European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0030OB00141.15D.0819.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Die Vorinstanzen übertrugen dem Vater die vorher der Mutter zustehende Obsorge für seine 16 und 14 Jahre alten Töchter, weil dies bei Gesamtabwägung aller Umstände des Falls dem Kindeswohl und dem ausdrücklichen Wunsch der Töchter entspreche. Generalpräventive Erwägungen ‑ der Vater habe die Kinder vor 12 Jahren widerrechtlich der Mutter entzogen und jahrelang den Kontakt unterbunden ‑ hätten bei der Obsorgeentscheidung keinen Platz.
Die Mutter, die die Abweisung des Obsorgeübertragungsbegehrens des Vaters anstrebt, vermag keine erheblichen Rechtsfragen im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG aufzuzeigen.
Rechtliche Beurteilung
Obsorgeentscheidungen sind jeweils solche des Einzelfalls und begründen nur bei Verletzung leitender Rechtsprechungsgrundsätze erhebliche Rechtsfragen (RIS‑Justiz RS0007101, RS0097114). Wurde auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen, kommt der Entscheidung keine grundsätzliche Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zu (RIS-Justiz RS0115719).
Die Obsorgeentscheidung hat ausschließlich nach Maßgabe des Kindeswohls zu erfolgen, dieses geht dem Elternrecht vor (RIS‑Justiz RS0118080). Es ist die derzeitige Lebenssituation zu berücksichtigen und eine Zukunftsprognose zu treffen (RIS‑Justiz RS0048632, RS0106312). Bei einer Kollision mehrerer obsorgerechtlicher Leitgedanken ist stets eine Gesamtschau maßgeblich (RIS‑Justiz RS0047832 [T12]).
Das konkrete Kindeswohl hat auch den Vorrang gegenüber dem Ziel, Kindesentführungen ganz allgemein zu unterbinden. Es darf nicht aus generalpräventiven Gründen zum Schutz des ‑ abstrakten ‑ Kindeswohls, nur um den Eindruck zu verhindern, Kindesentführungen würden sich doch lohnen, die schwerwiegende Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für ein Kind herbeigeführt werden (4 Ob 2288/96s).
Im Hinblick auf die festgestellte sehr positive Betreuungssituation beim Vater und dem derzeitigen Familienverband (Ehefrau des Vaters und Halbgeschwister) sowie auf die nunmehr stabilen Aufenthaltsbedingungen in Österreich (Vater und Töchter sind österreichische Staatsbürger, gute Deutschkenntnisse) ist die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dem Wunsch der Kinder und der Betreuungskontinuität (Vermeidung der Übersiedlung zur kaum mehr bekannten, geschweige denn vertrauten Mutter, die in einem Land lebt, dessen Sprache und Kultur den Kindern unbekannt sind) den Vorzug zu geben, jedenfalls vertretbar.
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