OGH 4Ob131/15s

OGH4Ob131/15s11.8.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N***** GmbH, *****, vertreten durch Ferner Hornung & Partner GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei S***** AG, *****, Schweiz, vertreten durch Hasberger Seitz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 100.000 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 24. April 2015, GZ 1 R 40/15f‑32, womit das Zwischenurteil des Landesgerichts Salzburg vom 15. Dezember 2014, GZ 10 Cg 7/12f‑28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0040OB00131.15S.0811.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.133,54 EUR (darin 355,59 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Die klagende Partei mit Sitz im Inland begehrte als Verkäuferin aus einem mit der beklagten Partei abgeschlossenen Kaufvertrag 100.000 EUR als Schadenersatz an entgangenem Gewinn, weil die beklagte Partei nur einen kleinen Teil der verkauften Photovoltaikmodule abgenommen (und bezahlt) habe. Mit Zustimmung und Vermittlung der beklagten Partei habe die klagende Partei die restlichen Module an Dritte verkaufen müssen, wobei ihr wegen ungünstiger Deckungsverkäufe ein Schaden von insgesamt 766.668,71 EUR entstanden sei. Davon mache sie 100.000 EUR als Teilbetrag geltend.

Die in der Schweiz ansässige beklagte Partei bestritt im Wesentlichen das Zustandekommen eines Kaufvertrags und das Vorliegen eines Schadens. Sie warf der klagenden Partei einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht vor, weil die Module zu billig weiterverkauft worden seien.

Im Revisionsverfahren sind die Anwendung von österreichischem Recht bzw des UN‑Kaufrechtsübereinkommens (CISG) und auch der Umstand nicht mehr strittig, dass zwischen den Streitteilen ein Kaufvertrag über die Lieferung von Solarmodulen mit einer Gesamtleistung von einem Megawatt zustandekam.

Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil, dass die Klagsforderung dem Grunde nach zu Recht bestehe. Es ging dabei unter anderem von folgendem Sachverhalt aus:

Ab Dezember 2008 erfolgten von der Firma S*****die Lieferungen der 110 W p -Module an die klagende Partei, wobei jedenfalls mehr als 600 Module geliefert wurden. Die beklagte Partei holte davon lediglich 600 Module ab. In der Folge kam es zu einem allgemeinen Preisabfall bei derartigen Modulen. Auf Empfehlung und mit Wissen der beklagten Partei verkaufte die klagende Partei 110 W p -Module durchschnittlich unter dem Marktpreis, wobei sich die klagende Partei bemühte, die Module gegenüber dritten Abnehmern über dem Marktpreis anzubieten.

In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht wegen der Abholung von lediglich 600 Modulen davon aus, dass die beklagte Partei ihre Vertragspflichten nach Art 60 CISG verletzt habe. Die klagende Partei könne als Verkäuferin nach Art 61 Abs 1 lit b CISG Schadenersatz nach Art 74 bis 77 CISG verlangen. Gemäß Art 74 CISG sei ihr als Schadenersatz der infolge der Vertragsverletzung entstandene Verlust einschließlich des entgangenen Gewinns zu ersetzen. Bei den Deckungsgeschäften habe die klagende Partei nur einen geringeren Preis als mit der beklagten Partei vereinbart erzielen können, weshalb ihr ein Schaden in Form von entgangenem Gewinn entstanden sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es ging davon aus, dass die klagende Partei ihren Schadenersatzanspruch auf Art 74 und 75 CISG stützen könne. Bei Nichtvorliegen einer Vertragsaufhebungserklärung nach Art 74 CISG komme grundsätzlich zwar nur eine Form der Schadensberechnung in Betracht, die auf der Aufrechterhaltung und Durchführung des Vertrags basiere. Bei einer ernstlichen und endgültigen Erfüllungsverweigerung sei aber vom Erfordernis einer vorhergehenden Vertragsaufhebungserklärung eine Ausnahme zu machen. Dieser Fall liege hier vor, weil zum Zeitpunkt der Vornahme der Deckungsgeschäfte festgestanden sei, dass die beklagte Partei keine weiteren 110 W p -Module abnehmen werde.

Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht erkennbar mit der Begründung zu, dass keine höchstgerichtliche Judikatur zur Frage vorliege, ob es zur Geltendmachung eines Differenzschadens nach Art 75 CISG zwingend der vorherigen Vertragsaufhebung bedürfe.

In ihrer Revision schließt sich die beklagte Partei der Begründung des Zulässigkeitsausspruchs an.

Rechtliche Beurteilung

1. Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Weder in der zweitinstanzlichen Zulassungsbegründung noch im Rechtsmittel wird eine solche für die Entscheidung auch präjudizielle Rechtsfrage ausgeführt.

2. Nach Art 75 CISG kann der Verkäufer den Unterschied zwischen dem im Vertrag vereinbarten Preis und dem Preis des Deckungsverkaufs sowie jeden weiteren Schadenersatz iSd Art 74 CISG verlangen, wenn der Vertrag aufgehoben ist und er einen Deckungsverkauf in angemessener Weise und innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach der Aufhebung vorgenommen hat.

2.1 Nach Art 64 Abs 1 CISG kann der Verkäufer die Aufhebung des Vertrags erklären, wenn die Nichterfüllung einer dem Käufer nach dem Vertrag oder dem CISG obliegenden Pflicht eine wesentliche Vertragsverletzung darstellt (lit a) oder wenn der Käufer nicht innerhalb der ihm gesetzten Nachfrist seine Pflicht zur Zahlung des Kaufpreises oder zur Annahme der Ware erfüllt oder wenn er erklärt, dass er dies nicht innerhalb der so gesetzten Frist tun wird (lit b).

2.2 Die Vertragsaufhebung erfolgt durch eine vom vertragstreuen Teil an den Vertragspartner gerichtete einseitige Erklärung, die an keine bestimmte Form gebunden ist (10 Ob 518/95; 1 Ob 292/99v). Die Aufhebung kann auch konkludent (RIS‑Justiz RS0112335) oder mit Klage (4 Ob 159/11b; RIS‑Justiz RS0113572; RS0018258) erklärt werden. Nach Art 29 Abs 1 CISG ist zudem die einvernehmliche Aufhebung eines Vertrags möglich und zulässig, wobei die Folgen einer derartigen einvernehmlichen Auflösung ‑ mangels abweichender Regelung durch die Parteien ‑ nach dem dispositiven Recht des CISG zu beurteilen sind (1 Ob 74/99k; Gsell in Honsell , UN‑Kaufrecht², Art 29 Rz 7 und 10).

2.3 Nach den (vom ausdrücklichen Vorbringen der klagenden Partei gedeckten) Feststellungen wurde der Deckungsverkauf von der beklagten Partei empfohlen. Die klagende Partei hat dieser Empfehlung mit Wissen der beklagten Partei entsprochen (vgl 1 Ob 215/12t). Unter Berücksichtigung der Grundsätze des Art 8 CISG, der die Auslegung von Erklärungen und Verhalten regelt (vgl dazu Posch in Schwimann/Kodek Art 8 CISG Rz 4 mwN), sind das Verhalten und die Erklärungen der Parteien im Sinn einer einvernehmlichen Aufhebung des Vertrags zu verstehen, die die Geltendmachung des Differenzschadens nicht ausschloss.

3.1 Das Ergebnis hängt somit nicht davon ab, ob Art 75 CISG (im Sinne der überwiegenden Ansicht, vgl Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer , UN‑Kaufrecht Art 75 Rz 5 mit zahlreichen Nachweisen) ausnahmsweise auch ohne Vertragsaufhebung anzuwenden ist, weil hier den Deckungsverkäufen ohnedies eine Vertragsaufhebung zugrunde lag.

3.2 Bei dieser Rechtslage käme der Lösung der vom Berufungsgericht als erheblich angesehenen Rechtsfrage nur theoretische Bedeutung zu. Die Anrufung des Obersten Gerichtshofs ist aber nach § 502 Abs 1 ZPO nur zulässig, wenn die Entscheidung gerade von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, die angeschnittene Rechtsfrage also für die Entscheidung präjudiziell ist (RIS‑Justiz RS0088931 [T2]; Zechner in Fasching/Konecny 2 IV/1 § 502 ZPO Rz 60). Fehlende Relevanz für die Entscheidung des zu beurteilenden Falls schließt das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage aus.

4. Auch sonst zeigt die beklagte Partei keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung auf.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die klagende Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision mangels erheblicher Rechtsfrage hingewiesen.

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