OGH 10ObS33/15y

OGH10ObS33/15y19.5.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr.

Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Brigitte Augustin (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Schönhofer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Dr. Markus Tesar, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich‑Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Pflegegeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 22. Dezember 2014, GZ 8 Rs 158/14k‑32, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:010OBS00033.15Y.0519.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Begründung

Laut Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt vom 5. November 2007 wurde das der Klägerin gebührende Pflegegeld ab 1. Oktober 2007 neu bemessen; der im Jahr 1924 geborenen Klägerin wurde Pflegegeld der Stufe 4 zuerkannt. Mit Bescheid vom 1. Oktober 2013 hat die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 23. Juli 2013 auf Erhöhung des Pflegegeldes abgelehnt.

Mangels der Erfüllung der Voraussetzungen für eine höhere Pflegegeldstufe als die Stufe 4 wies das Erstgericht die gegen den Bescheid erhobene Klage ab.

Es traf für den Zeitraum ab 1. Oktober 2013 folgende wesentliche Feststellungen:

Die Klägerin benötigt aufgrund ihres Gesundheitszustands Unterstützung bei der Einnahme von Medikamenten, bei der täglichen Körperpflege, beim Stiegensteigen, beim An- und Auskleiden und beim Toilettengang. Sie benötigt weiters Unterstützung bei der Herbeischaffung von Nahrungsmitteln, Medikamenten und Bedarfsgütern des täglichen Lebens, der Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände sowie bei Pflege der Leib- und Bettwäsche. Sie ist auf Mobilitätshilfe im weiteren Sinn angewiesen. An Hilfsmitteln ist sie auf einen Rollator, Gehstock, eine Brille, Prothese, Leibschüssel und Einlagen angewiesen.

Unter Zugrundelegung der Einstufungsverordnung ging das Erstgericht von folgendem monatlichen Pflegebedarf der Klägerin aus (in Stunden pro Monat):

Tägliche Körperpflege (unmöglich) 25

Zubereitung von Mahlzeiten (unmöglich) 30

Verrichten der Notdurft (unmöglich) 30

An- und Auskleiden (unmöglich) 20

Einnahme von Medikamenten (unmöglich) 3

Mobilitätshilfe im engeren Sinn (nötig) 15

Herbeischaffung von Nahrungsmitteln etc

(unmöglich) 10

Reinigung der Wohnung und der persönlichen

Gebrauchsgegenstände (unmöglich) 10

Pflege der Leib- und Bettwäsche (unmöglich) 10

Mobilitätshilfe im weiteren Sinn (nötig) 10

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Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und ließ die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu. Es verneinte eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens (wegen Nichtauseinandersetzung mit dem Zustand der Klägerin ab Oktober 2007), übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen als Ergebnis eines mangelfreien bzw nicht zu überprüfenden Verfahrens und legte seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde, dass kein Anlass bestehe, von den in der Einstufungsverordnung angeführten Fix- und Richtwerten abzuweichen.

Rechtliche Beurteilung

1. Soweit die Klägerin in ihrer außerordentlichen Revision eine „erhebliche Widersprüchlichkeit“ darin sieht, dass die beklagte Partei im Jahr 2007 einen Pflegebedarf von 173 Stunden monatlich festgestellt habe, während das Erstgericht sieben Jahre später nur mehr auf 163 Stunden gekommen sei, ist ihr zu entgegnen, dass sie damit in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen bekämpft. Für die von der Klägerin gezogene Schlussfolgerung, die Gerichte hätten eine tatsächliche Besserung ihres Zustands angenommen, findet sich keine Grundlage in den Feststellungen, abgesehen davon, dass auch bei einem Pflegebedarf von 173 Stunden monatlich kein höheres Pflegegeld als dasjenige nach Stufe 4 gebühren würde. Im Übrigen liegen auch keine Hinweise darauf vor, dass ein außergewöhnlicher Pflegeaufwand erforderlich sei.

2. Ein behaupteter Stoffsammlungsmangel des Gerichts erster Instanz, der vom Berufungsgericht verneint wurde, kann nach ständiger Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0042963) nicht mit Erfolg in der Revision aufgegriffen werden.

3. Der Versuch der Klägerin, einen Pflegeaufwand von „mindestens 198 Stunden“ zu kreieren, überzeugt nicht. Sie weist darauf hin, dass die Annahme eines fixen Zeitwerts von jeweils zehn Stunden für vier unter „Hilfe“ zu subsumierende Verrichtungen (nämlich Herbeischaffung von Nahrungsmitteln, Medikamenten und Bedarfsgütern des täglichen Lebens; Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände; Pflege der Leib- und Bettwäsche; Mobilitätshilfe im weiteren Sinn) die tatsächlichen Verhältnisse außer Acht lasse: Die Klägerin wohne nicht im dicht bebauten Stadtgebiet mit erstklassiger und nahe gelegener Infrastruktur, sondern am Land, weshalb Medikamente und Bedarfsgüter des täglichen Lebens zeitaufwändig mit erheblichen Fahrzeiten von weit besorgt werden müssten.

Damit nimmt die Klägerin keine Rücksicht darauf, dass bei Verrichtungen, die gemäß § 2 der Einstufungsverordnung zum Bundespflegegeldgesetz (EinstV) als „Hilfe“ zu qualifizieren sind, keine konkret-individuelle Prüfung des Bedarfs anzustellen ist (RIS‑Justiz RS0102030 [T5]). Der Fixwert von 10 Stunden ist für jede der fünf in § 2 Abs 2 EinstV genannten Hilfsverrichtungen ohne jede Abweichung nach oben oder nach unten zugrunde zu legen (RIS‑Justiz RS0102030 [T3]).

4. Der von der Klägerin ausdrücklich auch für den Fall ihres Unterliegens im Revisionsverfahren begehrte Zuspruch der Verfahrenskosten nach § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG kommt nicht in Betracht, weil ein solcher ausnahmsweiser Kostenzuspruch nach Billigkeit zur Voraussetzung hat, dass sowohl tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens vorliegen als auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der versicherten Person einen Kostenersatz nahelegen (10 ObS 30/11a mwN; 10 ObS 79/14m). Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens liegen aber im Hinblick auf die bereits vorliegende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht vor.

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