European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0020OB00166.14X.0608.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Die Klägerin ist seit 1982 Mieterin einer Wohnung in 1060 Wien G***** Straße *****. Die G***** Straße ist ein stark befahrener Verkehrsweg, allerdings befindet sich die Wohnung der Klägerin in ruhiger Innenhoflage.
Sie fühlt sich durch Lärmimmissionen gestört, die von Proberäumen der Beklagten, die „Ecke an Ecke“ mit ihrer Wohnung im Kellergeschoss eines Nachbarhauses situiert sind und von der beklagten Partei vermietet werden. Die Musiker, die den Proberaum bespielen, sind unter anderem diverse Heavy‑Metal- und Hardrock‑Gruppen, die auch immer wieder wechseln. Die Proben finden an allen Wochentagen statt, sie beginnen teilweise um 12 Uhr oder 13 Uhr mittags und dauern (teilweise mit Pausen) bis zu sechs Stunden am Tag. Die Umgebung der Wohnung der Klägerin ist ansonsten leise. Die Immissionen infolge des Probenbetriebs sind bei geschlossenen Fenstern eindeutig und als äußerst störend wahrzunehmen. Der bei geschlossenen Fenstern festgestellte Umgebungslärm wird bei Betrieb in den Proberäumen um bis zu 8 dB angehoben, wobei Pegelspitzen bis zu 17 dB darüber liegen. Für die Zumutbarkeit solcher Pegelspitzen wird in der ÖAL‑Richtlinie Nr 3, die nach den Feststellungen den Stand der Technik und der Wissenschaft in der Lärmforschung in Österreich wiedergibt und von Medizinern und Schalltechnikern entwickelt wurde, um Schallimmissionen beurteilen zu können, eine Immission von 10 dB über dem anzuwendenden Planungsbasispegel definiert. Als solcher ist im vorliegenden Fall der ermittelte Umgebungslärm anzusetzen. Diesen hat das Erstgericht mit unter 15 dB (bei geschlossenem Fenster im Schlafzimmer der Klägerin) festgestellt. Die diesbezüglich erhobene Beweisrüge hat das Berufungsgericht aus rechtlichen Erwägungen offen gelassen. Gemäß den Kriterien der ÖAL‑Richtlinie ist die Zumutbarkeit der Immission nicht gegeben.
Die Beklagte zog beim Bau der Proberäume im November 2006 einen Architekten bei, der schon für den ORF Tonstudios konzipiert hatte und daher über einschlägige Erfahrung verfügte, um einen möglichst schalldichten Raum herzustellen. Die Errichtung der Proberäume kostete ca 200.000 EUR. Bereits im Jahr 2008 gab es Anzeigen von Anrainern wegen Lärmbelästigungen, weshalb die beklagte Partei in einer weiteren Umbauphase Verbesserungen in lärmtechnischer Hinsicht vornahm.
Die Klägerin, die bis zur Errichtung der Proberäume und Vermietung an diverse Bands keinerlei vergleichbare Ruhestörung in ihrer Wohnung erfahren hatte, fühlte sich von Beginn an durch Musikgruppen, die mit Bass, Schlagzeug und ähnlichen Instrumenten spielten, auch dann, wenn die Fenster geschlossen waren, belästigt. Sie erstattete Anzeigen wegen Lärmbelästigung. Die Klägerin hört die Musik, die durch Bässe, tieffrequente Töne, Schlagzeug und schnelle Rhythmen charakterisiert ist, in allen Räumen ihrer Wohnung.
Die Klägerin begehrte zuletzt (ON 48, AS 224) die Unterlassung der vom Bestandobjekt der Beklagten ausgehenden, nach den örtlichen Verhältnissen das gewöhnliche Maß überschreitenden und die ortsübliche Nutzung der Wohnung der Klägerin wesentlich beeinträchtigenden Geräuschimmissionen, die einen Wert von 25 dB (A) überschreiten. Die Klägerin werde durch diese Immissionen selbst bei geschlossen Fenstern erheblich in der Nutzung ihrer Wohnung eingeschränkt und könne sich insbesondere nach der Arbeit nicht ausruhen.
Die Beklagte hielt dem zusammengefasst entgegen, dass durch das Musizieren in den Proberäumen der ortsübliche Geräuschpegel nicht überschritten und die Nutzung der Wohnung der Klägerin nicht wesentlich eingeschränkt werde.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Selbst wenn es Lärmquellen in einem dicht besiedelten Stadtgebiet gebe, darunter auch Gewerbebetriebe, müsse die Klägerin deswegen nicht die völlig andersartigen, vom Musikproberaum der Beklagten ausgehenden Geräusche von Rockmusik mit tieffrequenten Tönen und schnellen Rhythmen über die Dauer von mehreren Stunden am Tag dulden. Ein derartig langanhaltendes Musizieren stelle eine erhebliche Beeinträchtigung der ortsüblichen Nutzung der klägerischen Wohnung dar.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung „mit der Maßgabe“, dass es die Beklagte verpflichtete, störenden Lärm verursacht durch tieffrequente Schallimmissionen (bis 100 Hz), die durch das Spielen von E‑Bass, Schlagzeug oder ähnlichen Instrumenten erzeugt werde, zu unterlassen. Ausgehend von seiner Rechtsansicht wonach es für die Störintensität eines Geräuschs vor allem auf die Frequenz und die Beschaffenheit desselben sowie dessen Dauer ankomme und tieffrequente Lärmquellen und die schnellen Rhythmen progressiver Rockmusik jedenfalls nicht als ortsübliche Immission angesehen werden könnten, meinte es, dass es auf die von der beklagten Partei bekämpften Feststellungen des Erstgerichts rechtlich nicht ankomme. Eine erhebliche Beeinträchtigung der örtlichen Nutzung liege nicht nur dann vor, wenn ein bestimmter Basispegel (Grundgeräuschpegel) durch die inkriminierte Lärmquelle um eine bestimmte Anzahl (hier: 10 dB [A]) erhöht werde, sondern auch dann, wenn ein verständiger Bewohner den Lärm mit Rücksicht auf die Art der Geräusche als „lästig“ empfinde. Im gegebenen Fall liege diese besondere „Lästigkeit“ in der Art des Musiklärms, nämlich einerseits objektiv messbarer tieffrequenter Lärm (bis 100 Hz), erzeugt durch E-Bass und Schlagzeug, sowie schneller Rhythmus der Musik.
Nach Verneinung der relevierten Verfahrensmängel gelangte das Berufungsgericht daher zu dem rechtlichen Ergebnis, dass das Klagebegehren, der Beklagten Schallimmissionen zu verbieten, die einen Wert von 25 dB (A) überschreiten, dem das Erstgericht wörtlich gefolgt sei, nicht geeignet sei, die tatsächlich störenden Immissionen durch E‑Bass bzw Schlagzeug und dadurch erzeugte tieffrequente Schallimmissionen zu verhindern. Wenn auch das Verbot, einen bestimmten Geräuschpegel nicht zu überschreiten, von der Rechtsprechung anerkannt werde, sei die Angabe von Messeinheiten aber nicht unbedingt erforderlich. Das Gericht habe nicht am begehrten Spruch zu „haften“, sondern unter Berücksichtigung der in der Klage angeführten Tatsachen zu beurteilen, welche Unterlassung tatsächlich begehrt werde. Das Unterlassungsgebot sei daher dahingehend zu konkretisieren, dass die wirklich störenden tieffrequenten Schallimmissionen insbesondere durch E‑Bass, Schlagzeug oder ähnliche Instrumente, zu unterlassen seien.
In Hinblick auf die Umstände des Einzelfalls sei die Entscheidung nicht von über den Anlassfall hinausgehender Bedeutung und daher die Revision nicht zuzulassen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision mangels Zulässigkeit zurückzuweisen, in eventu, ihr nicht Folge zu geben.
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei meint zusammengefasst, dass sämtliche Musikinstrumente aller Musikrichtungen tieffrequente Schallimmissionen bis zu 100 Hz emittierten und daher mit dem Urteilsspruch der zweiten Instanz jegliches Musizieren untersagt werde. Das Berufungsgericht weiche von der bisherigen Judikatur ab, wenn es von der objektiven Lärmmessung zum schwer quantifizierbaren Begriff der „Lästigkeit“ wechsle. Als Verfahrensmangel wird - neben den vom Berufungsgericht behandelten und verneinten Verfahrensmängeln in der ersten Instanz ‑ auch gerügt, dass die vom Begehren abweichende Fassung des Spruchs durch das Berufungsgericht nicht dem Klagebegehren entspreche, das auf die Einschränkung gewisser Lärmspitzen, nicht jedoch auf gänzliche Betriebseinstellung abziele. Der Urteilsspruch der zweiten Instanz bedeute daher eine unzulässige (mit Nichtigkeit bedrohte) reformatio in peius bzw eine Überschreitung des Urteilsbegehrens.
Die Revision ist zulässig , weil das Berufungsgericht mit seiner als Konkretisierung angesehenen Veränderung des Spruchs tatsächlich über das Urteilsbegehren hinausgegangen ist. Sie ist in diesem Umfang auch im Sinne des eventualiter gestellten Aufhebungsantrags berechtigt .
Rechtliche Beurteilung
1. Gemäß § 364 Abs 2 ABGB sind Immissionen soweit unzulässig, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen.
2. Wie das ortsübliche Ausmaß der Immission ermittelt wird, ist ebenso eine Frage des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0014685) wie die Beurteilung der Wesentlichkeit der Nutzungsbeeinträchtigung (RIS‑Justiz RS0010558). Auch zur Relevanz der „Lästigkeit“ des Lärms bei Immissionen, insbesondere auch im Zusammenhang mit Musikprobenlärm (RIS‑Justiz RS0038603; zu Proben einer Musikkapelle RS0010557, allgemein auch RS0037171) gibt es bereits oberstgerichtliche Judikatur. Demnach ist im Sinne der Entscheidung des Berufungsgerichts sehr wohl nicht nur die objektiv messbare Lautstärke, sondern auch die subjektive „Lästigkeit“ maßgeblich, und zwar gemessen am Empfinden eines durchschnittlichen Bewohners des betroffenen Grundstücks. Für diese „Lästigkeit“ ist vor allem auf die Tonhöhe, die Dauer und die Eigenart der Geräusche abzustellen (RIS‑Justiz RS0010557).
3. Die Begriffe „örtlich“ und „ortsüblich“ iSd § 364 Abs 2 ABGB sind nicht im Sinne einer politischen Gemeinde zu verstehen, es ist aber auch nicht auf das beeinträchtigte Grundstück allein abzustellen, sondern auf die unmittelbare Umgebung der störenden und der gestörten Liegenschaft (RIS‑Justiz RS0010653, RS0010678, RS0010577). Die „örtlichen Verhältnisse“ werden teilweise auch weiträumiger verstanden, als Gebietsteile bzw Stadtteile („Viertel“) mit annähernd gleichen Lebensbedingungen (RIS‑Justiz RS0010653 [T14], RS0010577 zu Buschenschenken).
Allerdings besteht nach der Judikatur ein Untersagungsanspruch auch dann, wenn ein Teil einer Liegenschaft, ja selbst nur eine Wohnung oder ein Teil einer solchen wegen ihrer besonderen Lage zum Nachbargrundstück durch Einwirkungen von diesem derart beeinträchtigt wird, dass die Beeinträchtigung nach den örtlichen Verhältnissen das gewöhnliche Ausmaß übersteigt (RIS‑Justiz RS0010653).
4. Hier liegt die Wohnung der Klägerin zwar im städtischen, dicht verbauten Ballungsgebiet des 6. Wiener Gemeindebezirks; sie liegt aber doch in einem ruhigeren Innenhof. Die Wohnung der Klägerin ist darüber hinaus noch dadurch gekennzeichnet, dass sie sich in unmittelbar „über Eck“ angrenzender Lage zu den lärmemittierenden Proberäumen der beklagten Partei befindet. Selbst wenn man in diesem Fall vom ortsüblichen Lärm im städtischen Ballungsgebiet durch Verkehr etc ausginge, ist bei diesen örtlichen Gegebenheiten aber der Lärm, der von den stundenlangen Proben diverser Heavy‑Metal- und Hardrockgruppen ausgeht, nicht als ortsüblich anzusehen und gemessen an den sonstigen ortsüblichen Lärmimmissionen als besonders „lästig“ im Sinne der aufgezeigten Judikatur einzustufen.
5. Auch wenn der Begriff der Bestimmtheit eines Unterlassungsbegehrens nicht all zu eng ausgelegt werden darf (RIS‑Justiz RS0000845; 6 Ob 208/70 = SZ 43/199), und ‑ wenn auch die Aufnahme des zulässigen Geräuschpegels im Urteilsspruch eines Unterlassungsbegehrens häufig ist (RIS‑Justiz RS0010509) ‑ nach einem Teil der Rechtsprechung ein Unterlassungsbegehren auch dann als hinreichend bestimmt angesehen wird, wenn ‑ ohne Angabe von Messeinheiten ‑ lediglich die Unterlassung störenden Lärms aufgetragen wird (RIS‑Justiz RS0037178), so hat hier das Berufungsgericht bei der Umformulierung des Spruchs das modifizierte Klagebegehren (AS 224), in dem lediglich eine 25 dB (A) überschreitende Geräuschimmission zu untersagen beantragt wurde, unberücksichtigt gelassen. Mögen daher auch im Sinne der Ausführungen des Berufungsgerichts für die Klägerin besonders tieffrequente Schallimmissionen ‑ ausgehend von E‑Bass, Schlagzeug oder ähnlichen Instrumenten ‑ spezifisch beeinträchtigend sein, so sind dennoch auch insofern nur Geräuschimmissionen, die den von der Klägerin beantragten Pegelwert überschreiten, zu untersagen (§ 405 ZPO).
Ob aber dieser Pegelwert für eine Untersagung heranzuziehen ist, kann derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden, weil nach den Feststellungen entsprechend der ÖAL‑Richtlinie Pegelspitzen von 10 dB über dem festgestellten Umgebungslärm zumutbar sind, bislang aber nicht abschließend feststeht, wie hoch der Umgebungslärm tatsächlich ist. Insoweit erweist sich daher die Beweisrüge der beklagten Partei in der Berufung entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts als entscheidungsrelevant und wird daher im fortgesetzten Verfahren vom Berufungsgericht zu behandeln sein, um beurteilen zu können, ob der von der Klägerin beantragte Wert, ab dessen Überschreitung Geräuschimmissionen untersagt werden sollen, tatsächlich heranzuziehen ist.
6. Der Kostenvorbehalt beruht auf §§ 50 Abs 1, 52 Abs 1 ZPO.
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