OGH 9ObA45/15f

OGH9ObA45/15f24.6.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald Fuchs und Wolfgang Cadilek in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A***** K*****, vertreten durch Mahringer, Steinwender, Bestebner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, Bundesministerium für Land‑ und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Stubenring 1, 1010 Wien, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17‑19, 1011 Wien, wegen zuletzt 1.096,09 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. Jänner 2015, GZ 11 Ra 8/15y‑17, mit der der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 13. Oktober 2014, GZ 16 Cga 75/14y‑13, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 278,88 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 7. Februar 1992 bis 23. August 2013 als Vertragsbedienstete bei der Beklagten beschäftigt. Sie hatte aufgrund ihrer langjährigen Tätigkeit und ihrer Behinderung Anspruch auf Urlaub von sieben Wochen bzw 35 Arbeitstagen pro Jahr.

Zu Jahresbeginn 2009 hatte sie einen offenen Urlaubsanspruch von 18 Arbeitstagen. Im Jahr 2009 verbrauchte sie insgesamt 34 Urlaubstage, sodass zum Jahresende 2009 19 Urlaubstage (18 ‑ 34 + 35) offen waren.

Im Jahr 2010 verbrauchte sie bis 24. Mai zehn Urlaubstage und war anschließend bis zum Ende des Jahres krank, sodass zum Jahresende 44 Urlaubstage (19 ‑ 10 + 35) offen waren. Die Klägerin hatte beabsichtigt, die 19 aus dem Urlaubsjahr 2009 offen gebliebenen Urlaubstage im Jahr 2010 zu verbrauchen und im Sommer 2010 zumindest drei Wochen Urlaub durchgehend zu konsumieren. Ihre Erkrankung im Mai 2010 war allerdings unvorhersehbar gewesen.

Im Jahr 2011 dauerte ihre Erkrankung zunächst bis 22. Mai fort. Anschließend konsumierte sie bis zum Ende des Jahres 57 Urlaubstage, wobei sie über Vorschlag ihres Vorgesetzten zum Abbau ihrer Urlaubsansprüche auch wöchentlich einen Tag Urlaub nahm.

Im Jahr 2012 war sie von 2. Jänner bis 28. März krank, konsumierte anschließend bis 23. Mai acht Urlaubstage und war sodann bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 23. August 2013 durchgehend krank (aliquoter Urlaubsanspruch für 2013: 22,53 Arbeitstage). Auch diese Erkrankung war nicht vorhersehbar gewesen.

Die Streitteile sind unterschiedlicher Ansicht, ob die bis Ende 2010 nicht verbrauchten Urlaubstage der Klägerin aus dem Jahr 2009 mit Ablauf des Jahres 2010 und die bis Ende 2012 nicht verbrauchten Urlaubstage aus dem Jahr 2011 mit Ablauf des Jahres 2012 verfallen sind oder iSd § 27h S 2 VBG 1948 infolge der Erkrankungen der Klägerin der um ein Jahr verlängerten Verfallsfrist unterliegen.

Mit ihrer am 16. Mai 2014 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin zuletzt die Zahlung von 1.096,09 EUR brutto sA an Urlaubsersatzleistung für 15,13 Arbeitstage und brachte vor, bei Beendigung ihres Dienstverhältnisses seien anstelle des offenen Urlaubsanspruchs von 71,53 Arbeitstagen nur 56,4 Arbeitstage abgegolten worden. Aufgrund der unvorhersehbaren krankheitsbedingten Abwesenheiten sei ihr der rechtzeitige Verbrauch des Erholungsurlaubs nicht möglich gewesen, sodass die Voraussetzungen für eine Übertragung der restlichen Urlaubsguthaben aus den Jahren 2009 und 2011 gegeben gewesen seien.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und brachte vor, dass die Ausnahmebestimmung des § 27h VBG 1948 nicht zur Anwendung komme, weil der Klägerin der Verbrauch des Erholungsurlaubs für 2009 im Jahr 2009 selbst bzw bis zum 25. Mai 2010 und für den Erholungsurlaub 2011 im Jahr 2011 und jedenfalls auch noch im Jahr 2012 möglich und zumutbar gewesen wäre. Intention des Gesetzgebers für die Festlegung einer im Vergleich zum allgemeinen Arbeitsrecht kürzeren Verfallsfrist im VBG 1948 sei, dass Urlaubsansprüche nicht gehortet, sondern zeitnah zu Erholungszwecken konsumiert würden. Urlaub sei grundsätzlich im Anfallsjahr zu verbrauchen. Der Übergangszeitraum von einem weiteren Jahr diene lediglich dazu, Fällen wie Krankheit, dienstlicher Notwendigkeit etc entgegenzuwirken. Der nicht verbrauchte Urlaub für die Jahre 2009 und 2011 sei daher verfallen.

Eine von der Beklagten irrtümlicherweise im Zuge der Abrechnung nicht berücksichtigte aliquote Urlaubsersatzleistung von 23 Stunden wurde im Zuge des Verfahrens der Klägerin ausbezahlt. Im Übrigen ist die Höhe des Klagsbetrags im Revisionsverfahren nicht mehr strittig.

Das Erstgericht gab der Klage im Hinblick auf § 27h VBG 1948 statt. Die Klägerin sei infolge Krankheit daran gehindert gewesen, ihre offenen Urlaubsreste aus den Jahren 2009 und 2011 rechtzeitig zu verbrauchen. Die Urlaubsreste seien auf weitere Urlaubsjahre übertragen worden, wobei ein im neuen Jahr angetretener Urlaub vorerst auf den aus dem vergangenen Urlaubsjahr übertragenen Urlaub anzurechnen sei. Sohin habe die Klägerin zunächst im Jahr 2011 die offenen 9 Arbeitstage Urlaub aus dem Jahr 2009, zusätzlich noch 35 Arbeitstage Urlaub des Jahres 2010 und 13 Arbeitstage Urlaub des Jahres 2011 konsumiert. Damit seien aus dem Jahr 2011 noch 22 Arbeitstage Urlaub verblieben, von denen sie 8 Tage im Jahr 2012 bis zum Beginn ihres Krankenstandes am 24. Mai 2012 verbraucht habe. Dies ergebe zum Zeitpunkt der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses insgesamt einen Anspruch auf Urlaubsersatzleistung für 14 (2011) + 35 (2012) + 22,53 (2013 aliquot), insgesamt daher für 71,53 Arbeitstage.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten keine Folge. Aus der Rechtsprechung des EuGH in den verbundenen Rechtssachen C‑350/06 und C‑520/06 (Schultz‑Hoff und Stringer) könnten nur die notwendigen Mindestanforderungen der Bedingungen für die Inanspruchnahme und Gewährung von Urlaub abgeleitet werden, nicht aber, dass günstigere einzelstaatliche Regelungen unwirksam wären. Nach Darstellung der Entwicklung des § 27h VBG 1948 in der Stammfassung und idF der 24. VBG‑Novelle, BGBl 1977/391, wies das Berufungsgericht darauf hin, dass mit § 27h S 2 und 3 VBG 1948 idgF der 2. Dienstrechts-Novelle 2009, BGBl I 153/2009, die österreichische Rechtslage an die genannte Rechtsprechung des EuGH sowie des Obersten Gerichtshofs (8 ObA 41/05w) angepasst werden sollte (ErlRV 488 BlgNR 24. GP 9 f). Daraus ergebe sich, dass dem VBG 1948 zwar an sich der Gedanke zugrunde liege, dass der Urlaubsanspruch im aktuellen Jahr konsumiert werden solle, der Gesetzgeber das Stehenlassen von Urlaubsansprüchen für das nächste Kalenderjahr aber ausdrücklich zugelassen habe. Darin liege daher noch kein Horten von Urlaubsansprüchen. Für die Verlängerung der Verfallsfrist stelle § 27h S 2 VBG 1948 auf die „Unmöglichkeit des Urlaubsverbrauchs“ ab. Stellte man auf die absolute Unmöglichkeit des Urlaubsverbrauchs ab, wäre die Voraussetzung für die Verlängerung der Verfallsfrist schon dann nicht erfüllt, wenn im Kalenderjahr des Entstehens des Urlaubsanspruchs und im nächstfolgenden Jahr Zeiträume ohne den Verbrauch hindernde Umstände im Ausmaß des im ersten Kalenderjahr entstandenen Urlaubsanspruchs vorlägen. Damit würde aber dem Erholungszweck des Urlaubs und der Notwendigkeit einer Vereinbarung für den Urlaubsverbrauch nicht Rechnung getragen. Die Verneinung der „Unmöglichkeit des Urlaubsverbrauchs“ iSd § 27h VBG 1948 setze daher voraus, dass dem Vertragsbediensteten ein Urlaubsverbrauch in der dafür zur Verfügung stehenden Zeit zumutbar gewesen wäre, wobei auch die Erreichbarkeit des Erholungszwecks und im Rahmen einer Interessenabwägung auch abweichende Pläne und getroffene Vereinbarungen betreffend den Urlaubsverbrauch mitzuberücksichtigen seien. Die Klägerin habe den restlichen Urlaubsanspruch aus dem Kalenderjahr 2009 im Sommer 2010 konsumieren wollen; für den restlichen Urlaubsanspruch aus dem Kalenderjahr 2011 sei ein tageweiser Verbrauch im Jahr 2012 vereinbart worden. Beides sei an ihrer unvorhergesehenen neuerlichen Erkrankung im Mai 2010 bzw Mai 2012 gescheitert. Da ihr daher ein Verbrauch vor Eintritt der Dienstverhinderungen nicht zumutbar gewesen sei, sei der Verfall gemäß § 27h S 2 VBG 1948 erst mit Ablauf des folgenden Kalenderjahres eingetreten. Bis dahin sei der restliche Urlaubsanspruch aus dem Kalenderjahr 2009 bereits verbraucht bzw das Arbeitsverhältnis beendet gewesen.

Die Revision sei mangels Rechtsprechung zur Interpretation des § 27h VBG 1948 zulässig, insbesondere zur Frage, ob bereits die bloß abstrakte Möglichkeit des Urlaubsverbrauchs die Verlängerung der Verfallsfrist für den Anspruch auf Erholungsurlaub verhindere.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsabweisung.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurück‑, in eventu abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Festzuhalten ist, dass eine Einschränkung des Verfalls von Urlaubsansprüchen, wie sie in der genannten Rechtsprechung des EuGH und des Obersten Gerichtshofs (8 ObA 41/05w zur Hemmung der Verfristung des Urlaubsanspruchs bei Unmöglichkeit fristgerechter Inanspruchnahme) vorgenommen wurde, nicht revisionsgegenständlich ist. Maßgeblich ist vielmehr die Auslegung des § 27h VBG 1948. Dessen erster und zweiter Satz in der seit der Novelle BGBl I Nr 153/2009 geltenden Fassung lauten:

Verfall des Erholungsurlaubs

§ 27h. Der Anspruch auf Erholungsurlaub verfällt, wenn der Vertragsbedienstete den Erholungsurlaub nicht bis zum 31. Dezember des dem Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres verbraucht hat. Ist der Verbrauch bis zu diesem Zeitpunkt aus dienstlichen Gründen, aufgrund einer Dienstverhinderung durch Krankheit oder Unfall oder aufgrund eines Beschäftigungsverbotes nach dem MSchG nicht möglich, so tritt der Verfall erst mit Ablauf des folgenden Kalenderjahres ein. …

Der Oberste Gerichtshof teilt die Rechtsansicht des Berufungsgerichts zur Auslegung des § 27h S 2 VBG 1948, sodass zunächst darauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO).

Hervorzuheben ist, dass der Gesetzgeber das Stehenlassen von Urlaubsansprüchen für das nächste Kalenderjahr ausdrücklich zugelassen hat (vgl Ziehensack, VBG, 15. Lieferung 2011, § 27h Rz 1), sodass alleine darin noch kein zu unterbindendes Horten von Urlaubsansprüchen gesehen werden kann. Das Argument der Beklagten, dass es in der eigenen Verantwortung der Klägerin liege, dass sie den Erholungsurlaub nicht bereits im Jahr 2009 oder in der ersten Jahreshälfte 2010 konsumiert habe, verfängt daher nicht.

Richtigerweise hat das Berufungsgericht die krankheitsbedingte Unmöglichkeit des Urlaubskonsums iSd § 27h S 2 VBG 1948 nicht auf eine „abstrakte“ Möglichkeit zum Urlaubskonsum bezogen. Ein solches Verständnis muss schon an der Notwendigkeit einer mit dem Dienstgeber zu treffenden Urlaubsvereinbarung scheitern. Es würde auch übersehen, dass eine Dienstverhinderung durch Erkrankung oder Unfall ein in der Regel zeitlich nicht voraussehbares Ereignis ist. Käme es ‑ dem Rechtsstandpunkt der Beklagten folgend ‑ auf die abstrakte Möglichkeit zum Urlaubskonsum an, wäre ein Vertragsbediensteter bereits im ersten Urlaubsjahr oder zu Beginn des zweiten Urlaubsjahrs zum Urlaubsverbrauch gezwungen, weil nicht von vornherein auszuschließen wäre, dass der Urlaub im zweiten Jahr krankheitsbedingt nicht mehr konsumiert werden könnte. Entgegen der Grundintention des § 27h VBG 1948 würde damit das Risiko der Erkrankung aber auf den Vertragsbediensteten überwälzt. Dem VBG ist auch keine Obliegenheit zu einem möglichst frühzeitigen Urlaubskonsum im Kalenderjahr zu entnehmen. Insbesondere lässt der Gesetzgeber keine Unterscheidungskriterien für einen Verbrauch des Urlaubsanspruchs im Jahr seines Entstehens oder im Folgejahr erkennen. Für die Beurteilung, ob ein Urlaubsverbrauch aufgrund einer Dienstverhinderung durch Krankheit nicht möglich war, kann es folglich nicht darauf ankommen, dass sich rückblickend noch ein Zeitraum zeigt, zu dem der Vertragsbedienstete vor seiner Erkrankung Urlaub nehmen hätte können.

Gesetzestext und -zweck des § 27h S 2 VBG 1948 legen vielmehr ein Verständnis dahin nahe, dass die Verfallsfrist um ein Jahr verlängert sein soll, wenn dem Vertragsbediensteten aufgrund einer krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit ein Urlaubskonsum bis zum Ablauf der regulären Verfallsfrist von S 1 leg cit objektiv nicht möglich ist. Ob diese Möglichkeit für den Vertragsbediensteten bestand, lässt sich aber nicht im Rückblick auf den Zeitraum vor, sondern erst ab der Erkrankung beurteilen. Da der Klägerin der Verbrauch ihrer restlichen Urlaubsansprüche aus den Jahren 2009 und 2011 in den jeweiligen Folgejahren 2010 und 2012 infolge jeweils bis zum Jahresende (und darüber hinaus) dauernder Erkrankungen nicht möglich war, weil ihr in diesen Folgejahren ab dem Zeitpunkt der jeweiligen Erkrankung überhaupt kein Arbeitstag mehr als verbrauchbarer Urlaubstag zur Verfügung stand, sind die Vorinstanzen zutreffend zum Ergebnis gekommen, dass sich die Verfallsfrist für die restlichen Urlaubsansprüche iSd § 27h S 2 VBG 1948 jeweils um ein Jahr verlängerte. Für eine weitere Interessenabwägung ist daneben kein Raum mehr.

Soweit die Beklagte befürchtet, dass es bei langfristigen Krankenständen von mehreren Monaten oder Jahren wiederum zu einem Anhäufen von so umfassenden Urlaubsansprüchen kommen könnte, dass ein Verbrauch kaum oder gar nicht mehr möglich wäre, übersieht sie, dass die Verbrauchsmöglichkeit in diesen Fällen lediglich um ein weiteres Jahr verlängert wird, krankheitsbedingt periodenverschobene Urlaubsansprüche damit aber ebenfalls von Gesetzes wegen dem Verfall unterliegen.

Da sich die Argumente der Beklagten damit insgesamt als nicht berechtigt erweisen, war ihrer Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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