OGH 10Ob46/15k

OGH10Ob46/15k30.6.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ‑.Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers G*****, geboren am *****, vertreten durch den Sachwalter Mag. P*****, p.A. Vertretungsnetz Sachwalterschaft, 9500 Villach, Marksgasse 7/1, dieser vertreten durch Dr. Birgit Lajtai‑Nagl, Rechtsanwältin in Villach, gegen den Antragsgegner Ing. B*****, *****, vertreten durch Dr. Johann Winkler, Rechtsanwalt in Villach, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 26. Februar 2015, GZ 2 R 60/15y‑63, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Villach vom 16. Jänner 2015, GZ 38 Fam 15/13p‑59, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00046.15K.0630.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Für den nunmehr 30‑jährigen Antragsteller wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Villach vom 21. 5. 2008, AZ 29 P 40/07s, im Hinblick auf eine induziert wahnhafte Störung und eine Persönlichkeitsstörung ein Sachwalter bestellt. Der Antragsteller lebt gemeinsam mit seiner Mutter im Haushalt der mütterlichen Großmutter.

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist das gegen den Vater des Antragstellers gerichtete Begehren auf Erhöhung des zuletzt im Jahr 2001 mit 218 EUR monatlich festgelegten Unterhaltsbetrags auf 720 EUR monatlich ab 1. 1. 2011.

Der Antragsgegner beantragte die Abweisung dieses Begehrens und brachte im Wesentlichen vor, der Antragsteller sei arbeitsfähig, aber nicht arbeitswillig. Er sei als fiktiv selbsterhaltungsfähig zu betrachten.

Das Erstgericht erhöhte den Unterhalt des Antragstellers ab 1. 1. 2011 auf 710 EUR monatlich und ab 1. 1. 2012 auf 720 EUR monatlich. Das Mehrbegehren von 10 EUR monatlich im Jahr 2011 wurde (unbekämpft) abgewiesen. Auf Grundlage des ‑ nach der Aktenlage und im Hinblick auf den Internetauftritt des Antragstellers ‑ erstellten psychiatrischen Sachverständigengutachtens traf das Erstgericht im Wesentlichen die Feststellungen, dass der Antragsteller anhaltend an einer wahnhaften Störung leide und die Einsetzbarkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht gegeben sei. Eine adäquate Therapiebereitschaft sei krankheitsbedingt nahezu ausgeschlossen. Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass der Unterhaltsanspruch des Antragstellers weiterhin bestehe. Die Weigerung des Antragstellers, an der Erstellung des psychiatrischen Gutachtens mitzuwirken, sei krankheitsbedingt und nicht mutwillig.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragsgegners nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichts und billigte dessen rechtliche Beurteilung. Über Zulassungsvorstellung des Antragsgegners ließ das Rekursgericht nachträglich den Revisionsrekurs zu der Rechtsfrage zu, ob ein Gutachten ohne Befundaufnahme aufgrund der Weigerung des Betroffenen an der Mitwirkung erst nach Ausschöpfung der Möglichkeit der Vorführung erstattet werden dürfe.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Zulassungsausspruch des Rekursgerichts (§ 71 Abs 1 AußStrG) liegt eine Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG nicht vor:

1.1 Gemäß § 35 AußStrG iVm § 359 Abs 2 ZPO hat der Sachverständige, wenn er die Mitwirkung der Partei oder dritter Personen benötigt und ihm diese auf seine Aufforderung nicht unverzüglich geleistet wird, dies dem Gericht unter genauer Auflistung der erforderlichen Mitwirkungshandlungen und der entgegenstehenden Hindernisse mitzuteilen. Das Gericht hat sodann mit abgesondert nicht anfechtbarem Beschluss den Parteien das Erforderliche aufzutragen und ihnen hiefür eine angemessene Frist zu setzen.

1.2 Im vorliegenden Fall wies der psychiatrische Gerichtssachverständige das Gericht darauf hin, dass der Antragsteller nicht zum Untersuchungstermin erschienen sei. In seinem Ergänzungsgutachten führte der Sachverständige aus, dass Patienten mit wahnhaften Störungen dazu neigen, Krankhaftigkeiten und Symptome zu verleugnen, weshalb außenanamnestischen Angaben regelmäßig sehr große Bedeutung zukomme. Im Fall des Antragstellers fänden sich über Jahre hinweg außenanamnestische Berichte, die im Sinne der Krankheitserscheinungen konsistent seien, weshalb mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schon aufgrund der Aktenlage und des Internetaufritts des Antragstellers davon ausgegangen werden könne, dass die Diagnose (einer wahnhaften Störung) weiterhin zutreffe. Eine zusätzliche persönliche Untersuchung wäre wünschenswert, wäre aber wahrscheinlich durch eine massive Bagatellisierungs‑ bzw Verleugnungshaltung belastet. Zudem sei darauf hinzuweisen, dass die Ausprägung der Erkrankung Schwankungen unterliegen könne, ohne dass das Krankheitsbild grundsätzlich geändert wäre (ON 31 AS 249).

1.3 Als das Erstgericht daraufhin den Antragsteller im Beisein des Sachwalters und des Sachverständigen zur Parteieneinvernahme zu Gericht lud, teilte der Antragsteller mit, er werde nicht erscheinen, da er keinesfalls an Unterhaltszahlungen seines Vaters interessiert sei (ON 44). Den vom Gericht dem Sachverständigen zwecks persönlicher Untersuchung aufgetragenen Hausbesuch lehnte der Antragsteller dann mit der Begründung ab, dass er viele schlechte Erfahrungen mit Psychiatern gemacht habe und sich zu keinem Gutachten mehr zwingen lasse (ON 49).

1.4 Über diese Verfahrensschritte setzt sich der Revisionsrekurswerber mit seinen Ausführungen hinweg, das Erstgericht hätte den Antragsteller zwecks Erhebung der Anamnese zu einer gerichtlichen Einvernahme unter Beiziehung des Sachverständigen laden müssen. Die in diesem Zusammenhang gerügte Aktenwidrigkeit ist zu verneinen.

2.1 Nach § 79 Abs 1 AußStrG hat das Gericht für den Fortgang des Verfahrens notwendige Verfügungen gegenüber Personen, die sie unbefugt unterlassen, von Amts wegen durch angemessene Zwangsmittel durchzusetzen. § 79 Abs 1 AußStrG regelt verfahrensinterne Zwangsmittel, deren Anwendung eine durchsetzbare Pflicht voraussetzt (RIS‑Justiz RS0124115).

2.2 Es entspricht der bisherigen Rechtsprechung, dass eine solche durchsetzbare Verpflichtung sich aus § 35 AußStrG iVm § 359 ZPO für die Mitwirkung am Sachverständigenbeweis ergeben kann und auch aus allgemeinen Mitwirkungspflichten der §§ 13 Abs 1 und 16 AußStrG (RIS‑Justiz RS0124115 [T3]) . Eine durchsetzbare Verpflichtung ist weiters aus § 31 Abs 5 AußStrG ableitbar, wenn eine Partei einer ordnungsgemäßen Ladung nicht Folge leistet und es das Gericht für unverzichtbar erachtet, dass die Partei zu einer Vernehmung kommt. In Betracht kommen Geldstrafen und die zwangsweise Vorführung ( Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 31 Rz 94).

2.3 Die zwangsweise Durchsetzung von Pflichten aufgrund der allgemeinen Mitwirkungspflicht darf freilich nicht extensiv gehandhabt werden, sondern in der Regel nur als ultima ratio und nach dem Prinzip des gelindesten Mittels (vgl Klicka in Rechberger , AußStrG 2 § 79 Rz 2 mwN). Wo im Einzelfall die Grenzen der durchsetzbaren Mitwirkungspflicht zu ziehen sind, bedarf aber gerade bei der Anordnung medizinischer Untersuchungen einer Interessensabwägung, weil das amtswegig zu verfolgende Informationsinteresse hier einem nicht unbedeutenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Partei gegenübersteht. Mittel und Zweck der Beweisaufnahme sind gegeneinander abzuwägen. Im Zusammenhang mit der Beurteilung der Frage, ob mit einem Aktengutachten auf Grundlage des vorhandenen Materials das Auslangen gefunden werden kann oder ein persönlicher Eindruck vom zu Begutachtenden erforderlich ist, sollen Zwangsmittel jedenfalls nur als ultima ratio eingesetzt werden. Eine zwangsweise Vorführung des Antragstellers zum Sachverständigen wäre daher erst als letztes Mittel nach sorgfältiger Prüfung auf mögliche Alternativen zulässig (vgl 8 Ob 89/13s, iFamZ 2014/13, 20 [Fucik]).

3. Im vorliegenden Fall hat das Rekursgericht die bereits im Rekurs gerügte Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens infolge Unterlassung der Vorführung des Antragstellers zu Gericht (zusammengefasst) mit der Begründung verneint, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anwendung von Zwangsmittel lägen nicht vor. Ein bereits vom Rekursgericht geprüfter und verneinter erstinstanzlicher Verfahrensmangel kann aber auch im Außerstreitverfahren nicht mehr Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens sein (RIS‑Justiz RS0042963 [T48], RS0050037).

3.1. Im Übrigen steht die Entscheidung des Rekursgerichts im Einklang mit der bereits zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in vergleichbaren Fällen. Das Erstgericht hat sich nach erfolgloser Ladung des Antragstellers durch den Sachverständigen zur persönlichen Untersuchung bemüht, dennoch eine unmittelbare Befundaufnahme zu erreichen, indem es den Antragsteller zur Parteienvernehmung im Beisein des Sachverständigen zu Gericht geladen hat und  ‑ als auch dies erfolglos blieb ‑ dem Sachverständigen die Untersuchung des Antragstellers im Rahmen eines Hausbesuches aufgetragen hat. Der Antragsteller lehnte aber auch diese Vorgangsweise mit der Begründung ab, er habe viele schlechte Erfahrungen mit Psychiatern gemacht und lasse sich zu keinem Gutachten mehr zwingen. Vor einer zwangsweisen Vorführung des Antragstellers zum Sachverständigen als ultima ratio war vom Erstgericht die Frage zu prüfen, ob mit einem Aktengutachten das Auslangen gefunden werden kann. Der Sachverständige bejahte diese Frage in seinem Ergänzungsgutachten vom 15. 3. 2014 (ON 31) im Wesentlichen mit der Begründung, dass bei der Diagnoseerstellung einer wahnhaften Störung ‑ auch wenn eine persönliche Untersuchung des Betreffenden natürlich wünschenswert wäre - außenanamnestische Angaben regelmäßig von sehr großer Bedeutung seien und im Falle des Antragstellers über Jahre hier außenanamnestische Berichte vorliegen, die im Sinne seiner Krankheitserscheinungen konsistent seien, sodass die entsprechende Diagnose beim Antragsteller auch ohne dessen persönliche Untersuchung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich getroffen werden könne. Eine persönliche Untersuchung des Antragstellers sei daher nicht unbedingt erforderlich. Bei dieser Sachlage kann in der Einholung eines Aktengutachtens kein Verstoß gegen leitende Grundsätze der Rechtsprechung liegen (vgl 8 Ob 65/13m; 6 Ob 20/15p).

4. Unter dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung macht der Revisionsrekurswerber geltend, der Gesundheitszustand des Antragstellers sei aufgrund eines unvollständigen Sachverständigengutachtens festgestellt worden, weil dieses keine Anamnese enthalte. Das von den Tatsacheninstanzen gebilligte Ergebnis eines Gutachtens unterliegt jedoch grundsätzlich keiner Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof, weil es dabei um eine Tatfrage geht (RIS‑Justiz RS0118604). Auch die Beurteilung der Frage, welche Beweisaufnahmen im Einzelfall notwendig sind, obliegt dem Ermessen der Tatsacheninstanzen und ist einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogen (8 Ob 54/13v mwN). Mit Rechtsrüge wären die Ergebnisse der gutachterlichen Tätigkeit nur dann bekämpfbar, wenn dabei ein Verstoß gegen zwingende Denkgesetze, (sonstige) Erfahrungssätze oder zwingende Gesetze des sprachlichen Ausdrucks unterlaufen wäre und dieser Verstoß die Unrichtigkeit des Gutachtens zur Folge hätte (RIS‑Justiz RS0043404 [T1, T4]; RS0043168). Solche Verstöße werden im Revisionrekurs aber nicht angesprochen.

Da auch mit diesen Ausführungen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufgezeigt wird, war der Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen.

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