OGH 21Os7/14h

OGH21Os7/14h9.6.2015

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 9. Juni 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Vavrovsky und Dr. Pressl sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Sailer in der Disziplinarsache gegen Dr. *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Beschwerde des Kammeranwalts gegen den Einstellungsbeschluss des Disziplinarrats der Salzburger Rechtsanwaltskammer vom 8. Oktober 2014, GZ *****D‑11‑22, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 60 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo. 2005 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0210OS00007.14H.0609.000

 

Spruch:

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluss sah der Disziplinarrat der Salzburger Rechtsanwaltskammer keinen Grund zur Disziplinarbehandlung des Rechtsanwalts Dr. ***** wegen Berufspflichtenverletzung und Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes hinsichtlich des Vorwurfs, er habe sich zunächst (ergänze: beginnend im Dezember 2012) das Vertrauen der (am 7. Oktober 1944) Luzia R***** erschlichen, um sich dann im Weg eines Kaufgeschäfts „günstig ‑ und zwar zu einem Kaufpreis von nur etwa einem Drittel des Verkehrswerts ‑ das Eigentumsrecht an der Liegenschaft EZ 260 GB ***** zu verschaffen.

Dem Disziplinarverfahren liegt der vom Rechtsanwalt Dr. L***** mit Luzia R***** und DI Dr. Helmut R***** am 11. September 2013 aufgenommene Aktenvermerk (ON 1) zugrunde. Nach den darin enthaltenen Vorwürfen habe der Disziplinarbeschuldigte ‑ soweit hier von Interesse ‑ (auch) zu Luzia R***** ein „Mutter-Kind‑Verhältnis“ aufgebaut und diese dazu gedrängt, ihm das Eigentumsrecht an ihrer Liegenschaft zu übertragen. Zu diesem Zweck sei er fast täglich bei der Anzeigerin erschienen, um mit ihr (Kaffee oder Champagner) zu trinken oder zu speisen; er habe sie „Mutti“ oder „Schatzi“ genannt. Sie sei psychisch nicht in der Lage gewesen, die Vorgangsweise des Dr. ***** zu durchschauen, habe ihre Liegenschaft eigentlich gar nicht verkaufen wollen, aber dem Disziplinarbeschuldigten vertraut und fühle sich jetzt „von ihm über den Tisch gezogen“. Der Disziplinarbeschuldigte habe sich das Eigentum an der gegenständlichen Liegenschaft um lediglich ein Drittel des Verkehrswerts verschafft.

Mit an den Untersuchungskommissär gerichtetem Schreiben vom 3. November 2013 (ON 7) bestritt der Disziplinarbeschuldigte die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Luzia R***** habe selbst den Verkauf ihrer Liegenschaft über das Immobilienbüro S***** GmbH (Hans‑Georg E*****) betrieben und ihm die Immobilie aus eigenen Stücken um einen Betrag von 530.000 Euro zuzüglich der Einräumung eines 10‑jährigen Wohnrechts zum Kauf angeboten. Er habe sich dann rasch entschlossen, die in Rede stehende Liegenschaft zu kaufen, und das Kaufanbot am 10. Dezember 2012 ‑ sohin bereits nach sechs Tagen, nachdem ihm das Haus das erste Mal vom genannten Immobilienmakler zum Kauf angeboten worden war ‑ auch im Beisein des damaligen Ehemannes der Anzeigerin DI Dr. Helmut R***** unterfertigt, wobei man sich letztlich auf einen Kaufpreis von 600.000 Euro geeinigt habe.

Im angefochtenen Beschluss ging der Disziplinarrat in tatsächlicher Hinsicht im Wesentlichen davon aus, dass Luzia R***** die in ihrem Eigentum stehende Liegenschaft ***** (von sich aus) veräußern wollte und sich mit dem Disziplinarbeschuldigten „verhältnismäßig rasch“ ‑ nämlich schon wenige Tage, nachdem die beiden genannten Personen einander kennengelernt hatten ‑ über den Kaufpreis und die Einräumung des Wohnungsrechts einigte. Luzia R***** sei dabei insoweit bereits „unter einem gewissen Druck“ gestanden, als die eheliche Beziehung zu DI Dr. R***** „angespannt“ gewesen sei. Erst nach und nach habe der Disziplinarbeschuldigte ein „nicht alltägliches“ Naheverhältnis zur Anzeigerin aufgebaut. Nach der letztlich einvernehmlichen Scheidung hätten sich die früheren Eheleute einander wieder angenähert und den Disziplinarbeschuldigten als jene Person gesehen, die ihre durch die Scheidung angespannte Lebenssituation ausgenützt und sich auf diese Weise günstig das Eigentum an der Liegenschaft verschafft habe. Dementsprechend sei von Luzia R***** auch eine Anfechtungsklage gegen den Disziplinarbeschuldigten erhoben worden; dieses Verfahren sei jedoch im Einvernehmen beider Streitteile bereits im Anfangsstadium durch Vereinbarung „ewigen Ruhens“ beendet worden. Schließlich habe Luzia R***** mit handschriftlich abgefasstem Schreiben an den Untersuchungskommissär vom 20. Februar 2014 (ON 12) ihre mit dem Verkauf ihres Hauses im Zusammenhang stehende „Beschwerde“ gegen den Disziplinarbeschuldigten zurückgezogen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Einstellungsbeschluss gerichteten Beschwerde des Kammeranwalts kommt keine Berechtigung zu:

Vorauszuschicken ist, dass der Disziplinarrat mit einem Einstellungsbeschluss nur dann vorgehen darf, wenn kein Verdacht eines ein Disziplinarvergehen begründenden Verhaltens des angezeigten Rechtsanwalts vorliegt ( Feil/Wennig Anwaltsrecht 8 [2014] § 29 DSt, 934). Vom ‑ eine Verfahrenseinstellung rechtfertigenden ‑ Fehlen eines solchen Verdachts ist ‑ im Licht des § 212 Z 2 StPO (§ 77 Abs 3 DSt) ‑ auszugehen, wenn das vorliegende Tatsachensubstrat Grund zur Annahme bietet, dass seine Dringlichkeit und sein Gewicht nicht ausreichen, um eine Verurteilung des Disziplinarbeschuldigten auch nur für möglich zu halten, und von weiteren Ermittlungen eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten ist. Diese Beurteilung ist Sache der Beweiswürdigung des Senats gemäß § 28 DSt, während dem erkennenden Senat gemäß § 30 DSt die Prüfung vorbehalten bleibt, ob sich der Verdacht zum Schuldbeweis verdichtet hat (RIS‑Justiz RS0056973 [T5]).

Nach Lage des Falls ist eine Verurteilung des Disziplinarbeschuldigten ebenso wenig zu erwarten wie eine Intensivierung des Verdachts durch weitere Ermittlungen:

Der Beschwerde des Kammeranwalts ist zunächst zu erwidern, dass die Verdachtslage durch die Hinweise auf frühere Disziplinarverfahren des Beschuldigten (wobei die Beschwerde in einem Fall [„Erbschaftsangelegenheit H*****“] selbst einräumt, dass der Vorwurf der „Erbschleicherei [...] im abgeführten Disziplinarverfahren letztlich zu keinen weiteren Konsequenzen führte“, und in einem anderen Fall [„Verfahren D‑09“ wegen Doppelvertretung] gänzlich offen lässt, ob es überhaupt rechtskräftigen Schuldspruch kam) und die daran anknüpfende Forderung, die „offensichtlich äußerst geringe Hemmschwelle“ des „Disziplinarbeschuldigten gegenüber deliktischen Handlungsweisen“ im Zug der Bewertung des vorliegenden Sachverhalts angemessen zu berücksichtigen, mit Blick auf die bereits vorliegenden Verfahrensergebnisse keine maßgebliche Änderung erfährt.

Das weitere ‑ im Wesentlichen den Inhalt der Anzeige der Luzia R***** (vgl Aktenvermerk ON 1) wiedergebende ‑ Vorbringen des Kammeranwalts enthält keine Angaben zur zeitlichen Abfolge der relevanten Geschehnisse, was aber in concreto zur Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts entscheidend wäre und ignoriert insbesondere die durch den Disziplinarbeschuldigten beigebrachten Beweise (ON 7), denen zufolge Luzia R***** die Liegenschaft (von sich aus) verkaufen habe wollen (vgl die Aussagen der Genannten S 5 und 9 im Protokoll über die mündliche Streitverhandlung vom 11. Juli 2013, AZ 1 C 8/13v des Bezirksgerichts Thalgau, [Beilage zu ON 7], wonach Hans‑Georg E***** an sie und ihren Mann herangetreten sei, sie beide die Option eines Verkaufs mit Blick auf ihr Alter besprochen hätten und schließlich den möglichen Käufer hätten kennenlernen wollen, sie [Luzia R*****] sich auch bei Rechtsanwalt Dr. ***** bezüglich des Werts des Hauses erkundigt habe, dieser gemeint hätte, dass 500.000 Euro mit Blick auf das 10‑jährige Wohnrecht „in Ordnung“ seien, und sie selbst von einem Wert insgesamt in Höhe von 1,5 Millionen Euro ausgegangen sei. Aus der Erklärung Hans‑Georg E***** vom 16. April 2013 ergibt sich, dass er als Immobilienmakler der Luzia R***** den Disziplinarbeschuldigten als möglichen Käufer bekannt gemacht habe, wobei am 4. Dezember 2012 die erste Besichtigung stattfand und bereits am 10. Dezember 2012 ein auf 600.000 Euro korrigiertes (im Akt erliegendes) Kaufanbot erstellt und angenommen wurde.

Daraus erhellt, dass das von der Anzeigerin im Aktenvermerk vom 11. September 2013 (ON 1) beschriebene ‑ vorgeblich vom Disziplinarbeschuldigten forcierte ‑ Naheverhältnis zwischen ihr und dem Genannten erst nach Unterfertigung des Kaufanbots entstanden sein kann. Von einem „unlauteren und beharrlichen Drängen“ Dr. *****, ihm die Liegenschaft zu übertragen, kann solcherart keine Rede sein.

Das vom Kammeranwalt besonders hervorgehobene Argument, wonach die Übereignung der in Rede stehenden Liegenschaft an den Disziplinarbeschuldigten um den Kaufpreis von 600.000 Euro ‑ welcher auch bei Berücksichtigung des Wohnrechts zugunsten der (70‑jährigen) Anzeigerin für die Dauer von 10 Jahren „in einem krassen Missverhältnis“ zum tatsächlichen Marktwert der Liegenschaft stehe ‑ nur dann nachvollziehbar sei, „wenn dabei emotionale Motive wie etwa enge freundschaftliche oder quasifamiliäre Beziehungen eine entscheidende Rolle spielen“, ist zum einen spekulativer Natur und vernachlässigt zum anderen die Angaben der Anzeigerin Luzia R***** im genannten Verfahren des Bezirksgerichts Thalgau, wonach sie ohnedies gewusst habe, dass die Liegenschaft wesentlich mehr wert gewesen sei, und sie sich zudem ‑ nachdem sie den Verkauf mit ihrem Mann besprochen hatte ‑ vor Abwicklung des Geschäfts von Rechtsanwalt Dr. ***** habe beraten lassen.

Dass sich die Anzeigerin Luzia R***** bereits im Dezember 2012 in einem psychischen Ausnahmezustand befunden haben soll, kann der Kammeranwalt mit dem Hinweis auf die schwere Erkrankung ihres Gatten und seiner daraus resultierenden Aggressivität nicht dartun; eine Scheidung der Ehe war zu dem Zeitpunkt noch kein Thema.

Schließlich vermag auch die Wiedergabe jener Passagen aus dem bereits mehrfach angesprochenen Aktenvermerk vom 11. September 2013, denenzufolge sich der Disziplinarbeschuldigte damit gebrüstet habe, „dass es noch andere Damen gäbe, die sehr glücklich mit ihm wären, und dass er auch von diesen Damen einiges erben würde“ (ON 1 S 9), und die daran anknüpfende ‑ die in § 8 StPO normierte (durch Art 6 Abs 2 MRK auch verfassungsgesetzlich garantierte) Unschuldsvermutung nicht beachtende ‑ Schlussfolgerung des Kammeranwalts, wonach hieraus hervorgehe, „dass er sich bereits mehrmals das Vertrauen älterer alleinstehender und gutgläubiger Frauen erschlichen hatte, um sich durch Irreführung in den Besitz ihres Vermögens zu setzen“, keine Bedenken gegen die Lösung der Tatfrage im Einstellungsbeschluss zu wecken, wobei in diesem Zusammenhang insbesondere in den Blick zu nehmen ist, dass das von Luzia R***** gegen den Disziplinarbeschuldigten angestrengte Verfahren (Klage auf Anfechtung des Kaufvertrags infolge bewusster Täuschung; AZ 6 Cg 146/13v des Landesgerichts Salzburg) im Einvernehmen beider Streitteile bereits im Anfangsstadium durch Vereinbarung „ewigen Ruhens“ beendet wurde und ‑ worauf insbesondere auch der Disziplinarrat in seinem Einstellungsbeschluss hingewiesen hat ‑ Luzia R***** mit Schreiben vom 20. Februar 2014 (ebenso bei ON 12) ihre mit dem Verkauf ihres Hauses im Zusammenhang stehende „Beschwerde“ gegen den Disziplinarbeschuldigten zurückzog.

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