.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

Das Erstgericht verurteilte die Beklagte zur Unterlassung der Verbreitung der in ihrer Tageszeitung in mehreren Artikeln erhobenen Behauptungen, die Klägerin vertreibe im Rahmen der Bewirtschaftung von ÖBB-Speisewagen an Kunden systematisch Ware, deren Mindesthaltbarkeit bereits überschritten wurde, und „Dreck“, insbesondere Waren mit bloß vorgetäuschter Qualität und/oder Herkunft, zum Widerruf dieser unwahren Behauptungen und zur Veröffentlichung dieses Widerrufs.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Beklagten zeigt keine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage auf:

1. Die Revisionswerberin meint, das Berufungsgericht sei grundlos von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen, wenn es für die Erfüllung des Rechtfertigungsgrundes des § 6 Abs 2 Z 2 lit b MedG im vorliegenden Fall fordere, dass die von den Informanten vorgelegten Fotos die Journalisten der Beklagten jedenfalls vom Wahrheitsgehalt der Informationen hätten überzeugen müssen, dass die befassten Redakteure umfassende rechtliche Recherchen zur LebensmittelkennzeichnungsV hätten tätigen müssen und dass in Anbetracht der wirtschaftlichen Bedeutung der Berichterstattung für die Klägerin jedenfalls deren Geschäftsführer die Möglichkeit zu einer Stellungnahme einzuräumen gewesen wäre, wohingegen die eingeholten Stellungnahmen „gehobener“ Mitarbeiter der Klägerin nicht ausgereicht hätten.

2. Nach § 6 Abs 2 Z 2 lit b MedG ist im Fall einer üblen Nachrede ein Entschädigungsanspruch gegen den Medieninhaber nach § 6 Abs 1 MedG, der die Verwirklichung des objektiven Tatbestands dieses strafrechtlichen Delikts (§ 111 StGB) voraussetzt, ausgeschlossen, wenn ein überwiegendes Interesse an der Veröffentlichung bestanden hat und auch bei Aufwendung der gebotenen journalistischen Sorgfalt hinreichende Gründe vorgelegen sind, die Behauptung für wahr zu halten. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist dieser auf die üble Nachrede eingeschränkte Rechtfertigungsgrund auf alle Tatbestände des § 1330 ABGB auszudehnen (6 Ob 357/04z mwN).

3. Die Frage nach dem Umfang der Nachforschungspflicht eines Journalisten hängt immer so von den Umständen des Einzelfalls ab, dass dieser Frage keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommt (RIS‑Justiz RS0108415 [T3], RS031856 [T5, T6]).

4. Das Berufungsgericht hat eine Verletzung der gebotenen journalistischen Sorgfaltspflicht nach den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls entgegen den Ausführungen der Revision in Einklang mit der von ihm auch zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bejaht:

a) Das Nichteinholen einer möglichen Auskunft ist zwar für sich allein nicht in jedem Fall eine Sorgfaltsverletzung (6 Ob 357/04z mwN). Bei der Veröffentlichung von Informationen eines Dritten ist die Einholung der Stellungnahme des von der Äußerung Betroffenen aber jedenfalls dann erforderlich, wenn nicht besondere Gründe für die Verlässlichkeit des Informanten sprechen (RIS‑Justiz RS0108415). Besondere Gründe, die für die Verlässlichkeit der Informanten der Beklagten ([ehemalige] Mitarbeiter der Klägerin) sprechen, sind jedoch nicht festgestellt. Keinesfalls reichte es hierzu, dass etwa 20 (anonyme) Anrufer die Berichterstattung im ersten Artikel bestätigt haben sollen. Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte eine Stellungnahme des Geschäftsführers als organschaftlicher Vertreter der betroffenen Klägerin zu den konkreten Vorwürfen, die für die Klägerin ‑ entgegen der Meinung der Beklagten ‑ vorhersehbar gravierende negative wirtschaftliche Folgen haben konnten, vor Beginn der Berichterstattung hätte einholen müssen und Nachfragen bei Mitarbeitern der Klägerin nicht genügten, weicht nicht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ab. Nach den (im Rahmen der Beweiswürdigung getroffenen) Feststellungen des Erstgerichts war die dem Geschäftsführer der Klägerin vor Beginn der Artikelserie eingeräumte Frist zur Stellungnahme so außerordentlich kurz bemessen, dass sie von ihm nicht eingehalten werden konnte. Da eine besondere Dringlichkeit, den Artikel schon am nächsten Tag zu veröffentlichen, nicht hervorgekommen ist, ist die Beurteilung, die eingeräumte Frist von wenigen Stunden sei unangemessen kurz gewesen, jedenfalls vertretbar.

b) Ob die Ausführungen des Berufungsgerichts zu § 2 LebensmittelkennzeichnungsV 1993 zutreffen und ob die Forderung nach einer Auseinandersetzung mit der Frage der Anwendbarkeit der Verordnung auf verpackt angelieferten, zur Belegung von Baguettes oder Sandwiches bestimmten Salat die gebotene journalistische Sorgfalt überspannt, ist nicht entscheidungswesentlich. Die Tatsache, dass Salat in einer Packung ohne Ablaufdatum angeliefert wurde, ist nämlich nicht geeignet, die von der Beklagten verbreitete ‑ einen Gegenstand des Klagebegehrens bildende ‑ Tatsachenbehauptung, dass die Mindesthaltbarkeit bereits überschritten war, zu beweisen. Dass das vorgelegte Foto einer Salatpackung nicht geeignet ist, die Behauptung eines Überschreitens der Mindesthaltbarkeit für wahr zu halten, hat das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt. Aus dessen Ausführungen ist zu schließen, dass das Foto den nach dem Vorbringen der Beklagten von ihrem Informanten behaupteten, eine Überschreitung der Haltbarkeit vielleicht indizierenden Umstand, der Salat sei grau gewesen, nicht belegt. Die Aussage des Informanten allein reichte jedenfalls nicht aus, um dessen Behauptung für wahr zu halten. Schon das Erstgericht hat die von einer Artikelverfasserin für professionell und glaubwürdig erachtete (vom Informanten praktizierte) „Methode, eine aktuelle Tageszeitung neben einer Packung abgelaufener Debreziner zu platzieren und dies abzufotografieren“, zutreffend dahin beurteilt, dass bei Aufwendung der gebotenen journalistischen Sorgfalt diese Fotos kein hinreichender Grund waren, die Behauptung, die abgelaufenen Würstel seien auch verkauft worden, für wahr zu halten.

c) Unbegründet ist die Rüge der Beklagten, das Berufungsgericht gehe ‑ ohne selbst entsprechende Kenntnisse zu haben ‑ davon aus, dass die Vollprüfung durch das Marktamt ohne Beanstandung abgelaufen sei. Das Erstgericht hat nämlich festgestellt, dass externe Audits durch das Marktamt ständig stattfanden und es nur nicht nennenswerte Beanstandungen gab.

d) Wenngleich über das Schadenersatzbegehren der Klägerin noch nicht abgesprochen wurde und daher noch nicht feststeht, dass die Klägerin aufgrund der Berichterstattung Umsatzeinbußen hinnehmen musste, so ist daraus ‑ entgegen der Meinung der Beklagten ‑ nichts für die Frage der Einhaltung der gebotenen journalistischen Sorgfalt zu gewinnen. Aus einer mangelnden Kausalität der Berichterstattung für den Eintritt eines Vermögensschadens darf nicht auf den Umfang der vor der Berichterstattung aufzuwendenden, zur Hintanhaltung der Gefahr einer Rechtsgutbeeinträchtigung gebotenen Sorgfalt geschlossen werden. Für die Intensität der Prüfungspflicht kommt es nämlich besonders auch auf die Schwere der drohenden Beeinträchtigung an, für die insbesondere der Grad der Verbreitung bedeutsam sein kann (Reischauer in Rummel ABGB³ [2002], § 1330 ABGB Rz 16 mwN). Dass die verbreiteten Behauptungen, zu deren Unterlassung die Beklagte verurteilt wurde, das Potenzial hatten, die Klägerin massiv am Vermögen zu schädigen und ihren wirtschaftlichen Ruf zu gefährden, bedarf keiner Erörterung.

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