OGH 4Ob220/14b

OGH4Ob220/14b16.6.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers E***** W*****, vertreten durch Dr. Walter Hausberger und andere Rechtsanwälte in Wörgl, gegen den Beklagten H***** H*****, vertreten durch Dr. Robert Heitzmann, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen (restlich) Räumung (Streitwert 4.000 EUR) sA, über die außerordentliche Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 2. September 2014, GZ 1 R 179/14a‑44, womit das Urteil des Bezirksgerichts Kitzbühel vom 17. April 2014, GZ 4 C 326/11b‑37, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil zu lauten hat:

„Das Klagebegehren, der Beklagte sei schuldig, die im ersten Stock des Hauses ***** gelegene Wohnung binnen 14 Tagen von sämtlichen nicht dem Kläger gehörenden Fahrnissen zu räumen und dem Kläger geräumt zu übergeben, wird abgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit 7.840,31 EUR (darin enthalten 1.020,55 EUR Umsatzsteuer und 1.717 EUR Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte ist deutscher Staatsbürger. Der Kläger errichtete im Jahr 1978 in Kitzbühel auf seinem Grundstück ein Haus. Zur Finanzierung des Baus wollte der Kläger die Wohnung im ersten Stock eigentlich vermieten, der Beklagte war an einem Kauf interessiert. Nach mehreren Gesprächen einigten sich die Streitteile schließlich, dass der Beklagte die Wohnung um 120.000 DM oder 125.000 DM kauft. Bei Abschluss des Vertrags war den Parteien bewusst, dass eine ordentliche Durchführung der Eigentumsübertragung nicht möglich sein wird, weil es aufgrund der damaligen Bestimmungen des Tiroler Grundverkehrsgesetzes für deutsche Staatsangehörige praktisch unmöglich war, Eigentum an Grund und Boden in Tirol zu erwerben. Sie verzichteten deshalb auf die Errichtung eines schriftlichen Kaufvertrags und die Anzeige des Geschäfts bei der Grundverkehrsbehörde. Beiden Parteien war die mündlich getroffene und mit Handschlag bekräftigte Vereinbarung genug. Der Beklagte leistete die vereinbarte Zahlung und nutzte die Wohnung in der Folgezeit zu Ferienzwecken. Der Beklagte hat auch nach dem Beitritt Österreichs zur EU 1995 und nach entsprechenden Änderungen des Tiroler Grundverkehrsgesetzes nie mehr daran gedacht, einen schriftlichen Kaufvertrag errichten und diesen grundbücherlich durchführen zu lassen. In den letzten Jahren versuchte die Familie des Klägers, die Wohnung zurückzubekommen, es wurde aber keine Lösung erzielt. Für diese Wohnung bzw/die Liegenschaft (die nunmehr infolge Übergabevertrag vom 17. 1. 2012 den Söhnen des Klägers gehört) bestand und besteht keine Widmung als Freizeitwohnsitz. Nach Einleitung dieses Verfahrens zeigte der Beklagte am 16. 5. 2013 den mündlichen Kaufvertrag aus dem Jahr 1978 der Grundverkehrsbehörde an.

Der Kläger begehrte vom Beklagten die Räumung der Liegenschaft sowie die Feststellung seines Alleineigentums. Er habe mit dem Beklagten einen „Mietvertrag“ abgeschlossen. Ein allfälliger Kaufvertrag wäre von Anfang an nichtig gewesen, zumal der Käufer die grundverkehrsbehördliche Genehmigung gar nicht beantragen hätte wollen, weil er davon ausgegangen sei, dass die Genehmigung ohnehin versagt würde. Die geleistete Mietzinsvorauszahlung sei nach spätestens 18 Jahren aufgebraucht gewesen. Selbst wenn 1978 ein mündlicher Kaufvertrag abgeschlossen worden wäre, sei ein daraus resultierender Anspruch auf Übertragung des Eigentumsrechts bereits im Jahr 2008 verjährt.

Der Beklagte wendete ein, er habe die Wohnung im Jahr 1978 vom Kläger gekauft. Ein schriftlicher Kaufvertrag sei nicht errichtet worden, weil allen Vertragsparteien bekannt gewesen sei, dass der Verkauf an einen deutschen Staatsbürger nach dem Tiroler Grundverkehrsgesetz unzulässig sei. Der Beklagte habe auf die Handschlagqualität des Klägers vertraut. Die Parteien hätten seinerzeit beabsichtigt, den mündlich abgeschlossenen Kaufvertrag schriftlich niederzulegen und zur Verbücherung zu bringen, sobald die Diskriminierung deutscher Staatsbürger beim Grunderwerb entfallen sei. Der Kaufvertrag sei daher schwebend wirksam. Der Kläger sei nicht mehr (Allein‑)Eigentümer der Liegenschaft und könne deshalb die Räumung nicht mehr begehren.

Das Erstgericht gab der Klage im ersten Rechtsgang zur Gänze statt. Der dagegen erhobenen Berufung gab das Berufungsgericht mit Teilurteil insoweit Folge, als es das Feststellungsbegehren (mangels rechtlichen Interesses) abwies und im Übrigen die Rechtssache hinsichtlich des Räumungsbegehrens an das Erstgericht zurückverwies. Die gegen die Abweisung des Feststellungsbegehrens erhobene außerordentliche Revision des Klägers wurde zu 4 Ob 240/12s zurückgewiesen.

Im zweiten Rechtsgang gab das Erstgericht dem Räumungsbegehren abermals statt. Es ging von der Nichtigkeit des Kaufvertrags aus, weshalb der Beklagte die Wohnung titellos benütze. Auch nach geltender Rechtslage könne der Kaufvertrag nicht genehmigt werden, weil der Beklagte die nach § 11 Tiroler Grundverkehrsgesetz (TGVG) geforderte Erklärung, dass durch den beabsichtigten Rechtserwerb kein Freizeitwohnsitz geschaffen werden soll, nicht abgeben könne.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit Endurteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Ein Bewertungsausspruch habe zu unterbleiben, da es sich um eine Streitigkeit iSd § 502 Abs 5 Z 2 ZPO handle. Die Kaufvereinbarung der Streitteile sei mit anfänglicher Nichtigkeit behaftet. Es bedürfe keines Eingehens auf die derzeitige Rechtslage, weil es nur darauf ankomme, dass die Parteien aufgrund der damaligen Verhältnisse keine Genehmigung beantragen wollten. Die Umgehung grundverkehrsrechtlicher Beschränkungen führe zur Nichtigkeit infolge Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot. Eine nachträgliche Genehmigung des seinerzeitigen Kaufvertrags sei zwischen den Parteien nie Thema gewesen, somit sei der Vertrag nicht in Schwebe, sondern von allem Anfang an nichtig gewesen.

Der Beklagte macht in seiner außerordentlichen Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend, das Berufungsgericht sei bei der Erforschung des hypothetischen Parteiwillens von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen. Die Unterlassung der Feststellung, was vernünftige und redliche Parteien vereinbart hätten, sei überdies ein erheblicher Verfahrensfehler. Aus dem Verhalten der Parteien, die sich seit Jahrzehnten an den Kaufvertrag gebunden erachteten, sei abzuleiten, dass sie bei Kenntnis einer geänderten Rechtslage betreffend den Ausländergrunderwerb vereinbart hätten, den Kaufvertrag den zuständigen Behörden vorzulegen und grundbücherlich umzusetzen. Überdies widerspreche die früher normierte Nichtigkeitssanktion des Tiroler Grundverkehrsgesetzes dem Gemeinschaftsrecht und dürfe in Bezug auf EU-Bürger nicht mehr angewendet werden.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Der Kläger hat sich auf das Bestehen eines Bestandvertrags gestützt. Es ist daher iSv § 502 Abs 5 Z 2 ZPO vom Vorliegen einer unter § 49 Abs 2 Z 5 JN fallenden Streitigkeit auszugehen (vgl RIS‑Justiz RS0122891; RS0046865; 2 Ob 213/10b), sodass die Revision nicht absolut unzulässig ist.

2.1. Die Genehmigung eines Vertrags durch die Grundverkehrsbehörde ist nach ständiger Rechtsprechung eine aufschiebende Bedingung für die Wirksamkeit des Vertrags (RIS‑Justiz RS0038627). Der aufschiebend bedingt geschlossene Vertrag wird durch den Bedingungseintritt wirksam. Bis zu diesem Zeitpunkt befindet er sich in einem Schwebezustand. Dieser endet nicht nur durch die Genehmigung des Vertrags, sondern auch durch ihre Versagung oder durch die Feststellung, dass der Vertrag keiner Genehmigung bedarf. Das Rechtsgeschäft, dessen Rechtswirksamkeit von einer grundverkehrsbehördlichen Genehmigung abhängt, bindet die Parteien so lange, bis die Genehmigung versagt wird (2 Ob 11/10x mwN).

2.2. Ein Vertrag ist nicht in Schwebe, sondern von allem Anfang an nichtig, wenn die Parteien die grundverkehrsbehördliche Zustimmung gar nicht beantragen wollen, weil sie wissen, dass diesem Vertrag nicht zugestimmt werde (RIS‑Justiz RS0038717; zuletzt 2 Ob 11/10x). Ein von vornherein gar nicht erlangbares Recht kann auch kein Anwartschaftsrecht vermitteln (RIS‑Justiz RS0105777).

2.3. Nichtig ist ein Vertrag aber nicht schon deshalb, weil die Parteien aufgrund der rechtlichen und/oder tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses keine Genehmigung beantragen wollen, sondern es ist auch ihre allfällige Absicht zu berücksichtigen, bei einer Änderung der rechtlichen und/oder tatsächlichen Verhältnisse die Genehmigung des Vertrags zu beantragen. So besteht keine Nichtigkeit, wenn zwischen den Vertragsparteien Einigkeit darüber bestand, im Fall der rechtlichen Möglichkeit des Grunderwerbs durch Ausländer eine entsprechende Kaufvertragsurkunde einverleibungsfähig auszufertigen (6 Ob 127/06d; vgl auch 9 Ob 100/04b, 7 Ob 145/14w).

2.4. Bei der Beurteilung, ob ein genehmigungspflichtiger Vertrag in Schwebe oder von Anfang an nichtig ist, ist auch die Absicht der Parteien zu berücksichtigen, bei einer allfälligen Änderung der rechtlichen und/oder tatsächlichen Verhältnisse die Genehmigung des Vertrags zu beantragen. In einem solchen Fall befindet sich der Vertrag ungeachtet dessen in einem Schwebezustand, dass die Parteien wegen der bestehenden rechtlichen und/oder tatsächlichen Verhältnisse keine Genehmigung beantragen (RIS‑Justiz RS0112706; 7 Ob 145/14w).

3.1. Eine ergänzende Vertragsauslegung ist vorzunehmen, wenn nach Vertragsabschluss Probleme auftreten, die die Parteien nicht bedacht und daher nicht geregelt haben, sofern auch das dispositive Recht keine Lösung bietet (Bollenberger in KBB4, § 914 Rz 8). Notwendige Voraussetzung einer ergänzenden Vertragsauslegung ist somit das Bestehen einer „Vertragslücke“, die auch erst durch spätere Entwicklung entstehen kann (Bollenberger aaO; Rummel in Rummel/Lukas, ABGB4 § 914 Rz 22, Vonkilch in Klang 3, § 914 Rz 103, je mwN).

3.2. Eine echte Vertragslücke liegt etwa vor, wenn es aufgrund des Eingreifens zwingenden Rechts zu einer (teilweisen) Unwirksamkeit des explizit konsentierten vertraglichen Pflichtenprogramms kommt. Die Lückenfüllung erfolgt dann durch Substitution eines bestimmten Teils des vertraglichen Pflichtenprogramms durch eine im Wesentlichen gleichwertige Ersatzregelung, sofern dem nicht der Schutzzweck des zwingenden Rechts entgegen steht (vgl Vonkilch aaO Rz 112).

3.3. Der Entscheidung 1 Ob 136/07t lag ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Dort hatten die Parteien im Zuge der vereinbarten Treuhandkonstruktion keine ausdrückliche Abrede getroffen, was im Fall einer Änderung der Gesetzeslage zu geschehen habe. Der erste Senat sprach mit überzeugender Begründung aus, dass bei der Lösung von Problemfällen, für die die Vertragschließenden keine Regelung getroffen haben, eine ergänzende Vertragsauslegung iSv § 914 ABGB vorzunehmen ist; der Vertrag ist um das zu ergänzen, was für den Vertrag nach Treu und Glauben (der Übung des redlichen Verkehrs) sowie nach dem im Vertrag für die ins Auge gefassten Verhältnisse ausgedrückten Willen zwischen den Parteien rechtens sein soll. Vernünftige und redliche Parteien hätten für den Fall geänderter Rechtsverhältnisse im Zusammenhang mit dem Ausländergrunderwerb die Mitwirkung des Verkäufers an der Einverleibung des (mittels verdeckten Vertrags) bereits ursprünglich vereinbarten Übergangs des Eigentumsrechts an der Liegenschaft an den Käufer vorgesehen, jedenfalls aber nicht den „Heimfall“ der verkauften Liegenschaft an den Verkäufer. Ganz gewiss ist aber einem redlichen Verkäufer, dem die Treuhandkonstruktion bekannt ist, zu unterstellen, dass er seinem wahren Vertragspartner die Nutzung der „schwebend bedingt“ verkauften Liegenschaft bei geänderter und auch bei nicht geänderter Gesetzeslage gestattet.

3.4. Im vorliegenden Fall haben die Tatsacheninstanzen festgestellt, dass beiden Parteien die mündlich getroffene und mit Handschlag bekräftigte Vereinbarung genug gewesen ist. Es herrschte zwischen ihnen uneingeschränktes Vertrauen, weshalb beide davon ausgingen, dass sich jeder an das Vereinbarte halten wird. (Auch) Bei diesem Sachverhalt ist nicht davon auszugehen, dass die Parteien den Heimfall der Liegenschaft (zu einem unbestimmten Zeitpunkt) an den verkaufenden Kläger vereinbart hätten. Vielmehr hätten sie als redliche Vertragsparteien bei ursprünglicher Bedachtnahme auf eine Änderung der Rechtsverhältnisse im Zusammenhang mit dem Ausländergrunderwerb die nachträgliche schriftliche und grundverkehrsbehördliche Durchführung des mündlich abgeschlossenen Vertrags vereinbart.

3.5. Der dem mündlichen Kaufvertrag zugrundeliegende Vertragswillen der Parteien lief darauf hinaus, dass die Verfügungsmacht über die Wohnung auf Dauer beim Beklagten verbleibt. Dies manifestierte sich auch in der von ihnen jahrzehntelang gelebten Praxis. Es liegen somit im konkreten Fall Anhaltspunkte für das Vorliegen einer echten Vertragslücke vor, die zugleich den Weg zu ihrer Füllung weisen (vgl Vonkilch aaO Rz 108).

4.1. In erster Instanz wurde erörtert, ob der gegenständliche Kaufvertrag nach geltender Rechtslage einer grundverkehrsbehördlichen Genehmigung fähig sei. Das Erstgericht vermeinte, dass dies nicht der Fall sei, weil der Beklagte keine Erklärung nach § 11 Abs 1 TGVG (dass durch den beabsichtigten Rechtserwerb kein Freizeitwohnsitz geschaffen werden soll) abgeben könne.

4.2. § 31 TGVG in der geltenden Fassung führt zur zivilrechtlichen Wirkung der Verkehrsbeschränkung aus, dass das Rechtsgeschäft oder der Rechtsvorgang solange nicht durchgeführt bzw in das Grundbuch eingetragen werden darf, als die entsprechende rechtskräftige Entscheidung der Grundverkehrsbehörde nicht vorliegt. Die Parteien sind jedoch an das Rechtsgeschäft gebunden. Die grundverkehrsbehördliche Versagung der Genehmigung oder Bestätigung bewirkt die rückwirkende Rechtsunwirksamkeit des Rechtsgeschäfts bzw Rechtsvorgangs.

4.3. Eine negative Entscheidung der Grundverkehrsbehörde lag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz nicht vor. Die Parteien sind daher nach wie vor an den abgeschlossenen Kaufvertrag gebunden.

5. Der gegenständliche Kaufvertrag ist daher nach wie vor in Schwebe, sodass dem Räumungsbegehren des Klägers, der an diesen Vertrag gebunden ist, keine Berechtigung zukommt. Der Revision des Beklagten ist somit Folge zu geben und die Entscheidungen der Vorinstanzen sind dahingehend abzuändern, dass auch das Räumungsbegehren abgewiesen wird.

6. Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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